Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 M 152/16
Gründe
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Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Halle - 4. Kammer - vom 21. November 2016, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg. Die Einwendungen rechtfertigen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
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Der Einwand der Beigeladenen, die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt, weil es aufgrund der mit ihrem Betriebsrat geschlossenen Vereinbarung ausgeschlossen sei, dass Mitglieder der Antragstellerin an dem streitgegenständlichen verkaufsoffenen Sonntag entgegen ihrem Wunsch an der Teilnahme gemeinschaftlicher Veranstaltungen der Antragstellerin gehindert seien und Arbeitnehmer auch ihrem Interesse an gewerkschaftlicher Tätigkeit bei der Antragstellerin nachgehen könnten, weil sie an dem verkaufsoffenen Sonntag nur Mitarbeiter einsetze, die sich freiwillig hierzu bereit erklärt hätten und die namentlich dem Betriebsrat mitzuteilen seien, greift nicht durch.
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Für die Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) genügt die Möglichkeit einer Rechtsverletzung, d.h., dass sich die Öffnung der Verkaufsstellen an einem Sonntag negativ auf die Grundrechtsverwirklichung der Antragstellerin auswirken kann. Betroffen ist hier die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG. Die nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV geschützte Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen ist auch für die Rahmenbedingungen des Wirkens von Gewerkschaften und sonstigen Vereinigungen bedeutsam. Die Sonntagsöffnung kann zur Folge haben, dass Mitglieder der Antragstellerin an diesem Tag an der Teilnahme gemeinschaftlicher Veranstaltungen der Antragstellerin gehindert sind und/oder der Bereich der Mitgliederwerbung der Antragstellerin betroffen ist (so BVerwG, Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 -, juris). Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 (- 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, juris) darauf verwiesen, dass dem Sonn- und Feiertagsschutz wesentliche Bedeutung hinsichtlich der synchronen Taktung des sozialen Lebens zukommt und der zeitliche Gleichklang einer für alle Bereiche regelmäßigen Arbeitsruhe ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der verschiedenen Formen sozialen Lebens sei. In diesem Zusammenhang sei zudem im Auge zu behalten, dass die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen auch für die Rahmenbedingungen des Wirkens der politischen Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger Vereinigungen bedeutsam sei und sich weiter, freilich im Verbund mit einem gesamten "freien Wochenende", auch auf die Möglichkeiten zur Abhaltung von Versammlungen auswirke. Ihr komme mithin auch erhebliche Bedeutung für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu (so BVerfG, a.a.O., Rdnr. 145).
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Soweit der Einsatz von Arbeitnehmern der Beigeladenen auf freiwilliger Basis erfolgt, ändert dies nichts daran, dass sonntägliche Arbeit die vom Bundesverfassungsgericht angesprochene synchrone Taktung des sozialen Lebens berührt und damit die Rahmenbedingungen des Wirkens der Gewerkschaften und die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie negativ beeinflusst werden können, zumal die Antragsbefugnis der Antragstellerin insoweit lediglich die "Möglichkeit" einer Rechtsverletzung voraussetzt. Schon durch das Angebot sonntäglicher Arbeitsmöglichkeiten kann die Antragstellerin in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen sein.
