Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 D 395/09

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 16. Juni 2009 – 10 K 83/08 – wird dem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Verpflichtung zur Ratenzahlung für den ersten Rechtszug bewilligt und Rechtsanwalt C. M. aus B-Stadt zur Wahrnehmung seiner Rechte beigeordnet.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Kläger ist serbischer Staatsangehöriger, stammt aus dem Kosovo, reiste im April 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein, beantragte die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG und begründete das mit einer Traumatisierung. Der sich nach Aktenlage dem Volk der Roma zurechnende Kläger erhielt in der Folge auf der Grundlage einschlägiger ministerieller Erlasse fortlaufend Duldungen. Er ist inzwischen im Besitz eines im Januar 2005 ausgestellten Passes der Bundesrepublik Jugoslawien.

Im Oktober 2002 verprügelte der Kläger anlässlich eines Besuches bei seiner damals in Sulzbach/Saar lebenden Mutter den von ihm in deren Wohnung angetroffenen S. Hierfür wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung durch Strafbefehl des Amtsgerichts B-Stadt vom 8.12.2003 mit einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten belegt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Im März 2005 heiratete der Kläger in B-Stadt die aus Gjakove stammende Landsfrau L. Im Mai 2006 wurde die gemeinsame Tochter A geboren.

Im März 2007 erhielt der Kläger durch erneuten Strafbefehl eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen Betrugs.

Durch Bescheid vom 22.8.2007 wurde ein damals gemeinsam mit der Ehefrau und der Tochter sowie unter Bezugnahme auf den sog. Bleiberechtserlass gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – versehen mit Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung – unter Verweis auf die genannten Vorstrafen des Klägers abgelehnt.

In dem den Widerspruch des Klägers zurückweisenden Bescheid vom 11.12.2007 heißt es unter anderem, bei ihm falle – anders als bei Ehefrau und Tochter – das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse ausnahmsweise in die Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde, da er „kein Asylverfahren betrieben“ habe. Solche Hindernisse – nunmehr im Verständnis des § 60 Abs. 7 AufenthG – lägen allerdings (auch) in seinem Fall nicht vor. Der Kläger habe seit dem Jahr 2000 keine Atteste mehr vorgelegt, die darauf schließen ließen, dass er sich weiterhin wegen einer Traumatisierung beziehungsweise seines Nervenleidens in fachärztlicher Behandlung befinde. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, wobei insbesondere mangels gelungener Integration des Klägers nicht vom Bestehen eines Rechts nach Art. 8 EMRK ausgegangen werden könne.

Im Januar 2008 erhob der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau und der Tochter vorliegende Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Er hat ein Abschiebungshindernis für die im Kosovo „nach wie vor als unerwünschte Volksgruppe angesehenen“ Roma geltend gemacht. Mit Blick auf seine lange Aufenthaltsdauer in Deutschland habe er einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach Art. 8 EMRK.

Mit Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – vom 20.3.2008 – 54 F 169/07 S – wurde die Ehe des Klägers geschieden. Ausweislich des Sitzungsprotokolls lebten die Ehepartner bereits seit Juni 2006 getrennt und vereinbarten auf der Grundlage des maßgeblichen Familienrechts des Heimatstaats, dass das Sorgerecht für die Tochter gemeinsam ausgeübt, das Aufenthaltsbestimmungsrecht indes allein der Mutter zustehen sollte. Außerdem wurde dem Kläger ein Umgangsrecht eingeräumt, wonach er seine Tochter „jederzeit“ zu sich nehmen oder besuchen kann.

Nachdem der Beklagte dem Widerspruch der Ehefrau und der Tochter im September 2008 abgeholfen und diese daraufhin die Hauptsache für erledigt erklärt hatten, wurde das Verfahren insoweit abgetrennt und durch Beschluss vom 7.11.2008 – 10 K 1732/08 – vom Verwaltungsgericht eingestellt.

Der Kläger hat das Verfahren fortgeführt und neben dem fortbestehenden Sorgerecht für die minderjährige Tochter darauf verwiesen, dass er zwischenzeitlich zum Betreuer seiner kranken Mutter bestellt worden sei, bei der er „rund um die Uhr“ wohne und für die ein dauerhaftes Abschiebehindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG festgestellt worden sei. Insoweit wurde eine Ablichtung des Ausweises des Amtsgerichts – Vormundschaftsgericht – B-Stadt zur Akte gereicht.

Durch Beschluss vom 16.6.2009 hat das Verwaltungsgericht einen Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Hinweis auf unzureichende Erfolgsaussichten der Verpflichtungsklage abgelehnt. In der Begründung heißt es, ein zwingendes Ausreisehindernis (§ 25 Abs. 5 AufenthG) bestehe nicht. Dem Kläger sei auch als Roma jedenfalls eine freiwillige Rückkehr in den Kosovo zumutbar; auch nach Serbien könne er ausreisen. Ein Bleiberecht aus Art. 8 EMRK stehe ihm nicht zu. Insoweit fehle es an der dafür erforderlichen gelungenen Integration sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch mit Blick auf die verübten Straftaten. Dass die Betreuungsleistung gegenüber der Mutter nur durch den Kläger erbracht werden könnte, sei nicht ersichtlich. Außerdem habe er nicht ansatzweise dargelegt, dass seine weitere Anwesenheit in Deutschland bezogen auf das bei der geschiedenen Ehefrau lebende Kind erforderlich sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II.

