Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 MB 33/22

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer - vom 6. September 2022 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Der vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 6. September 2022 festgesetzte Streitwert wird geändert und ebenfalls auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Im Streit ist die Vollziehung eines Bescheides des Antragsgegners vom 30. August 2022, mit dem eine Versammlung in Form eines Protestcamps im Stadtpark der Gemeinde Sylt (OT Westerland) mit Ablauf des 31. August 2022 aufgelöst wurde.

2

Den von den Antragstellern am 31. August 2022 gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 30. August 2022 hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 6. September 2022 als zulässig, aber unbegründet abgelehnt. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung sei ausschlaggebend, dass sich der Bescheid vom 30. August 2022 nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig darstelle. Zwar könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Protestcamp um eine geschützte Versammlung handele, doch lägen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Auflösung vor. Der Schutz von auf längere Zeit angelegten Protestcamps sei nicht grenzenlos. Vorliegend sei eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit für den Fall einer Fortsetzung des Protestcamps über den ursprünglich angezeigten Zeitpunkt hinaus in der Auflösungsverfügung des Antragsgegners vom 30. August 2022 überzeugend beschrieben worden. Die bereits bisher aufgetretenen Gefahren für die Gesundheit sowie das Eigentum Dritter und Natur und Umwelt seien nicht mehr zu verantworten. Die beschränkende Verfügung des Antragsgegners vom 3. August 2022 sei zu keinem Zeitpunkt erfüllt worden. Mit dem mitten in Westerland aufgebauten Protestcamp seien erhebliche Lärmbelästigungen für die Anwohnerinnen und Anwohner verbunden, die jedenfalls nach der aktuellen Entwicklung als eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu bewerten seien. Wie die polizeilich dokumentierten Vorfälle am 31. August 2022 zeigten, sei auch nicht mehr damit zu rechnen, dass nächtliche Ruhestörungen durch Hinweise abgestellt werden könnten; vielmehr sei mit einer zunehmenden Rücksichtslosigkeit zu rechnen. Mit den unzureichenden sanitären Verhältnissen im Camp und der unmittelbaren Gefahr einer rücksichtslosen Lärmbelastung sei inzwischen eine unmittelbare Gefahr eingetreten, die es als verhältnismäßig erscheinen lasse, eine Fortsetzung des Protestcamps über den 31. August 2022 hinaus zu unterbinden. Soweit mit der Antragsbegründung eine Besserung der Verhältnisse angekündigt worden sei, überzeuge dies nicht.

3

Dagegen richtet sich die am 9. September 2022 beim Oberverwaltungsgericht eingelegte Beschwerde der Antragsteller. Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten.

II.

4

I. Der Senat geht davon aus, dass die Beschwerde von beiden Antragstellern des erstinstanzlichen Verfahrens eingelegt worden ist. Die Beschwerdeschrift führt einleitend zwar nur den Antragsteller zu 1 auf, beantragt die Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses jedoch „namens der Antragsteller und kraft beiliegenden Nachweises der Bevollmächtigung – die Bevollmächtigung des Beschwerdeführers zu 2) wird anwaltlich versichert“.

5

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, da es für die Beschwerde an den erforderlichen Erfolgsaussichten fehlt (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Aus den gleichen Gründen hat auch die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Übrigen liegen auch die nach § 117 Abs. 2 und 4 ZPO erforderlichen Unterlagen nicht vor. Die fehlenden Erfolgsaussichten ergeben sich aus den nachfolgenden Gründen:

6

III. 1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. September 2022 ist zulässig. Eine Einlegung unmittelbar beim Beschwerdegericht ist möglich, sie wahrt ebenfalls die zweiwöchige Beschwerdefrist, § 147 Abs. 2 VwGO. Dies gilt auch für Beschwerden nach § 146 Abs. 4 VwGO in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 147 Rn. 6).

7

2. Die Beschwerde ist allerdings unbegründet.

8

a. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft und zulässig ist. Ob die Antragsteller ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. August 2022 beim Antragsgegner erhoben haben, wie sie nunmehr behaupten, kann aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen dahinstehen, da die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO noch läuft. Dieser hätte im Übrigen gemäß § 13 Abs. 6 Satz 2 VersFG SH keine aufschiebende Wirkung.

9

b. In der Sache bleibt der Antrag aber ohne Erfolg. Denn die zur Begründung der Beschwerde dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage. Nur hierauf kommt es gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO an. Die Beschwerdebegründung muss sich gegen konkrete Argumente und Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts wenden und im Einzelnen begründen, warum die Entscheidung änderungsbedürftig bzw. unrichtig sein soll (Beschl. des Senats v. 20.05.2022 - 4 MB 16/22 -, juris Rn. 19; Beschl. v. 12.10.2021 - 4 MB 39/21 -, juris Rn. 2).

10

Aus den vorgenannten Gründen führt allein die Rüge, dass das Verwaltungsgericht bei der Rechtmäßigkeitsprüfung zwischen Güterabwägung und Gefahrenprognose nicht vollständig zu trennen scheine, noch nicht dazu, dass der angegriffene Beschluss zu ändern ist. Dass die vor Auflösung einer Versammlung anzustellende Gefahrenprognose oder die anschließend gebotene Güterabwägung unrichtig beurteilt worden wären, ergibt sich daraus noch nicht.

11

Aus dem übrigen Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass der Bescheid vom 30. August 2022 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts offensichtlich rechtswidrig ist.

12

Nach § 13 Abs. 1 VersFG SH kann die zuständige Behörde die Durchführung einer Versammlung unter freiem Himmel beschränken oder verbieten, die Versammlung nach deren Beginn auch auflösen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Maßnahme erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

13

Eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG, § 2 VersFG SH ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Geschützt sind auch solche Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmenden ihre Meinungen zusätzlich oder ausschließlich auf andere Weise als in verbaler Form zum Ausdruck bringen (so schon Urt. des Senats v. 14.02.2006 - 4 LB 10/05 -, juris Rn. 39 m.w.N.). Dass es sich vorliegend um eine solche Versammlung handelt, wird zugunsten der an dem Camp teilnehmenden Personen sowohl vom Antragsgegner als auch vom Verwaltungsgericht unter Verweis auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Besonderheiten einer Versammlung in Form eines Protestcamps (BVerwG, Urt. v. 24.05.2022 - 6 C 9.20 - juris) angenommen. Diese rechtliche Einordnung soll auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht in Frage gestellt werden. Denn anzuerkennen ist, dass auf längere Dauer angelegte „gemischte Veranstaltungen“, die jedenfalls auch Elemente einer Versammlung i.S.d. Art. 8 GG enthalten, einschließlich ihrer logistisch erforderlichen infrastrukturellen Einrichtung im Zweifel als Versammlung anzuerkennen sind (BVerwG a.a.O. Rn. 21 f., 27 m.w.N.) und sich zudem auch spontan entwickeln können.

14

Die für ein Verbot, eine Auflösung oder eine Beschränkung erforderliche unmittelbare Gefahr entnimmt das Verwaltungsgericht den bis zum Erlass der Maßnahme aufgetretenen Gefahren für die Gesundheit sowie das Eigentum Dritter einerseits und für Natur und Umwelt andererseits. Diese ergäben sich aus den unzureichenden sanitären Einrichtungen im Camp und den sich daran anschließenden Verschmutzungen und Geruchsbeeinträchtigungen in der Umgebung des Camps. Außerdem führt das Gericht erhebliche Lärmbelästigungen für die Anwohnerinnen und Anwohner an. Für die Zeit vom 23. Juli bis zum 31. August 2022 seien zehn Ruhestörungen polizeilich dokumentiert. Die diesen Ausführungen zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen stellt die Beschwerde nicht in Frage. Dass betroffene Dritte, deren Rechtsgüter beeinträchtigt sein könnten, im Beschluss abstrakt blieben und nicht „konkret dargelegt“ würden, ändert nichts an der Richtigkeit dieser Feststellungen. Diese sind im Verwaltungsvorgang näher dokumentiert. Es finden sich dort zahlreiche Beschwerden von Anwohnenden, Marktbeschickern und Mitarbeitenden im benachbarten Rathaus sowie polizeiliche Berichte, die belegen, dass die an der Versammlung teilnehmenden Personen ihre Notdurft auf öffentlichen und privaten Flächen verrichteten und dass es mehrfach zu nächtlichen Ruhestörungen kam.

15

Gegen die anhand dieser Feststellungen angenommene unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgrund einer positiven Gefahrenprognose ist nichts zu erinnern. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung lagen entsprechend erkennbare Umstände vor. Mit Blick auf die Vorerfahrungen mit dem Campleben in der Zeit bis zum Erlass der streitigen Maßnahme am 30. August 2022 durfte der Antragsgegner annehmen, dass die gegebene Sachlage bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt. Dabei wird nicht verkannt, dass die Behörde unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen darf und dass als Grundlage der Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich sind, während bloße Verdachtsmomente und Vermutungen nicht ausreichen (BVerfG, Beschl. v. 06.06.2007 - 1 BvR 1423/07 -, juris Rn. 17; Beschl. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 -, juris Rn. 11; Beschl. des Senats v. 29.03.2012 - 4 MB 22/12 -, juris Rn. 5 m.w.N.).

16

Zur öffentlichen Sicherheit zählen neben der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung vor allem auch die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen. Geschützt werden demnach sowohl Individual- wie auch Gemeinschaftsrechtsgüter (BVerwG, Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 -, NJW 2012, 2676 Rn. 23). Dies gilt auch mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit. Denn deren Ausübung gibt keine Rechtfertigung für strafbares oder ordnungswidriges Verhalten. Ein allgemein verbotenes Verhalten wird nicht dadurch rechtmäßig, dass es gemeinsam mit anderen in Form einer Versammlung erfolgt. Das den Grundrechtsträgern durch Art. 8 GG eingeräumte Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Veranstaltung ist durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris, Rn. 53 f.; Urt. des Senats v. 14.02.2006 - 4 LB 10/05 -, juris Rn. 44; VG Meiningen, Beschl. v. 01.06.2018 - 2 E 835/18 Me -, juris Rn. 25).

17

Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Gefahrenprognose ergaben sich daraus, dass die Schwelle zu einem Verstoß gegen die Rechtsordnung seit Bestehen des Camps und bis zum Erlass der Maßnahme bereits mehrfach überschritten worden war. Zunächst wurde die wirksame und vollziehbare Verfügung des Antragsgegners vom 3. August 2022, nach der u.a. sanitäre Anlagen vorzuhalten gewesen wären, durchgehend nicht erfüllt. Folge dessen war, dass es durch Verrichten der Notdurft im öffentlichen und privaten Raum zu einem Verstoß gegen § 118 OWiG kam. Hinzu tritt der ruhestörende Lärm als Verstoß gegen § 117 OWiG. Diese Verstöße führten zugleich zu Beeinträchtigungen weiterer Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, nämlich der Unversehrtheit der Gesundheit Einzelner (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 30.11.2012 - 11 KN 187/12 -, NordÖR 2013, 113, juris Rn. 68) und des Eigentums Dritter als auch von Natur und Umwelt (vgl. etwa VG Magdeburg, Beschl. v. 23.11.2021 - 3 B 321/21 -, juris: Abwasserbeseitigung zwecks Grundwasserschutz in einem Protestcamp).

18

Die Antragsteller führen demgegenüber an, dass die „Toilettenauflage“ rechtswidrig gewesen sei, wenn – wie hier – ausreichend öffentliche Toiletten in erreichbarer Nähe zur Verfügung stünden. Zudem habe der Antragsgegner auf Antrag zu den bereits vorhandenen, durch die Gemeinde aufgestellten Toiletten zwei zusätzliche Chemietoiletten aufgestellt. Weitere öffentliche Toiletten befänden sich in der näheren (bis zu 500 m reichenden) Umgebung. Im Übrigen sei der Antragsteller zu 1 auf Transferleistungen angewiesen und könne dergleichen nicht aus eigenen Mitteln finanzieren. Dies werfe die Frage auf, ob durch eine derartige Auflage nicht der Zugang zur Wahrnehmung des Versammlungsgrundrechts für Einkommensschwache unangemessen eingeschränkt werde. Dieser Frage muss vorliegend ebenso wenig nachgegangen werden wie die der Rechtswidrigkeit aufgrund des Vorhandenseins ausreichender öffentlicher Toiletten. Denn es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass sich einer der Adressaten des Auflagenbescheides vom 3. August 2022 gegen diesen im Allgemeinen oder auch nur gegen dessen Ziffer 11 gewandt hätte, die bestimmt, dass sanitäre Anlagen vorzuhalten sind und je 15 Personen eine Chemietoilette bereitzustellen ist. Die Auflage ist verbindlich. Sie wurde wirksam erlassen und ist vollziehbar, ohne dass es auf eine etwaige Rechtswidrigkeit ankommt. Im Übrigen ist dem Verwaltungsvorgang zu entnehmen, dass den Antragstellern vonseiten der Gemeinde Sylt geraten worden ist, bei ihr einen Antrag auf Kostenübernahme für die Toiletten zu stellen.

19

Dass die „Toilettenauflage“ für die Zukunft eingehalten werden wird, war bis zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Erlass des Bescheides weder erkennbar noch geltend gemacht worden. Die Antragsteller konkretisieren zwar nunmehr, dass zurzeit 4 „Dixie“-Toiletten und damit bei der aktuellen Teilnehmerzahl doppelt so viele, wie im Auflagenbescheid vorgesehen, vorhanden seien, doch stellt dies, auch wenn es zutreffen sollte, die ex ante zu beurteilende Prognoseentscheidung nicht in Frage. Im Übrigen führen die Antragsteller auch nicht aus, ob dies von ihnen selbst in Erfüllung der Auflage oder vonseiten der Gemeinde veranlasst worden ist. Ebenso wenig war nachvollziehbar dargelegt, dass sich die hygienischen Verhältnisse trotz Rückgangs der Teilnehmerzahl bessern sollten. Beides war zum Zeitpunkt der Prognosestellung noch relevant. Denn anders als die Antragsteller behaupten, hatte der Hauptausschuss der Gemeinde Sylt (und nicht der Antragsgegner) erst nach Nichterfüllung der Auflage und Auftreten des hygienischen Notstandes beschlossen, zwei zusätzliche Toiletten aufzustellen. Die Antragsteller erläutern auch nicht, warum es in der Vergangenheit überhaupt zu den beschriebenen Verschmutzungen gekommen ist, wenn es denn nach ihrer Meinung ausreichende öffentliche Toiletten gegeben hat. Ebenso bleibt der Vortrag, dass es wegen der Verringerung der Teilnehmerzahl zum Zeitpunkt der Auflösungsverfügung nicht mehr zu unzumutbaren Lärmbelästigungen gekommen sei, eine nicht weiter unterlegte Behauptung. Ohne dass es wegen des maßgeblichen Zeitpunktes bei Erlass der Maßnahme noch darauf ankäme, bleibt im Übrigen anzumerken, dass auch die nunmehr vorgetragene Erstellung eines Nachtruhe- und Lärmschutzkonzeptes, das Bemühen um die Einhaltung der Nachtruhe von 22:00 Uhr bis 10:00 Uhr noch kein Garant für das künftige Unterbleiben von Lärmbelästigungen ist. Der vom Antragsgegner übersandte Polizeibericht über das vergangene Wochenende vom 9. bis 11. September 2022 bestätigt dies auch nicht.

20

In Bezug auf die ausgesprochene Rechtsfolge einer Auflösung i.S.d. § 13 Abs. 1 VersFG werfen die Antragsteller die Frage auf, ob dem „für eine demokratische Gesellschaftsordnung konstituierenden“ Versammlungsgrundrecht bei der Güterabwägung hinreichend Rechnung getragen worden sei. Die „aufgeworfenen“ Gefahren für die öffentliche Sicherheit verblieben allesamt im Ordnungswidrigkeitsbereich. Sie meinen, dass sich die Auflösung als der schwerwiegendste mögliche Eingriff in die Versammlungsfreiheit voraussichtlich als rechtswidrig erweisen werde. Es sei nicht dargelegt, warum es zu einer sofortigen Auflösung kommen müsse und nicht ersichtlich, dass über weitere Auflagen als mildere Mittel nachgedacht worden sei. Auch dies führt nicht zum Erfolg der Beschwerde.

21

Grundsätzlich gilt, dass Eingriffe in die Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig sind (BVerfG, Beschl. v. 30.08.2020 - 1 BvQ 94/20 -, juris Rn. 16). Zu den prinzipiell gleichwertigen anderen Rechtsgütern gehört insbesondere das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, seien dies die Versammlungsteilnehmer*innen selbst oder außenstehende Personen. Insoweit trifft den Staat zudem eine grundrechtliche Schutzpflicht (BVerfG, Beschl. v. 30.08.2020 - 1 BvQ 94/20 -, juris Rn. 16). Ebenso finden Natur und Umwelt als Bestandteile der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG ihren verfassungsrechtlichen Schutz. Für den Fall, dass die Durchführung einer Versammlung derartige Rechtsgüter gefährdet, ist es mithin Aufgabe der Behörde, die wechselseitigen Interessen zum Ausgleich zu bringen.

22

Gleichwertige Rechtsgüter lagen damit vor. Unerheblich für die gebotene Abwägung bleibt, dass die Situation in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2022 – damit nach Erlass des streitgegenständlichen Auflösungsbescheides – anlässlich wiederholter Beschwerden über Lärmbelästigungen im Rahmen der Polizeieinsätze eskalierte und es zu Gewahrsamsnahmen und diversen Strafanzeigen kam. Zutreffend führen die Antragsteller aus, dass diese Vorfälle nicht Gegenstand der Ermessenserwägungen des Antragsgegners waren und auch nicht im Nachhinein sein können, weil § 13 Abs. 1 VersFG SH ausdrücklich auf die zur Zeit des Erlasses der Maßnahme erkennbaren Umständen abstellt. Gleiches gilt für die Sachverhalte vom vergangenen Wochenende, die der Antragsgegner mit seiner Beschwerdeerwiderung noch vorträgt. Allerdings hat das Verwaltungsgericht dies auch nicht verkannt. Die Erwähnung des Vorfalles vom 31. August 2022 diente dem Gericht ersichtlich nur als nachträgliche Bestätigung der getroffenen Gefahrenprognose, ohne dass es darauf entscheidungserheblich angekommen wäre.

23

Richtig ist, dass das Verbot einer Versammlung oder deren Auflösung grundsätzlich nur als ultima ratio und erst in Frage kommen, wenn unmittelbar bevorstehende Gefahren nicht durch Auflagen oder durch sonstige, den Behörden obliegende Schutzmaßnahmen zugunsten der Versammlung abgewehrt werden können (BVerwG, Beschl. v. 05.03.2020 - 6 B 1.20 - NVwZ-RR 2020, 687 Rn. 8; Urt. des Senats v. 14.02.2006 - 4 LB 10/05 -, juris Rn. 44, 50 zu § 15 Abs. 1-3 VersG). Dabei rechtfertigen alle Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit, die eine Auflage rechtfertigen, als ultima ratio auch ein Verbot (oder eine Auflösung), wenn die Auflage als Schutz nicht ausreicht oder der Veranstalter sich nicht an die Auflage halten wird (Kniesel/Poscher in: Lisken/Denninger PolR-HdB, 7. Aufl. 2021, J. Versammlungsrecht Rn. 383).

24

Soweit es gilt, Beeinträchtigungen geschützter Rechtsgüter zu verhindern, die durch die Dauer eines Protestcamps hervorgerufen werden, stellt der Erlass einer die Dauer eines Protestcamps beschränkenden Verfügung darüber hinaus ein probates Mittel dar, um unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine praktische Konkordanz zwischen dem durch eine solche Veranstaltung ausgeübten Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen herzustellen. Dabei erlangen die letztgenannten Rechte und Belange im Rahmen der Abwägung ein umso höheres Gewicht, je länger ein Protestcamp absehbar dauern wird (BVerwG, Urt. v. 24.05.2022 - 6 C 9.20 - juris Rn. 24). So liegt es hier.

