Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 31. Juli 2009 – 11 L 519/09 – wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, mit der sich die Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 31.7.2009 wendet, durch den ihr Anordnungsbegehren in der Gestalt des Antrags vom 14.7.2009 zurückgewiesen wurde,
„den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, der Antragstellerin für einen Zeitraum von sechs Monaten, längstens jedoch bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens Leistungen zum Unterhalt des Jugendlichen nach § 39 SGB VIII zu gewähren,“
bleibt ohne Erfolg.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens der o.g. Antrag der Antragstellerin vom 14.7.2009 ist, den das Verwaltungsgericht ausdrücklich seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung geltend gemacht hat, das Verwaltungsgericht sei von falschen Tatsachen ausgegangen, indem es angenommen habe, es gehe ihr im Grunde lediglich um Unterhaltsleistungen für ihr Mündel, die gemäß § 39 SGB VIII nicht selbständig, sondern lediglich als Annex-Leistungen zu erbringen seien. Vielmehr begehre sie Leistungen zur Deckung des erzieherischen Bedarfs und darüber hinaus Leistungen zum Lebensunterhalt.
Ihrem weiteren Beschwerdevortrag, mit Blick auf gerichtlich geäußerte Zweifel an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes hinsichtlich der nicht ohne Weiteres beweisbaren Voraussetzungen der §§ 27, 33 SGB VIII (Erziehungsfähigkeit und Erziehungsbedürftigkeit des Mündels) habe man die Annex-Leistung in den Fokus des Eilverfahrens gestellt und dies führe zu keiner entsprechenden Reduzierung des umfassenden Begehrens, nur weil man es im Rahmen des Eilverfahrens nicht geltend machen könne, lässt sich entnehmen, dass auch die Antragstellerin die Antragsfassung vom 14.7.2009 als Beurteilungsgrundlage im vorliegenden Beschwerdeverfahren ansieht.
Das Vorbringen der Antragstellerin, das gemäß § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung im Beschwerdeverfahren begrenzt, rechtfertigt im Ergebnis keine von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichende Beurteilung des danach maßgeblichen Streitgegenstandes.
Die von ihr begehrte einstweilige Anordnung i.S.d. § 123 VwGO setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus, die darzulegen und hinsichtlich ihrer tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen sind.
Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes i. S. d. § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO für den Erlass der hier begehrten vorläufigen Regelung kann jedenfalls mit Blick auf die Erklärungen der Antragstellerin in den vorgelegten Schreiben vom 26.7.2009 und vom 4.9.2009 nicht ohne weiteres verneint werden.
Dies bedarf jedoch keiner weiteren Vertiefung, denn bei der im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Betrachtung ist jedenfalls der für den Erlass der einstweiligen Anordnung vorausgesetzte Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO) nicht im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht,
zum Maßstab einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Erfolgsaussichten in der Hauptsache etwa Kopp, VwGO, 15. Aufl., § 123 Rdnr. 25, Bader, VwGO, 4. Aufl. § 123 Rdnr. 22, Beschluss des Senats vom 22.10.2008 - 3 B 279/08 -.
Anders als das Verwaltungsgericht geht der Senat allerdings davon aus, dass der - als Personensorgeberechtigter für die hier in Rede stehenden Leistungen anspruchsberechtigten - Antragstellerin
hierzu etwa Sächs. OVG, Beschluss vom 28.5.2009 – 1 A 54/08 -, OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.10.2008 – 4 L A 193/06 -, jeweils zitiert nach Juris
nicht entgegen gehalten werden kann, durch ihre Betreuungsleistungen den zwischen den Beteiligten umstrittenen konkreten erzieherischen Bedarf ihres Mündels i.S.d. § 27 SGB VIII sowie dessen Unterhaltsbedarf nach § 39 SGB VIII mangels anderslautender Erklärung freiwillig und unentgeltlich zu decken, was einem Anspruch nach den §§ 27, 33, 39 SGB VIII bereits entgegenstünde.
