Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 3 R 7/05
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin bringt ihr Produkt „W.“ - im Folgenden nur als Produkt bezeichnet - als Nahrungsergänzungsmittel und damit als Lebensmittel in Deutschland mit entsprechender Packungskennzeichnung in den Verkehr. Es handelt sich dabei um indischen Weihrauchextrakt. Die Klägerin bezieht ihr Produkt nach eigenen Angaben aus Österreich, wo es als Lebensmittel im Verkehr ist, und der österreichische Lieferant bezieht es aus Indien.
Mit dem streitigen Untersagungsbescheid vom 23.1.2002 erließ der Beklagte nach Anhörung der Klägerin ein Verkehrsverbot für ihr Produkt auf der Grundlage des § 69 I AMG. Zur Begründung berief sich der Beklagte darauf, Fertigpräparate aus Weihrauchextrakt seien in Indien als Arzneimittel zugelassen und die Verkehrsauffassung sei durch das Fertigarzneimittel aus Indien geprägt mit der Konsequenz, dass ein zulassungspflichtiges Arzneimittel ohne Zulassung vorliege.
Gegen den am 25.1.2002 bekannt gegebenen Untersagungsbescheid hat die Klägerin am 29.1.2002 Klage erhoben.
Die Klägerin hat den Rechtsstandpunkt vertreten, ihr Produkt sei sowohl nach der Einordnung gemäß dem materiell geltenden Lebensmittelrecht ein Lebensmittel als auch auf Grund des freien europäischen Marktes als Importprodukt verkehrsfähig, das sowohl der Importerleichterung des § 47 a LMBG als importiertes Lebensmittel unterliege als auch der verbindlichen Zolltarifauskunft der EG vom 16.9.2002 mit der Einstufung ebenfalls als Lebensmittel.
Bei materieller Betrachtung liege ein Ernährungszweck im Sinne eines Nahrungsergänzungsmittels vor. Nach der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG sei für Nahrungsergänzungsmittel eine breite Palette von Nährstoffen und anderen Zutaten einschließlich Ballaststoffen, Pflanzen und Kräuterextrakten - und damit auch aus der Weihrauchpflanze - zugelassen und die dosierte Form beispielsweise in Tabletten normativ vorgesehen. Dagegen liege ein Arzneimittel im Sinne des europäischen Arzneimittelbegriffs nicht vor. Insbesondere fehle es für ein Funktionsarzneimittel an der pharmakologischen Wirkung in der vorgeschriebenen Dosierung von 400 mg täglich. Der Beklagte habe eine pharmakologische Wirkung nicht erwiesen, sie, die Klägerin, habe dagegen mit den Gutachten Bertram und Reuss den Gegenbeweis geführt, dass eine pharmakologische Wirkung auszuschließen sei. Zumindest fehle es an einem überwiegenden arzneilichen Zweck.
Unabhängig von der materiellen Zusammensetzung sei der Weihrauchextrakt als Lebensmittelimport aus dem EU-Land Österreich gemäß § 47 a LMBG ein verkehrsfähiges Erzeugnis. Aufgrund der verbindlichen Zolltarifauskunft der Gemeinschaft vom 16.9.2002 mit der Einstufung als Lebensmittelzubereitung stehe weiter fest, dass ihr Produkt überall in der EU als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden könne, was auch in Österreich und England der Fall sei. Die Frage der Verkehrsfähigkeit aufgrund der verbindlichen Zolltarifauskunft sei erforderlichenfalls dem EuGH vorzulegen.
Die Klägerin hat beantragt (VG-Akte Bl. 167),
den Untersagungsbescheid des Beklagten vom 23.1.2002 aufzuheben,
hilfsweise,
dem Europäischen Gerichtshof dieses Verfahren mit der folgenden Frage vorzulegen: „Wenn ein Produkt nach einer verbindlichen Zolltarifauskunft für die Europäische Gemeinschaft als Lebensmittel eingestuft worden ist und darüber hinaus in den EU-Mitgliedstaaten Großbritannien und Österreich rechtmäßig im Verkehr ist, darf dann ein Vertriebsverbot von der zuständigen Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen werden, wenn diese nicht nachweist, dass das Produkt konkret gegen Vorschriften des Gesundheitsschutzes verstößt, sondern die Behörde das Vertriebsverbot mit der Ansicht begründet, dass der Inhalt grundsätzlich als Arzneimittel anzusehen ist, obwohl eine pharmakologische Wirkung erst bei einer Dosierung nachgewiesen werden konnte, die die empfohlene Tagesverzehrmenge des beanstandeten Produktes um das 3-fache übersteigt. Unstreitig wird das Produkt nach der Packungskennzeichnung als „Nahrungsergänzungsmittel“ in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr gebracht,
hilfsweise,
die Akte mit der folgenden Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen: „Kann eine Landesbehörde in der Bundesrepublik Deutschland ein Produkt, das in den EU-Mitgliedstaaten Österreich und England als verkehrsfähiges Lebensmittel im Verkehr ist, eine verbindliche Zolltarifauskunft der Europäischen Gemeinschaft die Lebensmittel-Eigenschaft bestätigt hat, mit dem Hinweis, dass dort keine arzneilichen Angaben auf der Packung enthalten sind, noch als Arzneimittel einstufen, auch wenn die Behörde eine pharmakologische Wirkung in der angegebenen Tagesdosierung nicht nachweisen kann.“
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten. Das Produkt stamme aus der traditionellen indischen Ayurveda-Medizin. Ein Ernährungszweck sei nicht nachzuweisen. Stattdessen sei ein Arzneimittelzweck gegeben. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Unterlagen liege ein Funktionsarzneimittel mit Auswirkungen auf Entzündungsprozesse auch in niedriger Dosis vor. Als Arzneimittel sei Weihrauchextrakt den Verbrauchern insbesondere aus dem Internet bekannt. Die Importerleichterung nach § 47 a LMBG sei hier nicht einschlägig. Auch die Zolltarifauskunft beschränke sich ausschließlich auf den Zolltarif, um den es hier nicht gehe.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20.5.2003 - 3 K 47/02 - die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich den Rechtsstandpunkt des Beklagten unter Bezugnahme zu Eigen gemacht. Maßgebend sei die überwiegende Zweckbestimmung nach der Verkehrsauffassung. Das Produkt sei nach Aufmachung, Verpackung und Vertrieb wie ein Arzneimittel aufgemacht und werde auch in der Apotheke vertrieben. Die Klägerin mache für ihr Produkt zwar selbst keine Werbung, indessen werde von anderer Seite für ein Konkurrenzprodukt im Internet Werbung als Arzneimittel betrieben. Nach den Verbrauchererwartungen werde das Produkt also als Arzneimittel gekauft. Die Importerleichterung des § 47 a LMBG sei auf Arzneimittel nicht anwendbar und die Zolltarifauskunft binde nicht die Gesundheitsbehörden der deutschen Bundesländer. Angesichts dieser klaren Rechtslage bedürfe es keiner Vorlage an den EuGH, zu der das Verwaltungsgericht ohnedies nicht verpflichtet sei. Nach allem sei die Klage abzuweisen.
Gegen das am 10.6.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4.7.2003 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Zulassungsbeschluss vom 16.1.2004 (Berufungsakte Bl. 108) mit Blick auf schwierige Fragen des Gemeinschaftsrechts unter der seinerzeitigen Geschäftsnummer 3 R 1/04 stattgegeben hat. Mit Blick auf eine bevorstehende EuGH-Entscheidung zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln hat der Senat das Verfahren vorübergehend durch Beschluss vom 16.4.2004 ausgesetzt (Berufungsakte Bl. 164). Nach dem Ergehen der EuGH-Entscheidung vom 9.6.2005 - C-211/03 - (Lactobact-Urteil) haben beide Beteiligten das Urteil für ihren Rechtsstandpunkt in Anspruch genommen und halten im fortgesetzten Rechtsstreit 3 R 7/05 an ihrer Rechtsauffassung fest.
Die Klägerin trägt vor: Das Lactobact-Urteil des EuGH stütze ihre Rechtsansicht. Im Bereich der allgemeinen Lebensmittel und der Arzneimittel sei nach dem EuGH-Urteil eine Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts noch nicht vorgenommen worden (Rz. 56). Dagegen sei es zu einer europaweiten Harmonisierung bei der hier einschlägigen Untergruppe der Lebensmittel, der Nahrungsergänzungsmittel, gekommen (Rz. 70 ff.). Nachdem der EuGH (Rz. 44) dargelegt habe, dass in Zweifelsfällen bei vollständigen Feststellungen die Arzneimittelrichtlinie gelte, habe er sodann (Rz. 70 ff.) darauf hingewiesen, dass im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel eine weitgehende Harmonisierung eingetreten sei; bei den Nahrungsergänzungsmitteln blieben den Mitgliedstaaten nur begrenzte Möglichkeiten, das Inverkehrbringen solcher Nahrungsergänzungsmittel zu beschränken, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat wie hier in Österreich und in Großbritannien rechtmäßig im Verkehr seien. Solche Verkehrsbeschränkungen setzten voraus, dass der Beklagte konkrete Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung nachweise, was nicht geschehen sei.
Ihr Produkt sei bei materieller Betrachtung nach dem fortgeschrittenen Gemeinschaftsrecht als Lebensmittel und als Nahrungsergänzungsmittel einzustufen. Art. 2 der gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung 178/2002 sei weiter gefasst und stelle nicht mehr auf den Ernährungs- oder Genusszweck des Produkts ab. Ein Nahrungsergänzungsmittel im Sinne des weitgehend harmonisierten Gemeinschaftsrechts liege hier vor. Nach dem Erwägungsgrund 3 gehe es um die Erhaltung einer guten Gesundheit und nach dem Erwägungsgrund 6 handele es sich um eine breite Palette von Stoffen einschließlich Kräuterextrakten. Art. 2 a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie erfordere nicht notwendig Nährstoffe, sondern lasse sonstige Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung genügen. Dies sei hier zu bejahen. Aus dem vorgelegten Zusatzgutachten Reuss ergebe sich, dass Weihrauch ein gesundes, natürliches Gewürz darstelle mit der ernährungsspezifischen Wirkung, die Lebensmittel bekömmlicher zu machen. Weihrauchextrakt wirke sich auch positiv auf den Lipoprotein-Haushalt und den Cholesterin-Haushalt aus. Er sei nicht nur in Österreich und Großbritannien, sondern auch in Deutschland abgesehen von dem Produkt der Klägerin als Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt. Nach dem zentralen Bestellsystem der deutschen Apotheken, der Lauer-Taxe, seien 11 verschiedene Weihrauchprodukte anderer Firmen als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt. Insofern sei Weihrauch bei dem Verbraucher als Nahrungsergänzungsmittel bekannt. Demgegenüber müsse die Internetwerbung für die Arzneiwirkung anderer Weihrauchprodukte nach der vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigen BGH-Rechtsprechung außer Betracht bleiben (BGH, Urteil vom 11.7.2002 - I ZR 273/99 -). Darüber hinaus sei die Einfuhr von Weihrauchprodukten als Arzneimitteln aus der Schweiz oder Indien unzulässig, da es dort an einer staatlichen, mit der deutschen Arzneimittelzulassung vergleichbaren Zulassung fehle. In Indien sei Weihrauchextrakt ein Lebensmittel und unterliege der Lebensmittelüberwachung. Nach allem sei ihr Produkt ein Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, das nicht durch das Nadelöhr der Arzneimittelüberwachung müsse.
Entgegen der Annahme des Beklagten sei das Vorliegen eines Arzneimittels auszuschließen. Sowohl der EuGH als auch der BGH unterschieden beim europäischen Arzneimittelbegriff zwischen einem Präsentationsarzneimittel und einem Funktionsarzneimittel. Ein Präsentationsarzneimittel liege nach der Rechtsprechung des BGH nur dann vor, wenn es so auf den Verkaufspackungen, nicht lediglich in Werbeangaben in Medien, präsentiert werde. Dies sei eindeutig nicht der Fall. Die Verpackung enthalte eine deutliche Präsentation als Nahrungsergänzungsmittel, eine Verzehrempfehlung und neuerdings den Hinweis, die täglich empfohlene Verzehrempfehlung nicht zu überschreiten.
Ebenso wenig sei ihr Produkt ein Funktionsarzneimittel. Stoffe könnten wie das Vitamin C je nach Dosis eine Doppelfunktion als Lebensmittel und Arzneimittel haben. Dann komme es allein auf die Dosis an. Maßgebend für die Beurteilung sei die Empfehlung, nur ein Mal täglich eine Tablette einzunehmen. Eine Mehrfacheinnahme - wie vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte angenommen - nur zur Begründung pharmakologischer Eigenschaften sei eine nicht wissenschaftliche Unterstellung. Ausgehend von der maßgebenden Dosis habe der Beklagte mit allen vorgelegten Unterlagen den Beweis einer pharmakologischen Wirkung nicht erbracht, dagegen habe sie den Gegenbeweis durch die Gutachten Bertram und Reuss geführt. Soweit der Beklagte sich mit seinen Unterlagen auf die Ayurvedische Medizin aus Indien berufe, liege darin nach neuerer Erkenntnis eher eine Empfehlung für eine gesunde Lebensweise im Sinne einer Nahrungsergänzung als die Behandlung von Krankheiten. Auch die vom Beklagten vorgetragene Bemühung der deutschen Firma P. um eine europäische Zulassung als Arzneimittel sei bisher wegen fehlender Nachweise gescheitert. Eine pharmakologische Wirkung in der vorgeschriebenen Dosis lasse sich nach allem nicht begründen. Der Beklagte habe den Beweis dafür nicht erbracht. Deshalb führten die stofflichen Eigenschaften ihres Produkts dazu, dass allein ein Nahrungsergänzungsmittel vorliege und mangels konkreter Gesundheitsgefahren keine Verbotsgrundlage bestehe.
Wesentlich sei weiter, dass ein EG-Lebensmittelimport vorliege. Der freie Handelsverkehr innerhalb der Gemeinschaft sei nach dem EG-Vertrag geschützt und die Auffassung des Beklagten führe zu unzulässigen Handelshindernissen bei dem Import von Lebensmitteln. Das Produkt werde unmittelbar aus Österreich eingeführt und sei dort rechtmäßig als Lebensmittel im Verkehr. Auf der Grundlage des § 47 a LMBG sei das Produkt aus der Sicht von Österreich einzuordnen und sei damit ein verkehrsfähiges Lebensmittel und kein Arzneimittel. Bezogen auf die Gemeinschaft insgesamt bedeute darüber hinaus die vorgelegte Zolltarifauskunft vom 16.9.2002 mit der Einordnung als Lebensmittelzubereitung den Verkehrsfähigkeitsnachweis für die gesamte Gemeinschaft.
Nach allem sei das Vertriebsverbot aufzuheben; hilfsweise komme eine Vorlage der Sache an den EuGH in Betracht.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.5.2003 - 3 K 47/02 - den Untersagungsbescheid des Beklagten vom 23.1.2002 aufzuheben.
Die Klägerin regt hilfsweise an,
dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage vorzulegen:
„Kann eine Landesbehörde in der Bundesrepublik Deutschland ein Produkt, das in den EU-Mitgliedstaaten Österreich und England als verkehrsfähiges Lebensmittel im Verkehr ist, dem eine verbindliche Zolltarifauskunft der Europäischen Gemeinschaft die Lebensmittel-Eigenschaft bestätigt hat, mit dem Hinweis, dass dort keine arzneilichen Angaben auf der Packung enthalten sind, noch als Arzneimittel einstufen, auch wenn die Behörde eine pharmakologische Wirkung in der angegebenen Tagesdosierung nicht nachweisen kann.“
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, das Lactobact-Urteil des EuGH vom 9.6.2005 stütze seinen Standpunkt. Aus dem Tenor des EuGH-Urteils ergebe sich, dass die Einstufung als Arzneimittel oder als Nahrungsmittel unabhängig von der Einstufung in anderen EU-Mitgliedstaaten erfolge und in Zweifelsfällen die Arzneimittelrichtlinie einschlägig sei.
Der Beklagte ist der Auffassung, es liege kein Lebensmittel und kein Nahrungsergänzungsmittel vor. Die Nahrungseigenschaft sei nicht nachvollziehbar begründet. Allenfalls liege ein Zweifelsfall vor, der damit als Arzneimittel zu behandeln sei.
Der Arzneimittelbegriff werde durch das Produkt der Klägerin erfüllt. Zwar präsentiere die Klägerin ihr Produkt nicht als Arzneimittel, so dass ein Präsentationsarzneimittel ausscheide. Dagegen liege wegen der pharmakologischen Wirkung ein Funktionsarzneimittel vor. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Unterlagen nehme indischer Weihrauchextrakt Einfluss auf Entzündungsprozesse im Körper. Bei der Einstufung als Arzneimittel sei nach Auffassung des Bundesinstituts die Möglichkeit einer Mehrfacheinnahme der Tagesdosis zu berücksichtigen. Therapeutische Wirkungen seien bereits in einer Tagesdosis von 900 mg möglich und könnten durch Mehrfacheinnahme erreicht werden. Darüber hinaus ergebe sich aus den Forschungsergebnissen von Prof. Dr. Ammon, dass bei niedriger Dosierung eine Stimulierung der Leukotriensynthese eintreten könne.
Die Einstufung als Arzneimittel ergebe sich auch daraus, dass die europäische Behörde EMEA am 21.10.2002 für die Behandlung von Ödemen bei Gehirntumoren indischem Weihrauchextrakt zugunsten der deutschen Firma P. den Orphan-Drug-Status zuerkannt habe. Nur bei einer Einstufung als Arzneimittel und nicht als Lebensmittel könne ein Präparat einen solchen Status erhalten. Dagegen sei die von der Klägerin vorgelegte Zolltarifauskunft vom 16.9.2002 nicht entscheidungserheblich, da sie sich nach Sinn und Zweck auf die Zollkalkulation beschränke.
Nach allem sei das Weihrauchpräparat der Klägerin ein Funktionsarzneimittel, das zulassungsbedürftig sei, aber keine Zulassung als Arzneimittel habe. Mithin sei der Untersagungsbescheid rechtmäßig.
Zur Ergänzung des Sachverhalts insbesondere mit Blick auf die vorgelegten Unterlagen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten (2 Hefter) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.
Der Streit der Beteiligten betrifft die richtige rechtliche Einordnung des Produkts der Klägerin, der W., das sie von Österreich nach Deutschland einführt. Handelt es sich inhaltlich um ein Lebensmittel in Form eines Nahrungsergänzungsmittels oder um einen rechtlich maßgebenden Lebensmittelimport, wie die Klägerin annimmt, unterliegt es unstreitig grundsätzlich dem freien Warenverkehr und mithin nicht dem vom Beklagten ausgesprochenen Verkehrsverbot nach § 69 AMG. Handelt es sich dagegen rechtlich um ein Fertigarzneimittel, fehlt ihm die erforderliche Zulassung, da es unstreitig weder in Deutschland noch sonst im Bereich der Europäischen Union eine Verkehrsgenehmigung als Arzneimittel hat.
Angesichts der fortgeschrittenen EG-Harmonisierung des Arzneimittelrechts und des Lebensmittelrechts ist zunächst klarzustellen, wer die Qualifizierungszuständigkeit bei der grenzüberschreitenden Verbringung eines Produkts innerhalb der EG hat. Abgesehen von der hier nicht gegebenen Ausnahme einer gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vom 22.7.1993 für das Produkt verbleibt die Qualifizierung den nationalen Behörden und Gerichten. Auf eine Vorlage des OVG Münster hin mit dem Ziel einer EG-weiten Qualifizierung eines Produkts durch den EuGH hat der EuGH nach seinem Rechtsverständnis das Europarecht auszulegen, ist aber nicht befugt, über den Sachverhalt zu entscheiden und die Einstufung von Produkten als Arzneimittel oder Lebensmittel gemeinschaftsweit selbst vorzunehmen.
EuGH, Urteil vom 9.6.2005 – u.a. C – 211/03 -, betreffend die Einfuhr streitiger Nahrungsergänzungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland auf eine Vorlage des OVG Münster, im Folgenden als Lactobact-Urteil bezeichnet.
Zuständig für die Entscheidung, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als Lebensmittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts einzustufen ist, sind nach der Rechtsprechung des EuGH die nationalen Behörden.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 30; ebenso schon EuGH, Urteil vom 16.4.1991 – Upjohn – Rz 35.
Die Einfuhr eines Produkts berührt zwar sowohl den Ausfuhrmitgliedstaat als auch den Einfuhrmitgliedstaat. Bei streitiger Zulässigkeit der Marktverwertung nach Einfuhr entscheidet indessen der jeweilige Einfuhrmitgliedstaat über die Einstufung als Arzneimittel oder Lebensmittel ohne Bindung an die Auffassung des Ausfuhrmitgliedstaats.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 56; ebenso EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz 53.
Die nationalen Behörden des Einfuhrmitgliedstaates, hier der Beklagte, haben mithin die Einstufung des streitigen Produkts mit Wirkung nur für ihren Staat vorzunehmen. Die Kontrolle der richtigen Einstufung ist sodann Sache der nationalen Gerichte.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 96 und 97; ebenso EuGH, Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Delattre-Urteil, Rz 35.
Mithin hat der Senat in dem vorliegenden Berufungsverfahren über die Einstufung des streitigen Produkts in Deutschland ohne Vorlage an den EuGH selbst zu entscheiden.
Die Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts besteht.
Der hier streitige Untersagungsbescheid vom 23.1.2002 auf der Grundlage von § 69 I Nr. 1 AMG verbietet das Inverkehrbringen des streitigen Produkts ab Bekanntgabe (25.1.2002) auf Dauer. Dauerverwaltungsakte sind häufig – so auch hier – als sich ständig aktualisierende Verwaltungsakte anzusehen, für die sodann verändertes neues Recht ebenfalls zu beachten ist.
Der Senat legt seiner Entscheidung das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende neue Recht zugrunde und geht auf älteres Recht seit 25.1.2002 (Bescheidbekanntgabe) zusätzlich ein.
Die Klägerin begehrt die Einstufung ihres Produkts als Lebensmittel.
Nach dem ab 7.9.2005 geltenden deutschen Recht werden Lebensmittel in § 2 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches – LFGB – vom 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618) wie folgt definiert:
Lebensmittel sind Lebensmittel im Sinne des Artikels 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.
Mit Blick auf älteres Recht galt zwar bis zum 6.9.2005 formell noch die Lebensmitteldefinition des § 1 I LMBG in der Fassung vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296) mit folgendem Wortlaut:
Lebensmittel im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden; ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden.
Diese Definitionsvorschrift musste aber bereits seit 21.2.2002 wegen des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts unangewendet bleiben. Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002, in Kraft getreten nach Artikel 65 am 21.2.2002, ist nach Artikel 65 der Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Einer Umsetzung bedurfte es mithin nicht. Das Gemeinschaftsrecht hat gegenüber dem nationalen Recht einen Anwendungsvorrang.
Vgl. mit näherer Begründung sowohl aus dem Gemeinschaftsrecht als auch aus dem deutschen Recht mit Blick auf Artikel 23 GG Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 10 EGV Rdnrn. 27 bis 29.
Für die Lebensmitteldefinition ist mithin auszugehen von der Gesamtdefinition (positive und negative Abgrenzung) nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 – im Folgenden Lebensmittelverordnung -, die insoweit nicht abgeändert worden ist durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 1642/2003 vom 22.7.2003. Die europäische Lebensmitteldefinition enthält in Artikel 2 I eine Positivdefinition und in Artikel 2 III eine Negativdefinition, auf die nacheinander einzugehen ist. Die Positivdefinition in Artikel 2 I Lebensmittelverordnung lautet:
Im Sinne dieser Verordnung sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.
Wie die Klägerin zu Recht hervorhebt, stellt die europäische Definition nicht mehr wie die deutsche Definition ausdrücklich auf den Ernährungs- oder Genusszweck ab. Sie ist von dem europäischen Verordnungsgeber bewusst weit gefasst. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Erwägungsgrund 11 der Lebensmittelverordnung, wonach die Definition für ein hinreichend umfassendes einheitliches Konzept der Lebensmittelsicherheit weit gefasst werden müsse.
Das Produkt der Klägerin fällt nach der Auffassung des Senats bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung unter die weite europäische Positivdefinition eines Lebensmittels. Normativ vorausgesetzt sind zunächst einmal „Stoffe“. Das Produkt der Klägerin enthält ausweislich der in Fotokopie vorgelegten Faltschachtel sowohl nach dem jetzigen Stand von 2005 als auch dem von 2002 als einzigen Inhaltsstoff 400 mg indischen Weihrauchtrockenextrakt pro Tablette. Weiterhin ist der Stoff dazu bestimmt, in verarbeitetem Zustand – als Trockenextrakt und mit den Bindemitteln einer Tablette – von Menschen aufgenommen zu werden. Dies ist der Fall, denn nach der Verzehrempfehlung soll täglich eine Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit verzehrt werden. Zugunsten der Klägerin ist damit die weite europäische Positivdefinition der Lebensmittel erfüllt.
Weiter geht der Senat noch mit Blick auf den Zeitabschnitt Januar/Februar 2002 auf den Streit der Beteiligten um die engere deutsche Positivdefinition ein, die nach § 1 I des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes – LMBG – vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296) noch zusätzlich einen Ernährungs- oder Genusszweck verlangt. Die Klägerin hat den Genusszweck einleuchtend mit drei Gutachten begründet, wonach Weihrauch seit Jahrtausenden verwendet wird, einen bitterlichen, eigenartigen Geschmack hat, sich für Gewürzzwecke eignet und ein gesundes, natürliches Gewürz darstellt.
Gutachten von Prof. Dr. Bertram vom 22.2.2001, Behördenakte Bl. 50, im Folgenden zitiert als Gutachten Bertram, dort S. 1 und S. 4; ebenso das Erstgutachten des Dipl.-Chemikers Reuss vom 10.1.2001, Behördenakte Blatt 3, im Folgenden zitiert als Gutachten Reuss, dort S. 1 zu Aromaeffekten und S. 3 zur Gewürzfunktion, sowie eingehender zu Genusszweck und ernährungsspezifischer Wirkung das weitere Gutachten des Dipl.-Chemikers Reuss vom 15.6.2003, in der Berufungsakte 3 R 7/05, im Folgenden zitiert als Zusatzgutachten Reuss.
Der Beklagte hat dem in einer relativ engen Betrachtungsweise entgegengehalten, der Weihrauch werde nach der Anwendungsvorschrift nicht als Gewürz gestreut und erfülle insofern nicht den Lebensmittelbegriff. Das überzeugt nicht, denn die deutsche Lebensmitteldefinition stellt in § 1 I LMBG auf den Verzehr selbst und nicht auf besondere Formen des Verzehrs wie etwa die Anwendung von Gewürzen nur als Streumittel ab. In der Kommentierung zur deutschen Lebensmitteldefinition ist anerkannt, dass Stoffe, die einen spezifischen Geruchs- oder Geschmackswert aufweisen wie Gewürze oder Aromastoffe, jedenfalls dem Lebensmittelbegriff unterliegen.
Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Band II, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 42, zum bisherigen deutschen Recht.
Mithin liegt nachweislich ein Aromastoff vor, der auch nach der engeren deutschen Positivdefinition als Lebensmittel anzusehen ist. Für die weitere europäische Positivdefinition genügt wie bereits dargelegt bereits die Bestimmung zur Aufnahme durch Menschen. Genussmittel und Aromastoffe sind von der europäischen Definition ohne Weiteres umfasst, was sich zusätzlich noch durch die besondere Bestimmung des Artikel 2 II Lebensmittelverordnung ergibt, wonach Kaugummi – und damit ein Genussmittel - ausdrücklich zu den Lebensmitteln gerechnet wird.
Vgl. zur deutschen Lebensmitteldefinition Zipfel/Rathke § 1 LMBG Rdnr. 31, wonach Kaugummi wegen des Genusszwecks ein Lebensmittel darstellt.
Nach allem erfüllt das Produkt der Klägerin nach der Auffassung des Senats die europäische Positivdefinition eines Lebensmittels, die bereits seit 21.2.2002 gilt, und zuvor (25.1.-20.2.2002) die deutsche Positivdefinition.
Rein vorsorglich geht der Senat noch auf den Streit der Beteiligten um die derzeitige europäische Zusatzeinstufung als Nahrungsergänzungsmittel ein. Bereits die dosierte Abgabe des Produkts in Tablettenform spricht dafür, dass zusätzlich zu der allgemeinen Lebensmitteldefinition derzeit auch die Positivdefinition eines Nahrungsergänzungsmittels erfüllt ist. Nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG vom 10.6.2002 lautet die europäische Positivdefinition wie folgt:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Nahrungsergänzungsmittel“ Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, d.h. in Form von z.B. Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen (es folgen weitere Darreichungsformen).