25

Dahinstehen kann, ob es sich um ein im Vorfeld der Versammlung erlassenes „Verbot“ oder eine nach Beginn der Versammlung ausgesprochene „Auflösung“, die prinzipiell als Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung verstanden wird und die zum Ziel hat, die Personenansammlung zu zerstreuen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.04.2007 - 1 BvR 1090/06 -, BVerfGK 11, 102-118, juris Rn. 45), handelt. Die gesetzlichen Voraussetzungen in § 13 Abs. 1 und 2 VersFG SH sind gleich. Auf jeden Fall diente die angegriffene Maßnahme ersichtlich der zeitlichen Beschränkung des ursprünglich nur bis zum 31. August 2022 als Versammlung angemeldeten Protestcamps. Bezugnehmend auf die Verlängerungsanzeige vom 26. August 2022 heißt es in dem Bescheid einleitend, dass die Versammlung über den 31. August 2022 (hinaus) nicht bis zum 1. Oktober 2022 verlängert werden könne. In der Begründung berief sich der Antragsgegner ausdrücklich auf die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und führte in Bezug auf die vom Camp ausgehenden Lärmbelästigungen aus, dass eine dauerhafte Beeinträchtigung von Grundrechten Dritter vorliege. Nach einer fast sechswöchigen Dauer der Versammlung und wegen der örtlichen Nähe zu Wohnungen und Betrieben könne eine weitere Beeinträchtigung der Anwohner nicht mehr hingenommen werden, zumal eine dauerhafte Kontrolle der Lärmbelästigung auch während der nächtlichen Ruhezeit nicht immer möglich sei.

26

Unzutreffend ist deshalb die Behauptung der Antragsteller, dass über weitere Auflagen als mildere Mittel nicht nachgedacht worden sei. Der Antragsgegner verweist darauf, dass es nicht möglich sei, den aufgeführten Störungen durch mildere Beschränkungen zu begegnen. Die bisher angeordneten Auflagen hätten nicht ausgereicht. Insbesondere hinsichtlich der Toiletten seien sie nicht befolgt worden. Eine Beschränkung der Versammlungszeit ohne Übernachtung im Stadtpark hätten die Antragsteller in einem Kooperations- und Anhörungsgespräch am 30. August 2022 abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat dies als verhältnismäßig bestätigt, ohne dass sich der Antragsteller damit noch näher auseinandersetzt.

27

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

28

V. Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2, 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Eine wegen gemeinschaftlichen Auftretens zweier Antragsteller gebotene Addition des Auffangstreitwertes entsprechend § 39 Abs. 1 GKG, Ziffer 1.1.3 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013) kommt nicht in Betracht, da es sich um ein einheitliches Versammlungsgeschehen handelt und die Antragsteller als Veranstalter und in Ausübung eines kollektiven Grundrechts als Rechtsgemeinschaft auftreten und nicht nur als einfache Streitgenossen (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 17.08.2016 - 3 A 64/14 -, juris Rn. 56, Beschl. v. 20.12.2016 - 3 E 128/16 -, juris Rn. 4 ff.). Im Übrigen kommt eine Halbierung des Auffangwertes nach § 52 Abs. 2 GKG nach ständiger Rechtsprechung des Senats schon mangels gesetzlicher Anordnung und unabhängig von der Frage einer Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Frage. Dem nur vorläufigen Charakter einer Entscheidung nach § 80 bzw. § 123 VwGO trägt bereits das Gebührenrecht mit seinen im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren geringeren Ansätzen Rechnung (vgl. Beschl. v. 24.08.2021 - 4 O 17/21 -, juris Rn. 6 und v. 14.10.2021 - 4 MB 49/21 -, juris Rn. 34).

29

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen