Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 M 41/15

Gründe

1

Soweit das Beschwerdeverfahren durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten hinsichtlich des Zeitraum 22. bis 26. April 2015 in der Hauptsache erledigt ist, ist es in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

2

Im Übrigen hat die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach den von ihr erhobenen Einwänden, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), keinen Erfolg.

3

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 Abs. 1 VwGO ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat.

4

Das Begehren der am (…) 2013 geborenen Antragstellerin richtet sich auf die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr „ab sofort einen zumutbaren Platz zur frühkindlichen Förderung entsprechend ihrem individuellen Bedarf“ im Zuständigkeitsbereich der in Sachsen gelegenen Beigeladenen „nachzuweisen“.

5

Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Nach § 3 Abs. 1 Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung - KiFöG LSA -, der gem. § 24 Abs. 6 SGB VIII als weitergehendes Landesrecht unberührt bleibt, hat jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt bis zur Versetzung in den 7. Schuljahrgang Anspruch auf einen ganztägigen Platz in einer Tageseinrichtung.

6

Der Anspruch richtet sich gem. § 3 Abs. 4 KiFöG LSA gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies ist hier der Antragsgegner, da die Antragstellerin mit ihrer Mutter - wie der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hinreichend klargestellt hat - gegenwärtig noch in dessen Zuständigkeitsbereich wohnt.

7

Der Anspruch nach § 3 Abs. 1 und 2 KiFöG LSA gilt gem. § 3 Abs. 5 KiFöG LSA als erfüllt, wenn ein Platz in einer für Kinder zumutbar erreichbaren Tageseinrichtung oder unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 bis 4 des SGB VIII in einer Tagespflegestelle angeboten wird. Die Leistungsberechtigten nach § 3 KiFöG LSA haben das Recht, im Rahmen freier Kapazitäten zwischen den verschiedenen Tageseinrichtungen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltes oder an einem anderen Ort zu wählen, und sie sind von der Leistungsverpflichteten auf dieses Recht hinzuweisen (§ 3b Abs. 1 Satz 1 und 2 KiFöG LSA); der Wahl soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (§ 3b Abs. 2 KiFöG LSA).

8

Es kann offen bleiben, ob der Antragsgegner seiner unstreitig nach § 3 Abs. 1 und 4 KiFöG LSA bestehenden Verpflichtung nicht schon in ausreichender Weise i.S.d. § 3 Abs. 5 KiFöG LSA dadurch nachgekommen ist, dass er zur Verfügung stehende Betreuungsplätze für die Antragstellerin in der Stadt A-Stadt benannt hat. Ebenfalls offen bleiben kann, ob sich der Anspruch eines Kindes auf einen Platz in einer Tageseinrichtung überhaupt darauf beziehen kann, den zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe dazu zu verpflichten, einen Platz in einer bestimmten Einrichtung oder in einer Einrichtung in einem bestimmten örtlichen Bereich zu beschaffen.

9

Jedenfalls könnte sich ein derartiger Anspruch gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht auf die Beschaffung einer Betreuungsmöglichkeit in einer Einrichtung außerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches richten.

10

Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben gem. § 79 Abs. 1 SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII eine Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. Dazu sollen sie nach § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII gewährleisten, dass u.a. die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Dementsprechend sieht § 10 Abs. 1 KiFöG LSA vor, dass die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe verantwortlich sind für die Vorhaltung einer an den Bedürfnissen von Familien und Kindern orientierten, konzeptionell vielfältigen, leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen Struktur von Tageseinrichtungen und dass sie dazu eine Bedarfsplanung aufzustellen habe. Die Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, die auch dessen mögliche Verpflichtung zur Beschaffung eines bestimmten Platzes begrenzen würde, besteht danach aber nur innerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches. Allein soweit reichen seine rechtlichen Einflussmöglichkeiten, z.B. durch den Abschluss von Vereinbarungen über den Betrieb der Tageseinrichtungen nach den §§ 78b bis 78e SGB VIII, die er nach § 11a Abs. 1 KiFöG LSA ausdrücklich nur mit den Trägern von Tageseinrichtungen für seinen Zuständigkeitsbereich schließt. Auch § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wonach bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit für eine Leistung der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet bleibt, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Antragstellerin macht insoweit sogar selbst geltend, dass der Antragsgegner die erforderliche Amtshandlung aus rechtlichen Gründen selbst nicht durchführen könne.

11

Die Regelungen über die Gewährung von Amtshilfe nach § 3 SGB X sind im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin von vornherein nicht anwendbar. Amtshilfe ist nach § 3 Abs. 1 SGB X ausdrücklich nur eine ergänzende Hilfe, also umfasst gerade nicht die vollständige Übernahme der Verwaltungsaufgabe (vgl. von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. A., § 3 Rdnr. 10; Hauck/Noftz, SGB X, § 3 Rdnr. 22; Jahn, SGB X, § 3 Rdnr. 22; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2011 - 2 BvR 742/10 -, zit. nach JURIS). Im Hinblick darauf handelt es sich aber bei der letztlich erforderlichen Übernahme der Beschaffung einer Betreuungsmöglichkeit für die Antragstellerin in einer Kindertageseinrichtung in ihrem Zuständigkeitsbereich schon nicht um eine ergänzende Hilfe der Beigeladenen.

12

Dass allein der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, die Zustimmung zur Ausübung des in § 3b Abs. 1 KiFöG LSA vorgesehenen Wahlrechts erteilen muss und dies auch dann gilt, wenn das Kind in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflegestelle außerhalb des Zuständigkeitsbereiches dieses örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe betreut werden soll (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16. September 2014 - 4 M 120/14 -, zit. nach JURIS), führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann offen bleiben, ob und inwieweit ein solches Zustimmungserfordernis und eine an die Zustimmung geknüpfte Kostenerstattungsverpflichtung des örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, besteht, wenn es um die Betreuung des Kindes in einem anderen Bundesland geht. Hier steht nicht die Zustimmung des Antragsgegners zu einer Betreuung der Antragstellerin in einer Kindertageseinrichtung im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen und damit die Ausübung des Wahlrechts der Antragstellerin in Streit, sondern dessen Verpflichtung, eine solche Betreuung erst zu ermöglichen.

13

Auch die von der Antragstellerin genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2011 (- 5 C 25.10 -, zit. nach JURIS) bezieht sich allein auf die Frage der Zuständigkeit eines örtlichen Trägers der Jugendhilfe im Hinblick auf eine Kostenerstattung.

14

Nicht ausgeschlossen ist danach allerdings, dass der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch das Angebot eines die Vorgabe des § 3 Abs. 5 KiFöG LSA erfüllenden Platzes in einer außerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches liegenden Einrichtung seine Verpflichtung nach § 3 Abs. 1 und 2 KiFöG LSA erfüllt.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 161 Abs. 2 Satz 1, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 VwGO. Soweit das Beschwerdeverfahren teilweise eingestellt worden ist, entspricht es billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO, die Verfahrenskosten der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie insoweit ebenfalls unterlägen wäre.

16

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 2, 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO).


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen