Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 L 14/09

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Verzinsung überzahlter und rückerstatteter Abwasserabgaben.

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Seit dem 1. Januar 1998 betreibt die Klägerin das Hauptkanalsystem und die Zentrale Abwasserbeseitigungsbehandlung des Chemiestandortes A-Stadt und leitet auf der Grundlage entsprechender behördlicher Genehmigungen als Direkteinleiter Abwässer in die Saale ein. Mit Bescheid vom 23. Oktober 2002 setzte das Regierungspräsidium H-Stadt als Rechtsvorgänger des Beklagten gegenüber der Klägerin für das Einleiten von Schmutz- und Niederschlagswasser im Veranlagungsjahr 1998 eine Abwasserabgabe in Höhe von 2.350.313,82 DM fest. Von diesem Betrag waren nach Verrechnung mit Aufwendungen der Klägerin für Abwasseranlagen insgesamt 674.039,43 DM (344.630,89 Euro) zu zahlen.

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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 21. November 2002 Widerspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung des Festsetzungsbescheides. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2003 lehnte das Regierungspräsidium H-Stadt den Aussetzungsantrag der Klägerin ab. Die Klägerin beglich daraufhin am 3. Mai 2004 und am 21. Mai 2004 den im Festsetzungsbescheid vom 23. Oktober 2002 genannten Zahlungsbetrag in Höhe von 344.630,89 Euro.

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Mit Anhörungsschreiben vom 13. Juli 2005 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er beabsichtige, den Ausgangsbescheid teilweise aufzuheben und den von der Klägerin insoweit überzahlten Abwasserabgabenbetrag zu erstatten, wobei diesbezüglich mit einem Säumniszuschlag in Höhe von 62.028,00 Euro aufgerechnet werden solle. Im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Entwurf des Widerspruchsbescheides forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 22. August 2005 auf, den Erstattungsbetrag gemäß den §§ 233a, 238 AO zu verzinsen. Zugleich stellte sie den Antrag, aus Billigkeitsgründen Säumniszuschläge nur auf den mit dem Widerspruchsbescheid festgesetzten tatsächlichen Zahlbetrag zu erheben.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 21.Oktober 2005 hob der Beklagte den Festsetzungsbescheid vom 23. Oktober 2002 insoweit auf, als die von der Klägerin zu entrichtende Abwasserabgabe einen Betrag von 159.510,03 Euro überschreitet. Zugleich bestimmte er, dass die bereits von der Klägerin über diesen Betrag hinaus entrichtete Abwasserabgabe in Höhe von 185.120,84 Euro zurückerstattet wird. Zur Begründung der Nichtverzinsung des festgesetzten Erstattungsbetrages führte er aus, für eine Verzinsung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Regelung des § 233a AO seien nicht erfüllt, weil im vorliegenden Fall die ursprünglich festgesetzte Abwasserabgabe lediglich im Rechtsbehelfsverfahren teilweise reduziert worden sei. Die Erstattung des überzahlten Abgabenbetrages beruhe somit auf einer späteren Korrektur einer zu hoch bemessenen und erhobenen Vorausleistung. § 233a AO erfordere jedoch eine „zweifache“ Abgabenfestsetzung.

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Am 21. November 2005 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Halle Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA in der bis zum 21. Dezember 2009 geltenden Fassung sei § 233a AO auf Abwasserabgaben entsprechend anzuwenden, so dass eine Verzinsung zu erfolgen habe, wenn zwischen der festgesetzten Abwasserabgabe (Soll) und einer vorher festgesetzten Abgabe (Vorsoll) ein Unterschiedsbetrag bestehe. Dies sei hier der Fall. Denn mit dem Widerspruchsbescheid sei die ursprünglich festgesetzte Abwasserabgabe (Vorsoll) endgültig - und zwar um den Erstattungsbetrag vermindert (Unterschiedsbetrag) - festgesetzt worden (Soll). Einer Verzinsung des Erstattungsbetrages nach § 233a AO stehe nicht entgegen, dass die Herabsetzung der Abwasserabgabe im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens erfolgt sei. Denn gemäß der auch bei Änderungen im Rechtsbehelfsverfahren anwendbaren Regelung des § 233a Abs. 5 Satz 1 AO führe die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung einer bisher festgesetzten Abwasserabgabe jedenfalls zur Änderung einer bisherigen Zinsfestsetzung. Zudem widerspreche es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass der Beklagte für die gesamte ursprünglich festgesetzte Abwasserabgabe - d. h. auch für den rechtswidrig festgesetzten zurückzuerstattenden Betrag - Säumniszuschläge erhebe und mit dem Rückerstattungsbetrag verrechne, den Rückerstattungsbetrag aber nicht verzinse. Dadurch werde sie in doppelter Hinsicht belastet, einmal durch die Säumniszuschläge und dann noch durch den Zinsverlust für den überzahlten Betrag. Eine derartige wirtschaftliche Benachteiligung solle durch § 233a AO aber gerade ausgeglichen werden.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2005 insoweit aufzuheben, als hiermit die Verzinsung des zugleich festgesetzten Erstattungsbetrages in Höhe von 185.120,84 Euro abgelehnt wird, und
den Beklagten zu verpflichten, den im Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2005 festgesetzten Erstattungsbetrag in Höhe von 185.120,84 Euro für den Zeitraum vom 21. Mai 2004 bis zum 20. November 2005 zu verzinsen und einen Zinsbetrag in Höhe von 16.659,00 Euro zu zahlen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und ergänzend ausgeführt, mit der allgemeinen Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen solle ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig würden. Zur Herstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sollen Liquiditätsvorteile abgeschöpft werden, die aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheides entstanden seien. Die Regelung des § 233a AO basiere auf dem Prinzip der Steuersollverzinsung und beziehe sich nur auf den in Abs. 3 definierten Unterschiedsbetrag, der zwischen der festgesetzten Abgabe (Soll) und einer vorher festgesetzten Abgabe (Vorsoll) entstanden sein müsse. Im vorliegenden Fall sei eine „mehrfache“ Festsetzung der Abwasserabgabe in diesem Sinne nicht erfolgt. Die hier im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erfolgte Herabsetzung der von der Klägerin erhobenen Abwasserabgabe stelle keine nachträgliche Änderung im Sinne der Regelung dar und führe somit nicht zu einem Unterschiedsbetrag.