Damit ist im Jahr 2002 erstmals eine gemeinschaftsrechtliche Regelung der Nahrungsergänzungsmittel erfolgt. Die deutsche Umsetzung ist durch die Nahrungsergänzungsmittelverordnung vom 24.5.2004 mit Wirkung vom 28.5.2004 erfolgt, die in § 1 eine inhaltsgleiche Definition enthält. Der EuGH hat die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie nach dem zutreffenden Hinweis der Klägerin dahingehend gewürdigt, dass sie eine gewisse Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften für die dort definierten Nahrungsergänzungsmittel vornimmt.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 70.
Nahrungsergänzungsmittel müssen sowohl nach der europäischen Definition als nach der umgesetzten inhaltsgleichen deutschen Definition zunächst einmal Lebensmittel sein. Insofern ist nach den bisherigen Darlegungen des Senats – allein – die positive Lebensmitteldefinition erfüllt. Weiter kommt es auf den Nahrungsergänzungszweck an. Darauf weist die Faltschachtel des Produkts der Klägerin ausdrücklich hin; insofern bestehen keine Bedenken. Die Frage, ob Weihrauch ein Nährstoff oder ein sonstiger Stoff ist, ist zwischen den Beteiligten streitig. Ein Nährstoff liegt zwar nicht vor, da das Produkt keine der nach Artikel 4 I in Verbindung mit Anhang I der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie aufgeführten Vitamine und Mineralstoffe enthält und dies in gleicher Weise für das umgesetzte Recht nach § 3 I und Anlage 1 der deutschen Nahrungsmittelergänzungsverordnung gilt. Mit sonstigen Stoffen ist nach dem Erwägungsgrund 6 der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie eine breite Palette von Stoffen gemeint, die auch Kräuterextrakte einschließt und damit erkennbar auch Aromastoffe. Ein Aromastoff liegt wie dargelegt vor.
Weiterhin müssen nach der Definition die sonstigen Stoffe eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung haben. Mit dem Ausdruck physiologisch sind sprachlich die Lebensvorgänge im Organismus gemeint.
Duden, Das Fremdwörterbuch, 7. Auflage 2001, Stichwort Physiologie; ebenso im Sinne der Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwort Physiologie.
Demgegenüber bezieht sich die ernährungsspezifische Wirkung speziell auf die Lebensvorgänge bei der Ernährung. Dazu mag die von der Klägerin aufgestellte Behauptung der Auswirkungen etwa auf den Cholesterin-Haushalt gehören. Entscheidungserheblich ist das nicht. Ernährungsspezifische Bedeutung kann bereits ein Stoff mit bitterem Geschmack – wie hier - haben.
Vgl. Zipfel/Rathke, § 1 LMBG Rdnr. 37, dort im Zusammenhang mit der Verwendung von bitterem Chinin aus ernährungsphysiologischen Gründen.
Die Klägerin hat nunmehr mit der Vorlage des Zusatzgutachtens Reuss einleuchtend nachgewiesen, dass Weihrauchextrakt aus ernährungsspezifischer Sicht die Lebensmittel bekömmlicher macht und die Freisetzung von Verdauungssekreten vorbereitet.
Zusatzgutachten Reuss vom 15.6.2003, in der Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 97.
Mindestens liegt aber als physiologische Wirkung die Geschmackswirkung eines Aromastoffs vor. Das genügt der Richtlinie.
Weiter muss nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie und § 1 I Nr. 3 der deutschen Nahrungsergänzungsmittelverordnung ein Produkt in dosierter Form, insbesondere in Form von Tabletten vorliegen. Dies trifft auf das Produkt der Klägerin zu.
Nach dem vom Senat gefundenen Zwischenergebnis erfüllt das streitige Produkt der Klägerin entgegen der Meinung des Beklagten von Anfang an und auch jetzt die europäische und deutsche Positivdefinition eines Lebensmittels und die europäische Positivdefinition eines Nahrungsergänzungsmittels seit Erlass der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie.
Nach der Positivdefinition ist die Negativdefinition zu beachten.
Die als Verordnung unmittelbar verbindliche europäische Lebensmittelverordnung enthält neben der positiven Definition der Lebensmittel in Artikel 2 Abs. 3 auch eine Negativdefinition. Artikel 2 Abs. 3 lit. d lautete:
Nicht zu „Lebensmitteln“ gehören: Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG (21) und 92/73/EWG (22) des Rates.
Durch Artikel 128 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83 EG vom 6.11.2001 sind alle Bezugnahmen auf die bereits aufgehobenen älteren Arzneimittelrichtlinien durch die Bezugnahme auf die Humanarzneimittelrichtlinie ersetzt. Nicht zu den Lebensmitteln gehören mithin nach der Norm seit 2001 Arzneimittel im Sinne der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83 EG.
Wesentlich ist für die weitere Subsumtion, dass die Negativdefinition allein auf Gemeinschaftsrecht verweist, die Umsetzung des Arzneimittelbegriffs aus den Richtlinien in nationales Recht mithin nach der Verordnung für die Negativabgrenzung außer Betracht bleiben muss.
Die dargelegte europäische Negativabgrenzung zu einem Arzneimittel ist systemgleich für Lebensmittel im Allgemeinen und für die Untergruppe der Nahrungsergänzungsmittel. Die Klägerin meint zwar (Schriftsatz vom 6.10.2005), die Untergruppe der Nahrungsergänzungsmittel sei wegen der besonderen Harmonisierung anders zu beurteilen als die übrigen Lebensmittel und bezieht dies möglicherweise auch auf die Abgrenzung zu Arzneimitteln. Die Abgrenzung ist aber für Lebensmittel im Allgemeinen und Nahrungsergänzungsmittel systemgleich. Dies ergibt sich sowohl aus dem Normvergleich als auch der Rechtsprechung des EuGH. Die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG führt die Negativabgrenzung in Artikel 1 II wie folgt durch:
Diese Richtlinie gilt nicht für Arzneimittel, die in der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel definiert sind.
Eine „synchrone“ Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln und allgemeinen Lebensmitteln einerseits gegenüber Arzneimitteln andererseits wird vom Richtliniengeber zusätzlich dadurch erreicht, dass er in Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie Nahrungsergänzungsmittel ausdrücklich als Lebensmittel mit näher gekennzeichneten Eigenschaften definiert, mithin bereits die Lebensmitteldefinition in Artikel 2 der europäischen Lebensmittelverordnung erfüllt sein muss.
Die normativ angelegte synchrone Abgrenzung wird auch deutlich in dem Lactobact-Urteil des EuGH vom 9.6.2005. In dem Vorabentscheidungsverfahren ging es in dem Ausgangsverfahren des OVG Münster um Produkte, die von den Niederlanden nach Deutschland eingeführt und dort als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht werden sollten (Lactobact-Urteil Rz. 20). Der EuGH hat in diesem Urteil (Rz. 41 und 42) die beiden Abgrenzungsregelungen in Artikel 2 Abs. 3 Buchstabe d der Lebensmittelverordnung und Artikel 1 Abs. 2 der Nahrungsergänzungsrichtlinie synchron behandelt und als inhaltsgleich angesehen. Für die weitere gemeinschaftsrechtliche Prüfung kommt es ohne Differenzierung zwischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln mithin nur darauf an, ob das Produkt der Klägerin gleichzeitig ein Arzneimittel nach dem europäischen Arzneimittelbegriff ist.
Der Senat prüft nunmehr das Vorliegen eines Arzneimittels. Maßgebend ist dafür das Gemeinschaftsrecht.
Normativ war der europäische Arzneimittelbegriff von vornherein (seit 1965) doppelt angelegt und ist es auch jetzt. Arzneimittel sind sowohl Präsentationsarzneimittel als auch Funktionsarzneimittel.
Vgl. für die ursprüngliche Rechtslage Artikel 1 Nr. 2 Abs. 1 und 2 der Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965; sodann Artikel 1 Nr. 2 Abs. 1 und 2 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001; nunmehr in der geänderten Fassung von Artikel 1 der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.10.2005.
Die beiden Arzneimitteldefinitionen sollen sich nach der Rechtsprechung des EuGH ergänzen.
Urteil des EuGH Upjohn vom 16.4.1991 – C 112/89 -, Rz. 15 bis 18.
Mit der Definition des Präsentationsarzneimittels, das lediglich als Arzneimittel bezeichnet ist, sollen nicht nur Arzneimittel erfasst werden, die tatsächlich therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch die Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind. Die zweite Definition der Funktionsarzneimittel betrifft Erzeugnisse, die zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt sind und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben können. Durch die zweite Definition sollen auch Stoffe erfasst werden, die Heilungswirkung haben, aber nicht als Arzneimittel bezeichnet werden. Auf die formelle Zulassung kommt es nach beiden Definitionen nicht an.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das Produkt der Klägerin kein Präsentationsarzneimittel ist. Bereits auf der im Jahr 2002 verwendeten Faltschachtel (Fotokopie VG-Akte Bl. 93) wird das Mittel als Nahrungsergänzung bezeichnet mit einer Verzehrempfehlung. Auf der neuen 2005 verwendeten Faltschachtel (Fotokopie Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 51) wird das Produkt als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet und sie enthält den Hinweis, es sei kein vollständiges Lebensmittel und daher nicht als einzige Nahrungsquelle geeignet. Wesentlich für die Subsumtion ist noch, dass die Faltschachtel keinerlei Hinweis auf pharmazeutische Forschung enthält oder auf von Ärzten entwickelte Methoden oder Zeugnisse bestimmter Ärzte zugunsten der Eigenschaften des Produkts.
Zu diesen Kriterien eines Präsentationsarzneimittels vgl. das Delattre-Urteil des EuGH vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 41.
Auch der Beklagte meint, die Klägerin habe eine Präsentation als Arzneimittel vermieden. Mithin ist der Ausschluss eines Präsentationsarzneimittels übereinstimmend mit der Meinung der Beteiligten unproblematisch.
Schwieriger ist die Streitfrage zwischen den Beteiligten zu entscheiden, ob inhaltlich ein Funktionsarzneimittel vorliegt. Die Klägerin verneint dies für die maßgebende Tagesdosis von 400 mg Weihrauch, der Beklagte bejaht die Eigenschaft als Funktionsarzneimittel. Beide haben dafür wissenschaftliche Unterlagen und Gutachten vorgelegt.
Vorweg ist klarzustellen, dass der Inhaltsstoff Weihrauch unstreitig weder in der EG noch in einem Staat der EG über eine Marktgenehmigung als Arzneimittel verfügt und damit auch nicht im Ausfuhrland Österreich (vgl. insbesondere Schriftsatz der Klägerin vom 6.10.2005, S. 4/5, Gerichtsakte 3 R 7/05, Bl. 49/50). Die fehlende Zulassung steht aber der Einstufung als Funktionsarzneimittel von vornherein nicht entgegen, denn nach der Rechtsprechung des EuGH müssen Funktionsarzneimittel nicht als Arzneimittel bezeichnet sein.
EuGH im Upjohn-Urteil vom 16.4.1991, Rz. 18.
Da sie in einer solchen Aufmachung nicht zugelassen werden könnten, ist die Zulassung schon deshalb kein Definitionselement des Funktionsarzneimittels.
Zum begrifflichen Verständnis des europäischen Funktionsarzneimittels geht der Senat auf die Normentwicklung ein.
Die ursprüngliche Definition in Artikel 1 Nr. 2 Abs. 2 der Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965 lautete:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen Körperfunktionen angewandt zu werden.
Innerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des streitigen Untersagungsbescheides vom 23.1.2002 galt zunächst die Arzneimitteldefinition nach Artikel 1 Nr. 2 Abs. 2 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 in der ursprünglichen Fassung mit folgendem Wortlaut:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden, gelten ebenfalls als Arzneimittel.
Dem entspricht im Übrigen die ab 2002 geltende Umsetzung in § 2 I Nr. 5 AMG in der Fassung vom 20.6.2002 (BGBl. I. S. 2076) mit folgendem Wortlaut:
Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.
Nunmehr wird das europäische Funktionsarzneimittel nach Artikel 1 Nr. 2 Buchstabe b der Humanarzneimittelrichtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 wie folgt definiert:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.
Die letztgenannte aktuelle Definition des Funktionsarzneimittels erschließt sich wegen der zahlreichen medizinischen Fachausdrücke auch bei Hinzuziehung von Fachlexika nicht ohne weiteres, wird aber durch die dargelegte Normgeschichte und die insbesondere noch darzulegende Rechtsprechung des EuGH insgesamt verständlicher. Die Definition soll zunächst wissenschaftsbezogen und alsdann an Hand der Rechtsprechung des EuGH verständlich gemacht werden.
Nach der aktuellen Definition muss ein Funktionsarzneimittel physiologische Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen. Das Wort Physiologie bezeichnet die Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen.
Die bereits zitierte ursprüngliche Definition in der Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG hatte dafür den allgemein verständlichen Ausdruck Körperfunktionen verwendet, der die Bedeutung auch in der aktuellen Fassung zutreffend wiedergibt. Auch der EuGH verwendet in einem neueren Urteil von 2004 noch den Ausdruck Körperfunktionen mit Blick auf Funktionsarzneimittel.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58.
Nach der neuesten Definitionsfassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG wird die Art der Beeinflussung noch präzisiert. Es muss sich um eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung handeln. Bei der Immunologie geht es um die Erkennungs- und Abwehrmechanismen des Organismus gegenüber körperfremden Substanzen und metabolisch bedeutet den Stoffwechsel betreffend.
Beide Definitionen aus Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwörter Immunologie und metabolisch.
Fallbezogen von Bedeutung ist nur die pharmakologische Wirkung eines Stoffes. Aus wissenschaftlicher Sicht ist unter Pharmakologie die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen und Organismus zu verstehen einschließlich dem Untergebiet Toxikologie.
Die Pharmakologie betrifft ambivalent sowohl die Heilwirkung als auch die Giftwirkung eines Stoffes. Auch die Klägerin bezieht in ihrem Schriftsatz vom 6.12.2005 die toxische Dosierung in die pharmakologische Wirkung ein. Aus wissenschaftlicher Sicht bedeutet ein Pharmakon einen körperfremden oder körpereigenen Stoff, der nach Aufnahme im Körper oder an dessen Oberfläche erwünschte oder schädliche Wirkungen hervorruft.
Quantitativ wird das in der Dosis-Wirkungs-Kurve erfasst.
Hunnius, Stichwort Dosis-Wirkungs-Kurve.
Bei diesem wissenschaftlichen Verständnis umfasst das Funktionsarzneimittel mit seiner pharmakologischen Wirkung nicht nur den Bereich einer positiven, therapeutischen Beeinflussung der Körperfunktionen, sondern auch den Bereich einer negativen, schädlichen Beeinflussung der Körperfunktionen. Kurz gesagt umfasst ein Funktionsarzneimittel positive und negative Auswirkungen auf die Gesundheit.
Das dargelegte wissenschaftsbezogene Verständnis der Definition entspricht auch dem praktischen Verständnis der europäischen Definition nach der Rechtsprechung des EuGH.
Der EuGH hat in einer neueren Entscheidung vom 29.4.2004 – C – 387/99 – betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58, eine allgemein verständliche Definition des europäischen Funktionsarzneimittels gegeben:
Für die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel nach der Funktion müssen sich die Behörden daher vergewissern, dass es zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann.
Aus demselben Urteil des EuGH vom 29.4.2004 ergibt sich auch, dass er die Auswirkungen auf die Gesundheit ambivalent, als sowohl positiv als auch negativ versteht, da er im Rz. 56 die positive Wirkung der Vitamine zu therapeutischen Zwecken und in Rz. 60 die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Gesundheit einschließlich etwaiger Schädlichkeitsgrade anspricht.
Die ambivalenten heilenden oder schädigenden Gesundheitswirkungen machen wie dargelegt die Besonderheit eines Pharmakons aus. Auf der Normebene hat erst die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG die pharmakologische Wirkung ausdrücklich in die Definition des Funktionsarzneimittels aufgenommen. Damit hat der Richtliniengeber aber kein Neuland betreten, sondern die bisherige Rechtsprechung des EuGH übernommen, der in ständiger Rechtsprechung auf die pharmakologischen Eigenschaften des abzugrenzenden Produkts abstellt.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 – betreffend Vitaminpräparate Rz. 62; Upjohn Urteil vom 16.4.1991 – C – 112/89 -, Rz. 23, 24; Delattre-Urteile vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 26.
Die pharmakologischen Eigenschaften des Produkts werden damit als wesentlicher Gesichtspunkt für die Abgrenzung betrachtet. In der Rechtsprechung des EuGH drücken die pharmakologischen Eigenschaften zusammenfassend das aus, was mit der Beeinflussung der Körperfunktionen und somit Auswirkungen auf die Gesundheit konkreter umrissen ist. Deutlich wird der Zusammenhang insbesondere in dem Urteil Upjohn vom 16.4.1991 – C – 112/89 -, Rz. 17-24, in dem zunächst die Beeinflussung der Körperfunktionen mit Auswirkungen auf die Gesundheit dargelegt wird (Rz. 17), im Folgenden die Beeinflussung der Körperfunktionen näher erläutert wird (Rz. 19-22) und im unmittelbaren Anschluss daran (Rz. 23 und 24) zusammenfassend entschieden wird, dass das nationale Gericht auf die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses abstellen muss.
Übereinstimmend mit der bisherigen Rechtsprechung definiert der EuGH in seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 52, den Rechtsprechungsbegriff der pharmakologischen Eigenschaften wirkungsbezogen wie folgt:
Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, auf dessen Grundlage die mitgliedstaatlichen Behörden ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten dieses Erzeugnisses zu beurteilen haben, ob es im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden.
Die dargelegte Definition der pharmakologischen Eigenschaften klingt etwas kompliziert, fasst aber nur die bisherige Rechtsprechung zusammen, wonach der Begriff der pharmakologischen Eigenschaften konkret die Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen (Körperfunktionen) bedeutet. Die pharmakologischen Eigenschaften entsprechen also den pharmakologischen Wirkungen im Sinne des neuen Rechts.
Nach dem dargelegten Gesamtzusammenhang ist der bisherige Rechtsprechungsbegriff der pharmakologischen Eigenschaften von dem Richtliniengeber in der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG in Form einer pharmakologischen Wirkung in den Normtext aufgenommen worden. Die im Jahr 2004 geänderte Definition des Funktionsarzneimittels führt mithin nicht zu einer substanziellen Rechtsänderung.
In der Substanz der europäischen Arzneimitteldefinition geht es nach wie vor darum, ob ein Produkt zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58.
Klar zu unterscheiden von der Auslegung der europäischen Normen, die der EuGH vorgenommen hat, ist die Rechtsanwendung. Im Lactobactfall des EuGH zielte die Vorlagefrage 1 a des OVG Münster, vgl. in der Wiedergabe des EuGH Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 25, unmittelbar auf die Feststellung, ob das Produkt Lactobact Lebensmittel oder Arzneimittel ist mit gegebenenfalls Verbindlichkeit für alle Mitgliedstaaten. Der EuGH hat in dem Lactobact-Urteil (Rz. 96) mit Blick auf die klare Aufgabentrennung zwischen nationalen Gerichten und Gerichtshof klargestellt, dass er im Vorlageverfahren nicht befugt ist über den Sachverhalt zu entscheiden und dass es vielmehr Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Einstufung selbst vorzunehmen (Rz. 97). Ungeachtet dessen hat der EuGH in dem Lactobact-Urteil sowie schon zuvor Rechtsanwendungshinweise gegeben, die sich im Sinne einer Vollständigkeitsanforderung zusammenfassen lassen. Bei der Beurteilung eines Erzeugnisses müssen die Behörden (Lactobact-Urteil Rz. 51), alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, berücksichtigen.
Zur Klarstellung weist der Senat aber darauf hin, dass die Berücksichtigung sämtlicher Merkmale nicht deren Gleichrangigkeit bedeutet. Während die Wirkungen des Produkts auf die Körperfunktionen und damit die Gesundheitsauswirkungen als pharmakologische Eigenschaften schon definitionsgemäß wesentliche Bedeutung haben, hat der EuGH im Lauf seiner Rechtsprechung die Bedeutung der anderen Merkmale zu Hilfsmerkmalen herabgestuft. So hat er entschieden, dass etwa die äußere Form des Produkts kein allein ausschlaggebendes Indiz ist und die Modalitäten des Gebrauchs ein nicht an sich ausschlaggebender Umstand sind.
Vgl. zum Ersteren Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 38 und zum Letzteren Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 31.
Weiterhin hat eine unterschiedliche Verbreitung und Verbraucherbekanntheit des Produkts als Arzneimittel oder Lebensmittel in verschiedenen Mitgliedstaaten keine unmittelbar ausschlaggebende Wirkung, da der EuGH die unterschiedliche Einstufung von Erzeugnissen als Arzneimittel oder Lebensmittel in verschiedenen Mitgliedstaaten als rechtlich zulässig betrachtet.
EuGH im Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 56.
Nach der BGH-Rechtsprechung haben für die Produkteinstufung nach dem gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff Werbeangaben in Zeitschriften verglichen mit den pharmakologischen Wirkungen keine ausschlaggebende Bedeutung.
BGH, Urteil vom 11.7.2002 – I ZR 273/99 -, Juris-Ausdruck Rz. 23.
Der BGH gewichtet die pharmakologische Wirkung der Präparate deutlich stärker als die Verbraucherkenntnisse aus den Medien, was auch dem Sinn der EuGH-Rechtsprechung entspricht. Der EuGH schließt nicht aus, dass ein Produkt im Verkehr im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird, aber dennoch ein Arzneimittel im Sinne des europäischen Rechts ist.
EuGH, Urteil Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 21.
Die allgemeine Verkehrsauffassung ist also nicht ausschlaggebend.
Damit sind die Grundlagen der Einstufung eines Produkts als europäisches Funktionsarzneimittel geklärt.
Auf der dargelegten Grundlage bedarf es einer konkreten Prüfung, ob das Produkt der Klägerin ein Funktionsarzneimittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts ist.
Der Senat nimmt diese Prüfung von Amts wegen vor, worauf die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden sind. Dabei sind die von den Beteiligten vorgelegten wissenschaftlichen Unterlagen und Gutachten gleichrangig heranzuziehen.
Nach der vom EuGH geforderten Berücksichtigung aller Merkmale des Produkts ist zunächst die Zusammensetzung zu betrachten. Ausweislich der fotokopierten Faltschachteln von 2002 und 2005 (VG-Akte Bl. 93/94 und OVG-Akte 3 R 7/05 Bl. 51) besteht das Mittel abgesehen von hier nicht interessierenden Tablettenhilfsstoffen nur aus einem Inhaltsstoff, nämlich indischem Weihrauchtrockenextrakt von 400 mg pro Tablette; die Verzehrempfehlung lautet:
Täglich 1 Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit verzehren.
Die neue Faltschachtel von 2005 enthält zusätzlich den Hinweis, dass die täglich empfohlene Verzehrempfehlung nicht überschritten werden soll. Aus der Verzehrempfehlung ergibt sich zugleich, dass der Inhaltsstoff im menschlichen Körper verwendet werden soll.
Sodann sind im Sinne des EuGH Prüfungsschwerpunkt die pharmakologischen Eigenschaften des Inhaltsstoffs Weihrauch. Es kommt darauf an, ob Weihrauchextrakt physiologische Funktionen beeinflusst, und zwar durch eine pharmakologische Wirkung. Wie bereits dargelegt bedeutet die Prüfung einfacher ausgedrückt, ob Weihrauchextrakt Körperfunktionen beeinflusst mit positiven oder negativen Auswirkungen auf die Gesundheit.
Nach den dem Senat vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Gutachten zum Wirkstoff Weihrauch handelte es sich ursprünglich um ein traditionelles Mittel in Indien.
Vgl. umfassend die auf Anregung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) durchgeführte Veröffentlichung von Privatdozent Safayhi und Prof. Dr. Ammon, Pharmakologische Aspekte von Weihrauch und Boswelliasäuren, im Folgenden zitiert als Safayhi/Ammon, in: Sonderdruck der Pharmazeutischen Zeitung Nr. 39, 142. Jahrgang 1997, S. 1 ff., dort S. 1 und S. 2; weiter Ammon Kurzbericht, Salai-Guggal – (Indischer Weihrauch), Gummiharz aus Boswellia serrata, in: Deutsches Ärzteblatt 95, Januar 1998, S. A-30 ff, im folgenden zitiert als Kurzbericht Ammon, dort S. A-30; zur traditionellen therapeutischen Verwendung in Asien und zur Herstellung des Therapeutikums in Indien; vgl. das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Bertram vom 22.2.2001 zur pharmakologischen Wirkung von Weihrauch, im Folgenden zitiert als Gutachten Bertram, dort S. 1 und S. 2.
Der Klägerin ist zuzustimmen, dass die Zuordnung eines Produkts zur traditionellen Ayurveda-Medizin ganzheitlich auch im Sinne einer gesunden Lebensweise mit geeigneten Lebensmitteln zu verstehen sein kann und für sich genommen nicht eine pharmakologische Wirkung nach modernen Wissenschaftsmaßstäben indiziert, vgl. zum ganzheitlichen Konzept der Ayurveda (Wissen vom Leben) Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage 2003, Stichwort Ayurveda.
Die pharmakologischen Wirkungen der Hauptinhaltsstoffe von Weihrauch wurden indes in jüngster Zeit wissenschaftlich erforscht, und zwar in Untersuchungen ab 1986.
Gutachten Bertram, S. 1, und Jahreszahl bei Safayhi/Ammon, S. 2.
Das Hauptergebnis der bisherigen Forschung liegt nach der Angabe von Fachlexika sowie nach den von beiden Beteiligten vorgelegten wissenschaftlichen Unterlagen und Gutachten darin, dass Weihrauchextrakt mit seinem Gehalt an Boswelliasäuren Entzündungsprozesse beeinflusst.
Safayhi/Ammon, mit ausführlicher Darlegung der Entzündungsmodelle, S. 2 – S. 5; Kurzbericht Ammon, S. A-30; Gutachten Bertram, S. 2, wobei die Bezeichnung antiphlogistische Wirkungen entzündungshemmende Wirkungen bedeutet; Roche Lexikon Medizin, 5. Aufl. 2003, Stichwort Boswellia serrata, mit Hinweis auf die nachgewiesene Wirkung bei den Entzündungskrankheiten Colitis ulcerosa und Enteritis regionalis (Crohn-Krankheit) sowie unterstützend bei Polyarthritis; zurückhaltender im Sinne zugeschriebener Wirkungen bei Entzündungskrankheiten Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Aufl. 2004, Stichwort Boswellia serata unter Weiterverweisung auf das Stichwort Boswellia bhaw-dajiana; zurückhaltend ebenfalls das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Reuss, S. 1, wonach Weihrauch nach vorliegenden wissenschaftlichen Publikationen eine arzneiliche Wirkung haben soll und es (S. 2) für entzündliche Erkrankungen einen therapeutisch beanspruchten Anwendungsbereich gibt, positiv Bertsche/Schulz, Kurzbewertung, 2002, Berufungsakte 3 R 7/05 Bl. 71 R.; ebenso Gupta u.a., 2001, Zusammenfassung einer Forschungsarbeit zur Colitis, Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 75.
Die bei chronischen Entzündungen ablaufenden soweit hier einschlägigen Körperprozesse sind bei Safayhi/Ammon S. 2 und 3, als Kausalketten im Sinne eines Entzündungsmodells zusammengefasst. Danach ist die 5 – Lipoxygenase das Schlüsselenzym der Leukotrienbiosynthese. Die Produkte der 5 – Lipoxygenase, die Leukotriene, sind hochwirksame Mediatoren (Förderer) chronischer Entzündungen. Pharmazeutisch gesucht zur Entzündungsbekämpfung werden mithin Inhibitoren (Hemmstoffe), die bereits das Schlüsselenzym, die 5 – Lipoxygenase, hemmen. Solche Hemmstoffe sind zwar in der Forschung bekannt, haben aber regelmäßig reduzierende oder oxidierende Eigenschaften und wirken sich deshalb toxisch aus. Pharmazeutisch gesucht werden deshalb Inhibitoren der chronischen Entzündungen mit besserer Verträglichkeit. Die Boswelliasäuren – chemisch Triterpene - als Inhaltsstoffe des Weihrauchs erweisen sich nach den Forschungsergebnissen als nicht reduzierende oder oxidierende und insofern einmalige Hemmstoffe der Leukotriensynthese und damit chronischer Entzündungen (Safayhi/Ammon S. 4 mit einem Diagramm). Der bei Safayhi/Ammon eingehend dargelegte Wirkungsmechanismus der Leukotrienhemmung wird in anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und im Gutachten Bertram der Klägerin kurz dargestellt oder erwähnt.
Kurzbericht Ammon, a.a.O., S. A-31; Kurzbewertung Bertsche/Schulz, S. 1; das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Bertram, S. 2/3; zurückhaltend Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, Stichwort Boswellia serrata unter Weiterverweisung auf Boswellya bhaw-dajiana, positiv Bertsche/Schulz, S. 1; Gupta u.a., Zusammenfassung S. 1.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Boswelliasäuren, allerdings in wesentlich höheren Konzentrationen, auch zur Behandlung von Hirnödemen bei Tumoren eingesetzt werden.
Safayhi/Ammon, S. 7, dort zu einer täglichen Dosis von 3600 mg, Bertsche/Schulz, S. 2: mindestens 3600 mg.
Begrenzt auf die Behandlung von Ödemen bei Gehirntumoren und damit auf diesen hoch dosierten Anwendungsbereich ist der vorgelegte Bescheid der Europäischen Kommission vom 21.10.2002 (Berufungsakte Bl. 69 R) ergangen, der Weihrauchextrakt als potenzielles Arzneimittel für diese seltene Krankheit ausweist; auf die Rechtswirkung dieses Bescheides ist noch einzugehen.
Vorliegend ist wesentlich, dass Weihrauchextrakt abgesehen von diesem seltenen Anwendungsbereich ganz allgemein Entzündungen beeinflusst.
Der dargelegte Wirkungsmechanismus bei Entzündungen bedeutet im Sinne der Definition des EuGH, dass die Körperfunktionen beeinflusst werden, und zwar mit Auswirkungen auf die Gesundheit. Chronische Entzündungen werden mit positiver Gesundheitswirkung gehemmt. Bei dem Eingriff in die bei Entzündungen ablaufenden Körperprozesse handelt es sich um eine pharmakologische Wirkung hier im Sinne einer positiven therapeutischen Einwirkung. Eine pharmakologische Wirkung von Weihrauch wird in der Veröffentlichung von Safayhi/Ammon (S. 8) ausdrücklich bejaht. Auch das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten Bertram gibt an, dass die pharmakologischen Wirkungen der Hauptinhaltsstoffe von Weihrauch erst in jüngster Zeit systematisch beforscht wurden (S. 1), weist auf antientzündliche Wirkungen hin und gibt dazu den wahrscheinlichen Wirkmechanismus an (S. 2).
Damit ist aber nach den vorliegenden Forschungsergebnissen die Wirkung von Weihrauchextrakt auf Entzündungsprozesse noch nicht erschöpft. Weihrauchextrakt kann auch den umgekehrten Effekt haben, dass er – nunmehr in niedriger Konzentration – Entzündungsprozesse fördert. Die pharmakologische Wirkung soll vom Sinn her - dem Gesundheitsschutz des Verbrauchers - die ambivalenten Gesundheitswirkungen insgesamt erfassen. Insofern greift die Argumentation der Klägerin zu kurz, die negative Gesundheitsauswirkungen nur bei Überdosierung, nicht bei Unterdosierung in den Blick nimmt. Ergeben wie hier beim Weihrauchextrakt Forschungsergebnisse eine negative Gesundheitsauswirkung ausnahmsweise bei Unterdosierung, muss sie zum Gesundheitsschutz auch rechtlich als pharmakologische Wirkung beachtet werden.
Das „Umkippen“ der Wirkung erklärt sich aus der chemischen Vielfalt von Weihrauchextrakt. Es gibt keinen einheitlichen Wirkstoff Boswelliasäure, sondern unterschiedliche Boswelliasäuren mit unterschiedlichen pharmazeutischen Wirkungen.
Bertsche/Schulz, S. 1; konkreter zu den unterschiedlichen Boswelliasäuren und ihren Wirkungen vgl. bei Safayhi/Ammon, S. 4, die Tabelle 1; zum Gehalt von indischem Weihrauch an pentazyklischen (fünfringigen) Triterpensäuren und tetrazyklischen (vierringigen) Triterpensäuren Gutachten Bertram, S. 2.
Wesentlich ist das Zusammenwirken der Inhaltsstoffe, die auch antagonistisch (im Sinne der Gegenwirkung) wirken können.
Safayhi/Ammon S. 5 und S. 8, Bertsche/Schulz, S. 1.
Eine hinreichend starke Gegenwirkung bedeutet konkret, dass Weihrauchextrakt dann die Leukotriensynthese und damit den chronischen Entzündungsprozess verstärkt. Gerade für einen solchen Umkehreffekt liegen Forschungsergebnisse vor.
Schlusswort Ammon als Ergänzung des Kurzberichts in: Deutsches Ärzteblatt 95, Oktober 1998, S. A-2482, im Folgenden zitiert als Schlusswort Ammon; ebenso als Forschungsergebnis berücksichtigt in dem von der Klägerin selbst vorgelegten Gutachten Bertram vom 22.2.2001, S. 3; Bertsche/Schulz, S. 1.
Verantwortlich gemacht für den Umkehreffekt werden die Tirucallsäuren.
So als positive Feststellung Bertsche/Schulz, S. 1; als Möglichkeit Gutachten Bertram, S. 3.
Konsequenterweise sehen Bertsche/Schulz die im Weihrauchextrakt enthaltenen Tirucallsäuren als pharmakologisch wirksame Substanzen an.
Bertsche/Schulz, S. 1.
Die Tirucallsäuren wirken bereits bei niedriger Dosierung des Stoffgemischs, die Boswelliasäuren erst bei höherer Dosierung.
In dem zitierten Schlusswort von Ammon (S. A-2482) wird nochmals hervorgehoben, dass Weihrauchextrakte nicht eine einzelne Wirksubstanz enthalten, sondern ein Gemisch von Wirksubstanzen mit nicht einheitlichem Wirkungsmechanismus. Sodann ist ausgeführt, dass die richtige Dosierung eine wesentliche Rolle spielt. Das räumt auch die Klägerin ein. Danach heißt es wörtlich:
Bei niedriger Dosierung eines Extraktes kann es sogar zu einer Stimulierung der Leukotriensynthese kommen.
Wie bereits dargelegt bedeutet die Stimulierung der Leukotriensynthese auch eine Verstärkung der chronischen Entzündungsprozesse und damit eine pharmakologisch negative Wirkung. Das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten Bertram, S. 3, bestätigt dieses Forschungsergebnis, dass in niedriger Dosierung die Bildung von 5 – Lipoxygenaseprodukten erhöht sein kann und fügt hinzu, diesem Befund müsse weiter nachgegangen werden. Die im Gutachten Bertram genannten 5 – Lipoxygenaseprodukte sind gerade die Leukotriene und fördern als Mediatoren chronische Entzündungen.
Ausführlich zu der gesamten Kausalkette Safayhi/Ammon, S. 3, und kurz zusammengefasst Gutachten Bertram, S. 2.
Das einleuchtend mit der antagonistischen Wirkung und damit mit der Wirkung einzelner Wirkstoffe des Stoffgemischs Weihrauch – Tirucallsäuren - erklärte Forschungsergebnis muss bei den pharmakologischen Wirkungen von Weihrauch beachtet werden.
Die vom Senat aus Verständnisgründen zunächst nur qualitativ dargelegte pharmakologische Wirkung bedarf mit Blick darauf, dass das Produkt der Klägerin eine Tagesdosis von 400 mg Weihrauch in Form einer Tablette empfiehlt, nun auch einer quantitativen Darlegung. Von dieser empfohlenen Menge – die nach der neuen Packungsangabe auch nicht überschritten werden soll – ist vernünftigerweise auszugehen. Die von dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in seiner Stellungnahme vom 29.9.2005 erwähnte Möglichkeit einer Mehrfacheinnahme würde im Grunde jede Dosierungsvorschrift bei anerkannten Arzneimitteln entwerten und überzeugt schon deshalb nicht. Die Kritik der Klägerin an dieser Stellungnahme trifft zu.
Nach den vorliegenden Forschungsergebnissen ist das quantitative Spektrum pharmakologischer Wirkungen (positiv und negativ) des Weihrauchs relativ weit. Nach übereinstimmenden Feststellungen von Safayhi/Ammon, S. 7, und dem Bertramgutachten, S. 3, werden insbesondere Tumorpatienten mit der hohen Tagesdosis von 3600 mg Weihrauch-Trockenextrakt in wissenschaftlichen Studien behandelt. In diesem hoch dosierten Bereich ist auch der positive Bescheid der Europäischen Kommission vom 21.10.2002 zur Ausweisung als Forschungsarzneimittel ergangen. Die Grenze guter Verträglichkeit von Weihrauchextrakt liegt in der Regel bei 1200 mg pro Tag, während hohe Dosen von 3600 mg pro Tag zu Nebenwirkungen führen können.
Safayhi/Ammon, S. 7, zu relativ seltenen Nebenwirkungen Bertsche/Schulz, S. 2.
Für die im vorliegenden Rechtsstreit erhebliche Hauptwirkung von Weihrauch, die antientzündliche Wirkung, wird nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Veröffentlichungen und Gutachten eine Tagesdosis von ungefähr 800 bis 1600 mg verabreicht.
So Gutachten Reuss vom 10.1.2001, S. 2, mit Blick auf die publizierten Studien; ähnlich Safayhi/Ammon mit der Tagesdosis von 800 bis 2000 mg in einer Pilotstudie (S. 5) und der Verabreichung von 1050 mg bei Colitis ulcerosa (S. 7); das Gutachten Bertram kommt allerdings unter Einschluss der sehr hohen Dosierungen bei Tumorpatienten (S. 3) zu einer höheren pharmakologischen Dosis zwischen insgesamt 900 und 3600 mg am Tag (S. 4); Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 29.9.2005: ab 900 mg; Bertsche/Schulz, S. 1 und 2: 900 mg bei Asthma, mindestens 3600 mg bei Ödemen.
Eine positive Wirkung auf Entzündungen ist nach dem Forschungsstand, wie er dem Senat aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich ist, mithin ungefähr bei einer Tagesdosis von 800 bis 1600 mg gegeben.
Von der regelmäßigen pharmakologischen Tagesdosis von 800 bis 1600 mg ist der tiefer liegende untere Dosisbereich bei Weihrauch zu unterscheiden. Den unteren Dosisbereich siedelt das Gutachten Bertram bei einer Tagesdosis unter 500 mg an, wie sie hier vorliegt.
Gutachten Bertram vom 22.2.2001, S. 1 (unterer Dosisbereich) im Zusammenhang mit S. 4 (Tagesdosis unter 500 mg).
Da die Untergrenze des positiven therapeutischen Einsatzes von Weihrauchextrakt nach den vorliegenden Veröffentlichungen und Gutachten wie dargelegt bei 800 bis 900 mg Tagesdosis liegt, ist die Hälfte der Untergrenze (ca. 450 mg) sicherlich als niedrige Dosierung anzusehen.
Gerade bei einer niedrigen Dosierung von Weihrauchextrakt kommen nach den dargelegten Forschungsergebnissen aber die antagonistischen Wirkungen des Stoffgemischs aus Boswelliasäuren und Tirucallsäuren zur Geltung. Das Forschungsergebnis der Stimulierung der Leukotriensynthese und damit der Verstärkung von Entzündungsprozessen betrifft den Fall der niedrigen Dosierung des Weihrauchextraktes.
Übereinstimmend Schlusswort Ammon, S. A-2482, Gutachten Bertram, S. 3, und Bertsche/Schulz, S. 1 und 2.
Die dem Gericht vorliegenden Forschungsunterlagen und Gutachten enthalten keine Gegenfeststellung, die dieser antagonistischen Wirkung konkret widerspricht. Konsequenterweise kommen Bertsche/Schulz (S. 1) zu dem Ergebnis, dass die im Weihrauchextrakt enthaltenen Tirucallsäuren als Verursacher des Umkehreffekts in niedriger Konzentration des Weihrauchextrakts pharmakologisch wirksame Substanzen sind.
Diese Konsequenz ziehen die von der Klägerin selbst vorgelegten Gutachten zwar nicht. Die von der Klägerin vorgelegten Gutachten Bertram und Reuss kommen nur deshalb zum Ausschluss einer pharmakologischen Wirkung in niedriger Dosis, weil sie die maßgebende pharmakologische Wirkung auf die therapeutische Wirkung einengen.
Das Gutachten Reuss (S. 2) nimmt von vornherein nur den therapeutisch beanspruchten Anwendungsbereich in den Blick und schließt die therapeutisch verstandene pharmakologische Wirkung bei einer niedrigen Dosis von 30 % beziehungsweise 50 % der üblichen Dosis aus. Nichts anderes gilt für das Gutachten Bertram (S. 4). Die Bewertung der Dosisbereiche wird mit Blick auf den ausdrücklich angeführten therapeutischen Erfolg vorgenommen, und insoweit einer Tagesdosis unter 500 mg keine pharmakologische Wirkung mehr beigemessen. Nur bei dieser aus dem Gutachtentext ersichtlichen Auslegung bleibt das Gutachten widerspruchsfrei, denn der Gutachter Bertram hat bei der Betrachtung des Wirkmechanismus durchaus gesehen (S. 3), dass bei niedrigerer Dosierung die Bildung von Entzündungsverstärkern erhöht sein kann.
Nach allem ist ersichtlich, dass beide von der Klägerin vorgelegten Gutachten Bertram und Reuss nur den therapeutisch beanspruchten Anwendungsbereich bei niedriger Dosierung ausschließen. Eine positive Wirkung fehlt nach den Gutachten in diesem Bereich und eine negative Wirkung wird ausgeblendet.
Entscheidend sind aber die Forschungsergebnisse über einen Umkehreffekt bei niedriger Dosis. Die Hauptwirkung auf Entzündungsprozesse kehrt sich um. Diese Forschungsergebnisse werden in den vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Gutachten an keiner Stelle konkret angegriffen. Die Forschungsergebnisse sind auch mit Blick auf den dargelegten antagonistischen Effekt des Stoffgemischs für das Gericht einleuchtend nachvollziehbar und überzeugend. Die Tirucallsäuren wirken bereits bei niedriger Dosierung des Stoffgemischs, die Boswelliasäuren erst bei höherer Dosierung. Mithin besteht zwischen den Gutachten und den wissenschaftlichen Veröffentlichungen insgesamt kein konkreter fachlicher Widerspruch, der die Einholung eines Obergutachtens durch den Senat bei der von Amts wegen durchgeführten Prüfung aufdrängen würde.
Nach der dargelegten Würdigung hat das Wirkstoffgemisch Weihrauch bei einer Gesamtbetrachtung der positiven und negativen pharmakologischen Wirkungen ein weites Spektrum der pharmakologisch wirksamen Tagesdosis.
Eine hohe Tagesdosis von etwa 3600 mg entspricht der Ödembehandlung von Tumorpatienten und ist Gegenstand einer europäischen Ausweisung als Forschungsarzneimittel.
Die positive pharmakologische Wirkung im Sinne einer Therapie von Entzündungen besteht in einem Dosisbereich etwa zwischen 800 und 1600 mg Tagesdosis.
Bei einer niedrigen Tagesdosis von 400 bis 500 mg gibt es unwidersprochene Forschungsergebnisse im Sinne einer Verstärkung von Entzündungen insbesondere durch Tirucallsäuren und damit einer negativen pharmakologischen Wirkung. Eine Gesundheitsgefahr ist hier dem Grunde nach zu bejahen. Mit Blick auch auf die antagonistischen Wirkungen kommt auch die wissenschaftliche Veröffentlichung Safayhi/Ammon (S. 8) zu dem Ergebnis, von einer freizügigen Abgabe von Weihrauch sei abzuraten. Bertsche/Schulz warnen mit Blick auf den Umkehreffekt vor nicht ausreichend hoher Dosierung und befürworten sogar die Hochdosierung von 3600 mg.
Bertsche/Schulz, S. 2.
Daran gemessen fällt die tägliche Einnahme von 400 mg Weihrauchextrakt erkennbar in den zu vermeidenden niedrigen Dosisbereich.
Nach allem ist eine Beeinflussung von Körperfunktionen mit pharmakologischer Wirkung und damit positiven oder negativen Auswirkungen auf die Gesundheit für Weihrauchextrakt nicht nur in hohen, sondern auch in niedrigen Tagesdosen wie hier von 400 mg aufgrund der Forschungsergebnisse zu bejahen.
Gesundheitsgefahren sind bei einem Funktionsarzneimittel in jedem Fall zu berücksichtigen.
EuGH, Urteil vom 9.6.2005 - C-211/03 -, Rz. 53, dort als eigenständiger Faktor hervorgehoben.
Die bereits dargelegte gemeinschaftsrechtliche Definition des Funktionsarzneimittels in der Arzneimittelrichtlinie ist erfüllt, da eine Beeinflussung physiologischer Funktionen durch pharmakologische Wirkungen nach dem Forschungsstand zu bejahen ist. Weihrauch hat die pharmakologische Wirkung, dass er die Körperfunktionen bei Entzündungsprozessen mit Auswirkungen auf die Gesundheit beeinflusst.
Mit der Betrachtung der pharmakologischen Eigenschaften des Wirkstoffs in dem streitigen Produkt der Klägerin ist die Subsumtion erst im Schwerpunkt abgeschlossen.
Wie dargelegt bedarf es nach der Rechtsprechung des EuGH für die Einstufung eines Produkts der Berücksichtigung aller seiner Merkmale. Dazu gehören über die geprüfte Zusammensetzung, die pharmakologischen Eigenschaften und die Risiken hinaus noch die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung und die Bekanntheit bei den Verbrauchern.
EuGH im Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 51.
Mithin sind noch diese Hilfsmerkmale nachfolgend zu berücksichtigen.
Zu beginnen ist mit den Modalitäten des Gebrauchs. Nach der Anweisung auf der Faltschachtel ist täglich eine Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit zu verzehren. Darin liegt einerseits die für Arzneimittel übliche Einnahme, andererseits werden nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls in dosierter Form unter anderem in Tablettenform eingenommen. Das Merkmal ist also nicht trennscharf. Auch der EuGH hat dem Umstand, dass ein streitiges Erzeugnis nach der Gebrauchsanweisung in Wasser oder Joghurt verrührt werden sollte, keine an sich ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 31.
Als nächster Gesichtspunkt ist die Verbreitung des weihrauchhaltigen Produkts der Klägerin in den Blick zu nehmen. Die Klägerin importiert ihr Produkt aus Österreich und bringt es als Nahrungsergänzungsmittel auf den deutschen Markt. Werbung für ihr Produkt wie für ein Arzneimittel betreibt sie nach der insoweit unwidersprochenen Klagebegründung (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 15) nicht. Das namensgleiche Produkt wird in Österreich selbst ebenfalls als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht, indessen nicht von der Klägerin, sondern von der Firma G. Die Firma G hat das namensgleiche Produkt in Österreich als Verzehrprodukt angemeldet (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 27) und betreibt in Österreich nach dem belegten Vortrag des Beklagten Werbung für die entzündungshemmende Wirkung der namensgleichen Weihrauchtabletten ebenfalls mit dem Inhalt von 400 mg Weihrauch.
Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 17.10.2002, S. 2 (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 111) und Auszug aus der Homepage der österreichischen Firma (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 113).
Weiterhin ist das namensgleiche Produkt nach dem belegten Vortrag der Klägerin in Großbritannien als Nahrungsmittel im freien Verkehr.
Bescheinigung des britischen Agrarministers vom 9.8.2001, Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 28.
Ergänzend ist noch die Verbreitung von nicht namensgleichen Konkurrenzprodukten mit dem identischen Inhaltsstoff Weihrauch in den Blick zu nehmen. Insoweit hat die Klägerin nachgewiesen, dass auf dem deutschen Apothekenmarkt ausweislich des zentralen Bestellsystems der Lauer-Taxe insgesamt 11 nicht namensgleiche Weihrauchprodukte als Nahrungsergänzungsmittel bestellt werden können.
Schriftsatz vom 11.8.2005, S. 3/4, OVG Akte 3 R 7/05 Bl. 20/21 mit Anlage K 22, OVG Akte Bl. 23 ff..
Bei einer Würdigung der Verbreitung des namensgleichen Produkts der Klägerin muss gesehen werden, dass das Produkt in drei Staaten der EU – Österreich, Deutschland und Großbritannien - als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt ist. In Österreich wird es – allerdings nicht von der Klägerin – von der vertreibenden Firma als entzündungshemmend und damit wie ein Arzneimittel beworben.
Zur rechtlichen Qualifizierung vgl. das Urteil des EuGH Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 – Rz. 27, wonach eine Veröffentlichung des Herstellers oder Verkäufers mit der Bezeichnung therapeutischer Wirkungen als entscheidendes Indiz für die Absicht des Herstellers oder Verkäufers anzusehen ist, das Erzeugnis als Präsentationsarzneimittel in den Verkehr zu bringen.
Eine Verkehrsgenehmigung auf EU-Ebene hat hoch dosierter Weihrauchextrakt als Mittel gegen Gehirnödeme noch nicht, wohl aber den Status eines Forschungsarzneimittels.
Den vom Beklagten vorgetragenen Import von Weihrauchextrakt als Fertigarzneimittel aus der Schweiz und aus Indien hält die Klägerin für unzulässig, da es im Fall der Schweiz an einer landesweiten Arzneimittelzulassung und im Fall Indiens an einer mit deutschem Recht vergleichbaren Zulassung fehle, vielmehr Weihrauchextrakt in Indien ein Lebensmittel sei und der Lebensmittelüberwachung unterliege. Dieser Vortrag kann zugunsten der Klägerin als richtig unterstellt werden.
In diesem Fall spricht der Gesichtspunkt der Verbreitung eher für die Einordnung als Lebensmittel. Er hat aber verglichen mit den festgestellten pharmakologischen Wirkungen des Produkts keine für sich entscheidende Bedeutung.
Sodann ist als weiteres Merkmal noch wie dargelegt die Bekanntheit des Produkts bei den Verbrauchern zu würdigen.
Die Klägerin nimmt an, ihr Weihrauchprodukt sei insbesondere mit Blick auf das deutsche Apothekensortiment mit zahlreichen weiteren Weihrauchprodukten als Nahrungsergänzungsmittel dem informierten deutschen Verbraucher als Lebensmittel bekannt. Demgegenüber nimmt der Beklagte an, dem informierten deutschen Verbraucher sei abgesehen von der speziellen Arzneimittelwerbung im Internet für das namensgleiche Produkt in Österreich auch ansonsten durch das Internet die Arzneimitteleigenschaft bekannt, was die Klägerin mit rechtlichen Gesichtspunkten zur Unmaßgeblichkeit von Medienwerbung bekämpft.
Bei der Würdigung der konkreten Verbraucherkenntnisse schließt sich der Senat weder dem Standpunkt der Klägerin noch dem des Beklagten an. Überzeugender erscheint vielmehr das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Reuss vom 10.1.2001 (S. 2), wonach die Verkehrsauffassung als mögliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln im Fall Weihrauch ohne wesentliche Bedeutung ist. Der Gutachter begründet dies damit, dass eine arzneiliche Wirkung beim durchschnittlich informierten deutschen Verbraucher kaum bekannt ist. Eine Bekanntheit von Weihrauch als Nahrungsmittel nimmt der Gutachter aber ersichtlich ebenfalls nicht an, weil anderenfalls die Verkehrsauffassung entgegen seiner Fachmeinung zu einem eindeutigen Ergebnis führte. Die richtige Einordnung von Weihrauch, der eher als Kultmittel bekannt ist, wird einen durchschnittlich informierten Verbraucher kaum berühren. Konkrete Verbraucherkenntnisse über die Lebensmittel- oder Arzneimitteleigenschaft können also nicht erwartet werden.
Der Gesichtspunkt der Verbraucherkenntnisse ist jedenfalls gegenüber den festgestellten pharmakologischen Eigenschaften nicht ausschlaggebend.
Zu den beiden zuletzt genannten Gesichtspunkten der Verbreitung und der Verbraucherkenntnisse führt der Senat noch eine Hilfserwägung durch. Im günstigsten Fall könnte die gerichtliche Würdigung dieser Gesichtspunkte zu dem Ergebnis führen, dass ein Weihrauchprodukt im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird. Selbst diese allgemeine Ansicht würde es aber nicht hindern, dass ein solches Produkt dennoch nach dem europäischen Arzneimittelbegriff als Arzneimittel einzuordnen ist.
So das Urteil des EuGH Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 21, für aus Südamerika eingeführte Kräutertees.
Damit kann der Prüfungsabschnitt über die Einstufung des Produkts der Klägerin als Arzneimittel abgeschlossen werden.
Nach der Überzeugung des Senats ist das weihrauchhaltige Produkt der Klägerin unter Berücksichtigung aller seiner Merkmale, insbesondere seiner Zusammensetzung, seiner pharmakologischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen – der Modalitäten seines Gebrauchs, des Umfangs seiner Verbreitung, seiner Bekanntheit bei den Verbrauchern und der Risiken nach dem maßgebenden Gemeinschaftsrecht als Funktionsarzneimittel im Sinne sowohl der ursprünglichen Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG als auch der dargelegten Änderungsfassung durch die Arzneimittelrichtlinie 2004/27/EG anzusehen.
Damit führen die bisherigen Prüfungsschritte des Urteils zu dem Doppelergebnis, dass das Produkt der Klägerin mit 400 mg Weihrauchextrakt Tagesdosis nach den europäischen Definitionen sowohl ein Aromastoff und damit ein Lebensmittel ist als auch ein Funktionsarzneimittel mit Blick auf seine antagonistische Wirkung auf Entzündungsprozesse. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts unterliegt das Produkt mithin nach vollständiger Subsumtion einerseits der Lebensmittelverordnung 178/2002 und zusätzlich der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG, andererseits auch der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG in der ursprünglichen Form und gleichermaßen in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG.
Dieses Doppelergebnis auf der europäischen Rechtsebene bedarf aber einer juristischen Auflösung wegen seiner widersprüchlichen Konsequenzen.
Ein Lebensmittel fällt unstreitig grundsätzlich unter den freien Handelsverkehr der Mitgliedstaaten (vgl. zum Grundsatz Artikel 28 EGV). Anderes gilt für Arzneimittel. Ausnahmen vom Grundsatz der Handelsfreiheit bestehen nach Artikel 30 EGV insbesondere zum Gesundheitsschutz, worunter das Arzneimittelrecht fällt.
Nach Artikel 6 I der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG bedarf ein Arzneimittel grundsätzlich abgesehen von dem nicht einschlägigen Fall einer unmittelbaren europäischen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung Nr. 2309/93 in jedem Mitgliedstaat einzeln einer Zulassung. Umgesetzt ist diese Regelung im deutschen Recht in § 21 AMG. Unstreitig hat das Produkt der Klägerin weder in der EG noch in einem EG-Staat eine Zulassung als Arzneimittel. Deshalb bedarf das festgestellte Doppelergebnis einer Auflösung.
Nach dem dargelegten Zwischenergebnis bedarf es auf Gemeinschaftsebene einer Entscheidungsregel, ob beim Zusammentreffen beider Definitionen das Arzneimittelrecht oder das Lebensmittelrecht Vorrang hat.
Zusammengefasst kommt der Senat zu der Entscheidung, dass nach dem aktuellen Recht bei der Produktbehandlung das Arzneimittelrecht vor dem Lebensmittelrecht Vorrang aufgrund ausdrücklicher normativer Regelung hat. Für die vorausgehenden Zeitabschnitte ergibt sich dasselbe Ergebnis aus der Beachtung der Rechtsprechung des EuGH, der in ständiger Rechtsprechung bereits seit 1992 eine Art „Strenge-Regel“ aufgestellt hat, wonach das strengere Arzneimittelrecht in der Anwendung Vorrang vor weniger strengen Regelungen anderer Rechtsgebiete hat. Dies ist nunmehr im Einzelnen auszuführen.
Beginnend mit dem neuesten Zeitabschnitt ab 30.10.2005 ist der Anwendungsvorrang des Arzneimittelrechts bereits nach deutschem Recht normativ eindeutig bestimmt. Das deutsche Recht verweist in § 2 III Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes – AMG – in der Fassung des Gesetzes vom 13.12.2001 (BGBl. I S. 3586) sowie in der jetzigen Fassung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394) zur Abgrenzung auf den Lebensmittelbegriff nach dem deutschen Lebensmittelgesetz. § 2 II LFGB in der Fassung vom 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618), gültig ab 7.9.2005, verweist für die Lebensmitteldefinition seinerseits unmittelbar auf Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Die europäische Lebensmittelverordnung 178/2002 verweist in ihrer Negativabgrenzung in Art. 2 Abs. 3 d wiederum auf die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG. Die Humanarzneimittelrichtlinie enthält in der Fassung der Änderungsrichtlinie vom 31.3.2004 mit einer Umsetzungsfrist bis 30.10.2005 in Art. 2 Abs. 2 ausdrücklich eine Vorrangregel des Arzneimittelrechts mit folgendem Inhalt:
In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.
Mit dieser Richtlinie ist die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG gemeint, was mithin zum Vorrang des Arzneimittelrechts führt. Der EuGH hat die klar formulierte Vorrangregel auch in diesem Sinn verstanden.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 44.
Nach dem aktuell geltenden Gemeinschaftsrecht ist auf das Produkt der Klägerin mithin nur das Arzneimittelrecht anzuwenden. Das aktuelle deutsche Recht verweist darauf.
Für das vorausgehende Recht innerhalb der zeitlichen Reichweite des Dauerverwaltungsaktes vom 23.1.2002 geht der Senat aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Zeitabschnitte zunächst nach dem wie dargelegt maßgeblichen Gemeinschaftsrecht und erst dann nach dem deutschen Recht ein.
Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts war im vorausgehenden Zeitabschnitt vom 31.3.2004 bis zum 29.10.2005 die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 mit der normativen Vorrangregel des Arzneimittelrechts zwar bereits erlassen, indessen war die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Richtlinien setzen zwar ein zweistufiges Rechtsetzungsverfahren mit Erlass auf Gemeinschaftsebene und Umsetzung in nationales Recht voraus.
Richtlinien sind aber auch als Auslegungsmaßstab heranzuziehen.
Geiger, EUV/EGV, Artikel 249 EGV Rdnr. 12.
Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung, und zwar gerade für die Vorrangregel in der hier vorliegenden Änderungsrichtlinie 2004/27/EG, entschieden, dass eine Richtlinie schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist als Auslegungsmaßstab heranzuziehen ist.
Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 44.
Auch für diesen Zeitraum galt als Auslegungsergebnis der Rechtsprechung des EuGH ein normativer Vorrang des Arzneimittelrechts.
Auf Gemeinschaftsebene galt in dem davor liegenden Zeitraum vom 6.11.2001 (mithin vor Erlass des Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002) bis zum 30.3.2004 die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG noch ohne eine normative Vorrangregelung. Die Abgrenzung des gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriffs gegenüber den Konkurrenzbegriffen bedurfte mithin richterlicher Auslegung. Eine solche ständige Rechtsprechung des EuGH liegt vor, die von den Jahren 1991 bis 2005 reicht und damit den Entscheidungszeitraum (Januar 2002 bis Februar 2006) erfasst. Dies ist jetzt darzulegen.
Der Grundgedanke dieser Rechtsprechung ist einfach. Er besteht darin, dass das strengere Arzneimittelrecht wegen der besonderen Gefahren Anwendungsvorrang vor weniger strengem Recht anderer Gebiete besitzt. Erstmals hat der EuGH diesen Gedanken im Urteil Delattre vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 21, zur Abgrenzung von Arzneimitteln gegenüber seinerzeit Kosmetika (Schlankheitsmitteln) geäußert. Zur Begründung hat er (Rz. 21) ausgeführt:
Diese Schlussfolgerung ist im Übrigen die Einzige, die dem mit beiden Richtlinien verfolgten Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht, da die rechtliche Regelung für Arzneispezialitäten in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können und die im Allgemeinen von kosmetischen Mitteln nicht ausgehen, strenger ist als die für kosmetische Mittel.
Im nachfolgenden Jahr 1992 hat der EuGH in seinem Urteil Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 19, diese „Strenge-Regel“ auf die hier einschlägige Abgrenzung von Arzneimittelrecht gegenüber Lebensmittelrecht übertragen. Zur Begründung hat er ausgeführt (Rz. 19), ein Produkt sei selbst dann als Arzneimittel anzusehen und der entsprechenden Regelung zu unterwerfen, wenn es in den Anwendungsbereich einer anderen weniger strengen Gemeinschaftsregelung falle.
Sodann hat der EuGH aktuell in seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 43, nochmals seine Rechtsprechung bestätigt, dass die für Arzneimittel geltenden Bestimmungen auf ein Erzeugnis anzuwenden sind, das sowohl die Voraussetzungen eines Lebensmittels als auch eines Arzneimittels erfülle. Zur Begründung hat er sich (Rz. 43) ausdrücklich auf sein Ter Voort-Urteil C – 219/91 – berufen, dort insbesondere auf die Rz. 19 verwiesen und damit wie dargelegt den Grundsatz, dass ein Produkt auch dann als Arzneimittel anzusehen ist, wenn es dem Anwendungsbereich einer weniger strengen Regelung unterfällt. Zwischen 1991 und jetzt hat der EuGH mithin in ständiger Rechtsprechung die „Strenge-Regel“ seiner Abgrenzung zwischen Arzneimittelrecht und weniger strengem Recht zugrunde gelegt.
Die dargelegte normative Vorrangregel der Richtlinie 2004/27/EG entspricht mithin inhaltlich der ständigen Rechtsprechung des EuGH. Dementsprechend hat sich der EuGH in seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 - sowohl vergangenheitsbezogen auf seine ständige bisherige Rechtsprechung (Rz. 43) als auch zukunftsbezogen auf die neue Richtlinie 2004/27/EG (Rz. 44) berufen. Das Ergebnis der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist mithin der Vorrang des Arzneimittelrechts bei der Abgrenzung gegenüber dem Lebensmittelrecht. Dies steht für den Zeitraum von 1992 bis jetzt fest. Bezogen auf den hier entscheidungserheblichen Zeitraum vom 25.1.2002 (Bekanntgabe des Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002) bis jetzt (Februar 2006) ist die Abgrenzungsfrage auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts mithin immer gleich zu beantworten. Maßgebend für die rechtliche Behandlung ist das strengere Arzneimittelrecht gegenüber dem weniger strengen Lebensmittelrecht.
Für die vorsorglich vorzunehmende Abgrenzungsprüfung nach dem deutschen Recht sind andere Zeitabschnitte zu bilden. Unproblematisch ist der bereits behandelte aktuelle Zeitabschnitt ab dem 7.9.2005. Ab diesem Zeitpunkt verweist wie dargelegt § 2 II LFGB in der Fassung vom 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618) für die Lebensmitteldefinition ausdrücklich auf Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, und damit auch auf die in Artikel 2 Abs. 3 der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung vorgenommene Abgrenzung zu Lebensmitteln, für die die EuGH-Rechtsprechung maßgebend ist. Die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts für die Abgrenzung ist vom deutschen Gesetzgeber sichergestellt, da auch § 2 III Nr. 1 AMG für die Abgrenzung auf die Lebensmitteldefinition verweist mit der Konsequenz, dass nach der ausdrücklichen Anordnung des deutschen Gesetzgebers für die Abgrenzung der beiden Rechtsgebiete einheitlich das Gemeinschaftsrecht gilt.
Für den vorausgehenden Zeitabschnitt vom 21.2.2002 bis zum 6.9.2005 hat der deutsche Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich für Rechtsklarheit gesorgt. Die Rechtsklarheit ergibt sich aber aus dem gemeinschaftlichen Verordnungsrecht. Die gemeinschaftsrechtliche Abgrenzung von Lebensmitteln und Arzneimitteln in Artikel 2 der Lebensmittelverordnung galt bereits in diesem Zeitabschnitt. Die Lebensmittelverordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002 trat nach Artikel 65 am 21.2.2002 in Kraft. Sie ist nach Artikel 65 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Anders als bei Richtlinien bedarf es keines zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens, vielmehr gilt die Verordnung unmittelbar in jedem Mitgliedstaat ohne Transformation.
Der deutsche Gesetzgeber hatte aber in diesem Zeitraum der verbindlichen Regelung noch nicht formell Rechnung getragen. Vielmehr war in § 1 LMBG in der Fassung vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296), gültig vom 1.8.1997 bis 6.9.2005, eine formell abweichende Regelung bestimmt. Produkte waren nach § 1 I LMBG nur dann keine Lebensmitteln, wenn sie überwiegend zu anderen Zwecken als dem der Ernährung oder des Genusses bestimmt waren. Das ältere deutsche Recht legte die Auslegung nahe, dass ein Lebensmittel auch dann vorlag, wenn sich kein überwiegender Verwendungszweck feststellen ließ.
So noch die Kommentierung von Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 35 und die ältere BGH-Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 6.2.1976 – I ZR 125/74 -.
Die deutsche Regelung ließ sich mithin in nahe liegender Auslegung als Vorrang des weniger strengen Lebensmittelrechts vor dem strengeren Arzneimittelrecht verstehen.
Bei diesem Ergebnis kann es aber nicht verbleiben. Das Gemeinschaftsrecht hat grundsätzlich Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht.
Gerichte und Behörden haben den Vorrang des Gemeinschaftsrechts ohne weiteres zu beachten, und innerstaatliche Vorlageverfahren etwa an ein Verfassungsgericht müssen außer Betracht bleiben.
Mithin musste die inhaltlich anders gefasste Abgrenzung des deutschen Rechts zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln gegenüber der bindenden europäischen Verordnung außer Betracht bleiben. Vielmehr galt nach der bereits dargelegten Rechtsprechung des EuGH die „Strenge-Regel“, wonach für die Produktbehandlung das strengere Arzneimittelrecht vor weniger strengem Recht in der Anwendung Vorrang hat. Auch für diesen Zeitabschnitt verbleibt es mithin bei dem gefundenen Ergebnis.
In einem vorausgehenden kurzen Zeitabschnitt des Dauerverwaltungsakts knapp einen Monat zwischen seiner Bekanntgabe am 25.1.2002 bis zum 20.2.2002 galt auf der Gemeinschaftsrechtsebene allerdings noch nicht die Lebensmittelverordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002, in Kraft ab 21.2.2002. Der Anwendungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung muss mithin für diesen kurzen Zeitabschnitt außer Betracht bleiben.
Auch für diese Zeit blieb der Vorrang des Arzneimittelrechts unverändert. Maßgebend ist hier nicht der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, sondern der Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.
Im Zeitraum Januar/Februar 2002 stellte sich die Vorrangfrage vom Arzneimittelrecht her, das im Gegensatz zum seinerzeitigen Lebensmittelrecht schon gemeinschaftsrechtlich normiert war. Wie bereits dargelegt war das gemeinschaftliche Arzneimittelrecht bereits seit 1965 fortlaufend durch Richtlinien kodifiziert, die in nationales Recht umzusetzen waren.
Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965, sodann als Nachfolgerichtlinie die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG sowie deren Änderungsrichtlinie 2004/27/EG.
Das deutsche Arzneimittelgesetz war also bereits in der in diesem Zeitabschnitt (Januar/Februar 2002) maßgebenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 13.12.2001 (BGBl. I S. 3586) Umsetzung des europäischen Richtlinienrechts. Zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln verwies § 2 III Nr. 1 AMG 2001 auf § 1 LMBG und damit die bereits dargelegte Regelung, wonach nur eine überwiegende Bestimmung zu anderen Zwecken als dem der Ernährung oder des Genusses maßgebend ist. Auch unabhängig von der Direktwirkung von Richtlinien zu Gunsten Einzelner, vgl. EuGH, Urteil vom 26.9.2000 – C- 443/98 -, Rz. 50; Urteil vom 4.12.1997 – C – 97/96 -, NJW 1998, 129, ist umgesetztes nationales Recht nach der EuGH-Rechtsprechung so auszulegen, dass das mit der Richtlinie verfolgte Ziel erreicht werden kann. EuGH, Urteil vom 11.7.2002 – C – 62/00 -, Rz. 41.
Eine solche europarechtskonforme Auslegung des § 1 LMBG 1997 ist aber möglich und deshalb auch geboten. Zwar ist die Auslegung nahe liegend, dass die überwiegende Zweckbestimmung rein faktisch im Sinne der allgemeinen Verkehrsauffassung zu verstehen ist.
So Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 34.
Zwingend ist diese Auslegung aber nicht. Die überwiegende Zweckbestimmung kann statt faktisch auch normativ verstanden werden. Die überwiegende Zweckbestimmung ergibt sich dann normativ nach dem strengeren Recht; das strengere Recht prägt die Zweckbestimmung. Das Ziel der einschlägigen Arzneimittelrichtlinie ist nach der Rechtsprechung des EuGH gerade der Schutz vor den besonderen Gefahren, die Arzneimittel mit sich bringen.
EuGH, Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 21, und Ter Voort-Urteil vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 19.
Das umgesetzte deutsche Arzneimittelrecht ist mithin europarechtskonform so auszulegen, dass das dargelegte Ziel der Arzneimittelrichtlinie mit Blick auf den Vorrang des strengeren Rechts erreicht wird. Mithin ist die deutsche Abgrenzungsregelung in den §§ 2 AMG 2001 und 1 LMBG 1997 europarechtskonform auch in dem hier interessierenden Zeitabschnitt vom 25.1.2002 bis zum 20.2.2002 im Sinne einer normativen überwiegenden Zweckbestimmung durch das strengere Arzneimittelrecht auszulegen. Dieser Gesichtspunkt gilt im Übrigen auch für die nachfolgende Zeit, für die aber der Anwendungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung hinzukommt.
Mithin ist die Geltung der europäischen Arzneimittelabgrenzung für den gesamten in Anspruch genommenen Zeitraum des angegriffenen Dauerverwaltungsakts seit 25.1.2002 bis jetzt zu beachten.
Für den Zeitraum des Dauerverwaltungsakts ist nach dem Ergebnis der Prüfung des europäischen und des deutschen Rechts einheitlich von dem Vorrang des Arzneimittelrechts gegenüber dem Lebensmittelrecht bei der Produktbehandlung auszugehen.
Die von der Klägerin gegen den Vorrang vorgebrachten Gründe überzeugen nicht.
Soweit die Klägerin eine vollständige Subsumierung als Voraussetzung der Vorrangregelung ansieht, hat der Senat sie vorgenommen.
Soweit die Klägerin meint, für Nahrungsergänzungsmittel gelte eine günstigere Behandlung, trifft dies nicht zu. Sie hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der neuen Rechtsprechung des EuGH auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel die Richtlinie 2002/46 eine gewisse Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften vorgenommen hat.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 70.
Nahrungsergänzungsmittel, die den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen, dürfen in der Gemeinschaft grundsätzlich frei in den Verkehr gebracht werden.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C- 211/03 -, Rz. 71.
Die der Klägerin günstige Folge tritt aber nur ein, wenn die Voraussetzungen der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie überhaupt erfüllt sind. Dies ist aber nicht der Fall, weil die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG ausdrücklich nicht für Arzneimittel gilt (Artikel 1 Abs. 2 der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie) und darüber hinaus Nahrungsergänzungsmittel nach Artikel 2 der Richtlinie 2002/46/EG bereits Lebensmittel sein müssen, mithin auch für Nahrungsergänzungsmittel die allgemeine Abgrenzungsvorschrift von Artikel 2 der Lebensmittelverordnung (EG) Nr. 178/2002 gilt. Dementsprechend führt der EuGH wie dargelegt in seinem Lactobact-Urteil (Rz. 41 und 42) eine synchrone Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln einerseits und Arzneimitteln andererseits durch. Für eine anderweitige Abgrenzung mit einer günstigeren Behandlung von Nahrungsergänzungsmitteln ist mithin aus Gründen des Gemeinschaftsrechts kein Raum.
Weiterhin beruft sich die Klägerin zu ihren Gunsten auf eine spezielle deutsche Liberalisierungsvorschrift für die Einfuhr von Lebensmitteln aus EU-Staaten im deutschen Lebensmittelrecht. Ausgehend zunächst von dem neuesten Rechtsstand der Einfuhrliberalisierung begünstigt § 54 LFGB mit Geltung ab dem 7.9.2005 Lebensmittelimporte aus anderen EU-Staaten. Danach dürfen Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände, die entweder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hergestellt oder rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden oder aus einem Drittstaat stammen und sich in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig im Verkehr befinden, auch dann in das Inland verbracht und in Verkehr gebracht werden, wenn sie den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften für Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände nicht entsprechen. Eine Ausnahme von der Liberalisierung besteht insbesondere dann, wenn gemäß § 54 I LFGB in Verbindung mit § 54 II zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen, über die durch Allgemeinverfügungen entschieden wird. Die verbleibenden Unterschiede des nationalen Lebensmittelrechts der Mitgliedstaaten stehen mithin dem Import eines Lebensmittels grundsätzlich nicht entgegen.
Diese Liberalisierungsregelung trifft aber nach dem geltenden Recht ausdrücklich nur für Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände zu, von vorneherein nicht für Arzneimittel. Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 54 LFGB und aus dem systematischen Zusammenhang innerhalb der Gesamtregelung des Lebensmittelrechts, nicht des Arzneimittelrechts.
Nichts anderes gilt innerhalb der Zeitdauer des Dauerverwaltungsakts für die im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorgängerreglung des § 47 a LMBG in den insoweit übereinstimmenden vorausgehenden Fassungen vom 29.10.2001 (BGBl. I S. 2785) sowie vom 6.8.2002 (BGBl. I S. 3082). Die Liberalisierung von Importen aus anderen Mitgliedstaaten bezieht sich nach dem übereinstimmenden Wortlaut auf „Erzeugnisse im Sinne dieses Gesetzes“. Maßgebend ist also die deutsche Einordnung des Produkts. Durch eine Klammerdefinition ist in § 35 LMBG klargestellt, dass Erzeugnisse im Sinne dieses Gesetzes Lebensmittel, Zusatzstoffe, mit Lebensmittel verwechselbare Erzeugnisse, Tabakerzeugnisse, kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände sind. Arzneimittel gehören nicht dazu. Die Klägerin kommt nur insofern zu einem anderen Ergebnis, als sie behauptet, ihr Nahrungsergänzungsmittel könne mit einem Arzneimittel verwechselt werden. Insoweit stellt aber § 8 LMBG klar, dass die Ausdehnung des Lebensmittelrechts auf verwechselbare Erzeugnisse gerade nicht für zulassungspflichtige Arzneimittel gilt.
Zur generellen einschlägigen Zulassungspflicht von Fertigarzneimitteln § 21 AMG mit hier nicht gegebenen Ausnahmen insbesondere einer gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 und einer Anwendung zur klinischen Prüfung.
Die Vorschrift zielt erkennbar darauf ab, dass die Zulassungspflicht von Arzneimitteln als Marktschranke nicht etwa in dem ungünstigen Fall, dass importierte Arzneimittel verwechslungsfähig aufgemacht sind, entfällt. Dies wäre auch offensichtlich gefahrenbezogen sachwidrig. Nach den dargelegten Vorschriften gilt die Liberalisierung nach Wortlaut und Sinn nicht für Arzneimittel, und zwar insbesondere auch nicht für mit Lebensmitteln verwechslungsfähig aufgemachte Arzneimittel.
Das Gemeinschaftsrecht bietet sowohl nach den in Betracht kommenden Normen als auch nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH keinen Anlass zu einer weiter gehenden Auslegung dieser lebensmittelrechtlichen Liberalisierungsregelung.
Wie dargelegt fällt ein Lebensmittel zwar grundsätzlich unter den freien Handelsverkehr der Mitgliedstaaten (Artikel 28 EGV). Anderes gilt für Arzneimittel, denn Ausnahmen vom Grundsatz der Handelsfreiheit bestehen nach Artikel 30 EGV insbesondere zum Gesundheitsschutz, worunter das Arzneimittelrecht fällt.
Nach Artikel 6 I der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG bedarf ein Arzneimittel grundsätzlich abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall einer unmittelbaren europäischen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vom 22.7.1993 in jedem Mitgliedstaat einzeln einer Zulassung. Diese Rechtslage nach dem Gemeinschaftsrecht führt allerdings dazu, dass ein Produkt im Exportstaat (hier Österreich) als Lebensmittel und im Importstaat (hier Deutschland) als Arzneimittel eingeordnet werden kann. Gerade diese Divergenz ist nach der ständigen bis heute geltenden Rechtsprechung des EuGH mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
EuGH, Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 27; EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 – Rz. 52 und 53, betreffend Vitaminpräparate; EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 56.
In seinem Lactobact-Urteil (Rz. 56) hat der EuGH seine ständige Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst:
Dass ein Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel eingestuft ist, hindert somit nicht daran, ihm im Einfuhrmitgliedstaat die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweist.
Die Tatsache, dass das Produkt der Klägerin in Österreich rechtmäßig als Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel im Verkehr ist, führt mithin nicht zu einer Bindung des Einfuhrstaates an österreichisches Recht. Dem nach dem Gemeinschaftsrecht bestehenden Vorrang des strengeren Arzneimittelrechts vor dem weniger strengen Lebensmittelrecht muss in Deutschland selbstständig, ohne Bindung an die Rechtsauffassung in Österreich, Geltung verschafft werden.
Nach allem führt die deutsche Liberalisierungsregelung nicht zur Anerkennung der österreichischen Produkteinordnung und ist deshalb nicht entscheidungserheblich.
Im Folgenden hat der Senat noch die beiden von den Beteiligten vorgelegten europäischen Verwaltungsakte zu würdigen, die eine Einstufung von Weihrauchextrakt in demselben Jahr – 2002 – als Arzneimittel beziehungsweise als Lebensmittel betreffen.
Zusammengefasst sind beide Verwaltungsakte nicht unmittelbar einschlägig für den vorliegenden Verwaltungsrechtsstreit über ein Marktverbot und geben keinen Anlass, von der vom EuGH aufgestellten „Strenge-Regel“ abzuweichen.
Der Beklagte hat einen Bescheid der Europäischen Kommission vom 21.10.2002 vorgelegt, den die EMEA, die Europäische Agentur für Arzneimittel, am 11.12.2002 veröffentlicht hat (Berufungsakte 3 R 7/05, Blatt 69 R). Der Beklagte hat dazu vorgetragen, der Weihrauchextrakt aus Boswellia serrata habe damit den Orphan-drug-Status erhalten (Berufungsakte Blatt 66). Mit dieser Bezeichnung hat es Folgendes auf sich. Die in dem Bescheid der EG-Kommission auch genannte Rechtsgrundlage ist die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 vom 16.12.1999 über Arzneimittel für seltene Leiden. Sinn und Regelungszusammenhang der Verordnung sind in dem Erwägungsgrund 1 zusammengefasst. Danach treten bestimmte Leiden EU-weit so selten auf, dass die Entwicklungskosten von Arzneimitteln durch den zu erwartenden Umsatz nicht mehr gedeckt werden. Die pharmazeutische Industrie wäre in diesen Fällen nicht bereit, das Arzneimittel unter normalen Marktbedingungen zu entwickeln. Diese Arzneimittel werden im englischen Sprachraum als „Orphan medicinal products“, das heißt als Waisenkinder unter den Arzneimitteln bezeichnet. Vor diesem Hintergrund bezweckt die Verordnung nach dem Erwägungsgrund 4, durch die Einführung eines Gemeinschaftsverfahrens potenzielle Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden auszuweisen. Die Förderung erfolgt durch Forschungshilfe bei der Entwicklung (Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung) und durch ein späteres Marktexklusivitätsrecht (Artikel 8 der Verordnung). Der Antrag auf Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden kann grundsätzlich in jedem Entwicklungsstadium des Arzneimittels gestellt werden, indessen nur vor dem Antrag auf Verkehrsgenehmigung (Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung). Zusammengefasst bedeutet der Bescheid mithin eine Ausweisung von Weihrauchextrakt als Forschungsarzneimittel für die Behandlung der seltenen Krankheit der Gehirnödeme bei Gehirntumor; eine Verkehrsgenehmigung als Arzneimittel bedeutet der Bescheid nicht, wie im letzten Absatz ausdrücklich hervorgehoben ist. Der Bescheid betrifft also keine Marktzulassung.
Der Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden liegt nach Artikel 2 a der Humanarzneimittelbegriff nach der Richtlinie 65/65/EWG zugrunde, wobei diese Bezugnahme nunmehr durch eine Bezugnahme auf die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG ersetzt ist (Artikel 128 der Humanarzneimittelrichtlinie). Da die Ödembehandlung bei Tumoren nach den dem Senat vorliegenden wissenschaftlichen Unterlagen ausschließlich den hoch dosierten Bereich von Weihrauchextrakt betrifft,
Safayhi-Ammon, Seite 7; Gutachten Bertram, Seite 3; Bertsche/Schulz, Seite 2
steht damit in diesem Bereich gemeinschaftsrechtlich die Einordnung als Arzneimittel fest.
Zwingend ist dies für die hier maßgebende niedrige Dosis von Weihrauch nicht. Einen Doppelcharakter nach der Dosis hat der EuGH bei Vitaminen anerkannt, die in ganz geringer Menge für die tägliche Ernährung unbedingt erforderlich sind, in starken Dosen aber zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, Rz. 56.
Deshalb bedeutet die im Jahr 2002 erfolgte Ausweisung von indischem Weihrauchextrakt als Forschungsarzneimittel für seltene Krankheiten ein - nicht zwingendes - Indiz für die gemeinschaftsrechtliche Einstufung von Weihrauchextrakt insgesamt als Arzneimittel. Der Gegenschluss der Klägerin, die angestrebte Marktzulassung sei bereits gescheitert, überzeugt nicht, da die Zulassungsreife einschließlich Standardisierung eines Stoffgemischs schwer erreichbar und langwierig sein kann.
Ebenso wie der Beklagte hat die Klägerin im Rechtsstreit einen Verwaltungsakt der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt, den sie zu ihren Gunsten verwerten will (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 75). Dabei handelt es sich um die verbindliche Zolltarifauskunft vom 16.9.2002. Der Bescheid ist im Namen der Europäischen Gemeinschaft erlassen, die erteilende Zollbehörde ist das Bundesministerium für Finanzen in Wien. Als Berechtigter ist angegeben die österreichische Firma G.. Gegenstand des Bescheides ist das namensidentische Produkt der Klägerin. Inhaltlich betrifft der Bescheid die Einreihung in die Zollnomenklatur als Lebensmittel und zur Begründung ist angegeben, aufgrund des Fehlens einer Ankündigung zur Verwendung bei spezifischen Krankheiten, Leiden oder deren Symptome, sowie der exakten Dosierungsvorschrift, liege keine näher gekennzeichnete Arzneiware vor.
Die Klägerin hat aus dieser verbindlichen Zolltarifauskunft von Anfang an den Schluss gezogen,
Schriftsatz vom 7.10.2002, VG-Akte Bl. 78
das streitige Produkt dürfe in der gesamten Europäischen Union aufgrund der verbindlichen Zolltarifauskunft als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Die Verkehrsfähigkeit des von ihr vertriebenen Produktes in Deutschland ergebe sich damit schon aus der amtlichen Bestätigung der Europäischen Union. Zur Bekräftigung ihres Vortrags hat sie erstinstanzlich zwei verschiedene Vorlageanträge an den EuGH angeregt (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 91 und Bl. 133), die jeweils die Auswirkungen der verbindlichen Zolltarifauskunft auf die Zulässigkeit der Vermarktung betreffen. Zweitinstanzlich hat sie ausweislich des Protokolls eine entsprechende Vorlage an den EuGH hilfsweise angeregt.
Das Begehren der Klägerin entspricht offenkundig nicht dem Gemeinschaftsrecht, das eine Auslegung im Sinne der Klägerin nicht zulässt. Es entspricht auch nicht der dargelegten Rechtsprechung des EuGH zur selbstständigen Sachverhaltsbeurteilung der nationalen Behörden und Gerichte im Vermarktungsstreit.
Dafür ist zunächst auf die Rechtsgrundlage der verbindlichen Zolltarifauskunft einzugehen. Wie im Bescheid auch ausdrücklich angegeben, beruht die Zolltarifauskunft auf Art. 12 der – insoweit nicht geänderten - Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – Zollkodexverordnung -. Nach dem Erwägungsgrund 1 geht es bei der Verordnung um die Kodifizierung der bisherigen Zollvorschriften der Gemeinschaft als Zollunion. Betroffen von dem Zollrecht ist nach Art. 1 der Verordnung der Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Drittländern. Nach Art. 2 gilt das gemeinschaftliche Zollrecht einheitlich im gesamten Zollgebiet der Gemeinschaft. Richtig ist damit der Standpunkt der Klägerin, dass die Zollverwaltungsakte die gesamte Gemeinschaft betreffen. Sodann werden nach Art. 12 Abs. 1 der Zollkodexverordnung auf schriftlichen Antrag von den Zollbehörden verbindliche Zolltarifauskünfte erteilt. Verbindliche Zolltarifauskünfte sind nach der Definitionsvorschrift des Art. 4 Nr. 5 der Zollkodexverordnung hoheitliche Maßnahmen auf dem Gebiet des Zollrechts.
Die Klägerin begehrt eine Vorlage des Sachverhalts zur Entscheidung an den EuGH. Sie hält es nach ihrem Rechtsstandpunkt für eine klärungsbedürftige Auslegungsfrage, wie weit die Verbindlichkeit der Zolltarifauskunft reicht. Sie meint, die Verbindlichkeit betreffe nicht nur den Zolltarif, sondern auch die anschließende Vermarktung. In Wirklichkeit ist aber die Verbindlichkeitsfrage in Art. 12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung ohne Auslegungsspielraum wie folgt geregelt:
Die verbindliche Zolltarifauskunft bindet die Zollbehörden gegenüber dem Berechtigten nur hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung der Waren.
Das Wort „nur“ lässt keinen Auslegungsspielraum dahingehend zu, die Bindungswirkung erstrecke sich über die zolltarifliche Einreihung der Waren hinaus auch auf die anschließende Vermarktung und die Anwendung des Gesundheitsrechts. Ist mithin die Einschränkung der Verbindlichkeit auf das Zollrecht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, scheidet eine Vorlagepflicht an den EuGH nach Art. 234 EGV selbst nach den Maßstäben für ein letztinstanzliches Gericht – die hier nicht erfüllt sind – aus.
Entsprechende Anträge der Beteiligten bedeuten prozessual mithin nur die Anregung zu einer Vorlageentscheidung.
Von Amts wegen scheidet eine Vorlage schon deshalb aus, weil Art. 12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung auch unabhängig von dem streitigen objektiven Anwendungsbereich auch nach den subjektiven Merkmalen nicht entscheidungserheblich ist.
Vorliegend sind die subjektiven Voraussetzungen der Verbindlichkeitsbestimmung des Art. 12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung nicht gegeben. Die verbindliche Zolltarifauskunft bindet nach der Verordnung nur die Zollbehörden gegenüber dem Berechtigten. Zollbehörde ist nach Art. 4 Nr. 3 der Zollkodexverordnung eine für die Anwendung des Zollrechts zuständige Behörde. Der Beklagte als oberste Gesundheitsbehörde ist ebenso wenig eine Zollbehörde im Sinne der Gemeinschaftsvorschrift wie die Klägerin Berechtigte des Bescheides ist, da in dem Bescheid als Berechtigte ausdrücklich die österreichische Firma G. genannt ist. Mithin verbleibt es dabei, dass die Vorschrift des Art. 12 II der Zollkodexverordnung auf den vorliegenden Fall zweifelsfrei subjektiv nicht anwendbar ist.
Unabhängig von der normativen Rechtslage entspricht es auch nicht der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu gesundheitsbezogenen Marktverboten gegenüber importierten Produkten, dass das Gesundheitsrecht bindend an das Zollrecht gekoppelt wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH haben die nationalen Behörden und zu deren Kontrolle die nationalen Gerichte bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Vermarktung in ihrem Staat auch bei importierten Erzeugnissen selbst die Qualifizierungszuständigkeit für den Einzelfall, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als Lebensmittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts einzustufen ist.
EuGH Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 30 für die Zuständigkeit der nationalen Behörden und Rz. 97 für die Zuständigkeit des nationalen Gerichts; ebenso schon EuGH, Ter-Voort-Urteil vom 28.10.1992 – C – 219/91 – betreffend die Zulässigkeit der Vermarktung von Kräutertee aus Südamerika, dort zur fallbezogenen Einstufungszuständigkeit der nationalen Gerichte Rz. 32; EuGH Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, dort Rz. 35 zur Einstufungszuständigkeit der nationalen Behörden unter Kontrolle der nationalen Gerichte.
In einem entschiedenen Fall – dem Ter-Voort-Urteil des EuGH von 1992 – betraf die Einstufung die Vermarktung von aus Südamerika eingeführten Produkten. Nach der seinerzeit schon bestehenden Zollunion unterlagen diese Produkte einer Außenzollerhebung und damit einer Zolltarifeinordnung. Die seinerzeitige Vorlagefrage (Rz. 13), ob ein Erzeugnis, das im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird, als Arzneimittel eingestuft werden kann, hätte vom Rechtsstandpunkt der Klägerin damit beantwortet werden müssen, dass die Antwort aus dem Zollrecht folge. Stattdessen lautet die Antwort des EuGH (Rz. 21), dass ein Arzneimittel selbst dann vorliegen kann, wenn es im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird, und (Rz. 32) es Sache der nationalen Gerichte ist, unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Falles die Einordnung vorzunehmen. Auch der Grundgedanke in dem Ter-Voort-Urteil des EuGH, dass (Rz. 19) im Gesundheitsrecht die strengere Gemeinschaftsregelung anzuwenden ist, verträgt sich nicht damit, dass die der Einnahmeerzielung dienende Zolltarifregelung stattdessen einschlägig sein soll. Damit könnten die Gesundheitsgefahren nicht hinlänglich berücksichtigt werden. Mithin scheidet eine Vorlage an den EuGH auch deshalb aus, weil die Rechtsansicht der Klägerin zur Bindung der Vermarktung an das Zollrecht der vorliegenden Rechtsprechung des EuGH widerspricht.
Der Bescheid ist für den vorliegenden Vermarktungsprozess offensichtlich rechtsunerheblich.
Unabhängig von der fehlenden Bindungswirkung kann auch die Begründung der Zolltarifauskunft für den vorliegenden Fall nicht fruchtbar gemacht werden. Begründet ist die Ablehnung einer Arzneiware mit dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Ankündigung zur Verwendung bei spezifischen Krankheiten und einer entsprechenden exakten krankheitsbezogenen Dosierungsvorschrift. Mit dieser Überlegung lässt sich aber allein ein Präsentationsarzneimittel ausschließen, was ohnedies unstreitig ist. Dagegen enthält die Begründung keinerlei Gesichtspunkte zu einem Funktionsarzneimittel, da die pharmakologische Wirkung von vornherein nicht behandelt wird. Für den Hauptstreit der Beteiligten über das Vorliegen eines Funktionsarzneimittels lässt sich aus der Begründung des Bescheides nichts gewinnen.
Nach dem Prüfungsergebnis des Senats haben die von den Beteiligten vorgelegten Bescheide nach dem Gemeinschaftsrecht für den vorliegenden Fall keine Bindungswirkung und führen zu keinem anderen Ergebnis.
Mithin hat es bei einer selbstständigen sachverhaltsbezogenen Einstufung des Produkts der Klägerin für die Vermarktung durch die nationalen Behörden und die nationalen Gerichte ohne Vorlagepflicht an den EuGH zu verbleiben.
Nach allem ist der Senat davon überzeugt, dass das Produkt der Klägerin ein Funktionsarzneimittel ist und damit dem strengen Zulassungsrecht für Fertigarzneimittel unterliegt. Der Klägerin ist zwar Recht zu geben, dass in dieser Rechtsanwendung ein Hemmnis für den freien Warenverkehr liegt. Das Produkt muss also nach der plastischen Formulierung der Klägerin durch das „Nadelöhr“ des Arzneimittelrechts. Der Grund dafür liegt aber letztlich in der eindeutigen Weichenstellung des EuGH zu Gunsten des strengeren Gesundheitsrechts. Der EuGH hat dem nunmehr im Gemeinschaftsrecht kodifizierten Gedanken Bedeutung beigemessen, dass die besonderen Gesundheitsgefahren gerade von Arzneimitteln im Zweifel die Anwendung des strengeren Gesundheitsrechts gegenüber dem weniger strengen Lebensmittelrecht erfordern. Diese Gefahrabwägung führt letztlich zu dem Ergebnis, dass hier wegen der festgestellten – negativen - pharmakologischen Wirkung des Produkts in der empfohlenen niedrigen Dosis ein Funktionsarzneimittel vorliegt.
Die Prüfung des Senats führt mithin zu dem Gesamtergebnis, dass gemeinschaftsrechtlich und nach deutschem Recht für die gesamte Geltungszeit des Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002 rechtlich maßgebend ein Funktionsarzneimittel vorliegt, das als Fertigarzneimittel für den Verbraucher gemäß § 21 AMG einer Zulassung bedarf, die aber unstreitig weder nach Gemeinschaftsrecht noch nach deutschem Recht vorhanden ist.
Damit liegt aber zur Überzeugung des Senats der Untersagungstatbestand des § 69 I Nr. 1 AMG in den insoweit übereinstimmenden Fassungen vom 11.12.1998 (BGBl. I Bl. 3586), vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 2031), vom 29.8.2005 (BGBl. I S. 2555) sowie der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394) vor. Die im Gesetz eingeräumte Ermessensausübung ist von der Klägerin nicht problematisiert worden. Ein Ermessensfehler wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn die für das Arzneimittel erforderliche Zulassung ausschließlich aus formellen Gründen fehlte, materiell aber die therapeutische Wirksamkeit mit vertretbaren Nebenwirkungen bereits feststünde. Schon die nicht geklärte therapeutische Wirksamkeit würde die Ermessensausübung im Sinne einer Untersagung rechtfertigen. Erst recht gilt das hier, da nach den vorliegenden Forschungsergebnissen für niedrig dosierten Weihrauchextrakt zwar keine positiven pharmakologischen Wirkungen, wohl aber negative pharmakologische Wirkungen in Form der Förderung von Entzündungsprozessen wissenschaftlich festgestellt sind. Bei dieser Sachlage ist allein die Untersagung ermessensgerecht.
Nach allem ist der angefochtene Dauerverwaltungsakt vom 23.1.2002 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Streit der Beteiligten betrifft die richtige rechtliche Einordnung des Produkts der Klägerin, der W., das sie von Österreich nach Deutschland einführt. Handelt es sich inhaltlich um ein Lebensmittel in Form eines Nahrungsergänzungsmittels oder um einen rechtlich maßgebenden Lebensmittelimport, wie die Klägerin annimmt, unterliegt es unstreitig grundsätzlich dem freien Warenverkehr und mithin nicht dem vom Beklagten ausgesprochenen Verkehrsverbot nach § 69 AMG. Handelt es sich dagegen rechtlich um ein Fertigarzneimittel, fehlt ihm die erforderliche Zulassung, da es unstreitig weder in Deutschland noch sonst im Bereich der Europäischen Union eine Verkehrsgenehmigung als Arzneimittel hat.
Angesichts der fortgeschrittenen EG-Harmonisierung des Arzneimittelrechts und des Lebensmittelrechts ist zunächst klarzustellen, wer die Qualifizierungszuständigkeit bei der grenzüberschreitenden Verbringung eines Produkts innerhalb der EG hat. Abgesehen von der hier nicht gegebenen Ausnahme einer gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vom 22.7.1993 für das Produkt verbleibt die Qualifizierung den nationalen Behörden und Gerichten. Auf eine Vorlage des OVG Münster hin mit dem Ziel einer EG-weiten Qualifizierung eines Produkts durch den EuGH hat der EuGH nach seinem Rechtsverständnis das Europarecht auszulegen, ist aber nicht befugt, über den Sachverhalt zu entscheiden und die Einstufung von Produkten als Arzneimittel oder Lebensmittel gemeinschaftsweit selbst vorzunehmen.
EuGH, Urteil vom 9.6.2005 – u.a. C – 211/03 -, betreffend die Einfuhr streitiger Nahrungsergänzungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland auf eine Vorlage des OVG Münster, im Folgenden als Lactobact-Urteil bezeichnet.
Zuständig für die Entscheidung, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als Lebensmittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts einzustufen ist, sind nach der Rechtsprechung des EuGH die nationalen Behörden.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 30; ebenso schon EuGH, Urteil vom 16.4.1991 – Upjohn – Rz 35.
Die Einfuhr eines Produkts berührt zwar sowohl den Ausfuhrmitgliedstaat als auch den Einfuhrmitgliedstaat. Bei streitiger Zulässigkeit der Marktverwertung nach Einfuhr entscheidet indessen der jeweilige Einfuhrmitgliedstaat über die Einstufung als Arzneimittel oder Lebensmittel ohne Bindung an die Auffassung des Ausfuhrmitgliedstaats.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 56; ebenso EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz 53.
Die nationalen Behörden des Einfuhrmitgliedstaates, hier der Beklagte, haben mithin die Einstufung des streitigen Produkts mit Wirkung nur für ihren Staat vorzunehmen. Die Kontrolle der richtigen Einstufung ist sodann Sache der nationalen Gerichte.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 96 und 97; ebenso EuGH, Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Delattre-Urteil, Rz 35.
Mithin hat der Senat in dem vorliegenden Berufungsverfahren über die Einstufung des streitigen Produkts in Deutschland ohne Vorlage an den EuGH selbst zu entscheiden.
Die Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts besteht.
Der hier streitige Untersagungsbescheid vom 23.1.2002 auf der Grundlage von § 69 I Nr. 1 AMG verbietet das Inverkehrbringen des streitigen Produkts ab Bekanntgabe (25.1.2002) auf Dauer. Dauerverwaltungsakte sind häufig – so auch hier – als sich ständig aktualisierende Verwaltungsakte anzusehen, für die sodann verändertes neues Recht ebenfalls zu beachten ist.
Der Senat legt seiner Entscheidung das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende neue Recht zugrunde und geht auf älteres Recht seit 25.1.2002 (Bescheidbekanntgabe) zusätzlich ein.
Die Klägerin begehrt die Einstufung ihres Produkts als Lebensmittel.
Nach dem ab 7.9.2005 geltenden deutschen Recht werden Lebensmittel in § 2 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches – LFGB – vom 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618) wie folgt definiert:
Lebensmittel sind Lebensmittel im Sinne des Artikels 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.
Mit Blick auf älteres Recht galt zwar bis zum 6.9.2005 formell noch die Lebensmitteldefinition des § 1 I LMBG in der Fassung vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296) mit folgendem Wortlaut:
Lebensmittel im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden; ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden.
Diese Definitionsvorschrift musste aber bereits seit 21.2.2002 wegen des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts unangewendet bleiben. Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002, in Kraft getreten nach Artikel 65 am 21.2.2002, ist nach Artikel 65 der Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Einer Umsetzung bedurfte es mithin nicht. Das Gemeinschaftsrecht hat gegenüber dem nationalen Recht einen Anwendungsvorrang.
Vgl. mit näherer Begründung sowohl aus dem Gemeinschaftsrecht als auch aus dem deutschen Recht mit Blick auf Artikel 23 GG Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 10 EGV Rdnrn. 27 bis 29.
Für die Lebensmitteldefinition ist mithin auszugehen von der Gesamtdefinition (positive und negative Abgrenzung) nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 – im Folgenden Lebensmittelverordnung -, die insoweit nicht abgeändert worden ist durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 1642/2003 vom 22.7.2003. Die europäische Lebensmitteldefinition enthält in Artikel 2 I eine Positivdefinition und in Artikel 2 III eine Negativdefinition, auf die nacheinander einzugehen ist. Die Positivdefinition in Artikel 2 I Lebensmittelverordnung lautet:
Im Sinne dieser Verordnung sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.
Wie die Klägerin zu Recht hervorhebt, stellt die europäische Definition nicht mehr wie die deutsche Definition ausdrücklich auf den Ernährungs- oder Genusszweck ab. Sie ist von dem europäischen Verordnungsgeber bewusst weit gefasst. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Erwägungsgrund 11 der Lebensmittelverordnung, wonach die Definition für ein hinreichend umfassendes einheitliches Konzept der Lebensmittelsicherheit weit gefasst werden müsse.
Das Produkt der Klägerin fällt nach der Auffassung des Senats bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung unter die weite europäische Positivdefinition eines Lebensmittels. Normativ vorausgesetzt sind zunächst einmal „Stoffe“. Das Produkt der Klägerin enthält ausweislich der in Fotokopie vorgelegten Faltschachtel sowohl nach dem jetzigen Stand von 2005 als auch dem von 2002 als einzigen Inhaltsstoff 400 mg indischen Weihrauchtrockenextrakt pro Tablette. Weiterhin ist der Stoff dazu bestimmt, in verarbeitetem Zustand – als Trockenextrakt und mit den Bindemitteln einer Tablette – von Menschen aufgenommen zu werden. Dies ist der Fall, denn nach der Verzehrempfehlung soll täglich eine Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit verzehrt werden. Zugunsten der Klägerin ist damit die weite europäische Positivdefinition der Lebensmittel erfüllt.
Weiter geht der Senat noch mit Blick auf den Zeitabschnitt Januar/Februar 2002 auf den Streit der Beteiligten um die engere deutsche Positivdefinition ein, die nach § 1 I des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes – LMBG – vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296) noch zusätzlich einen Ernährungs- oder Genusszweck verlangt. Die Klägerin hat den Genusszweck einleuchtend mit drei Gutachten begründet, wonach Weihrauch seit Jahrtausenden verwendet wird, einen bitterlichen, eigenartigen Geschmack hat, sich für Gewürzzwecke eignet und ein gesundes, natürliches Gewürz darstellt.
Gutachten von Prof. Dr. Bertram vom 22.2.2001, Behördenakte Bl. 50, im Folgenden zitiert als Gutachten Bertram, dort S. 1 und S. 4; ebenso das Erstgutachten des Dipl.-Chemikers Reuss vom 10.1.2001, Behördenakte Blatt 3, im Folgenden zitiert als Gutachten Reuss, dort S. 1 zu Aromaeffekten und S. 3 zur Gewürzfunktion, sowie eingehender zu Genusszweck und ernährungsspezifischer Wirkung das weitere Gutachten des Dipl.-Chemikers Reuss vom 15.6.2003, in der Berufungsakte 3 R 7/05, im Folgenden zitiert als Zusatzgutachten Reuss.
Der Beklagte hat dem in einer relativ engen Betrachtungsweise entgegengehalten, der Weihrauch werde nach der Anwendungsvorschrift nicht als Gewürz gestreut und erfülle insofern nicht den Lebensmittelbegriff. Das überzeugt nicht, denn die deutsche Lebensmitteldefinition stellt in § 1 I LMBG auf den Verzehr selbst und nicht auf besondere Formen des Verzehrs wie etwa die Anwendung von Gewürzen nur als Streumittel ab. In der Kommentierung zur deutschen Lebensmitteldefinition ist anerkannt, dass Stoffe, die einen spezifischen Geruchs- oder Geschmackswert aufweisen wie Gewürze oder Aromastoffe, jedenfalls dem Lebensmittelbegriff unterliegen.
Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Band II, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 42, zum bisherigen deutschen Recht.
Mithin liegt nachweislich ein Aromastoff vor, der auch nach der engeren deutschen Positivdefinition als Lebensmittel anzusehen ist. Für die weitere europäische Positivdefinition genügt wie bereits dargelegt bereits die Bestimmung zur Aufnahme durch Menschen. Genussmittel und Aromastoffe sind von der europäischen Definition ohne Weiteres umfasst, was sich zusätzlich noch durch die besondere Bestimmung des Artikel 2 II Lebensmittelverordnung ergibt, wonach Kaugummi – und damit ein Genussmittel - ausdrücklich zu den Lebensmitteln gerechnet wird.
Vgl. zur deutschen Lebensmitteldefinition Zipfel/Rathke § 1 LMBG Rdnr. 31, wonach Kaugummi wegen des Genusszwecks ein Lebensmittel darstellt.
Nach allem erfüllt das Produkt der Klägerin nach der Auffassung des Senats die europäische Positivdefinition eines Lebensmittels, die bereits seit 21.2.2002 gilt, und zuvor (25.1.-20.2.2002) die deutsche Positivdefinition.
Rein vorsorglich geht der Senat noch auf den Streit der Beteiligten um die derzeitige europäische Zusatzeinstufung als Nahrungsergänzungsmittel ein. Bereits die dosierte Abgabe des Produkts in Tablettenform spricht dafür, dass zusätzlich zu der allgemeinen Lebensmitteldefinition derzeit auch die Positivdefinition eines Nahrungsergänzungsmittels erfüllt ist. Nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG vom 10.6.2002 lautet die europäische Positivdefinition wie folgt:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Nahrungsergänzungsmittel“ Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, d.h. in Form von z.B. Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen (es folgen weitere Darreichungsformen).
Damit ist im Jahr 2002 erstmals eine gemeinschaftsrechtliche Regelung der Nahrungsergänzungsmittel erfolgt. Die deutsche Umsetzung ist durch die Nahrungsergänzungsmittelverordnung vom 24.5.2004 mit Wirkung vom 28.5.2004 erfolgt, die in § 1 eine inhaltsgleiche Definition enthält. Der EuGH hat die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie nach dem zutreffenden Hinweis der Klägerin dahingehend gewürdigt, dass sie eine gewisse Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften für die dort definierten Nahrungsergänzungsmittel vornimmt.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 70.
Nahrungsergänzungsmittel müssen sowohl nach der europäischen Definition als nach der umgesetzten inhaltsgleichen deutschen Definition zunächst einmal Lebensmittel sein. Insofern ist nach den bisherigen Darlegungen des Senats – allein – die positive Lebensmitteldefinition erfüllt. Weiter kommt es auf den Nahrungsergänzungszweck an. Darauf weist die Faltschachtel des Produkts der Klägerin ausdrücklich hin; insofern bestehen keine Bedenken. Die Frage, ob Weihrauch ein Nährstoff oder ein sonstiger Stoff ist, ist zwischen den Beteiligten streitig. Ein Nährstoff liegt zwar nicht vor, da das Produkt keine der nach Artikel 4 I in Verbindung mit Anhang I der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie aufgeführten Vitamine und Mineralstoffe enthält und dies in gleicher Weise für das umgesetzte Recht nach § 3 I und Anlage 1 der deutschen Nahrungsmittelergänzungsverordnung gilt. Mit sonstigen Stoffen ist nach dem Erwägungsgrund 6 der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie eine breite Palette von Stoffen gemeint, die auch Kräuterextrakte einschließt und damit erkennbar auch Aromastoffe. Ein Aromastoff liegt wie dargelegt vor.
Weiterhin müssen nach der Definition die sonstigen Stoffe eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung haben. Mit dem Ausdruck physiologisch sind sprachlich die Lebensvorgänge im Organismus gemeint.
Duden, Das Fremdwörterbuch, 7. Auflage 2001, Stichwort Physiologie; ebenso im Sinne der Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwort Physiologie.
Demgegenüber bezieht sich die ernährungsspezifische Wirkung speziell auf die Lebensvorgänge bei der Ernährung. Dazu mag die von der Klägerin aufgestellte Behauptung der Auswirkungen etwa auf den Cholesterin-Haushalt gehören. Entscheidungserheblich ist das nicht. Ernährungsspezifische Bedeutung kann bereits ein Stoff mit bitterem Geschmack – wie hier - haben.
Vgl. Zipfel/Rathke, § 1 LMBG Rdnr. 37, dort im Zusammenhang mit der Verwendung von bitterem Chinin aus ernährungsphysiologischen Gründen.
Die Klägerin hat nunmehr mit der Vorlage des Zusatzgutachtens Reuss einleuchtend nachgewiesen, dass Weihrauchextrakt aus ernährungsspezifischer Sicht die Lebensmittel bekömmlicher macht und die Freisetzung von Verdauungssekreten vorbereitet.
Zusatzgutachten Reuss vom 15.6.2003, in der Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 97.
Mindestens liegt aber als physiologische Wirkung die Geschmackswirkung eines Aromastoffs vor. Das genügt der Richtlinie.
Weiter muss nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie und § 1 I Nr. 3 der deutschen Nahrungsergänzungsmittelverordnung ein Produkt in dosierter Form, insbesondere in Form von Tabletten vorliegen. Dies trifft auf das Produkt der Klägerin zu.
Nach dem vom Senat gefundenen Zwischenergebnis erfüllt das streitige Produkt der Klägerin entgegen der Meinung des Beklagten von Anfang an und auch jetzt die europäische und deutsche Positivdefinition eines Lebensmittels und die europäische Positivdefinition eines Nahrungsergänzungsmittels seit Erlass der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie.
Nach der Positivdefinition ist die Negativdefinition zu beachten.
Die als Verordnung unmittelbar verbindliche europäische Lebensmittelverordnung enthält neben der positiven Definition der Lebensmittel in Artikel 2 Abs. 3 auch eine Negativdefinition. Artikel 2 Abs. 3 lit. d lautete:
Nicht zu „Lebensmitteln“ gehören: Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG (21) und 92/73/EWG (22) des Rates.
Durch Artikel 128 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83 EG vom 6.11.2001 sind alle Bezugnahmen auf die bereits aufgehobenen älteren Arzneimittelrichtlinien durch die Bezugnahme auf die Humanarzneimittelrichtlinie ersetzt. Nicht zu den Lebensmitteln gehören mithin nach der Norm seit 2001 Arzneimittel im Sinne der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83 EG.
Wesentlich ist für die weitere Subsumtion, dass die Negativdefinition allein auf Gemeinschaftsrecht verweist, die Umsetzung des Arzneimittelbegriffs aus den Richtlinien in nationales Recht mithin nach der Verordnung für die Negativabgrenzung außer Betracht bleiben muss.
Die dargelegte europäische Negativabgrenzung zu einem Arzneimittel ist systemgleich für Lebensmittel im Allgemeinen und für die Untergruppe der Nahrungsergänzungsmittel. Die Klägerin meint zwar (Schriftsatz vom 6.10.2005), die Untergruppe der Nahrungsergänzungsmittel sei wegen der besonderen Harmonisierung anders zu beurteilen als die übrigen Lebensmittel und bezieht dies möglicherweise auch auf die Abgrenzung zu Arzneimitteln. Die Abgrenzung ist aber für Lebensmittel im Allgemeinen und Nahrungsergänzungsmittel systemgleich. Dies ergibt sich sowohl aus dem Normvergleich als auch der Rechtsprechung des EuGH. Die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG führt die Negativabgrenzung in Artikel 1 II wie folgt durch:
Diese Richtlinie gilt nicht für Arzneimittel, die in der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel definiert sind.
Eine „synchrone“ Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln und allgemeinen Lebensmitteln einerseits gegenüber Arzneimitteln andererseits wird vom Richtliniengeber zusätzlich dadurch erreicht, dass er in Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie Nahrungsergänzungsmittel ausdrücklich als Lebensmittel mit näher gekennzeichneten Eigenschaften definiert, mithin bereits die Lebensmitteldefinition in Artikel 2 der europäischen Lebensmittelverordnung erfüllt sein muss.
Die normativ angelegte synchrone Abgrenzung wird auch deutlich in dem Lactobact-Urteil des EuGH vom 9.6.2005. In dem Vorabentscheidungsverfahren ging es in dem Ausgangsverfahren des OVG Münster um Produkte, die von den Niederlanden nach Deutschland eingeführt und dort als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht werden sollten (Lactobact-Urteil Rz. 20). Der EuGH hat in diesem Urteil (Rz. 41 und 42) die beiden Abgrenzungsregelungen in Artikel 2 Abs. 3 Buchstabe d der Lebensmittelverordnung und Artikel 1 Abs. 2 der Nahrungsergänzungsrichtlinie synchron behandelt und als inhaltsgleich angesehen. Für die weitere gemeinschaftsrechtliche Prüfung kommt es ohne Differenzierung zwischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln mithin nur darauf an, ob das Produkt der Klägerin gleichzeitig ein Arzneimittel nach dem europäischen Arzneimittelbegriff ist.
Der Senat prüft nunmehr das Vorliegen eines Arzneimittels. Maßgebend ist dafür das Gemeinschaftsrecht.
Normativ war der europäische Arzneimittelbegriff von vornherein (seit 1965) doppelt angelegt und ist es auch jetzt. Arzneimittel sind sowohl Präsentationsarzneimittel als auch Funktionsarzneimittel.
Vgl. für die ursprüngliche Rechtslage Artikel 1 Nr. 2 Abs. 1 und 2 der Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965; sodann Artikel 1 Nr. 2 Abs. 1 und 2 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001; nunmehr in der geänderten Fassung von Artikel 1 der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.10.2005.
Die beiden Arzneimitteldefinitionen sollen sich nach der Rechtsprechung des EuGH ergänzen.
Urteil des EuGH Upjohn vom 16.4.1991 – C 112/89 -, Rz. 15 bis 18.
Mit der Definition des Präsentationsarzneimittels, das lediglich als Arzneimittel bezeichnet ist, sollen nicht nur Arzneimittel erfasst werden, die tatsächlich therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch die Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind. Die zweite Definition der Funktionsarzneimittel betrifft Erzeugnisse, die zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt sind und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben können. Durch die zweite Definition sollen auch Stoffe erfasst werden, die Heilungswirkung haben, aber nicht als Arzneimittel bezeichnet werden. Auf die formelle Zulassung kommt es nach beiden Definitionen nicht an.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das Produkt der Klägerin kein Präsentationsarzneimittel ist. Bereits auf der im Jahr 2002 verwendeten Faltschachtel (Fotokopie VG-Akte Bl. 93) wird das Mittel als Nahrungsergänzung bezeichnet mit einer Verzehrempfehlung. Auf der neuen 2005 verwendeten Faltschachtel (Fotokopie Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 51) wird das Produkt als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet und sie enthält den Hinweis, es sei kein vollständiges Lebensmittel und daher nicht als einzige Nahrungsquelle geeignet. Wesentlich für die Subsumtion ist noch, dass die Faltschachtel keinerlei Hinweis auf pharmazeutische Forschung enthält oder auf von Ärzten entwickelte Methoden oder Zeugnisse bestimmter Ärzte zugunsten der Eigenschaften des Produkts.
Zu diesen Kriterien eines Präsentationsarzneimittels vgl. das Delattre-Urteil des EuGH vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 41.