Die Antragstellerin hat bereits im Januar 2008 durch Stellung ihres Antrags auf Jugendhilfeleistungen nach den §§ 27, 33, 39 SGB VIII bei dem Sozial- und Jugendamt der Stadt A-Stadt und durch ihren erneuten - gleichfalls an das Sozial- und Jugendamt der Stadt A-Stadt gerichteten - Antrag auf Gewährung von Vollzeitpflege und Pflegegeld nach SGB VIII zusätzlich zu Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII vom 4.2.2009 hinreichend deutlich gemacht, dass sie als – nicht unterhaltsverpflichtete – Tante ihres Mündels trotz Vormundschaft und Personensorgerechts nicht weiter zur freiwilligen und unentgeltlichen Erbringung derartiger Leistungen bereit ist,
so zu vergleichbarer Antragstellung bereits BVerwG, Urteil vom 15.12.1995 - 5 C 2/94 -zitiert nach Juris; OVG Bremen, Urteil vom 16.11.2005 - 2 A 111/05 - siehe in diesem Zusammenhang auch die Vorschrift des § 27 Abs. 2 a SGB VIII.
Damit kann von einer anspruchsvernichtenden Bedarfsdeckung nicht ausgegangen werden.
Dem hier geltend gemachten Anspruch nach § 39 SGB VIII steht auch nicht - wie von den Beteiligten eingehend diskutiert - die Vor- und Nachrangbestimmung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII entgegen; denn diese Vorschrift, die die Konkurrenz von auf gleiche, gleichartige, kongruente, sich überschneidende oder deckungsgleiche Leistungen gerichteten Ansprüchen sowohl auf Jugendhilfe als auch auf Sozialhilfe regelt, ist nicht unmittelbar auf das Verhältnis zwischen Hilfebegehrendem und Sozialleistungsträger anwendbar, sondern hat - lediglich - Bedeutung für die Frage der Kostenerstattung zwischen dem Jugendhilfeträger und dem Sozialhilfeträger,
hierzu BVerwG, Urteil vom 23.9.1999 - 5 C 22.99 -, FEVS 51, 341.
Ein Anordnungsanspruch ist - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - auch nicht deshalb zu verneinen, weil sich das eingangs umschriebene Antragsbegehren der Antragstellerin - prozessual gesehen - auf die vorläufige Sicherstellung des Unterhalts ihres Mündels i. S. d. § 39 SGB VIII beschränkt. Zwar trifft es zu, dass Leistungen nach § 39 Abs. 1 SGB VIII zur Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts und zu den Kosten der Erziehung - materiell-rechtlich - lediglich unselbständige Annex-Leistungen zu den jeweiligen sozialpädagogischen Leistungen nach §§ 27, 33 SGB VIII darstellen und auch nur in diesem Kontext beantragt und gewährt werden können
vgl. hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 15.12.1995, a.a.O., sowie vom 2.3.2006 - 5 C 15/05 - und vom 24.9.2007 - 5 B 154/07 -, jeweils zitiert nach Juris; Wiesner, SGB VIII, 3. Auflage, § 39 Rz. 6, 7; Kunkel, LPK-SGB VIII, 3. Auflage, § 39 Rz. 3; Münder, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 5. Auflage, § 39 Rz. 4; Schellhorn, SGB VIII, 3. Auflage, § 39 Rz. 6.
Die im vorliegenden Verfahren konkret erstrebte Leistung betrifft indes die Gewährung solcher finanzieller Hilfen (Sicherstellung des Unterhalts des Mündels der Antragstellerin), die gerade nicht losgelöst von pädagogischer Hilfe auf der Grundlage des SGB VIII beantragt wurden und weiter begehrt werden. Denn die Leistungsansprüche werden, wie auch in der eingangs zur Antragsfassung wiedergegebenen Beschwerdebegründung nochmals verdeutlicht wurde, im Rahmen des Hauptsacheverfahrens (weiterhin) eindeutig umfassend verfolgt. Nur mit Blick auf die unterschiedliche Eilbedürftigkeit der Teilansprüche hinsichtlich Erziehung (§ 27 SGB VIII), Betreuung und Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und Unterhalt (§ 39 SGB VIII) hat die Antragstellerin im und für das Eilverfahren eine Differenzierung vorgenommen. Dies ist prozessual zulässig und mit Blick auf das Erfordernis des Vorliegens eines Anordnungsgrundes angemessen, ändert aber nichts an der tatsächlich gegebenen und materiell-rechtlich erforderlichen Geltendmachung der Gesamtleistung nach §§ 27, 33 und 39 SGB VIII.
Das Anordnungsbegehren der Antragstellerin scheitert im Ergebnis jedoch daran, dass sie - materiell-rechtlich - einen Anordnungsanspruch auf Unterhaltsleistungen nach § 39 SGB VIII in Verbindung mit den Hilfen für Erziehung i. S. d. § 27 SGB VIII und für Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII nicht mit dem in Verfahren der vorliegenden Art erforderlichen Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht hat.