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Mit dem angefochtenen Urteil vom 27. November 2008 hat das Verwaltungsgericht Halle die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Verzinsung des ihr zurückerstatteten Betrages, weil es für einen derartigen Anspruch an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Insbesondere ergebe sich ein Anspruch auf Verzinsung nicht aus der in § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA angeordneten entsprechenden Anwendung des § 233a AO; denn diese Vorschrift finde auf im Widerspruchsverfahren entstandene Erstattungsansprüche keine Anwendung. Die in § 233a AO zugrunde gelegten Voraussetzungen für die Verzinsung eines Erstattungsanspruch seien auf ein besonderes gesetzgeberisches Anliegen zurückzuführen, das im Abwasserabgabenrecht nicht von Bedeutung sei. Mit der in § 233a AO vorgesehenen Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen habe der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen wollen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig würden. Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sollten Liquiditätsvorteile, die durch die spätere Steuerfestsetzung entstünden, für die Zeit nach Ablauf von fünfzehn Monaten nach Entstehung der Steuer abgeschöpft werden. § 233a AO normiere danach eine Verzinsung der Abgabe vor ihrer Fälligkeit und sei auf die in der Vorschrift ausdrücklich genannten Steuerarten zugeschnitten. Diese würden typischerweise laufend veranlagt, jedoch in der Regel nicht vor Festsetzung der Steuer durch einen entsprechenden Festsetzungsbescheid fällig. Da § 233a AO eine Verzinsung vor Fälligkeit regele, betreffe sie folglich Unterschiedsbeträge, die im laufenden Steuerfestsetzungsverfahren, d. h. bis zur Wirksamkeit des Festsetzungsbescheides entstünden. Vor diesem Hintergrund komme eine Anwendung des § 233a AO auf den hier zu entscheidenden Fall einer Abwasserabgabenreduzierung im Widerspruchsverfahren nicht in Betracht. Die von der Klägerin begehrte Verzinsung betreffe einen Zeitraum nach Fälligkeit der Abwasserabgabe, namentlich nach Festsetzung der Abwasserabgabe durch den Ausgangsbescheid des Regierungspräsidiums H-Stadt vom 23. Oktober 2002. Die Regelung des § 233a Abs. 1 bis 3 AO habe jedoch die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzung im Blick, nicht aber die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung im Rechtsbehelfsverfahren. Hierfür treffe § 233a Abs. 5 AO eine gesonderte Regelung. Obgleich diese Vorschrift auch bei Änderungen im Rechtsbehelfsverfahren entsprechende Anwendung finde, könne die Klägerin hieraus für den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Verzinsung nichts ableiten. § 233a Abs. 5 AO sei eine spezielle Rechtsgrundlage für die Änderung der Zinsfestsetzung im Falle der Änderung des Steuerfestsetzungsbescheides. Die Regelung trage daher der Akzessorietät der Zinsen von der Steuer als Hauptforderung Rechnung und regele die Berechnung des für die korrigierte Zinsfestsetzung maßgeblichen Unterschiedsbetrages ergänzend zu der allgemeinen Regelung des § 233a Abs. 3 AO für die Fälle einer nachträglichen Veränderung der Steuerfestsetzung als für die Zinsfestsetzung maßgeblicher Bemessungsgrundlage. Ihr sei somit das gleiche systematische Verständnis wie der Vorschrift des § 233a Abs. 1, 3 AO zugrunde zu legen. Es gehe hier mithin allein um - hier von der Klägerin allerdings nicht geltend gemachte - Vorfälligkeitszinsen, die an eine spätere Korrektur des Steuerfestsetzungsbescheides anzupassen seien.

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Die strukturellen Unterschiede zwischen den in § 233a Abs. 1 AO genannten besondere Steuerarten und der Abwasserabgabe begründeten generelle Zweifel an der Anwendbarkeit des § 233a AO im Abwasserabgabenrecht. Dem Abwasserabgabenrecht sei eine Verzinsung vor Fälligkeit der Abgabenschuld wesensfremd. Dort gebe es Verzinsungen lediglich nach Fälligkeit der Abgabenschuld und auch nur die Nacherhebung von Abwasserabgaben, wenn bereits ein Festsetzungsbescheid erlassen worden sei (§ 10 Abs. 3 S. 3 und 5 AbwAG). Die entsprechende Anwendung des § 233a AO auf Abwasserabgaben führe aber selbst im Falle ihrer auf Erstattungszinsen nach Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 dieser Vorschrift beschränkten Anwendung zu sinnwidrigen Ergebnissen. Nach § 233a Abs. 3 Satz 3 AO sei zwar nur der zu erstattende Betrag zu verzinsen und die Verjährung beginne frühestens mit dem Tag der Zahlung. Gleichwohl sei auch für den Fall, dass sich ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Abgabenpflichtigen ergebe, die Karenzfrist des § 233a Abs. 2 AO zu beachten, so dass Erstattungszinsen erst nach Ablauf der Karenzfrist bis zur Abgabenfestsetzung anfallen würden. Eine den Interessen des Abgabenpflichtigen, der den zunächst zu hoch festgesetzten, aber später ermäßigten Abwasserabgabebetrag mit dessen Fälligkeit beglichen habe, gerecht werdende und vernünftige Einschränkung stelle dies aber nicht dar. Eine sinnvolle Anwendung des § 233a AO wäre folglich nur ohne Abs. 2 denkbar. Dann aber würde im Ergebnis eine neue Regelung zugunsten des Abgabenschuldners geschaffen, nicht aber die Regelung des § 233a AO entsprechend angewendet. Dementsprechend hätten sämtliche Bundesländer - mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt und Sachsen - von einer gesetzlicher Verweisung auf die Vorschrift des § 233a AO abgesehen.

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Weder der Verweis der Klägerin auf eine doppelte Belastung durch die Erhebung von Säumniszuschlägen und den Zinsverlust für den bereits vor Bestandskraft des Festsetzungsbescheides entrichteten Abwasserabgabenbetrag noch ihr Einwand, sie werde dadurch benachteiligt, dass ihr im Fall der Nichtverzinsung des Erstattungsbetrages das Zinsverlustrisiko für den Zeitraum zwischen der vollständigen Zahlung der im Ausgangsbescheid der Höhe nach zu Unrecht festgesetzten Abwasserabgabe und der Erstattung des überzahlten Betrages übertragen werde, änderten hieran nichts.

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Schließlich ergebe sich der Verzinsungsanspruch aufgrund der abschließenden Regelung des § 233 AO auch nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.

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Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung bekräftigt die Klägerin ihre Auffassung, dass § 233a AO aufgrund der ausdrücklichen Verweisung in § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA anwendbar sein müsse. Diese Beurteilung ergebe bereits eine Auslegung nach dem Wortlaut der Norm, der der Exekutive einen eindeutigen Anwendungsbefehl im Hinblick auf die Vorschrift des § 233a AO erteile („ sind (...) anzuwenden“). Zwar sei die Norm aufgrund des Charakters der Abwasserabgabe als „ nicht -steuerliche“ Abgabe“ nicht unmittelbar, aber mit Blick auf die Regelungstechnik in § 14 AbwAG und des Urteils des OVG Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1982 ausnahmslos nach einer sprachlichen Angleichung „entsprechend“ anzuwenden. Insoweit sei der Stellenwert der Wortlaut-Auslegung innerhalb der Auslegungs-Kanons gerade bei altersmäßig jüngeren Rechtsvorschriften besonders hoch. Das angefochtene Urteil sei auch deshalb unrichtig, weil es nicht den Anforderungen an eine verfassungskonforme Auslegung der streitentscheidenden Norm genüge; insbesondere habe das Verwaltungsgericht die gesetzgeberische Entscheidung nicht korrigieren und sich mit der Erklärung der Nichtanwendbarkeit des § 233a AO an die Stelle des Gesetzgebers setzen dürfen. Das Verwaltungsgericht habe seine Aufgabe nicht als Rechtmäßigkeitskontrolle von Verwaltungsakten, sondern als Kontrolle der „Sinnhaftigkeit“ gesetzlicher Regelungen verstanden. Dies stelle einen klaren und eindeutigen Verstoß gegen die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) dar. Die im angegriffenen Urteil vorgenommene Auslegung, die der Justiz das Recht vorbehalte, selbst zu entscheiden, welche vom Gesetzgeber für anwendbar erklärten Rechtsvorschriften sie tatsächlich anwende, verletze zudem das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot für Rechtsvorschriften sowie den Grundsatz der Normenklarheit. Der sachsen-anhaltische Gesetzgeber habe klar und eindeutig die entsprechende Anwendbarkeit des § 233a AO erklärt, so dass sich die Verweisungsnorm einer richterlichen Korrektur entziehe; insbesondere sei aufgrund des eindeutigen Wortlauts von § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG für den Rechtsunterworfenen nicht ansatzweise von vornherein erkennbar, dass eine Anwendung von § 233a AO auf im Widerspruchsverfahren entstandene Erstattungsansprüche wegen überzahlter Abwasserabgaben zu „offenkundig sinnwidrigen oder schlechthin“ mit dem Abwasserabgabenrecht unvereinbaren Ergebnissen führe. Gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung spreche ferner die historisch-teleologische Auslegung. Diese lasse ausgehend von den Erwägungen des Verwaltungsgerichts nur einen Schluss zu, nämlich denjenigen, dass der Landesgesetzgeber die vollständige Anwendung der in Bezug genommenen Vorschriften auf das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren für Abwasserabgaben gewollt habe. Der Gesetzesbegründung zu dem ursprünglich vorgesehenen § 12 AG AbwAG LSA lasse sich weder zwingend entnehmen, dass dem Landesgesetzgeber der besondere Regelungscharakter und Anwendungsbereich des § 233a AO bewusst gewesen sei noch, dass er ihm nicht bewusst gewesen sei. Seien aber zwei verschiedene Deutungen einer Rechtnorm möglich, so verdiene ungeachtet eines entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers diejenige den Vorzug, die den Grundsätzen der Verfassung, hier dem Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit, besser entspreche. Auch das Oberlandesgericht Naumburg habe in einer Entscheidung vom 2. Februar 2007 dem gesetzgeberischen Anwendungsbefehl schlicht Folge geleistet. Das Verwaltungsgericht könne sich zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung auch nicht auf die Gesetzesbegründung zu § 16 des Thüringer Abwasserabgabengesetzes berufen, der zu § 233a AO keine Aussage getroffen habe. Schließlich spreche auch die teleologische Auslegung für ihre Auffassung der Anwendbarkeit des § 233a AO auf abwasserabgabenrechtliche Erstattungsansprüche; denn Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei es, dem Interessenkonflikt, dass dem öffentlichen Interesse an einer wirkungsvollen Anwendung des AbwAG zur Verbesserung des Gewässerschutzes Vorrang gegenüber den privaten Interessen des betroffenen Abgabenpflichtigen eingeräumt werde, durch die Verzinsung von Erstattungsansprüchen Rechnung zu tragen. Das Verwaltungsgericht habe mit seiner Entscheidung gegen sämtliche Auslegungsgrundsätze verstoßen und mit seiner Feststellung, § 233a AO sei überhaupt nicht anwendbar, das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot für Rechtsnormen verletzt. Im Übrigen sei die Anwendbarkeit von § 233a AO auf Abwasserabgaben einhellige Meinung in der Literatur. Der Zinsanspruch ergebe sich schließlich aus dem Rechtsinstitut des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 3. Kammer - vom 27. November 2008 zu ändern und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2005 insoweit aufzuheben, als hiermit die Verzinsung des zugleich festgesetzten Erstattungsbetrages in Höhe von 185.120,84 Euro abgelehnt wird, und den Beklagten zu verpflichten, den im Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2005 festgesetzten Erstattungsbetrag in Höhe von 185.120,84 Euro für den Zeitraum vom 21. Mai 2004 bis zum 20. November 2005 zu verzinsen und an sie einen Zinsbetrag in Höhe von 16.659,00 Euro zu zahlen.

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Der Beklagte,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er führt aus, die Wesensverschiedenheit der Abwasserabgabe von den in § 233a AO genannten Steuerarten schließe eine Anwendung des § 233a AO aus. Voraussetzung der Zinserhebung nach § 233a Abs. 1 und 3 AO sei, dass ein Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und einer vorher festgesetzten Steuer bestehe. Die Abwasserabgabenbehörde setze die Abwasserabgabe aber nur einmal durch Bescheid gegenüber dem Einleiter bzw. Abgabenschuldner fest, so dass mangels einer zweiten Festsetzung gar kein Unterschiedsbetrag entstehe, der Grundlage für eine Vollverzinsung nach § 233a AO sein könne; insbesondere sei die Verrechnung von Aufwendungen nach § 10 Abs. 3 bis 5 AbwAG kein solcher Minderungsposten. Auch entstehe im Abwasserabgabenrecht ein Unterschiedsbetrag im Sinne von § 233a AO nicht durch den Erlass sog. Vorauszahlungsbescheide, denen eine endgültige Festsetzung folgen müsse (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO) oder durch die Aufhebung oder Änderung eines Bescheides im Rechtsbehelfsverfahren. Das angefochtene Urteil verstoße nicht gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Rechtsprechung und Verwaltung; vielmehr sei die Normauslegung aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip sogar geboten. Die insoweit vom Verwaltungsgericht angestellte rechtsvergleichende Betrachtung der Rechtslage in anderen Bundesländern unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung, hier konkret mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. März 2007, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Mit Artikel 4 des Gesetzes zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften vom 16. Dezember 2009 (GVBl. LSA 708 ff.), das am 22. Dezember 2009 in Kraft getreten ist, hat der Landesgesetzgeber § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA geändert und die Verweisung auf § 233a AO gestrichen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.

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Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen einen Anspruch der Klägerin auf Verzinsung des ihr zurückerstatteten Betrages in Höhe von 185.120,84 Euro abgelehnt; insoweit ist der angefochtene Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2005 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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I. Ohne Erfolg verweist die Klägerin zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung auf den Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 4 des Ausführungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt zum Abwasserabgabengesetz - AG AbwAG LSA -, wonach für Verfahren nach diesem Gesetz u. a. aus dem Fünften Teil - Erhebungsverfahren - die §§ 228 bis 239 der Abgabenordnung - AO - entsprechend anzuwenden sind. Der von ihr aus dieser Norm hergeleitete eindeutige Anwendungsbefehl zugunsten von § 233a AO besteht nach Auffassung des Senats nicht.

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Dabei ist zunächst festzustellen, dass eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine reine Wortinterpretation verfassungsrechtlich nicht vorgeschrieben ist (BVerfG, Beschl. v. 06.04.2000 - 1 BvL 18/99, 1 BvL 19/99 -, zit. nach juris). Vielmehr gehört eine teleologische Reduktion von Vorschriften entgegen dem Wortlaut ebenfalls zu den anerkannten und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (BVerfG, Beschl. v. 30.03.1993 - 1 BvR 1045/89 u.a. -, zit. nach juris), die insbesondere dann geboten ist, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (BFH, Beschl. v. 08.09.2004 - X B 51/04 -, zit. nach juris). Dies kann beispielsweise bei einem erkennbaren bzw. offensichtlichen Redaktionsversehen - wie hier - der Fall sein (BVerfG, Beschl. v. 17.02.1999 - 1 BvR 1422/92 -; Beschl. v. 11.03.2009 - 1 BvR 3413/08 -; BFH, Urt. v. 08.09.2000 - IV R 37/99 -, alle zit. nach juris); denn entgegen der Auffassung der Klägerin würde eine wörtliche Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA, dass § 233a AO entsprechend anzuwenden ist , zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen, das vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann.

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Zwar weist die Klägerin unter Auslegung des in § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA geregelten Zusatzes „entsprechend anzuwenden“ und § 14 des Abwasserabgabengesetzes - AbwAG - zu Recht darauf hin, dass § 233a AO keine unmittelbare Anwendung findet. Hiervon ist aber auch das Verwaltungsgericht nicht ausgegangen, sondern hat von vornherein lediglich eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf den geltend gemachten Verzinsungsanspruch geprüft. Auch hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Rechtsfrage, ob eine entsprechende Anwendung des § 233a AO auf die hier streitige Verzinsung einer abwasserabgabenrechtlichen Erstattungsforderung überhaupt möglich ist, das grundlegende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1982 (Az: 6 A 286/80, AS RP-SL 17, 223 ff.) nicht „bewusst beiseite gelassen“, sondern hat sich - im Gegenteil - der in dieser Entscheidung ausdrücklich vertretenen und vom Verwaltungsgericht auch wiedergegebenen Auffassung (vgl. UA S. 6/7), dass - abgesehen davon, dass die sinngemäße Anwendung einer Norm nach allgemeinem Sprachverständnis nicht ohne weiteres auch eine „Nichtanwendung“ einschließt - eine Begrenzung des Geltungsbereichs der verwiesenen Normen, hier der Bestimmungen der Abgabenordnung, unter den genannten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen nur dann in Betracht kommt, wenn ihre Anwendung im Einzelfall zu auch und gerade für den Rechtsunterworfenen von vornherein erkennbaren, offenkundig sinnwidrigen oder schlechthin mit dem - im vorliegenden Fall - kommunalen Abgabenrecht unvereinbaren Ergebnissen führen würde, darüber hinaus auch dann, wenn hierdurch gegen höherrangige, d. h. verfassungsrechtliche Rechtsgrundsätze verstoßen würde, mit ausführlicher Begründung angeschlossen und „ausgehend von diesen Grundsätzen“ eine entsprechende Anwendung des § 233a AO auf Erstattungsansprüche des Abwasserabgabenschuldners verneint (vgl. UA S. 7), weil das in diesem Fall notwendige Aussortieren „sinnwidriger“ Tatbestandselemente dazu führen würde, dass die Bestimmung für Erstattungsansprüche im Abwasserabgabenrecht gleichsam „neu erfunden“ werde (UA S. 9).

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Der Senat schließt sich insoweit vollumfänglich den rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts und der vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 14. März 2007 (Az: 6 A 11636/06, zit. nach juris) vertretenen Auffassung zur Nichtanwendbarkeit des § 233a AO im kommunalen Beitragsrecht auch für das Abwasserabgabenrecht in Sachsen-Anhalt an. Die Bestimmung des § 233a AO ist mit wesentlichen Grundsätzen des Abwasserabgabenrechts nicht vereinbar, die eine entsprechende Anwendung der Norm ausschließen. Dies ergibt ein Blick auf die Rechtsentwicklung dieser Vorschrift: Die Abgabenordnung regelte zunächst nur spezielle Zinstatbestände, die eine Verzinsung an besondere gesetzliche Voraussetzungen, z. B. Stundung (§ 234 AO), Hinterziehung (§ 235 AO), Rechtshängigkeit (§ 236 AO) oder die Aussetzung der Vollziehung (§ 237), knüpften. Vor allem für Veranlagungssteuern traten bis zum erstmaligen Erlass eines Steuerbescheides erhebliche Verzinsungslücken auf, die einerseits bei Nachzahlungen auf die festgesetzte Steuerschuld zu Zinsnachteilen für den Fiskus und andererseits in Erstattungsfällen zu Zinseinbußen für den Steuerpflichtigen führten. Die Unverzinslichkeit bis zum Eintritt der Fälligkeit wirkte sich, insbesondere beim Erlass von Änderungsbescheiden aufgrund einer Außenprüfung, die in der Regel erst Jahre nach Entstehung des Steueranspruchs durchgeführt wird, in besonderem Maße aus. Mit der Einführung des § 233a AO durch das Steuerreformgesetz 1990 (BGBl. I 1988, 1093) sollten nach dem Willen des Gesetzgebers diese Zins- und Liquiditätsvor- bzw. -nachteile im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen ausgeglichen werden (vgl. BT-Drucksache 8/1410 S. 4; BFH, Urt. v. 30.03.2006 - V R 60/04 -, zit. nach juris; Tipke/Kruse, AO, § 233a Rdnr. 3 m.w.N.; Pahlke/König, AO, 2. Aufl. § 233a Rdnr. 1).

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§ 233 a Abs. 1 Satz 1 AO ordnet eine Verzinsung des Unterschiedsbetrages an, zu dem die endgültige Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer gegenüber einer zuvor erfolgten oder unterlassenen Veranlagung führt, wobei der Zinslauf frühestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233 a Abs. 2 Satz 1 AO). Zweck der Regelungen in § 233a AO ist es demnach, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Die in § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll die Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen, die durch die unterschiedliche Dauer der Veranlagungsarbeiten entsteht, durch Abschöpfung des Zinsvorteils weitgehend beseitigen (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucksache 11/2157, S. 194) und zugleich die Zinsvorteile und -nachteile zwischen Fiskus und Steuerpflichtigen ausgleichen (BFH, Urt. v. 30.03.2006, a. a. O.; Pahlke/König, a. a. O.). Die Vorschrift setzt damit ein spezielles gesetzgeberisches Anliegen um, das im Abwasserabgabenrecht nicht von Bedeutung ist, insbesondere ist dem Abwasserabgabenrecht - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt - eine Verzinsung vor Fälligkeit der Beitragsschuld fremd. Auch die Karenzzeit von 15 Monaten macht im Abwasserabgabenrecht keinen Sinn, so dass die von der Klägerin dargestellte sprachliche Angleichung („Führt die Festsetzung der Abwasserabgabe zu einem Unterschiedsbetrag im Sinne des Absatzes 3, ist dieser zu verzinsen“) wegen des ebenfalls zu berücksichtigenden § 233 Abs. 2 AO nicht ohne Weiteres möglich ist. Unter diesen Umständen würde § 233a AO nicht mehr „entsprechend“ angewendet, sondern nach Umdeutung und ggf. Hinwegdenken einzelner Tatbestandsmerkmale (hier von Abs. 2) einen völlig neuen - und nach der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1982 zur Bedeutung der Wortlaut-Auslegung auch offensichtlich sinnentfremdeten - Inhalt bekommen und damit im Ergebnis eine neue Regelung zugunsten des Abwasserabgabenschuldners geschaffen, die nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprechen kann.

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II.  Mangels sinngebender Auslegung anhand des Wortlauts hat das Verwaltungsgericht mithin zu Recht die hier in Rede stehenden Vorschriften unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Gesetzes, der sich in der Regel der Gesetzesbegründung entnehmen lässt, dahingehend ausgelegt, dass § 233a AO jedenfalls für auf im Widerspruchsverfahren entstandene Erstattungsansprüche des Abwasserabgabenschuldners wegen überzahlter Abwasserabgaben keine Anwendung findet; insbesondere genügt das von der Vorinstanz gefundene Ergebnis den Anforderungen an eine verfassungskonforme Auslegung der streitentscheidenden Norm. Sie ist mit dem Rechtsstaatsprinzip und mit der in Art. 20 Abs. 3 GG vorgeschriebenen Bindung des Richters an Gesetz und Recht vereinbar.

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1. Der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht seine Aufgabe nicht als Rechtmäßigkeitskontrolle von Verwaltungsakten, sondern als Kontrolle der „Sinnhaftigkeit“ gesetzlicher Regelungen verstanden und dementsprechend eine Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung vorgenommen, ist schon deswegen nicht erfolgreich, weil die Auslegung einer Rechtsnorm anhand der in der Rechtswissenschaft entwickelten Auslegungstheorien (vgl. die Darstellung bei Larenz, Methodenlehre, S. 302 ff.), -methoden und -kriterien zu den Kernaufgaben der Judikatur gehört, so dass allein die Anwendung dieser Grundsätze, um bestehende Zweifel über den Geltungsanspruch einer Rechtsnorm zu beseitigen, also ihren Inhalt überzeugend zu erklären, keinen „klaren und eindeutigen Verstoß gegen die Bindung des Richters an Recht und Gesetz“ darstellen kann.