Auch der Beklagte meint, die Klägerin habe eine Präsentation als Arzneimittel vermieden. Mithin ist der Ausschluss eines Präsentationsarzneimittels übereinstimmend mit der Meinung der Beteiligten unproblematisch.
Schwieriger ist die Streitfrage zwischen den Beteiligten zu entscheiden, ob inhaltlich ein Funktionsarzneimittel vorliegt. Die Klägerin verneint dies für die maßgebende Tagesdosis von 400 mg Weihrauch, der Beklagte bejaht die Eigenschaft als Funktionsarzneimittel. Beide haben dafür wissenschaftliche Unterlagen und Gutachten vorgelegt.
Vorweg ist klarzustellen, dass der Inhaltsstoff Weihrauch unstreitig weder in der EG noch in einem Staat der EG über eine Marktgenehmigung als Arzneimittel verfügt und damit auch nicht im Ausfuhrland Österreich (vgl. insbesondere Schriftsatz der Klägerin vom 6.10.2005, S. 4/5, Gerichtsakte 3 R 7/05, Bl. 49/50). Die fehlende Zulassung steht aber der Einstufung als Funktionsarzneimittel von vornherein nicht entgegen, denn nach der Rechtsprechung des EuGH müssen Funktionsarzneimittel nicht als Arzneimittel bezeichnet sein.
EuGH im Upjohn-Urteil vom 16.4.1991, Rz. 18.
Da sie in einer solchen Aufmachung nicht zugelassen werden könnten, ist die Zulassung schon deshalb kein Definitionselement des Funktionsarzneimittels.
Zum begrifflichen Verständnis des europäischen Funktionsarzneimittels geht der Senat auf die Normentwicklung ein.
Die ursprüngliche Definition in Artikel 1 Nr. 2 Abs. 2 der Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965 lautete:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen Körperfunktionen angewandt zu werden.
Innerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des streitigen Untersagungsbescheides vom 23.1.2002 galt zunächst die Arzneimitteldefinition nach Artikel 1 Nr. 2 Abs. 2 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 in der ursprünglichen Fassung mit folgendem Wortlaut:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden, gelten ebenfalls als Arzneimittel.
Dem entspricht im Übrigen die ab 2002 geltende Umsetzung in § 2 I Nr. 5 AMG in der Fassung vom 20.6.2002 (BGBl. I. S. 2076) mit folgendem Wortlaut:
Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.
Nunmehr wird das europäische Funktionsarzneimittel nach Artikel 1 Nr. 2 Buchstabe b der Humanarzneimittelrichtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 wie folgt definiert:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.
Die letztgenannte aktuelle Definition des Funktionsarzneimittels erschließt sich wegen der zahlreichen medizinischen Fachausdrücke auch bei Hinzuziehung von Fachlexika nicht ohne weiteres, wird aber durch die dargelegte Normgeschichte und die insbesondere noch darzulegende Rechtsprechung des EuGH insgesamt verständlicher. Die Definition soll zunächst wissenschaftsbezogen und alsdann an Hand der Rechtsprechung des EuGH verständlich gemacht werden.
Nach der aktuellen Definition muss ein Funktionsarzneimittel physiologische Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen. Das Wort Physiologie bezeichnet die Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen.
Die bereits zitierte ursprüngliche Definition in der Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG hatte dafür den allgemein verständlichen Ausdruck Körperfunktionen verwendet, der die Bedeutung auch in der aktuellen Fassung zutreffend wiedergibt. Auch der EuGH verwendet in einem neueren Urteil von 2004 noch den Ausdruck Körperfunktionen mit Blick auf Funktionsarzneimittel.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58.
Nach der neuesten Definitionsfassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG wird die Art der Beeinflussung noch präzisiert. Es muss sich um eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung handeln. Bei der Immunologie geht es um die Erkennungs- und Abwehrmechanismen des Organismus gegenüber körperfremden Substanzen und metabolisch bedeutet den Stoffwechsel betreffend.
Beide Definitionen aus Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwörter Immunologie und metabolisch.
Fallbezogen von Bedeutung ist nur die pharmakologische Wirkung eines Stoffes. Aus wissenschaftlicher Sicht ist unter Pharmakologie die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen und Organismus zu verstehen einschließlich dem Untergebiet Toxikologie.
Die Pharmakologie betrifft ambivalent sowohl die Heilwirkung als auch die Giftwirkung eines Stoffes. Auch die Klägerin bezieht in ihrem Schriftsatz vom 6.12.2005 die toxische Dosierung in die pharmakologische Wirkung ein. Aus wissenschaftlicher Sicht bedeutet ein Pharmakon einen körperfremden oder körpereigenen Stoff, der nach Aufnahme im Körper oder an dessen Oberfläche erwünschte oder schädliche Wirkungen hervorruft.
Quantitativ wird das in der Dosis-Wirkungs-Kurve erfasst.
Hunnius, Stichwort Dosis-Wirkungs-Kurve.
Bei diesem wissenschaftlichen Verständnis umfasst das Funktionsarzneimittel mit seiner pharmakologischen Wirkung nicht nur den Bereich einer positiven, therapeutischen Beeinflussung der Körperfunktionen, sondern auch den Bereich einer negativen, schädlichen Beeinflussung der Körperfunktionen. Kurz gesagt umfasst ein Funktionsarzneimittel positive und negative Auswirkungen auf die Gesundheit.
Das dargelegte wissenschaftsbezogene Verständnis der Definition entspricht auch dem praktischen Verständnis der europäischen Definition nach der Rechtsprechung des EuGH.
Der EuGH hat in einer neueren Entscheidung vom 29.4.2004 – C – 387/99 – betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58, eine allgemein verständliche Definition des europäischen Funktionsarzneimittels gegeben:
Für die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel nach der Funktion müssen sich die Behörden daher vergewissern, dass es zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann.
Aus demselben Urteil des EuGH vom 29.4.2004 ergibt sich auch, dass er die Auswirkungen auf die Gesundheit ambivalent, als sowohl positiv als auch negativ versteht, da er im Rz. 56 die positive Wirkung der Vitamine zu therapeutischen Zwecken und in Rz. 60 die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Gesundheit einschließlich etwaiger Schädlichkeitsgrade anspricht.
Die ambivalenten heilenden oder schädigenden Gesundheitswirkungen machen wie dargelegt die Besonderheit eines Pharmakons aus. Auf der Normebene hat erst die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG die pharmakologische Wirkung ausdrücklich in die Definition des Funktionsarzneimittels aufgenommen. Damit hat der Richtliniengeber aber kein Neuland betreten, sondern die bisherige Rechtsprechung des EuGH übernommen, der in ständiger Rechtsprechung auf die pharmakologischen Eigenschaften des abzugrenzenden Produkts abstellt.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 – betreffend Vitaminpräparate Rz. 62; Upjohn Urteil vom 16.4.1991 – C – 112/89 -, Rz. 23, 24; Delattre-Urteile vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 26.
Die pharmakologischen Eigenschaften des Produkts werden damit als wesentlicher Gesichtspunkt für die Abgrenzung betrachtet. In der Rechtsprechung des EuGH drücken die pharmakologischen Eigenschaften zusammenfassend das aus, was mit der Beeinflussung der Körperfunktionen und somit Auswirkungen auf die Gesundheit konkreter umrissen ist. Deutlich wird der Zusammenhang insbesondere in dem Urteil Upjohn vom 16.4.1991 – C – 112/89 -, Rz. 17-24, in dem zunächst die Beeinflussung der Körperfunktionen mit Auswirkungen auf die Gesundheit dargelegt wird (Rz. 17), im Folgenden die Beeinflussung der Körperfunktionen näher erläutert wird (Rz. 19-22) und im unmittelbaren Anschluss daran (Rz. 23 und 24) zusammenfassend entschieden wird, dass das nationale Gericht auf die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses abstellen muss.
Übereinstimmend mit der bisherigen Rechtsprechung definiert der EuGH in seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 52, den Rechtsprechungsbegriff der pharmakologischen Eigenschaften wirkungsbezogen wie folgt:
Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, auf dessen Grundlage die mitgliedstaatlichen Behörden ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten dieses Erzeugnisses zu beurteilen haben, ob es im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden.
Die dargelegte Definition der pharmakologischen Eigenschaften klingt etwas kompliziert, fasst aber nur die bisherige Rechtsprechung zusammen, wonach der Begriff der pharmakologischen Eigenschaften konkret die Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen (Körperfunktionen) bedeutet. Die pharmakologischen Eigenschaften entsprechen also den pharmakologischen Wirkungen im Sinne des neuen Rechts.
Nach dem dargelegten Gesamtzusammenhang ist der bisherige Rechtsprechungsbegriff der pharmakologischen Eigenschaften von dem Richtliniengeber in der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG in Form einer pharmakologischen Wirkung in den Normtext aufgenommen worden. Die im Jahr 2004 geänderte Definition des Funktionsarzneimittels führt mithin nicht zu einer substanziellen Rechtsänderung.
In der Substanz der europäischen Arzneimitteldefinition geht es nach wie vor darum, ob ein Produkt zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58.
Klar zu unterscheiden von der Auslegung der europäischen Normen, die der EuGH vorgenommen hat, ist die Rechtsanwendung. Im Lactobactfall des EuGH zielte die Vorlagefrage 1 a des OVG Münster, vgl. in der Wiedergabe des EuGH Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 25, unmittelbar auf die Feststellung, ob das Produkt Lactobact Lebensmittel oder Arzneimittel ist mit gegebenenfalls Verbindlichkeit für alle Mitgliedstaaten. Der EuGH hat in dem Lactobact-Urteil (Rz. 96) mit Blick auf die klare Aufgabentrennung zwischen nationalen Gerichten und Gerichtshof klargestellt, dass er im Vorlageverfahren nicht befugt ist über den Sachverhalt zu entscheiden und dass es vielmehr Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Einstufung selbst vorzunehmen (Rz. 97). Ungeachtet dessen hat der EuGH in dem Lactobact-Urteil sowie schon zuvor Rechtsanwendungshinweise gegeben, die sich im Sinne einer Vollständigkeitsanforderung zusammenfassen lassen. Bei der Beurteilung eines Erzeugnisses müssen die Behörden (Lactobact-Urteil Rz. 51), alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, berücksichtigen.
Zur Klarstellung weist der Senat aber darauf hin, dass die Berücksichtigung sämtlicher Merkmale nicht deren Gleichrangigkeit bedeutet. Während die Wirkungen des Produkts auf die Körperfunktionen und damit die Gesundheitsauswirkungen als pharmakologische Eigenschaften schon definitionsgemäß wesentliche Bedeutung haben, hat der EuGH im Lauf seiner Rechtsprechung die Bedeutung der anderen Merkmale zu Hilfsmerkmalen herabgestuft. So hat er entschieden, dass etwa die äußere Form des Produkts kein allein ausschlaggebendes Indiz ist und die Modalitäten des Gebrauchs ein nicht an sich ausschlaggebender Umstand sind.
Vgl. zum Ersteren Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 38 und zum Letzteren Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 31.
Weiterhin hat eine unterschiedliche Verbreitung und Verbraucherbekanntheit des Produkts als Arzneimittel oder Lebensmittel in verschiedenen Mitgliedstaaten keine unmittelbar ausschlaggebende Wirkung, da der EuGH die unterschiedliche Einstufung von Erzeugnissen als Arzneimittel oder Lebensmittel in verschiedenen Mitgliedstaaten als rechtlich zulässig betrachtet.
EuGH im Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 56.
Nach der BGH-Rechtsprechung haben für die Produkteinstufung nach dem gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff Werbeangaben in Zeitschriften verglichen mit den pharmakologischen Wirkungen keine ausschlaggebende Bedeutung.
BGH, Urteil vom 11.7.2002 – I ZR 273/99 -, Juris-Ausdruck Rz. 23.
Der BGH gewichtet die pharmakologische Wirkung der Präparate deutlich stärker als die Verbraucherkenntnisse aus den Medien, was auch dem Sinn der EuGH-Rechtsprechung entspricht. Der EuGH schließt nicht aus, dass ein Produkt im Verkehr im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird, aber dennoch ein Arzneimittel im Sinne des europäischen Rechts ist.
EuGH, Urteil Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 21.
Die allgemeine Verkehrsauffassung ist also nicht ausschlaggebend.
Damit sind die Grundlagen der Einstufung eines Produkts als europäisches Funktionsarzneimittel geklärt.
Auf der dargelegten Grundlage bedarf es einer konkreten Prüfung, ob das Produkt der Klägerin ein Funktionsarzneimittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts ist.
Der Senat nimmt diese Prüfung von Amts wegen vor, worauf die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden sind. Dabei sind die von den Beteiligten vorgelegten wissenschaftlichen Unterlagen und Gutachten gleichrangig heranzuziehen.
Nach der vom EuGH geforderten Berücksichtigung aller Merkmale des Produkts ist zunächst die Zusammensetzung zu betrachten. Ausweislich der fotokopierten Faltschachteln von 2002 und 2005 (VG-Akte Bl. 93/94 und OVG-Akte 3 R 7/05 Bl. 51) besteht das Mittel abgesehen von hier nicht interessierenden Tablettenhilfsstoffen nur aus einem Inhaltsstoff, nämlich indischem Weihrauchtrockenextrakt von 400 mg pro Tablette; die Verzehrempfehlung lautet:
Täglich 1 Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit verzehren.
Die neue Faltschachtel von 2005 enthält zusätzlich den Hinweis, dass die täglich empfohlene Verzehrempfehlung nicht überschritten werden soll. Aus der Verzehrempfehlung ergibt sich zugleich, dass der Inhaltsstoff im menschlichen Körper verwendet werden soll.
Sodann sind im Sinne des EuGH Prüfungsschwerpunkt die pharmakologischen Eigenschaften des Inhaltsstoffs Weihrauch. Es kommt darauf an, ob Weihrauchextrakt physiologische Funktionen beeinflusst, und zwar durch eine pharmakologische Wirkung. Wie bereits dargelegt bedeutet die Prüfung einfacher ausgedrückt, ob Weihrauchextrakt Körperfunktionen beeinflusst mit positiven oder negativen Auswirkungen auf die Gesundheit.
Nach den dem Senat vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Gutachten zum Wirkstoff Weihrauch handelte es sich ursprünglich um ein traditionelles Mittel in Indien.
Vgl. umfassend die auf Anregung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) durchgeführte Veröffentlichung von Privatdozent Safayhi und Prof. Dr. Ammon, Pharmakologische Aspekte von Weihrauch und Boswelliasäuren, im Folgenden zitiert als Safayhi/Ammon, in: Sonderdruck der Pharmazeutischen Zeitung Nr. 39, 142. Jahrgang 1997, S. 1 ff., dort S. 1 und S. 2; weiter Ammon Kurzbericht, Salai-Guggal – (Indischer Weihrauch), Gummiharz aus Boswellia serrata, in: Deutsches Ärzteblatt 95, Januar 1998, S. A-30 ff, im folgenden zitiert als Kurzbericht Ammon, dort S. A-30; zur traditionellen therapeutischen Verwendung in Asien und zur Herstellung des Therapeutikums in Indien; vgl. das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Bertram vom 22.2.2001 zur pharmakologischen Wirkung von Weihrauch, im Folgenden zitiert als Gutachten Bertram, dort S. 1 und S. 2.
Der Klägerin ist zuzustimmen, dass die Zuordnung eines Produkts zur traditionellen Ayurveda-Medizin ganzheitlich auch im Sinne einer gesunden Lebensweise mit geeigneten Lebensmitteln zu verstehen sein kann und für sich genommen nicht eine pharmakologische Wirkung nach modernen Wissenschaftsmaßstäben indiziert, vgl. zum ganzheitlichen Konzept der Ayurveda (Wissen vom Leben) Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage 2003, Stichwort Ayurveda.
Die pharmakologischen Wirkungen der Hauptinhaltsstoffe von Weihrauch wurden indes in jüngster Zeit wissenschaftlich erforscht, und zwar in Untersuchungen ab 1986.
Gutachten Bertram, S. 1, und Jahreszahl bei Safayhi/Ammon, S. 2.
Das Hauptergebnis der bisherigen Forschung liegt nach der Angabe von Fachlexika sowie nach den von beiden Beteiligten vorgelegten wissenschaftlichen Unterlagen und Gutachten darin, dass Weihrauchextrakt mit seinem Gehalt an Boswelliasäuren Entzündungsprozesse beeinflusst.
Safayhi/Ammon, mit ausführlicher Darlegung der Entzündungsmodelle, S. 2 – S. 5; Kurzbericht Ammon, S. A-30; Gutachten Bertram, S. 2, wobei die Bezeichnung antiphlogistische Wirkungen entzündungshemmende Wirkungen bedeutet; Roche Lexikon Medizin, 5. Aufl. 2003, Stichwort Boswellia serrata, mit Hinweis auf die nachgewiesene Wirkung bei den Entzündungskrankheiten Colitis ulcerosa und Enteritis regionalis (Crohn-Krankheit) sowie unterstützend bei Polyarthritis; zurückhaltender im Sinne zugeschriebener Wirkungen bei Entzündungskrankheiten Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Aufl. 2004, Stichwort Boswellia serata unter Weiterverweisung auf das Stichwort Boswellia bhaw-dajiana; zurückhaltend ebenfalls das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Reuss, S. 1, wonach Weihrauch nach vorliegenden wissenschaftlichen Publikationen eine arzneiliche Wirkung haben soll und es (S. 2) für entzündliche Erkrankungen einen therapeutisch beanspruchten Anwendungsbereich gibt, positiv Bertsche/Schulz, Kurzbewertung, 2002, Berufungsakte 3 R 7/05 Bl. 71 R.; ebenso Gupta u.a., 2001, Zusammenfassung einer Forschungsarbeit zur Colitis, Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 75.
Die bei chronischen Entzündungen ablaufenden soweit hier einschlägigen Körperprozesse sind bei Safayhi/Ammon S. 2 und 3, als Kausalketten im Sinne eines Entzündungsmodells zusammengefasst. Danach ist die 5 – Lipoxygenase das Schlüsselenzym der Leukotrienbiosynthese. Die Produkte der 5 – Lipoxygenase, die Leukotriene, sind hochwirksame Mediatoren (Förderer) chronischer Entzündungen. Pharmazeutisch gesucht zur Entzündungsbekämpfung werden mithin Inhibitoren (Hemmstoffe), die bereits das Schlüsselenzym, die 5 – Lipoxygenase, hemmen. Solche Hemmstoffe sind zwar in der Forschung bekannt, haben aber regelmäßig reduzierende oder oxidierende Eigenschaften und wirken sich deshalb toxisch aus. Pharmazeutisch gesucht werden deshalb Inhibitoren der chronischen Entzündungen mit besserer Verträglichkeit. Die Boswelliasäuren – chemisch Triterpene - als Inhaltsstoffe des Weihrauchs erweisen sich nach den Forschungsergebnissen als nicht reduzierende oder oxidierende und insofern einmalige Hemmstoffe der Leukotriensynthese und damit chronischer Entzündungen (Safayhi/Ammon S. 4 mit einem Diagramm). Der bei Safayhi/Ammon eingehend dargelegte Wirkungsmechanismus der Leukotrienhemmung wird in anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und im Gutachten Bertram der Klägerin kurz dargestellt oder erwähnt.
Kurzbericht Ammon, a.a.O., S. A-31; Kurzbewertung Bertsche/Schulz, S. 1; das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Bertram, S. 2/3; zurückhaltend Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, Stichwort Boswellia serrata unter Weiterverweisung auf Boswellya bhaw-dajiana, positiv Bertsche/Schulz, S. 1; Gupta u.a., Zusammenfassung S. 1.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Boswelliasäuren, allerdings in wesentlich höheren Konzentrationen, auch zur Behandlung von Hirnödemen bei Tumoren eingesetzt werden.
Safayhi/Ammon, S. 7, dort zu einer täglichen Dosis von 3600 mg, Bertsche/Schulz, S. 2: mindestens 3600 mg.
Begrenzt auf die Behandlung von Ödemen bei Gehirntumoren und damit auf diesen hoch dosierten Anwendungsbereich ist der vorgelegte Bescheid der Europäischen Kommission vom 21.10.2002 (Berufungsakte Bl. 69 R) ergangen, der Weihrauchextrakt als potenzielles Arzneimittel für diese seltene Krankheit ausweist; auf die Rechtswirkung dieses Bescheides ist noch einzugehen.
Vorliegend ist wesentlich, dass Weihrauchextrakt abgesehen von diesem seltenen Anwendungsbereich ganz allgemein Entzündungen beeinflusst.
Der dargelegte Wirkungsmechanismus bei Entzündungen bedeutet im Sinne der Definition des EuGH, dass die Körperfunktionen beeinflusst werden, und zwar mit Auswirkungen auf die Gesundheit. Chronische Entzündungen werden mit positiver Gesundheitswirkung gehemmt. Bei dem Eingriff in die bei Entzündungen ablaufenden Körperprozesse handelt es sich um eine pharmakologische Wirkung hier im Sinne einer positiven therapeutischen Einwirkung. Eine pharmakologische Wirkung von Weihrauch wird in der Veröffentlichung von Safayhi/Ammon (S. 8) ausdrücklich bejaht. Auch das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten Bertram gibt an, dass die pharmakologischen Wirkungen der Hauptinhaltsstoffe von Weihrauch erst in jüngster Zeit systematisch beforscht wurden (S. 1), weist auf antientzündliche Wirkungen hin und gibt dazu den wahrscheinlichen Wirkmechanismus an (S. 2).
Damit ist aber nach den vorliegenden Forschungsergebnissen die Wirkung von Weihrauchextrakt auf Entzündungsprozesse noch nicht erschöpft. Weihrauchextrakt kann auch den umgekehrten Effekt haben, dass er – nunmehr in niedriger Konzentration – Entzündungsprozesse fördert. Die pharmakologische Wirkung soll vom Sinn her - dem Gesundheitsschutz des Verbrauchers - die ambivalenten Gesundheitswirkungen insgesamt erfassen. Insofern greift die Argumentation der Klägerin zu kurz, die negative Gesundheitsauswirkungen nur bei Überdosierung, nicht bei Unterdosierung in den Blick nimmt. Ergeben wie hier beim Weihrauchextrakt Forschungsergebnisse eine negative Gesundheitsauswirkung ausnahmsweise bei Unterdosierung, muss sie zum Gesundheitsschutz auch rechtlich als pharmakologische Wirkung beachtet werden.
Das „Umkippen“ der Wirkung erklärt sich aus der chemischen Vielfalt von Weihrauchextrakt. Es gibt keinen einheitlichen Wirkstoff Boswelliasäure, sondern unterschiedliche Boswelliasäuren mit unterschiedlichen pharmazeutischen Wirkungen.
Bertsche/Schulz, S. 1; konkreter zu den unterschiedlichen Boswelliasäuren und ihren Wirkungen vgl. bei Safayhi/Ammon, S. 4, die Tabelle 1; zum Gehalt von indischem Weihrauch an pentazyklischen (fünfringigen) Triterpensäuren und tetrazyklischen (vierringigen) Triterpensäuren Gutachten Bertram, S. 2.
Wesentlich ist das Zusammenwirken der Inhaltsstoffe, die auch antagonistisch (im Sinne der Gegenwirkung) wirken können.
Safayhi/Ammon S. 5 und S. 8, Bertsche/Schulz, S. 1.
Eine hinreichend starke Gegenwirkung bedeutet konkret, dass Weihrauchextrakt dann die Leukotriensynthese und damit den chronischen Entzündungsprozess verstärkt. Gerade für einen solchen Umkehreffekt liegen Forschungsergebnisse vor.
Schlusswort Ammon als Ergänzung des Kurzberichts in: Deutsches Ärzteblatt 95, Oktober 1998, S. A-2482, im Folgenden zitiert als Schlusswort Ammon; ebenso als Forschungsergebnis berücksichtigt in dem von der Klägerin selbst vorgelegten Gutachten Bertram vom 22.2.2001, S. 3; Bertsche/Schulz, S. 1.
Verantwortlich gemacht für den Umkehreffekt werden die Tirucallsäuren.
So als positive Feststellung Bertsche/Schulz, S. 1; als Möglichkeit Gutachten Bertram, S. 3.
Konsequenterweise sehen Bertsche/Schulz die im Weihrauchextrakt enthaltenen Tirucallsäuren als pharmakologisch wirksame Substanzen an.
Bertsche/Schulz, S. 1.
Die Tirucallsäuren wirken bereits bei niedriger Dosierung des Stoffgemischs, die Boswelliasäuren erst bei höherer Dosierung.
In dem zitierten Schlusswort von Ammon (S. A-2482) wird nochmals hervorgehoben, dass Weihrauchextrakte nicht eine einzelne Wirksubstanz enthalten, sondern ein Gemisch von Wirksubstanzen mit nicht einheitlichem Wirkungsmechanismus. Sodann ist ausgeführt, dass die richtige Dosierung eine wesentliche Rolle spielt. Das räumt auch die Klägerin ein. Danach heißt es wörtlich:
Bei niedriger Dosierung eines Extraktes kann es sogar zu einer Stimulierung der Leukotriensynthese kommen.
Wie bereits dargelegt bedeutet die Stimulierung der Leukotriensynthese auch eine Verstärkung der chronischen Entzündungsprozesse und damit eine pharmakologisch negative Wirkung. Das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten Bertram, S. 3, bestätigt dieses Forschungsergebnis, dass in niedriger Dosierung die Bildung von 5 – Lipoxygenaseprodukten erhöht sein kann und fügt hinzu, diesem Befund müsse weiter nachgegangen werden. Die im Gutachten Bertram genannten 5 – Lipoxygenaseprodukte sind gerade die Leukotriene und fördern als Mediatoren chronische Entzündungen.
Ausführlich zu der gesamten Kausalkette Safayhi/Ammon, S. 3, und kurz zusammengefasst Gutachten Bertram, S. 2.
Das einleuchtend mit der antagonistischen Wirkung und damit mit der Wirkung einzelner Wirkstoffe des Stoffgemischs Weihrauch – Tirucallsäuren - erklärte Forschungsergebnis muss bei den pharmakologischen Wirkungen von Weihrauch beachtet werden.
Die vom Senat aus Verständnisgründen zunächst nur qualitativ dargelegte pharmakologische Wirkung bedarf mit Blick darauf, dass das Produkt der Klägerin eine Tagesdosis von 400 mg Weihrauch in Form einer Tablette empfiehlt, nun auch einer quantitativen Darlegung. Von dieser empfohlenen Menge – die nach der neuen Packungsangabe auch nicht überschritten werden soll – ist vernünftigerweise auszugehen. Die von dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in seiner Stellungnahme vom 29.9.2005 erwähnte Möglichkeit einer Mehrfacheinnahme würde im Grunde jede Dosierungsvorschrift bei anerkannten Arzneimitteln entwerten und überzeugt schon deshalb nicht. Die Kritik der Klägerin an dieser Stellungnahme trifft zu.
Nach den vorliegenden Forschungsergebnissen ist das quantitative Spektrum pharmakologischer Wirkungen (positiv und negativ) des Weihrauchs relativ weit. Nach übereinstimmenden Feststellungen von Safayhi/Ammon, S. 7, und dem Bertramgutachten, S. 3, werden insbesondere Tumorpatienten mit der hohen Tagesdosis von 3600 mg Weihrauch-Trockenextrakt in wissenschaftlichen Studien behandelt. In diesem hoch dosierten Bereich ist auch der positive Bescheid der Europäischen Kommission vom 21.10.2002 zur Ausweisung als Forschungsarzneimittel ergangen. Die Grenze guter Verträglichkeit von Weihrauchextrakt liegt in der Regel bei 1200 mg pro Tag, während hohe Dosen von 3600 mg pro Tag zu Nebenwirkungen führen können.
Safayhi/Ammon, S. 7, zu relativ seltenen Nebenwirkungen Bertsche/Schulz, S. 2.
Für die im vorliegenden Rechtsstreit erhebliche Hauptwirkung von Weihrauch, die antientzündliche Wirkung, wird nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Veröffentlichungen und Gutachten eine Tagesdosis von ungefähr 800 bis 1600 mg verabreicht.
So Gutachten Reuss vom 10.1.2001, S. 2, mit Blick auf die publizierten Studien; ähnlich Safayhi/Ammon mit der Tagesdosis von 800 bis 2000 mg in einer Pilotstudie (S. 5) und der Verabreichung von 1050 mg bei Colitis ulcerosa (S. 7); das Gutachten Bertram kommt allerdings unter Einschluss der sehr hohen Dosierungen bei Tumorpatienten (S. 3) zu einer höheren pharmakologischen Dosis zwischen insgesamt 900 und 3600 mg am Tag (S. 4); Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 29.9.2005: ab 900 mg; Bertsche/Schulz, S. 1 und 2: 900 mg bei Asthma, mindestens 3600 mg bei Ödemen.