Die Beschwerde des Klägers gegen die in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16.6.2009 – 10 K 83/08 – enthaltene Versagung der Prozesskostenhilfe hat Erfolg.

Nach der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Vordruck) ist der gegenwärtig auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesene Kläger mit Blick auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).

Die weiteren in § 114 Satz 1 ZPO genannten Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe liegen ebenfalls vor. Die gerichtliche Verfolgung des gegen die im Bescheid vom 22.8.2007 enthaltene Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verpflichtungsbegehrens (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) ist offensichtlich nicht „mutwillig“ und bietet nach dem Inhalt der Gerichts- und der Ausländerakten des Klägers eine für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Bei dieser auf den Streitgegenstand des jeweiligen Rechtsstreits bezogenen Beurteilung dürfen die Anforderungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe mit Blick auf die gesetzliche Zielsetzung des Prozesskostenhilferechts, Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, (vgl. hierzu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 22.6.2009 – 2 D 263/09 –) nicht überspannt werden. Die Bewilligung ist, da es nicht Sinn des Prozesskostenhilfeverfahrens sein kann, den Rechtsstreit durch eine weitgehende rechtliche Vorausbeurteilung des Streitgegenstands quasi „vorwegzunehmen“, bereits dann gerechtfertigt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für vertretbar hält und bei Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht zumindest von der Möglichkeit der Beweisführung in seinem Sinne überzeugt ist. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 30.10.2007 – 2 D 390/07 –, SKZ 2008, 103, Leitsatz Nr. 63, vom 25.4.2005 – 2 Y 1/05 –, SKZ 2005, 302, Leitsatz Nr. 65, und vom 5.5.2004 – 1 Y 4/04 -, n.v., dazu allgemein Zöller, 23. Auflage 2002, § 114 RNr. 19, dort unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH; dazu auch Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Auflage 2003, RNr. 409, wonach insbesondere keine vorweggenommene Hauptsacheentscheidung im Rahmen des PKH-Verfahrens erfolgt; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage 2003, § 166 RNr. 8, wonach eine „gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs“ genügt und dessen überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich ist)

Das ist hier der Fall. Insoweit ist dem Verwaltungsgericht zwar darin zuzustimmen, dass – in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –) – nicht vom Vorliegen eines rechtlichen Ausreisehindernisses mit Blick auf das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf „Privatleben“ bereits aufgrund des mehrjährigen Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik ausgegangen werden kann. Das Vorliegen der insoweit zu fordernden „gelungenen“ vollständigen Integration dürfte in seinem Fall aus heutiger Sicht sowohl unter wirtschaftlichen Aspekten als auch mit Blick auf die strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers kaum zu bejahen sein.

Entsprechend eindeutig negativ lässt sich aber gegenwärtig nicht die Frage beantworten, ob dem weiterhin hinsichtlich seiner in Deutschland lebenden derzeit dreijährigen Tochter A sorgeberechtigten Kläger nicht unter dem Gesichtpunkt des Art. 6 Abs. 1 GG ein Bleiberecht zuzubilligen ist. Die Frage, ob sich nach den konkreten Fallumständen insoweit eine (rechtliche) Unzumutbarkeit im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG ergeben kann, ist nicht abschließend zu verneinen, sondern nach den konkreten Verhältnissen im Zeitpunkt der Sachentscheidung vorzunehmen. Darüber hinaus wurde der Kläger vom Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – förmlich zum Betreuer seiner kranken, sich absehbar in Deutschland aufhaltenden und ansonsten allein lebenden Mutter bestimmt. Er hat im Beschwerdeverfahren unwidersprochen vorgetragen, dass er inzwischen seine Mutter zu sich genommen hat und diese ganztägig („24 Stunden“) betreut und versorgt und ferner darauf hingewiesen, dass ein von den Geschwistern einzig noch in Deutschland lebender Bruder selbst psychisch krank sei und deswegen für eine auch nur vorübergehende Betreuung der Mutter nicht in Frage komme. Die mit der Bestellung durch das Vormundschaftsgericht verbundene Aufgabe, die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem erforderlichen Umfang auch „persönlich zu betreuen“ (§§ 1871 Abs. 1, 1900 BGB), ist vom Heimatland aus nicht zu erfüllen. Ob andere rechtlich vertretbare Regelungen durch das Vormundschaftsgericht hinsichtlich der Betreuung der Mutter ohne Beteiligung des Klägers in Betracht kommen beziehungsweise ob in diesem Zusammenhang die strengen Anforderungen für einen Familiennachzug unter Erwachsenen nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, (vgl. hierzu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 23.7.2009 – 2 B 377/09 –) sind Fragen, die den Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens sicher überschreiten und im Rahmen der Entscheidung über das sachliche Begehren des Klägers zu beantworten sind.

Vor dem Hintergrund lässt sich das Bestehen des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs des Klägers jedenfalls nicht mit der (bereits) die Versagung der Prozesskostenhilfe rechtfertigenden Eindeutigkeit verneinen. Daher war der Beschwerde zu entsprechen.

Die Beiordnung seines Prozessbevollmächtigen findet ihre Grundlage in den §§ 166 VwGO, 121 Abs. 2 ZPO. Der Kostenausspruch beruht auf §§ 166 VwGO, 127 Abs. 4 ZPO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

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