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Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist dabei der in dieser zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesvorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Sinn und Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Die Notwendigkeit der Gesetzesauslegung ergibt sich daraus, dass der Wortlaut der Gesetze meist nicht so eindeutig ist, dass der Geltungsanspruch der Norm für den zu beurteilenden Sachverhalt auch ohne Zwischenschritt der Interpretation festgestellt werden könnte. Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen (BVerfG, Beschl. v. 17.05.1960 - 2 BvL 11/59 und 11/60 -, BVerfGE 11, 126 <130>). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht anhand rechtlich nicht zu beanstandender Auslegungskriterien (Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und Sinn und Zweck der Norm) begründet, weshalb es von der Nichtanwendbarkeit des § 233a AO trotz der in § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA enthaltenen Verweisung ausgeht. Diese Auslegungsmethodik des Verwaltungsgerichts wird im Übrigen auch von der Klägerin in ihrer Berufungsschrift vom 22. Dezember 2008 bestätigt, wenn diese feststellt, dass „das VG auf den Seiten 6-11 anhand von systematischen Erwägungen, Überlegungen zu Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften und vor allem anhand des Ergebnisses, zu dem die Anwendung führen würde, prüft, ob die Anwendung erfolgen oder unterbleiben soll“. Letztlich hat das Verwaltungsgericht die Nichtanwendbarkeit der Norm nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen erklärt, sondern in der pauschalen Verweisung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA auf die §§ 228 bis 239 ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers gesehen; diese Bewertung ist vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Sinn und Zwecks des § 233a AO und mit Blick auf die aufgezeigten Auslegungsgrundsätze gerechtfertigt.

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2.  Die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung verletzt auch nicht das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot für Rechtsvorschriften oder den Grundsatz der Normenklarheit (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u. a. -, zit. nach juris) . Dies könnte nach den obigen Ausführungen allenfalls dann gelten, wenn die Gerichte an eine Auslegung allein nach dem Wortlaut des Gesetzes gebunden wären, es ihnen also generell verwehrt wäre, eine Begrenzung des Geltungsbereichs einer Norm unter Beachtung verfassungsrechtlicher Auslegungsgrundsätze vorzunehmen. Dies ist aber nach Auffassung des Senats gerade nicht der Fall.

35

Dieser Auffassung widersprechen auch die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1982 und 14. März 2007 nicht; insbesondere hat dieses Gericht sich nicht „gegen eine richterliche Korrektur gesetzgeberischer Verweisungsnormen auf die AO ausgesprochen“, sondern diese ausdrücklich unter besonderen Voraussetzungen anerkannt. So hat das Gericht schon in seinem Urteil vom 24. Februar 1982 - wie oben ausgeführt - die Auffassung vertreten, dass eine Begrenzung des Geltungsbereichs der verwiesenen Normen dann in Betracht kommt, wenn ihre Anwendung im Einzelfall zu auch und gerade für den Rechtsunterworfenen von vornherein erkennbaren, offenkundig sinnwidrigen oder schlechthin unvereinbaren Ergebnissen führen würde oder wenn hierdurch gegen höherrangige, d. h. verfassungsrechtliche Rechtsgrundsätze verstoßen würde. Dieser Auffassung hat sich das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 14. März 2007 (a. a. O.) ausdrücklich angeschlossen und für den zu entscheidenden Fall eine entsprechende Anwendung des § 233 a AO - trotz einer in § 3 Abs. 1 Nr. 5 des rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetz angeordneten entsprechenden Anwendung des § 233a AO - auf Beitragserstattungsansprüche verneint.

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III.  Ergibt sich mithin aus Sinn und Zweck der Verweisungsnorm des § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA die Nichtanwendbarkeit des § 233a AO im vorliegenden Fall, ist die Entstehungsgeschichte der Vorschrift (historische Auslegung) nicht mehr von entscheidender Bedeutung, zumal die Gesetzesbegründung für die ursprünglich in § 12 AG AbwAG LSA vorgesehene Verweisungsnorm (vgl. LT-Drucksache 1/1074 S. 5) nicht erkennen lässt, dass sich der Landesgesetzgeber über die Bedeutung der Verweisung im Allgemeinen und den besonderen Regelungscharakter und Anwendungsbereich des § 233a AO im Besonderen bewusst gewesen ist. Eine historische Auslegung, die das Verwaltungsgericht allerdings im Rahmen seiner Rechtsvergleichung mit anderen Bundesländern und seinen Erwägungen zu § 16 des Thüringer Abwasserabgabengesetzes ohnehin nicht vorgenommen haben dürfte, ist demnach nicht weiterführend, da sie - wie die Klägerin zu Recht feststellt - „in beiden Richtungen neutral“ ist. Damit lässt sich der Formulierung aber auch nicht zwingend entnehmen, dass die Norm historisch bedingt in eine bestimmte Richtung auszulegen ist. Insoweit gibt auch die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg vom 2. Februar 2007 - 10 U 36/06 (Hs) - nichts her, weil diese mit keinem Wort die Frage der „entsprechenden“ Anwendbarkeit der in Bezug genommenen Vorschriften der Abgabenordnung thematisiert. Im Übrigen war Gegenstand der Entscheidung nicht § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA, sondern die Verweisungsnorm des § 11 Abs. 1 Nr. 3 AG AbwAG LSA.