Eine positive Wirkung auf Entzündungen ist nach dem Forschungsstand, wie er dem Senat aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich ist, mithin ungefähr bei einer Tagesdosis von 800 bis 1600 mg gegeben.
Von der regelmäßigen pharmakologischen Tagesdosis von 800 bis 1600 mg ist der tiefer liegende untere Dosisbereich bei Weihrauch zu unterscheiden. Den unteren Dosisbereich siedelt das Gutachten Bertram bei einer Tagesdosis unter 500 mg an, wie sie hier vorliegt.
Gutachten Bertram vom 22.2.2001, S. 1 (unterer Dosisbereich) im Zusammenhang mit S. 4 (Tagesdosis unter 500 mg).
Da die Untergrenze des positiven therapeutischen Einsatzes von Weihrauchextrakt nach den vorliegenden Veröffentlichungen und Gutachten wie dargelegt bei 800 bis 900 mg Tagesdosis liegt, ist die Hälfte der Untergrenze (ca. 450 mg) sicherlich als niedrige Dosierung anzusehen.
Gerade bei einer niedrigen Dosierung von Weihrauchextrakt kommen nach den dargelegten Forschungsergebnissen aber die antagonistischen Wirkungen des Stoffgemischs aus Boswelliasäuren und Tirucallsäuren zur Geltung. Das Forschungsergebnis der Stimulierung der Leukotriensynthese und damit der Verstärkung von Entzündungsprozessen betrifft den Fall der niedrigen Dosierung des Weihrauchextraktes.
Übereinstimmend Schlusswort Ammon, S. A-2482, Gutachten Bertram, S. 3, und Bertsche/Schulz, S. 1 und 2.
Die dem Gericht vorliegenden Forschungsunterlagen und Gutachten enthalten keine Gegenfeststellung, die dieser antagonistischen Wirkung konkret widerspricht. Konsequenterweise kommen Bertsche/Schulz (S. 1) zu dem Ergebnis, dass die im Weihrauchextrakt enthaltenen Tirucallsäuren als Verursacher des Umkehreffekts in niedriger Konzentration des Weihrauchextrakts pharmakologisch wirksame Substanzen sind.
Diese Konsequenz ziehen die von der Klägerin selbst vorgelegten Gutachten zwar nicht. Die von der Klägerin vorgelegten Gutachten Bertram und Reuss kommen nur deshalb zum Ausschluss einer pharmakologischen Wirkung in niedriger Dosis, weil sie die maßgebende pharmakologische Wirkung auf die therapeutische Wirkung einengen.
Das Gutachten Reuss (S. 2) nimmt von vornherein nur den therapeutisch beanspruchten Anwendungsbereich in den Blick und schließt die therapeutisch verstandene pharmakologische Wirkung bei einer niedrigen Dosis von 30 % beziehungsweise 50 % der üblichen Dosis aus. Nichts anderes gilt für das Gutachten Bertram (S. 4). Die Bewertung der Dosisbereiche wird mit Blick auf den ausdrücklich angeführten therapeutischen Erfolg vorgenommen, und insoweit einer Tagesdosis unter 500 mg keine pharmakologische Wirkung mehr beigemessen. Nur bei dieser aus dem Gutachtentext ersichtlichen Auslegung bleibt das Gutachten widerspruchsfrei, denn der Gutachter Bertram hat bei der Betrachtung des Wirkmechanismus durchaus gesehen (S. 3), dass bei niedrigerer Dosierung die Bildung von Entzündungsverstärkern erhöht sein kann.
Nach allem ist ersichtlich, dass beide von der Klägerin vorgelegten Gutachten Bertram und Reuss nur den therapeutisch beanspruchten Anwendungsbereich bei niedriger Dosierung ausschließen. Eine positive Wirkung fehlt nach den Gutachten in diesem Bereich und eine negative Wirkung wird ausgeblendet.
Entscheidend sind aber die Forschungsergebnisse über einen Umkehreffekt bei niedriger Dosis. Die Hauptwirkung auf Entzündungsprozesse kehrt sich um. Diese Forschungsergebnisse werden in den vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Gutachten an keiner Stelle konkret angegriffen. Die Forschungsergebnisse sind auch mit Blick auf den dargelegten antagonistischen Effekt des Stoffgemischs für das Gericht einleuchtend nachvollziehbar und überzeugend. Die Tirucallsäuren wirken bereits bei niedriger Dosierung des Stoffgemischs, die Boswelliasäuren erst bei höherer Dosierung. Mithin besteht zwischen den Gutachten und den wissenschaftlichen Veröffentlichungen insgesamt kein konkreter fachlicher Widerspruch, der die Einholung eines Obergutachtens durch den Senat bei der von Amts wegen durchgeführten Prüfung aufdrängen würde.
Nach der dargelegten Würdigung hat das Wirkstoffgemisch Weihrauch bei einer Gesamtbetrachtung der positiven und negativen pharmakologischen Wirkungen ein weites Spektrum der pharmakologisch wirksamen Tagesdosis.
Eine hohe Tagesdosis von etwa 3600 mg entspricht der Ödembehandlung von Tumorpatienten und ist Gegenstand einer europäischen Ausweisung als Forschungsarzneimittel.
Die positive pharmakologische Wirkung im Sinne einer Therapie von Entzündungen besteht in einem Dosisbereich etwa zwischen 800 und 1600 mg Tagesdosis.
Bei einer niedrigen Tagesdosis von 400 bis 500 mg gibt es unwidersprochene Forschungsergebnisse im Sinne einer Verstärkung von Entzündungen insbesondere durch Tirucallsäuren und damit einer negativen pharmakologischen Wirkung. Eine Gesundheitsgefahr ist hier dem Grunde nach zu bejahen. Mit Blick auch auf die antagonistischen Wirkungen kommt auch die wissenschaftliche Veröffentlichung Safayhi/Ammon (S. 8) zu dem Ergebnis, von einer freizügigen Abgabe von Weihrauch sei abzuraten. Bertsche/Schulz warnen mit Blick auf den Umkehreffekt vor nicht ausreichend hoher Dosierung und befürworten sogar die Hochdosierung von 3600 mg.
Bertsche/Schulz, S. 2.
Daran gemessen fällt die tägliche Einnahme von 400 mg Weihrauchextrakt erkennbar in den zu vermeidenden niedrigen Dosisbereich.
Nach allem ist eine Beeinflussung von Körperfunktionen mit pharmakologischer Wirkung und damit positiven oder negativen Auswirkungen auf die Gesundheit für Weihrauchextrakt nicht nur in hohen, sondern auch in niedrigen Tagesdosen wie hier von 400 mg aufgrund der Forschungsergebnisse zu bejahen.
Gesundheitsgefahren sind bei einem Funktionsarzneimittel in jedem Fall zu berücksichtigen.
EuGH, Urteil vom 9.6.2005 - C-211/03 -, Rz. 53, dort als eigenständiger Faktor hervorgehoben.
Die bereits dargelegte gemeinschaftsrechtliche Definition des Funktionsarzneimittels in der Arzneimittelrichtlinie ist erfüllt, da eine Beeinflussung physiologischer Funktionen durch pharmakologische Wirkungen nach dem Forschungsstand zu bejahen ist. Weihrauch hat die pharmakologische Wirkung, dass er die Körperfunktionen bei Entzündungsprozessen mit Auswirkungen auf die Gesundheit beeinflusst.
Mit der Betrachtung der pharmakologischen Eigenschaften des Wirkstoffs in dem streitigen Produkt der Klägerin ist die Subsumtion erst im Schwerpunkt abgeschlossen.
Wie dargelegt bedarf es nach der Rechtsprechung des EuGH für die Einstufung eines Produkts der Berücksichtigung aller seiner Merkmale. Dazu gehören über die geprüfte Zusammensetzung, die pharmakologischen Eigenschaften und die Risiken hinaus noch die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung und die Bekanntheit bei den Verbrauchern.
EuGH im Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 51.
Mithin sind noch diese Hilfsmerkmale nachfolgend zu berücksichtigen.
Zu beginnen ist mit den Modalitäten des Gebrauchs. Nach der Anweisung auf der Faltschachtel ist täglich eine Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit zu verzehren. Darin liegt einerseits die für Arzneimittel übliche Einnahme, andererseits werden nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls in dosierter Form unter anderem in Tablettenform eingenommen. Das Merkmal ist also nicht trennscharf. Auch der EuGH hat dem Umstand, dass ein streitiges Erzeugnis nach der Gebrauchsanweisung in Wasser oder Joghurt verrührt werden sollte, keine an sich ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 31.
Als nächster Gesichtspunkt ist die Verbreitung des weihrauchhaltigen Produkts der Klägerin in den Blick zu nehmen. Die Klägerin importiert ihr Produkt aus Österreich und bringt es als Nahrungsergänzungsmittel auf den deutschen Markt. Werbung für ihr Produkt wie für ein Arzneimittel betreibt sie nach der insoweit unwidersprochenen Klagebegründung (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 15) nicht. Das namensgleiche Produkt wird in Österreich selbst ebenfalls als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht, indessen nicht von der Klägerin, sondern von der Firma G. Die Firma G hat das namensgleiche Produkt in Österreich als Verzehrprodukt angemeldet (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 27) und betreibt in Österreich nach dem belegten Vortrag des Beklagten Werbung für die entzündungshemmende Wirkung der namensgleichen Weihrauchtabletten ebenfalls mit dem Inhalt von 400 mg Weihrauch.
Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 17.10.2002, S. 2 (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 111) und Auszug aus der Homepage der österreichischen Firma (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 113).
Weiterhin ist das namensgleiche Produkt nach dem belegten Vortrag der Klägerin in Großbritannien als Nahrungsmittel im freien Verkehr.
Bescheinigung des britischen Agrarministers vom 9.8.2001, Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 28.
Ergänzend ist noch die Verbreitung von nicht namensgleichen Konkurrenzprodukten mit dem identischen Inhaltsstoff Weihrauch in den Blick zu nehmen. Insoweit hat die Klägerin nachgewiesen, dass auf dem deutschen Apothekenmarkt ausweislich des zentralen Bestellsystems der Lauer-Taxe insgesamt 11 nicht namensgleiche Weihrauchprodukte als Nahrungsergänzungsmittel bestellt werden können.
Schriftsatz vom 11.8.2005, S. 3/4, OVG Akte 3 R 7/05 Bl. 20/21 mit Anlage K 22, OVG Akte Bl. 23 ff..
Bei einer Würdigung der Verbreitung des namensgleichen Produkts der Klägerin muss gesehen werden, dass das Produkt in drei Staaten der EU – Österreich, Deutschland und Großbritannien - als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt ist. In Österreich wird es – allerdings nicht von der Klägerin – von der vertreibenden Firma als entzündungshemmend und damit wie ein Arzneimittel beworben.
Zur rechtlichen Qualifizierung vgl. das Urteil des EuGH Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 – Rz. 27, wonach eine Veröffentlichung des Herstellers oder Verkäufers mit der Bezeichnung therapeutischer Wirkungen als entscheidendes Indiz für die Absicht des Herstellers oder Verkäufers anzusehen ist, das Erzeugnis als Präsentationsarzneimittel in den Verkehr zu bringen.
Eine Verkehrsgenehmigung auf EU-Ebene hat hoch dosierter Weihrauchextrakt als Mittel gegen Gehirnödeme noch nicht, wohl aber den Status eines Forschungsarzneimittels.
Den vom Beklagten vorgetragenen Import von Weihrauchextrakt als Fertigarzneimittel aus der Schweiz und aus Indien hält die Klägerin für unzulässig, da es im Fall der Schweiz an einer landesweiten Arzneimittelzulassung und im Fall Indiens an einer mit deutschem Recht vergleichbaren Zulassung fehle, vielmehr Weihrauchextrakt in Indien ein Lebensmittel sei und der Lebensmittelüberwachung unterliege. Dieser Vortrag kann zugunsten der Klägerin als richtig unterstellt werden.
In diesem Fall spricht der Gesichtspunkt der Verbreitung eher für die Einordnung als Lebensmittel. Er hat aber verglichen mit den festgestellten pharmakologischen Wirkungen des Produkts keine für sich entscheidende Bedeutung.
Sodann ist als weiteres Merkmal noch wie dargelegt die Bekanntheit des Produkts bei den Verbrauchern zu würdigen.
Die Klägerin nimmt an, ihr Weihrauchprodukt sei insbesondere mit Blick auf das deutsche Apothekensortiment mit zahlreichen weiteren Weihrauchprodukten als Nahrungsergänzungsmittel dem informierten deutschen Verbraucher als Lebensmittel bekannt. Demgegenüber nimmt der Beklagte an, dem informierten deutschen Verbraucher sei abgesehen von der speziellen Arzneimittelwerbung im Internet für das namensgleiche Produkt in Österreich auch ansonsten durch das Internet die Arzneimitteleigenschaft bekannt, was die Klägerin mit rechtlichen Gesichtspunkten zur Unmaßgeblichkeit von Medienwerbung bekämpft.
Bei der Würdigung der konkreten Verbraucherkenntnisse schließt sich der Senat weder dem Standpunkt der Klägerin noch dem des Beklagten an. Überzeugender erscheint vielmehr das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Reuss vom 10.1.2001 (S. 2), wonach die Verkehrsauffassung als mögliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln im Fall Weihrauch ohne wesentliche Bedeutung ist. Der Gutachter begründet dies damit, dass eine arzneiliche Wirkung beim durchschnittlich informierten deutschen Verbraucher kaum bekannt ist. Eine Bekanntheit von Weihrauch als Nahrungsmittel nimmt der Gutachter aber ersichtlich ebenfalls nicht an, weil anderenfalls die Verkehrsauffassung entgegen seiner Fachmeinung zu einem eindeutigen Ergebnis führte. Die richtige Einordnung von Weihrauch, der eher als Kultmittel bekannt ist, wird einen durchschnittlich informierten Verbraucher kaum berühren. Konkrete Verbraucherkenntnisse über die Lebensmittel- oder Arzneimitteleigenschaft können also nicht erwartet werden.
Der Gesichtspunkt der Verbraucherkenntnisse ist jedenfalls gegenüber den festgestellten pharmakologischen Eigenschaften nicht ausschlaggebend.
Zu den beiden zuletzt genannten Gesichtspunkten der Verbreitung und der Verbraucherkenntnisse führt der Senat noch eine Hilfserwägung durch. Im günstigsten Fall könnte die gerichtliche Würdigung dieser Gesichtspunkte zu dem Ergebnis führen, dass ein Weihrauchprodukt im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird. Selbst diese allgemeine Ansicht würde es aber nicht hindern, dass ein solches Produkt dennoch nach dem europäischen Arzneimittelbegriff als Arzneimittel einzuordnen ist.
So das Urteil des EuGH Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 21, für aus Südamerika eingeführte Kräutertees.
Damit kann der Prüfungsabschnitt über die Einstufung des Produkts der Klägerin als Arzneimittel abgeschlossen werden.
Nach der Überzeugung des Senats ist das weihrauchhaltige Produkt der Klägerin unter Berücksichtigung aller seiner Merkmale, insbesondere seiner Zusammensetzung, seiner pharmakologischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen – der Modalitäten seines Gebrauchs, des Umfangs seiner Verbreitung, seiner Bekanntheit bei den Verbrauchern und der Risiken nach dem maßgebenden Gemeinschaftsrecht als Funktionsarzneimittel im Sinne sowohl der ursprünglichen Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG als auch der dargelegten Änderungsfassung durch die Arzneimittelrichtlinie 2004/27/EG anzusehen.
Damit führen die bisherigen Prüfungsschritte des Urteils zu dem Doppelergebnis, dass das Produkt der Klägerin mit 400 mg Weihrauchextrakt Tagesdosis nach den europäischen Definitionen sowohl ein Aromastoff und damit ein Lebensmittel ist als auch ein Funktionsarzneimittel mit Blick auf seine antagonistische Wirkung auf Entzündungsprozesse. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts unterliegt das Produkt mithin nach vollständiger Subsumtion einerseits der Lebensmittelverordnung 178/2002 und zusätzlich der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG, andererseits auch der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG in der ursprünglichen Form und gleichermaßen in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG.
Dieses Doppelergebnis auf der europäischen Rechtsebene bedarf aber einer juristischen Auflösung wegen seiner widersprüchlichen Konsequenzen.
Ein Lebensmittel fällt unstreitig grundsätzlich unter den freien Handelsverkehr der Mitgliedstaaten (vgl. zum Grundsatz Artikel 28 EGV). Anderes gilt für Arzneimittel. Ausnahmen vom Grundsatz der Handelsfreiheit bestehen nach Artikel 30 EGV insbesondere zum Gesundheitsschutz, worunter das Arzneimittelrecht fällt.
Nach Artikel 6 I der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG bedarf ein Arzneimittel grundsätzlich abgesehen von dem nicht einschlägigen Fall einer unmittelbaren europäischen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung Nr. 2309/93 in jedem Mitgliedstaat einzeln einer Zulassung. Umgesetzt ist diese Regelung im deutschen Recht in § 21 AMG. Unstreitig hat das Produkt der Klägerin weder in der EG noch in einem EG-Staat eine Zulassung als Arzneimittel. Deshalb bedarf das festgestellte Doppelergebnis einer Auflösung.
Nach dem dargelegten Zwischenergebnis bedarf es auf Gemeinschaftsebene einer Entscheidungsregel, ob beim Zusammentreffen beider Definitionen das Arzneimittelrecht oder das Lebensmittelrecht Vorrang hat.
Zusammengefasst kommt der Senat zu der Entscheidung, dass nach dem aktuellen Recht bei der Produktbehandlung das Arzneimittelrecht vor dem Lebensmittelrecht Vorrang aufgrund ausdrücklicher normativer Regelung hat. Für die vorausgehenden Zeitabschnitte ergibt sich dasselbe Ergebnis aus der Beachtung der Rechtsprechung des EuGH, der in ständiger Rechtsprechung bereits seit 1992 eine Art „Strenge-Regel“ aufgestellt hat, wonach das strengere Arzneimittelrecht in der Anwendung Vorrang vor weniger strengen Regelungen anderer Rechtsgebiete hat. Dies ist nunmehr im Einzelnen auszuführen.
Beginnend mit dem neuesten Zeitabschnitt ab 30.10.2005 ist der Anwendungsvorrang des Arzneimittelrechts bereits nach deutschem Recht normativ eindeutig bestimmt. Das deutsche Recht verweist in § 2 III Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes – AMG – in der Fassung des Gesetzes vom 13.12.2001 (BGBl. I S. 3586) sowie in der jetzigen Fassung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394) zur Abgrenzung auf den Lebensmittelbegriff nach dem deutschen Lebensmittelgesetz. § 2 II LFGB in der Fassung vom 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618), gültig ab 7.9.2005, verweist für die Lebensmitteldefinition seinerseits unmittelbar auf Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Die europäische Lebensmittelverordnung 178/2002 verweist in ihrer Negativabgrenzung in Art. 2 Abs. 3 d wiederum auf die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG. Die Humanarzneimittelrichtlinie enthält in der Fassung der Änderungsrichtlinie vom 31.3.2004 mit einer Umsetzungsfrist bis 30.10.2005 in Art. 2 Abs. 2 ausdrücklich eine Vorrangregel des Arzneimittelrechts mit folgendem Inhalt:
In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.
Mit dieser Richtlinie ist die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG gemeint, was mithin zum Vorrang des Arzneimittelrechts führt. Der EuGH hat die klar formulierte Vorrangregel auch in diesem Sinn verstanden.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 44.
Nach dem aktuell geltenden Gemeinschaftsrecht ist auf das Produkt der Klägerin mithin nur das Arzneimittelrecht anzuwenden. Das aktuelle deutsche Recht verweist darauf.
Für das vorausgehende Recht innerhalb der zeitlichen Reichweite des Dauerverwaltungsaktes vom 23.1.2002 geht der Senat aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Zeitabschnitte zunächst nach dem wie dargelegt maßgeblichen Gemeinschaftsrecht und erst dann nach dem deutschen Recht ein.
Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts war im vorausgehenden Zeitabschnitt vom 31.3.2004 bis zum 29.10.2005 die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 mit der normativen Vorrangregel des Arzneimittelrechts zwar bereits erlassen, indessen war die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Richtlinien setzen zwar ein zweistufiges Rechtsetzungsverfahren mit Erlass auf Gemeinschaftsebene und Umsetzung in nationales Recht voraus.
Richtlinien sind aber auch als Auslegungsmaßstab heranzuziehen.
Geiger, EUV/EGV, Artikel 249 EGV Rdnr. 12.
Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung, und zwar gerade für die Vorrangregel in der hier vorliegenden Änderungsrichtlinie 2004/27/EG, entschieden, dass eine Richtlinie schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist als Auslegungsmaßstab heranzuziehen ist.
Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 44.
Auch für diesen Zeitraum galt als Auslegungsergebnis der Rechtsprechung des EuGH ein normativer Vorrang des Arzneimittelrechts.
Auf Gemeinschaftsebene galt in dem davor liegenden Zeitraum vom 6.11.2001 (mithin vor Erlass des Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002) bis zum 30.3.2004 die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG noch ohne eine normative Vorrangregelung. Die Abgrenzung des gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriffs gegenüber den Konkurrenzbegriffen bedurfte mithin richterlicher Auslegung. Eine solche ständige Rechtsprechung des EuGH liegt vor, die von den Jahren 1991 bis 2005 reicht und damit den Entscheidungszeitraum (Januar 2002 bis Februar 2006) erfasst. Dies ist jetzt darzulegen.
Der Grundgedanke dieser Rechtsprechung ist einfach. Er besteht darin, dass das strengere Arzneimittelrecht wegen der besonderen Gefahren Anwendungsvorrang vor weniger strengem Recht anderer Gebiete besitzt. Erstmals hat der EuGH diesen Gedanken im Urteil Delattre vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 21, zur Abgrenzung von Arzneimitteln gegenüber seinerzeit Kosmetika (Schlankheitsmitteln) geäußert. Zur Begründung hat er (Rz. 21) ausgeführt:
Diese Schlussfolgerung ist im Übrigen die Einzige, die dem mit beiden Richtlinien verfolgten Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht, da die rechtliche Regelung für Arzneispezialitäten in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die öffentliche Gesundheit mit sich bringen können und die im Allgemeinen von kosmetischen Mitteln nicht ausgehen, strenger ist als die für kosmetische Mittel.
Im nachfolgenden Jahr 1992 hat der EuGH in seinem Urteil Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 19, diese „Strenge-Regel“ auf die hier einschlägige Abgrenzung von Arzneimittelrecht gegenüber Lebensmittelrecht übertragen. Zur Begründung hat er ausgeführt (Rz. 19), ein Produkt sei selbst dann als Arzneimittel anzusehen und der entsprechenden Regelung zu unterwerfen, wenn es in den Anwendungsbereich einer anderen weniger strengen Gemeinschaftsregelung falle.
Sodann hat der EuGH aktuell in seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 43, nochmals seine Rechtsprechung bestätigt, dass die für Arzneimittel geltenden Bestimmungen auf ein Erzeugnis anzuwenden sind, das sowohl die Voraussetzungen eines Lebensmittels als auch eines Arzneimittels erfülle. Zur Begründung hat er sich (Rz. 43) ausdrücklich auf sein Ter Voort-Urteil C – 219/91 – berufen, dort insbesondere auf die Rz. 19 verwiesen und damit wie dargelegt den Grundsatz, dass ein Produkt auch dann als Arzneimittel anzusehen ist, wenn es dem Anwendungsbereich einer weniger strengen Regelung unterfällt. Zwischen 1991 und jetzt hat der EuGH mithin in ständiger Rechtsprechung die „Strenge-Regel“ seiner Abgrenzung zwischen Arzneimittelrecht und weniger strengem Recht zugrunde gelegt.
Die dargelegte normative Vorrangregel der Richtlinie 2004/27/EG entspricht mithin inhaltlich der ständigen Rechtsprechung des EuGH. Dementsprechend hat sich der EuGH in seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 - sowohl vergangenheitsbezogen auf seine ständige bisherige Rechtsprechung (Rz. 43) als auch zukunftsbezogen auf die neue Richtlinie 2004/27/EG (Rz. 44) berufen. Das Ergebnis der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist mithin der Vorrang des Arzneimittelrechts bei der Abgrenzung gegenüber dem Lebensmittelrecht. Dies steht für den Zeitraum von 1992 bis jetzt fest. Bezogen auf den hier entscheidungserheblichen Zeitraum vom 25.1.2002 (Bekanntgabe des Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002) bis jetzt (Februar 2006) ist die Abgrenzungsfrage auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts mithin immer gleich zu beantworten. Maßgebend für die rechtliche Behandlung ist das strengere Arzneimittelrecht gegenüber dem weniger strengen Lebensmittelrecht.
Für die vorsorglich vorzunehmende Abgrenzungsprüfung nach dem deutschen Recht sind andere Zeitabschnitte zu bilden. Unproblematisch ist der bereits behandelte aktuelle Zeitabschnitt ab dem 7.9.2005. Ab diesem Zeitpunkt verweist wie dargelegt § 2 II LFGB in der Fassung vom 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618) für die Lebensmitteldefinition ausdrücklich auf Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, und damit auch auf die in Artikel 2 Abs. 3 der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung vorgenommene Abgrenzung zu Lebensmitteln, für die die EuGH-Rechtsprechung maßgebend ist. Die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts für die Abgrenzung ist vom deutschen Gesetzgeber sichergestellt, da auch § 2 III Nr. 1 AMG für die Abgrenzung auf die Lebensmitteldefinition verweist mit der Konsequenz, dass nach der ausdrücklichen Anordnung des deutschen Gesetzgebers für die Abgrenzung der beiden Rechtsgebiete einheitlich das Gemeinschaftsrecht gilt.
Für den vorausgehenden Zeitabschnitt vom 21.2.2002 bis zum 6.9.2005 hat der deutsche Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich für Rechtsklarheit gesorgt. Die Rechtsklarheit ergibt sich aber aus dem gemeinschaftlichen Verordnungsrecht. Die gemeinschaftsrechtliche Abgrenzung von Lebensmitteln und Arzneimitteln in Artikel 2 der Lebensmittelverordnung galt bereits in diesem Zeitabschnitt. Die Lebensmittelverordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002 trat nach Artikel 65 am 21.2.2002 in Kraft. Sie ist nach Artikel 65 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Anders als bei Richtlinien bedarf es keines zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens, vielmehr gilt die Verordnung unmittelbar in jedem Mitgliedstaat ohne Transformation.
Der deutsche Gesetzgeber hatte aber in diesem Zeitraum der verbindlichen Regelung noch nicht formell Rechnung getragen. Vielmehr war in § 1 LMBG in der Fassung vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296), gültig vom 1.8.1997 bis 6.9.2005, eine formell abweichende Regelung bestimmt. Produkte waren nach § 1 I LMBG nur dann keine Lebensmitteln, wenn sie überwiegend zu anderen Zwecken als dem der Ernährung oder des Genusses bestimmt waren. Das ältere deutsche Recht legte die Auslegung nahe, dass ein Lebensmittel auch dann vorlag, wenn sich kein überwiegender Verwendungszweck feststellen ließ.
So noch die Kommentierung von Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 35 und die ältere BGH-Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 6.2.1976 – I ZR 125/74 -.
Die deutsche Regelung ließ sich mithin in nahe liegender Auslegung als Vorrang des weniger strengen Lebensmittelrechts vor dem strengeren Arzneimittelrecht verstehen.
Bei diesem Ergebnis kann es aber nicht verbleiben. Das Gemeinschaftsrecht hat grundsätzlich Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht.
Gerichte und Behörden haben den Vorrang des Gemeinschaftsrechts ohne weiteres zu beachten, und innerstaatliche Vorlageverfahren etwa an ein Verfassungsgericht müssen außer Betracht bleiben.
Mithin musste die inhaltlich anders gefasste Abgrenzung des deutschen Rechts zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln gegenüber der bindenden europäischen Verordnung außer Betracht bleiben. Vielmehr galt nach der bereits dargelegten Rechtsprechung des EuGH die „Strenge-Regel“, wonach für die Produktbehandlung das strengere Arzneimittelrecht vor weniger strengem Recht in der Anwendung Vorrang hat. Auch für diesen Zeitabschnitt verbleibt es mithin bei dem gefundenen Ergebnis.
In einem vorausgehenden kurzen Zeitabschnitt des Dauerverwaltungsakts knapp einen Monat zwischen seiner Bekanntgabe am 25.1.2002 bis zum 20.2.2002 galt auf der Gemeinschaftsrechtsebene allerdings noch nicht die Lebensmittelverordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002, in Kraft ab 21.2.2002. Der Anwendungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung muss mithin für diesen kurzen Zeitabschnitt außer Betracht bleiben.
Auch für diese Zeit blieb der Vorrang des Arzneimittelrechts unverändert. Maßgebend ist hier nicht der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, sondern der Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.