Aus den Angaben der Antragstellerin im Rahmen ihres erstmaligen Antrags auf Jugendhilfeleistungen vom 19.1.2008 lässt sich entnehmen, dass ihr Mündel körperlich und geistig schwer behindert ist und seine geistige Entwicklung zum damaligen Zeitpunkt – bei einem Lebensalter von 13 Jahren - demjenigen eines etwa zwei- bis dreijährigen Kindes entsprach, dass seine Gedächtnis- und Orientierungsfähigkeit sehr eingeschränkt waren und der Besuch der Körper- und Geistigbehindertenschule Emmendingen-Wasser nur bei entsprechendem gesundheitlichen Wohlbefinden möglich war. Der Eintritt grundlegender Veränderungen ist zwischenzeitlich nicht geltend gemacht worden.
Danach zeigt die eigene Beschreibung der Pflege- und Betreuungssituation durch die Antragstellerin weder einen konkreten Erziehungsbedarf noch ein Erziehungsdefizit auf, dem durch Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII begegnet werden müsste. Dies wäre aber eine der grundlegenden Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Unterhaltsgewährung nach § 39 SGB VIII.
Ein solcher Erziehungsbedarf und damit ein durch Hilfeleistung auszugleichendes Erziehungsdefizit ergeben sich des Weiteren auch nicht aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Schreiben der E-Schule, E. vom 28.7.2009. Zwar wird dort von Entwicklungsfortschritten des Mündels in dem besuchten Bildungsgang für geistig behinderte Schüler und einer prinzipiellen Erziehungsfähigkeit auch im häuslichen Bereich berichtet. Auch ist aus der Sicht des Senats eine Erziehungsfähigkeit schwer geistig behinderter Kinder und Jugendlicher nicht generell zu verneinen.
Vorliegend ist jedoch eine Relativierung geboten. Zum einen kann nach dem von der Antragstellerin selbst beschriebenen Status ihres Mündels von einer wesentlichen Beeinflussbarkeit des Zustandes nicht ausgegangen werden. Zum anderen spricht nichts dafür, dass die bestehenden Defizite auf einem Erziehungsdefizit beruhen.
Nach derzeitigem Erkenntnisstand spricht vielmehr Überwiegendes dafür, dass die Hilfebedürftigkeit des Mündels der Antragstellerin im Kern auf dessen geistiger und körperlicher Behinderung beruht und als zentraler Bedarfsgegenstand die Milderung eben dieser Folgen auch im Rahmen der Betreuung anzusehen ist. Die Deckung dieses Bedarfs ist jedoch nicht Aufgabe und Ziel von Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII, die auf den Ausgleich von Erziehungsdefiziten (§ 27 SGB VIII) und Milderung bzw. Behebung seelischer Behinderung durch Eingliederungshilfemaßnahmen nach § 35 a SGB VIII abzielen.
Maßnahmen zur Milderung der Folgen körperlicher und geistiger Behinderung sind vielmehr Teil der Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des SGB XII, insbesondere des § 54 SGB XII, für deren Gewährung der Antragsgegner nicht passiv legitimiert ist.
In diesem Zusammenhang sei auch verwiesen auf die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem neugefassten § 54 Abs. 3 SGB XII (Leistungen für Betreuung körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher in einer Pflegefamilie) stehende Unterhaltsregelung des § 28 Abs. 5 SGB XII, die - laut Gesetzesbegründung BT-DS 16/13417 - gewährleistet, dass sich der Sozialhilfeträger im Einzelfall hinsichtlich der Höhe auch an den Pauschalsätzen der Jugendhilfe orientieren kann.
Was den von der Antragstellerin in der Hauptsche verfolgten Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII und Leistungen für Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII anbelangt, spricht danach bei der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Betrachtung Überwiegendes gegen das Bestehen eines solchen Anspruchs. Dies bedeutet zugleich, dass die Erfolgsaussichten auch für den im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemachten Anspruch auf Gewährung der vom Bestehen eines solchen Anspruchs abhängigen Annexleistung - Unterhalt nach § 39 SGB VIII – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu verneinen sind. Der geltend gemachte Anordnungsanspruch ist mithin nicht glaubhaft gemacht.
Vor diesem Hintergrund kann die im Wege einstweiliger Anordnung begehrte Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung einer Unterhaltsleistung nach § 39 SGB VIII für das Mündel der Antragstellerin im Rahmen des vorliegenden Eilrechtsschutzverfahrens nicht erfolgen.
Mithin ist die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.