Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 O 9/15
Gründe
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil das Verfahren vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch bereits durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet worden ist.
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Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt regelmäßig nicht mehr in Betracht, wenn das Verfahren in der Hauptsache bereits beendet ist (vgl. Beschl. d. Senats v. 13.10.2011 – 2 O 108/11 –, juris m.w.N.). Dies folgt insbesondere aus der Beschränkung auf eine „beabsichtigte" Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung und der Funktion der Prozesskostenhilfe, einer bedürftigen Partei den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz zu ermöglichen. Demgegenüber hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht die Aufgabe, finanziell bedürftige Personen für prozessbedingte Kosten bzw. dafür eingegangene Verpflichtungen nachträglich zu entschädigen. Eine rückwirkende Gewährung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss des Verfahrens ist allerdings aus Gründen der Billigkeit in besonders gelagerten Einzelfällen angebracht. Sie kann ausnahmsweise in Fällen geboten sein, in denen die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung zu einem früheren Zeitpunkt, als die Rechtsverfolgung noch beabsichtigt war, vorgelegen haben und es lediglich in Folge eines Versäumnisses des Gerichts nicht zu einer rechtzeitigen Entscheidung über den Bewilligungsantrag gekommen ist (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 24.08.2011 – 1 O 128/11 –, juris). Gleiches gilt, wenn der Kläger vor dem Wegfall der Rechtshängigkeit alles ihm Zumutbare getan hat, um eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu erreichen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 20.05.2014 – 11 PA 186/13 –, juris RdNr. 8).
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Hiernach kommt eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe zugunsten der Klägerin nicht in Betracht. Im Zeitpunkt der Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch am 28.11.2014 ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren bereits beendet gewesen. Der Rechtsstreit ist durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten vom 07.10.2014 und 23.10.2014 beendet worden.
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Es ist auch nicht aus Gründen der Billigkeit geboten, ausnahmsweise rückwirkend Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe lagen auch vor der Beendigung des Verfahrens durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen nicht vor, denn die Klage hatte keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie war gegen den falschen Beklagten gerichtet. Richtiger Beklagte für die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. Duldung war der Landkreis Saalekreis. Die Klage war jedoch gegen die Widerspruchsbehörde – den Beklagten – gerichtet. Damit konnte sie keinen Erfolg haben.
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Das Verwaltungsgericht hat auch nicht – wie die Klägerin meint – gegen die aus § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO folgende Verpflichtung zur Aufforderung zur Ergänzung der Klageschrift verstoßen. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand bezeichnen. Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht in vollem Umfange, so hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Diesen rein formellen Anforderungen genügte die Klage der Klägerin jedoch. Weitergehende materiell-rechtlich bedingte Ergänzungen hat die Vorschrift demgegenüber nicht im Blick (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.05.1991 – 2 BvR 170/85 –, juris RdNr. 11).
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Es bedarf keiner Vertiefung, ob das Verwaltungsgericht mit dem – möglicherweise missverständlichen – Hinweis vom 24.07.2014 seiner Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO entsprochen hat. Gemäß § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende unter anderem darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt bzw. unklare Anträge erläutert werden. Durch die in dieser Vorschrift zur Pflicht gemachten Hinweise müssen die Verwaltungsgerichte aufgrund ihres besseren Überblicks dem Kläger bei der Rechtsverfolgung behilflich sein und ihm den rechten Weg weisen, wie er im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten das erstrebte Ziel am besten und zweckmäßigsten erreichen kann. Die Hinweispflicht umfasst je nach der Lage des Einzelfalles auch den Hinweis auf solche als sachdienlich angesehene Anträge, die nur im Rahmen der Klagänderung in den anhängigen Rechtsstreit eingeführt werden können. Ist der Kläger anwaltlich vertreten, so ist die Belehrungspflicht ihrem Umfang nach zwar geringer als sonst; sie ist jedoch nicht etwa von vornherein ausgeschlossen. Die Unterlassung einer Anregung zur Änderung eines Klagantrages stellt einen Verfahrensmangel dar, wenn sich eine solche Anregung dem Vorsitzenden nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage aufdrängen musste (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.05.1991 – 2 BvR 170/85 – a.a.O. RdNr. 12). Es kann offen bleiben, ob der Vorsitzende hiernach verpflichtet war, die anwaltlich vertretene Klägerin darauf hinzuweisen, dass ihr Klageziel nur mit einer Klage gegen den Landkreis Saalekreis, nicht aber mit einer Klage gegen das Landesverwaltungsamt erreicht werden kann, und damit einen Wechsel des Beklagten anzuregen, der auch nach Ablauf der Klagefrist noch möglich gewesen wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.01.1993 – BVerwG 7 B 158.92 –, juris). Selbst wenn eine dahingehende Verpflichtung des Vorsitzenden anzunehmen wäre, würde hierin allenfalls ein im vorliegenden Zusammenhang nicht relevanter Verfahrensmangel liegen. Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Gewährung von Prozesskostenhilfe ließe sich hieraus nicht ableiten.
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Die Klägerin hat auch nicht alles ihr Zumutbare getan, um eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag noch vor Wegfall der Rechtshängigkeit zu erreichen. Sie hat zwar mit Schriftsatz vom 07.10.2014 gebeten, eine Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch zu treffen, jedoch zugleich den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Sie hätte eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag noch vor Wegfall der Rechtshängigkeit dadurch erreichen können, dass sie die Erledigungserklärung erst nach einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag abgibt. Hat es der bedürftige Prozessbeteiligte selbst in der Hand, eine Entscheidung des Gerichts zum Prozesskostenhilfeantrag zu erreichen, bevor die Rechtshängigkeit wegfällt, ist für Billigkeitserwägungen kein Raum (vgl. OVG MV, Beschl. v. 03.06.2005 – 1 O 55/05 –, juris RdNr. 9 ff.). So liegt es hier. Die Klägerin hätte das Gericht darum ersuchen können, über das Prozesskostenhilfegesuch vor Abgabe einer Erledigungserklärung zu entscheiden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Referenzen
- VwGO § 86 2x
- VwGO § 154 1x
- 11 PA 186/13 1x (nicht zugeordnet)
- 1 O 128/11 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- VwGO § 82 2x
- 1 O 55/05 1x (nicht zugeordnet)
- 2 O 108/11 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 170/85 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x