Im Zeitraum Januar/Februar 2002 stellte sich die Vorrangfrage vom Arzneimittelrecht her, das im Gegensatz zum seinerzeitigen Lebensmittelrecht schon gemeinschaftsrechtlich normiert war. Wie bereits dargelegt war das gemeinschaftliche Arzneimittelrecht bereits seit 1965 fortlaufend durch Richtlinien kodifiziert, die in nationales Recht umzusetzen waren.
Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965, sodann als Nachfolgerichtlinie die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG sowie deren Änderungsrichtlinie 2004/27/EG.
Das deutsche Arzneimittelgesetz war also bereits in der in diesem Zeitabschnitt (Januar/Februar 2002) maßgebenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 13.12.2001 (BGBl. I S. 3586) Umsetzung des europäischen Richtlinienrechts. Zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln verwies § 2 III Nr. 1 AMG 2001 auf § 1 LMBG und damit die bereits dargelegte Regelung, wonach nur eine überwiegende Bestimmung zu anderen Zwecken als dem der Ernährung oder des Genusses maßgebend ist. Auch unabhängig von der Direktwirkung von Richtlinien zu Gunsten Einzelner, vgl. EuGH, Urteil vom 26.9.2000 – C- 443/98 -, Rz. 50; Urteil vom 4.12.1997 – C – 97/96 -, NJW 1998, 129, ist umgesetztes nationales Recht nach der EuGH-Rechtsprechung so auszulegen, dass das mit der Richtlinie verfolgte Ziel erreicht werden kann. EuGH, Urteil vom 11.7.2002 – C – 62/00 -, Rz. 41.
Eine solche europarechtskonforme Auslegung des § 1 LMBG 1997 ist aber möglich und deshalb auch geboten. Zwar ist die Auslegung nahe liegend, dass die überwiegende Zweckbestimmung rein faktisch im Sinne der allgemeinen Verkehrsauffassung zu verstehen ist.
So Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 34.
Zwingend ist diese Auslegung aber nicht. Die überwiegende Zweckbestimmung kann statt faktisch auch normativ verstanden werden. Die überwiegende Zweckbestimmung ergibt sich dann normativ nach dem strengeren Recht; das strengere Recht prägt die Zweckbestimmung. Das Ziel der einschlägigen Arzneimittelrichtlinie ist nach der Rechtsprechung des EuGH gerade der Schutz vor den besonderen Gefahren, die Arzneimittel mit sich bringen.
EuGH, Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 21, und Ter Voort-Urteil vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 19.
Das umgesetzte deutsche Arzneimittelrecht ist mithin europarechtskonform so auszulegen, dass das dargelegte Ziel der Arzneimittelrichtlinie mit Blick auf den Vorrang des strengeren Rechts erreicht wird. Mithin ist die deutsche Abgrenzungsregelung in den §§ 2 AMG 2001 und 1 LMBG 1997 europarechtskonform auch in dem hier interessierenden Zeitabschnitt vom 25.1.2002 bis zum 20.2.2002 im Sinne einer normativen überwiegenden Zweckbestimmung durch das strengere Arzneimittelrecht auszulegen. Dieser Gesichtspunkt gilt im Übrigen auch für die nachfolgende Zeit, für die aber der Anwendungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung hinzukommt.
Mithin ist die Geltung der europäischen Arzneimittelabgrenzung für den gesamten in Anspruch genommenen Zeitraum des angegriffenen Dauerverwaltungsakts seit 25.1.2002 bis jetzt zu beachten.
Für den Zeitraum des Dauerverwaltungsakts ist nach dem Ergebnis der Prüfung des europäischen und des deutschen Rechts einheitlich von dem Vorrang des Arzneimittelrechts gegenüber dem Lebensmittelrecht bei der Produktbehandlung auszugehen.
Die von der Klägerin gegen den Vorrang vorgebrachten Gründe überzeugen nicht.
Soweit die Klägerin eine vollständige Subsumierung als Voraussetzung der Vorrangregelung ansieht, hat der Senat sie vorgenommen.
Soweit die Klägerin meint, für Nahrungsergänzungsmittel gelte eine günstigere Behandlung, trifft dies nicht zu. Sie hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der neuen Rechtsprechung des EuGH auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel die Richtlinie 2002/46 eine gewisse Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften vorgenommen hat.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 70.
Nahrungsergänzungsmittel, die den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen, dürfen in der Gemeinschaft grundsätzlich frei in den Verkehr gebracht werden.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C- 211/03 -, Rz. 71.
Die der Klägerin günstige Folge tritt aber nur ein, wenn die Voraussetzungen der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie überhaupt erfüllt sind. Dies ist aber nicht der Fall, weil die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG ausdrücklich nicht für Arzneimittel gilt (Artikel 1 Abs. 2 der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie) und darüber hinaus Nahrungsergänzungsmittel nach Artikel 2 der Richtlinie 2002/46/EG bereits Lebensmittel sein müssen, mithin auch für Nahrungsergänzungsmittel die allgemeine Abgrenzungsvorschrift von Artikel 2 der Lebensmittelverordnung (EG) Nr. 178/2002 gilt. Dementsprechend führt der EuGH wie dargelegt in seinem Lactobact-Urteil (Rz. 41 und 42) eine synchrone Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln einerseits und Arzneimitteln andererseits durch. Für eine anderweitige Abgrenzung mit einer günstigeren Behandlung von Nahrungsergänzungsmitteln ist mithin aus Gründen des Gemeinschaftsrechts kein Raum.
Weiterhin beruft sich die Klägerin zu ihren Gunsten auf eine spezielle deutsche Liberalisierungsvorschrift für die Einfuhr von Lebensmitteln aus EU-Staaten im deutschen Lebensmittelrecht. Ausgehend zunächst von dem neuesten Rechtsstand der Einfuhrliberalisierung begünstigt § 54 LFGB mit Geltung ab dem 7.9.2005 Lebensmittelimporte aus anderen EU-Staaten. Danach dürfen Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände, die entweder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hergestellt oder rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden oder aus einem Drittstaat stammen und sich in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig im Verkehr befinden, auch dann in das Inland verbracht und in Verkehr gebracht werden, wenn sie den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften für Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände nicht entsprechen. Eine Ausnahme von der Liberalisierung besteht insbesondere dann, wenn gemäß § 54 I LFGB in Verbindung mit § 54 II zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen, über die durch Allgemeinverfügungen entschieden wird. Die verbleibenden Unterschiede des nationalen Lebensmittelrechts der Mitgliedstaaten stehen mithin dem Import eines Lebensmittels grundsätzlich nicht entgegen.
Diese Liberalisierungsregelung trifft aber nach dem geltenden Recht ausdrücklich nur für Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände zu, von vorneherein nicht für Arzneimittel. Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 54 LFGB und aus dem systematischen Zusammenhang innerhalb der Gesamtregelung des Lebensmittelrechts, nicht des Arzneimittelrechts.
Nichts anderes gilt innerhalb der Zeitdauer des Dauerverwaltungsakts für die im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorgängerreglung des § 47 a LMBG in den insoweit übereinstimmenden vorausgehenden Fassungen vom 29.10.2001 (BGBl. I S. 2785) sowie vom 6.8.2002 (BGBl. I S. 3082). Die Liberalisierung von Importen aus anderen Mitgliedstaaten bezieht sich nach dem übereinstimmenden Wortlaut auf „Erzeugnisse im Sinne dieses Gesetzes“. Maßgebend ist also die deutsche Einordnung des Produkts. Durch eine Klammerdefinition ist in § 35 LMBG klargestellt, dass Erzeugnisse im Sinne dieses Gesetzes Lebensmittel, Zusatzstoffe, mit Lebensmittel verwechselbare Erzeugnisse, Tabakerzeugnisse, kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände sind. Arzneimittel gehören nicht dazu. Die Klägerin kommt nur insofern zu einem anderen Ergebnis, als sie behauptet, ihr Nahrungsergänzungsmittel könne mit einem Arzneimittel verwechselt werden. Insoweit stellt aber § 8 LMBG klar, dass die Ausdehnung des Lebensmittelrechts auf verwechselbare Erzeugnisse gerade nicht für zulassungspflichtige Arzneimittel gilt.
Zur generellen einschlägigen Zulassungspflicht von Fertigarzneimitteln § 21 AMG mit hier nicht gegebenen Ausnahmen insbesondere einer gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 und einer Anwendung zur klinischen Prüfung.
Die Vorschrift zielt erkennbar darauf ab, dass die Zulassungspflicht von Arzneimitteln als Marktschranke nicht etwa in dem ungünstigen Fall, dass importierte Arzneimittel verwechslungsfähig aufgemacht sind, entfällt. Dies wäre auch offensichtlich gefahrenbezogen sachwidrig. Nach den dargelegten Vorschriften gilt die Liberalisierung nach Wortlaut und Sinn nicht für Arzneimittel, und zwar insbesondere auch nicht für mit Lebensmitteln verwechslungsfähig aufgemachte Arzneimittel.
Das Gemeinschaftsrecht bietet sowohl nach den in Betracht kommenden Normen als auch nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH keinen Anlass zu einer weiter gehenden Auslegung dieser lebensmittelrechtlichen Liberalisierungsregelung.
Wie dargelegt fällt ein Lebensmittel zwar grundsätzlich unter den freien Handelsverkehr der Mitgliedstaaten (Artikel 28 EGV). Anderes gilt für Arzneimittel, denn Ausnahmen vom Grundsatz der Handelsfreiheit bestehen nach Artikel 30 EGV insbesondere zum Gesundheitsschutz, worunter das Arzneimittelrecht fällt.
Nach Artikel 6 I der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG bedarf ein Arzneimittel grundsätzlich abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall einer unmittelbaren europäischen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vom 22.7.1993 in jedem Mitgliedstaat einzeln einer Zulassung. Diese Rechtslage nach dem Gemeinschaftsrecht führt allerdings dazu, dass ein Produkt im Exportstaat (hier Österreich) als Lebensmittel und im Importstaat (hier Deutschland) als Arzneimittel eingeordnet werden kann. Gerade diese Divergenz ist nach der ständigen bis heute geltenden Rechtsprechung des EuGH mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
EuGH, Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 27; EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 – Rz. 52 und 53, betreffend Vitaminpräparate; EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 56.
In seinem Lactobact-Urteil (Rz. 56) hat der EuGH seine ständige Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst:
Dass ein Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel eingestuft ist, hindert somit nicht daran, ihm im Einfuhrmitgliedstaat die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweist.
Die Tatsache, dass das Produkt der Klägerin in Österreich rechtmäßig als Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel im Verkehr ist, führt mithin nicht zu einer Bindung des Einfuhrstaates an österreichisches Recht. Dem nach dem Gemeinschaftsrecht bestehenden Vorrang des strengeren Arzneimittelrechts vor dem weniger strengen Lebensmittelrecht muss in Deutschland selbstständig, ohne Bindung an die Rechtsauffassung in Österreich, Geltung verschafft werden.
Nach allem führt die deutsche Liberalisierungsregelung nicht zur Anerkennung der österreichischen Produkteinordnung und ist deshalb nicht entscheidungserheblich.
Im Folgenden hat der Senat noch die beiden von den Beteiligten vorgelegten europäischen Verwaltungsakte zu würdigen, die eine Einstufung von Weihrauchextrakt in demselben Jahr – 2002 – als Arzneimittel beziehungsweise als Lebensmittel betreffen.
Zusammengefasst sind beide Verwaltungsakte nicht unmittelbar einschlägig für den vorliegenden Verwaltungsrechtsstreit über ein Marktverbot und geben keinen Anlass, von der vom EuGH aufgestellten „Strenge-Regel“ abzuweichen.
Der Beklagte hat einen Bescheid der Europäischen Kommission vom 21.10.2002 vorgelegt, den die EMEA, die Europäische Agentur für Arzneimittel, am 11.12.2002 veröffentlicht hat (Berufungsakte 3 R 7/05, Blatt 69 R). Der Beklagte hat dazu vorgetragen, der Weihrauchextrakt aus Boswellia serrata habe damit den Orphan-drug-Status erhalten (Berufungsakte Blatt 66). Mit dieser Bezeichnung hat es Folgendes auf sich. Die in dem Bescheid der EG-Kommission auch genannte Rechtsgrundlage ist die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 vom 16.12.1999 über Arzneimittel für seltene Leiden. Sinn und Regelungszusammenhang der Verordnung sind in dem Erwägungsgrund 1 zusammengefasst. Danach treten bestimmte Leiden EU-weit so selten auf, dass die Entwicklungskosten von Arzneimitteln durch den zu erwartenden Umsatz nicht mehr gedeckt werden. Die pharmazeutische Industrie wäre in diesen Fällen nicht bereit, das Arzneimittel unter normalen Marktbedingungen zu entwickeln. Diese Arzneimittel werden im englischen Sprachraum als „Orphan medicinal products“, das heißt als Waisenkinder unter den Arzneimitteln bezeichnet. Vor diesem Hintergrund bezweckt die Verordnung nach dem Erwägungsgrund 4, durch die Einführung eines Gemeinschaftsverfahrens potenzielle Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden auszuweisen. Die Förderung erfolgt durch Forschungshilfe bei der Entwicklung (Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung) und durch ein späteres Marktexklusivitätsrecht (Artikel 8 der Verordnung). Der Antrag auf Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden kann grundsätzlich in jedem Entwicklungsstadium des Arzneimittels gestellt werden, indessen nur vor dem Antrag auf Verkehrsgenehmigung (Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung). Zusammengefasst bedeutet der Bescheid mithin eine Ausweisung von Weihrauchextrakt als Forschungsarzneimittel für die Behandlung der seltenen Krankheit der Gehirnödeme bei Gehirntumor; eine Verkehrsgenehmigung als Arzneimittel bedeutet der Bescheid nicht, wie im letzten Absatz ausdrücklich hervorgehoben ist. Der Bescheid betrifft also keine Marktzulassung.
Der Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden liegt nach Artikel 2 a der Humanarzneimittelbegriff nach der Richtlinie 65/65/EWG zugrunde, wobei diese Bezugnahme nunmehr durch eine Bezugnahme auf die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG ersetzt ist (Artikel 128 der Humanarzneimittelrichtlinie). Da die Ödembehandlung bei Tumoren nach den dem Senat vorliegenden wissenschaftlichen Unterlagen ausschließlich den hoch dosierten Bereich von Weihrauchextrakt betrifft,
Safayhi-Ammon, Seite 7; Gutachten Bertram, Seite 3; Bertsche/Schulz, Seite 2
steht damit in diesem Bereich gemeinschaftsrechtlich die Einordnung als Arzneimittel fest.
Zwingend ist dies für die hier maßgebende niedrige Dosis von Weihrauch nicht. Einen Doppelcharakter nach der Dosis hat der EuGH bei Vitaminen anerkannt, die in ganz geringer Menge für die tägliche Ernährung unbedingt erforderlich sind, in starken Dosen aber zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, Rz. 56.
Deshalb bedeutet die im Jahr 2002 erfolgte Ausweisung von indischem Weihrauchextrakt als Forschungsarzneimittel für seltene Krankheiten ein - nicht zwingendes - Indiz für die gemeinschaftsrechtliche Einstufung von Weihrauchextrakt insgesamt als Arzneimittel. Der Gegenschluss der Klägerin, die angestrebte Marktzulassung sei bereits gescheitert, überzeugt nicht, da die Zulassungsreife einschließlich Standardisierung eines Stoffgemischs schwer erreichbar und langwierig sein kann.
Ebenso wie der Beklagte hat die Klägerin im Rechtsstreit einen Verwaltungsakt der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt, den sie zu ihren Gunsten verwerten will (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 75). Dabei handelt es sich um die verbindliche Zolltarifauskunft vom 16.9.2002. Der Bescheid ist im Namen der Europäischen Gemeinschaft erlassen, die erteilende Zollbehörde ist das Bundesministerium für Finanzen in Wien. Als Berechtigter ist angegeben die österreichische Firma G.. Gegenstand des Bescheides ist das namensidentische Produkt der Klägerin. Inhaltlich betrifft der Bescheid die Einreihung in die Zollnomenklatur als Lebensmittel und zur Begründung ist angegeben, aufgrund des Fehlens einer Ankündigung zur Verwendung bei spezifischen Krankheiten, Leiden oder deren Symptome, sowie der exakten Dosierungsvorschrift, liege keine näher gekennzeichnete Arzneiware vor.
Die Klägerin hat aus dieser verbindlichen Zolltarifauskunft von Anfang an den Schluss gezogen,
Schriftsatz vom 7.10.2002, VG-Akte Bl. 78
das streitige Produkt dürfe in der gesamten Europäischen Union aufgrund der verbindlichen Zolltarifauskunft als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Die Verkehrsfähigkeit des von ihr vertriebenen Produktes in Deutschland ergebe sich damit schon aus der amtlichen Bestätigung der Europäischen Union. Zur Bekräftigung ihres Vortrags hat sie erstinstanzlich zwei verschiedene Vorlageanträge an den EuGH angeregt (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 91 und Bl. 133), die jeweils die Auswirkungen der verbindlichen Zolltarifauskunft auf die Zulässigkeit der Vermarktung betreffen. Zweitinstanzlich hat sie ausweislich des Protokolls eine entsprechende Vorlage an den EuGH hilfsweise angeregt.
Das Begehren der Klägerin entspricht offenkundig nicht dem Gemeinschaftsrecht, das eine Auslegung im Sinne der Klägerin nicht zulässt. Es entspricht auch nicht der dargelegten Rechtsprechung des EuGH zur selbstständigen Sachverhaltsbeurteilung der nationalen Behörden und Gerichte im Vermarktungsstreit.
Dafür ist zunächst auf die Rechtsgrundlage der verbindlichen Zolltarifauskunft einzugehen. Wie im Bescheid auch ausdrücklich angegeben, beruht die Zolltarifauskunft auf Art. 12 der – insoweit nicht geänderten - Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – Zollkodexverordnung -. Nach dem Erwägungsgrund 1 geht es bei der Verordnung um die Kodifizierung der bisherigen Zollvorschriften der Gemeinschaft als Zollunion. Betroffen von dem Zollrecht ist nach Art. 1 der Verordnung der Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Drittländern. Nach Art. 2 gilt das gemeinschaftliche Zollrecht einheitlich im gesamten Zollgebiet der Gemeinschaft. Richtig ist damit der Standpunkt der Klägerin, dass die Zollverwaltungsakte die gesamte Gemeinschaft betreffen. Sodann werden nach Art. 12 Abs. 1 der Zollkodexverordnung auf schriftlichen Antrag von den Zollbehörden verbindliche Zolltarifauskünfte erteilt. Verbindliche Zolltarifauskünfte sind nach der Definitionsvorschrift des Art. 4 Nr. 5 der Zollkodexverordnung hoheitliche Maßnahmen auf dem Gebiet des Zollrechts.
Die Klägerin begehrt eine Vorlage des Sachverhalts zur Entscheidung an den EuGH. Sie hält es nach ihrem Rechtsstandpunkt für eine klärungsbedürftige Auslegungsfrage, wie weit die Verbindlichkeit der Zolltarifauskunft reicht. Sie meint, die Verbindlichkeit betreffe nicht nur den Zolltarif, sondern auch die anschließende Vermarktung. In Wirklichkeit ist aber die Verbindlichkeitsfrage in Art. 12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung ohne Auslegungsspielraum wie folgt geregelt:
Die verbindliche Zolltarifauskunft bindet die Zollbehörden gegenüber dem Berechtigten nur hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung der Waren.
Das Wort „nur“ lässt keinen Auslegungsspielraum dahingehend zu, die Bindungswirkung erstrecke sich über die zolltarifliche Einreihung der Waren hinaus auch auf die anschließende Vermarktung und die Anwendung des Gesundheitsrechts. Ist mithin die Einschränkung der Verbindlichkeit auf das Zollrecht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, scheidet eine Vorlagepflicht an den EuGH nach Art. 234 EGV selbst nach den Maßstäben für ein letztinstanzliches Gericht – die hier nicht erfüllt sind – aus.
Entsprechende Anträge der Beteiligten bedeuten prozessual mithin nur die Anregung zu einer Vorlageentscheidung.
Von Amts wegen scheidet eine Vorlage schon deshalb aus, weil Art. 12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung auch unabhängig von dem streitigen objektiven Anwendungsbereich auch nach den subjektiven Merkmalen nicht entscheidungserheblich ist.
Vorliegend sind die subjektiven Voraussetzungen der Verbindlichkeitsbestimmung des Art. 12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung nicht gegeben. Die verbindliche Zolltarifauskunft bindet nach der Verordnung nur die Zollbehörden gegenüber dem Berechtigten. Zollbehörde ist nach Art. 4 Nr. 3 der Zollkodexverordnung eine für die Anwendung des Zollrechts zuständige Behörde. Der Beklagte als oberste Gesundheitsbehörde ist ebenso wenig eine Zollbehörde im Sinne der Gemeinschaftsvorschrift wie die Klägerin Berechtigte des Bescheides ist, da in dem Bescheid als Berechtigte ausdrücklich die österreichische Firma G. genannt ist. Mithin verbleibt es dabei, dass die Vorschrift des Art. 12 II der Zollkodexverordnung auf den vorliegenden Fall zweifelsfrei subjektiv nicht anwendbar ist.
Unabhängig von der normativen Rechtslage entspricht es auch nicht der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu gesundheitsbezogenen Marktverboten gegenüber importierten Produkten, dass das Gesundheitsrecht bindend an das Zollrecht gekoppelt wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH haben die nationalen Behörden und zu deren Kontrolle die nationalen Gerichte bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Vermarktung in ihrem Staat auch bei importierten Erzeugnissen selbst die Qualifizierungszuständigkeit für den Einzelfall, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als Lebensmittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts einzustufen ist.
EuGH Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 30 für die Zuständigkeit der nationalen Behörden und Rz. 97 für die Zuständigkeit des nationalen Gerichts; ebenso schon EuGH, Ter-Voort-Urteil vom 28.10.1992 – C – 219/91 – betreffend die Zulässigkeit der Vermarktung von Kräutertee aus Südamerika, dort zur fallbezogenen Einstufungszuständigkeit der nationalen Gerichte Rz. 32; EuGH Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, dort Rz. 35 zur Einstufungszuständigkeit der nationalen Behörden unter Kontrolle der nationalen Gerichte.
In einem entschiedenen Fall – dem Ter-Voort-Urteil des EuGH von 1992 – betraf die Einstufung die Vermarktung von aus Südamerika eingeführten Produkten. Nach der seinerzeit schon bestehenden Zollunion unterlagen diese Produkte einer Außenzollerhebung und damit einer Zolltarifeinordnung. Die seinerzeitige Vorlagefrage (Rz. 13), ob ein Erzeugnis, das im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird, als Arzneimittel eingestuft werden kann, hätte vom Rechtsstandpunkt der Klägerin damit beantwortet werden müssen, dass die Antwort aus dem Zollrecht folge. Stattdessen lautet die Antwort des EuGH (Rz. 21), dass ein Arzneimittel selbst dann vorliegen kann, wenn es im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird, und (Rz. 32) es Sache der nationalen Gerichte ist, unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Falles die Einordnung vorzunehmen. Auch der Grundgedanke in dem Ter-Voort-Urteil des EuGH, dass (Rz. 19) im Gesundheitsrecht die strengere Gemeinschaftsregelung anzuwenden ist, verträgt sich nicht damit, dass die der Einnahmeerzielung dienende Zolltarifregelung stattdessen einschlägig sein soll. Damit könnten die Gesundheitsgefahren nicht hinlänglich berücksichtigt werden. Mithin scheidet eine Vorlage an den EuGH auch deshalb aus, weil die Rechtsansicht der Klägerin zur Bindung der Vermarktung an das Zollrecht der vorliegenden Rechtsprechung des EuGH widerspricht.
Der Bescheid ist für den vorliegenden Vermarktungsprozess offensichtlich rechtsunerheblich.
Unabhängig von der fehlenden Bindungswirkung kann auch die Begründung der Zolltarifauskunft für den vorliegenden Fall nicht fruchtbar gemacht werden. Begründet ist die Ablehnung einer Arzneiware mit dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Ankündigung zur Verwendung bei spezifischen Krankheiten und einer entsprechenden exakten krankheitsbezogenen Dosierungsvorschrift. Mit dieser Überlegung lässt sich aber allein ein Präsentationsarzneimittel ausschließen, was ohnedies unstreitig ist. Dagegen enthält die Begründung keinerlei Gesichtspunkte zu einem Funktionsarzneimittel, da die pharmakologische Wirkung von vornherein nicht behandelt wird. Für den Hauptstreit der Beteiligten über das Vorliegen eines Funktionsarzneimittels lässt sich aus der Begründung des Bescheides nichts gewinnen.
Nach dem Prüfungsergebnis des Senats haben die von den Beteiligten vorgelegten Bescheide nach dem Gemeinschaftsrecht für den vorliegenden Fall keine Bindungswirkung und führen zu keinem anderen Ergebnis.
Mithin hat es bei einer selbstständigen sachverhaltsbezogenen Einstufung des Produkts der Klägerin für die Vermarktung durch die nationalen Behörden und die nationalen Gerichte ohne Vorlagepflicht an den EuGH zu verbleiben.
Nach allem ist der Senat davon überzeugt, dass das Produkt der Klägerin ein Funktionsarzneimittel ist und damit dem strengen Zulassungsrecht für Fertigarzneimittel unterliegt. Der Klägerin ist zwar Recht zu geben, dass in dieser Rechtsanwendung ein Hemmnis für den freien Warenverkehr liegt. Das Produkt muss also nach der plastischen Formulierung der Klägerin durch das „Nadelöhr“ des Arzneimittelrechts. Der Grund dafür liegt aber letztlich in der eindeutigen Weichenstellung des EuGH zu Gunsten des strengeren Gesundheitsrechts. Der EuGH hat dem nunmehr im Gemeinschaftsrecht kodifizierten Gedanken Bedeutung beigemessen, dass die besonderen Gesundheitsgefahren gerade von Arzneimitteln im Zweifel die Anwendung des strengeren Gesundheitsrechts gegenüber dem weniger strengen Lebensmittelrecht erfordern. Diese Gefahrabwägung führt letztlich zu dem Ergebnis, dass hier wegen der festgestellten – negativen - pharmakologischen Wirkung des Produkts in der empfohlenen niedrigen Dosis ein Funktionsarzneimittel vorliegt.
Die Prüfung des Senats führt mithin zu dem Gesamtergebnis, dass gemeinschaftsrechtlich und nach deutschem Recht für die gesamte Geltungszeit des Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002 rechtlich maßgebend ein Funktionsarzneimittel vorliegt, das als Fertigarzneimittel für den Verbraucher gemäß § 21 AMG einer Zulassung bedarf, die aber unstreitig weder nach Gemeinschaftsrecht noch nach deutschem Recht vorhanden ist.
Damit liegt aber zur Überzeugung des Senats der Untersagungstatbestand des § 69 I Nr. 1 AMG in den insoweit übereinstimmenden Fassungen vom 11.12.1998 (BGBl. I Bl. 3586), vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 2031), vom 29.8.2005 (BGBl. I S. 2555) sowie der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394) vor. Die im Gesetz eingeräumte Ermessensausübung ist von der Klägerin nicht problematisiert worden. Ein Ermessensfehler wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn die für das Arzneimittel erforderliche Zulassung ausschließlich aus formellen Gründen fehlte, materiell aber die therapeutische Wirksamkeit mit vertretbaren Nebenwirkungen bereits feststünde. Schon die nicht geklärte therapeutische Wirksamkeit würde die Ermessensausübung im Sinne einer Untersagung rechtfertigen. Erst recht gilt das hier, da nach den vorliegenden Forschungsergebnissen für niedrig dosierten Weihrauchextrakt zwar keine positiven pharmakologischen Wirkungen, wohl aber negative pharmakologische Wirkungen in Form der Förderung von Entzündungsprozessen wissenschaftlich festgestellt sind. Bei dieser Sachlage ist allein die Untersagung ermessensgerecht.
Nach allem ist der angefochtene Dauerverwaltungsakt vom 23.1.2002 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser-Wilhelm-Straße 15, 66740 Saarlouis/Postanschrift: 66724 Saarlouis) einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist ebenfalls bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser-Wilhelm-Straße 15, 66740 Saarlouis/Postanschrift: 66724 Saarlouis) einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, bezeichnet werden.
Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Die streitige Vermarktung des Produkts der Klägerin auf dem deutschen Markt ist bedeutungsangemessen jahresbezogen gemäß den §§ 52 I, 63 II GKG unter Mitberücksichtigung der Nummern 4, 25.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8.7.2004 mit 40.000,-- Euro zu bewerten (vgl. auch die Streitwertfestsetzung im Urteil des OVG Münster vom 10.11.2005 – 13 A 463/03 – ebenfalls auf 40.000,-- Euro für ein vergleichbares Produkt).