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Allerdings ergibt sich aus der mit Art. 4 des Gesetzes zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften vom 16. Dezember 2009 bewirkten Änderung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA, wonach nunmehr für Verfahren nach diesem Gesetz aus dem Fünften Teil - Erhebungsverfahren - die „§§ 219, 228 bis 233, 234 bis 239, 240 Abs. 1 Satz 3“ der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden sind, und der dazu gehörenden Gesetzesbegründung, dass vom Gesetzgeber eine entsprechende Anwendung des § 233a AO von Anfang an nicht beabsichtigt war. In der Begründung zu Artikel 4 Nr. 2 (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA) heißt es nämlich ausdrücklich:

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„Mit der Änderung wird klargestellt, dass die entsprechende Anwendung des § 233a der Abgabenordnung (AO) im Erhebungsverfahren der Abwasserabgabe nicht beabsichtigt war, weil diese typischerweise steuerrechtliche Vorschrift nicht in das abwasserabgabenrechtliche Gefüge einzuordnen ist. Diese Beurteilung entspricht auch der Rechtslage in den anderen 15 Ländern, die den § 233a AO nicht für entsprechend anwendbar auf das Abwasserabgabenrecht erklärt haben.

39

Die Anwendung des § 233a AO würde zu der nicht beabsichtigten Auswirkung führen, dass das Land auf die den Abgabenschuldnern zurück zu erstattende Abwasserabgabezahlungen Zinsen zu leisten hätte.

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Zudem führt die Anwendung des § 233a AO dazu, bei den Abgabeschuldnern tatsächliche oder fiktive Zinsvorteile abzuschöpfen. Neben den höheren Verwaltungsaufwendungen, die die Anwendung des § 233a AO zur Folge hätte, würde die fiktive Zinsabschöpfung außerdem eine zusätzliche finanzielle Belastung der Gewässerbenutzer (Abwassereinleiter) zur Folge haben, die z. B. im kommunalen Bereich auf die Bürger abgewälzt und zu einer Verteuerung der Abwasserentgelte im Land führen würde.“

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IV.  Schließlich spricht auch die teleologische Auslegung nicht für die von der Klägerin vertretene Auffassung einer (entsprechenden) Anwendbarkeit des § 233a AO. Ausweislich der Gesetzesbegründung war es Sinn und Zweck des ursprünglich vorgesehenen § 12 AG AbwAG LSA, jetzt § 11 AG AbwAG LSA, die für den finanzrechtlichen Vollzug durch die Finanzbehörden des Landes auf die Abwasserabgabe anzuwendenden finanzrechtlichen Bestimmungen festzulegen (LT-Drucksache 1/1074 S. 5), den zuständigen Behörden also das notwendige „Handwerkszeug“ für das Erhebungsverfahren bereitzustellen. Mithin bedeutet die Verweisung lediglich einen Verzicht auf die Aufnahme des vollen Wortlautes der in Bezug genommenen Vorschriften in die Verweisungsnorm und stellt lediglich einen der Vereinfachung dienenden gesetzestechnischen Behelf dar. Dieser Zweck kann allerdings nur dann erreicht werden, wenn die in Bezug genommene Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck zur Anwendung geeignet ist. Die Verweisung bedarf daher auch mit Blick auf die Vorschrift, deren entsprechende Anwendung bestimmt worden ist, der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, aus dem Bedeutungszusammenhang, aus ihrem Zweck und ggf. aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Die Anwendung dieser Auslegungskriterien führt indes zu der oben aufgezeigten Nichtanwendbarkeit des § 233a AO trotz der in § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA bestimmten Verweisung auf die „§§ 228 bis 239“.

42

V.  Die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA wird auch nicht durch eine publizierte Gesetzesinterpretation (hier zur Anwendbarkeit von § 233a AO von Köhler/Meyer, Kommentar zum Abwasserabgabengesetz, 2. Aufl., § 1 Rdnr. 176; weitere Vertreter dieser Auffassung sind nicht ersichtlich und werden auch von der Klägerin nicht zitiert) fehlerhaft, mag es sich dabei auch um „ den Standardkommentar zum AbwAG“ handeln. Da im Übrigen die mit der Rechtsanwendung notwendigerweise verbundene Gesetzesauslegung Teil der unabhängigen richterlichen Entscheidungsfindung ist, können andere Rechtsauffassungen die Gerichte bei der Auslegung von Gesetzes- und Verordnungsrecht ohnehin nicht binden.

43

VI.  Soweit die Klägerin schließlich der Ansicht ist, ein Zinsanspruch könne sich aus dem Rechtsinstitut des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ergeben, hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die für das Abwasserabgabenrecht abschließende Regelung nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA i. V. m. § 233 Satz 1 AO verwiesen. Danach werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Insofern scheidet eine Geltendmachung nach allgemeinen Grundsätzen aus. Hieraus ergibt sich auch kein Widerspruch zu dem oben begründeten Ausschluss der Anwendbarkeit des § 233a AO; insbesondere bedurfte nicht die vom Gesetzgeber gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA erklärte entsprechende Anwendung des § 233 AO einer Begründung, sondern ausschließlich das nach einer Prüfung der Norm begründete Ergebnis, ausnahmsweise die Anwendbarkeit einer Norm auszuschließen.

44

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

45

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

46

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor; insbesondere hat die Rechtssache mit Blick auf die hier notwendige Auslegung einer landesrechtlichen Verweisungsnorm (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 AG AbwAG LSA), die zudem inzwischen geändert worden ist, keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).


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