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Der Antragstellerin ist eine Antragsbefugnis oder ein Rechtsschutzinteresse auch nicht wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens abzusprechen. Der Verweis auf die sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergebende vertrauensvolle Zusammenarbeit von Betriebsrat mit im Betrieb vertretenen Gewerkschaften hindert die Antragstellerin nicht, in Kenntnis der Betriebsvereinbarung um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen, wie schon § 2 Abs. 3 BetrVG verdeutlicht, wonach die Aufgaben der Gewerkschaften durch dieses Gesetz nicht berührt werden. Es ist auch weder schlüssig dargelegt noch sonst ersichtlich, weshalb sich für die Antragstellerin aus der vom Betriebsrat der Beigeladenen getroffenen Vereinbarung eine wie auch immer geartete Bindung oder (Rechts-)Verbindlichkeit ergeben sollte. Das Verhalten der Antragstellerin stellt sich auch nicht als Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten im Sinne eines "venire contra factum proprium" dar. Eine als treuwidrig erscheinende Rechtsausübung oder ein vertrauensbegründendes Verhalten der Antragstellerin im Zusammenhang mit der getroffenen Betriebsvereinbarung ist nicht ersichtlich und wird jedenfalls nicht durch den Umstand begründet, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin an dem zum Abschluss der Betriebsvereinbarung führenden Einigungsverfahren teilgenommen hat. Seine Teilnahme erfolgte - wovon auch die Beschwerdeschrift ausgeht - jedenfalls nicht für die Antragstellerin. Soweit die Beigeladene ergänzend mit Schriftsatz vom 24. November 2016 auf das bei ihr aufgrund der geschilderten Umstände des Einigungsverfahrens entstandene Vertrauen verweist, folgt hieraus noch nicht, dass diese Vertrauensbildung auch als berechtigt anzusehen ist. Für letzteres hat der Senat keinen hinreichenden Anhalt.
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Weiter trägt die Beschwerdeschrift vor, die Antragstellerin verschaffe insbesondere dem direkten Konkurrenten der Beigeladenen - dem Möbelhaus (...) - einen Wettbewerbsvorteil, weil sie nur gegen die zu Gunsten der Beigeladenen ergangene Allgemeinverfügung vorgehe und nicht gegen die entsprechenden Allgemeinverfügungen der Antragsgegnerin zu Gunsten der Verkaufsstellen von (N. E.) und des Möbelhauses (...), die sich in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Unternehmen der Beigeladenen befänden. Billige man der Antragstellerin eine selektive Antragsbefugnis zu, führe dies zu einem Eingriff in den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Beigeladenen und zu einer Verzerrung des Wettbewerbs.
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Auch dieses Vorbringen ist nicht durchgreifend. Die Bejahung der Antragsbefugnis der Antragstellerin erlaubt lediglich eine gerichtliche Überprüfung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung. Der Umstand, dass in räumlicher Nähe zum Vorhaben der Beigeladenen weitere Erlaubnisse zur sonntäglichen Ladenöffnung vorliegen und sich hieraus Auswirkungen für die gewerkschaftliche Betätigung der Antragstellerin ergeben können, stellt nicht die für die Antragsbefugnis erforderliche, aber auch ausreichende Möglichkeit einer Rechtsverletzung der Antragstellerin in Frage. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin mit ihrem alleinigen Vorgehen gegen die Beigeladene unlautere, insbesondere durch die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG nicht mehr gedeckte Motive verfolgt und die Ausübung der Antragsbefugnis sich deshalb als rechtsmissbräuchlich darstellt, werden mit dem schlichten Hinweis auf ein Untätigbleiben der Antragstellerin gegenüber mit der Beigeladenen konkurrierenden Betrieben nicht schlüssig dargelegt.
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Weiter macht die Beschwerde geltend, das private Interesse der Antragstellerin überwiege nicht das öffentliche Interesse am Sofortvollzug, weil die Antragstellerin hinnehme, dass bedeutend mehr Arbeitnehmer aufgrund der Ladenöffnung der Verkaufsstellen im Möbelhaus (...) und im Einkaufszentrum (N. E.) betroffen seien. Ihr Verhalten sei insoweit widersprüchlich.
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Dieser Interessenabwägung vermag der Senat nicht zu folgen. Wie sich nachfolgend ergibt, stellt die Beschwerde- und Ergänzungsschrift der Beigeladenen die erstinstanzlichen Feststellungen zur voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung nicht schlüssig in Frage. Diesem Umstand ist bei der Abwägung der betroffenen Interessen maßgebliche Bedeutung beizumessen. Soweit die Antragstellerin eine Beeinträchtigung ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit wegen der bestandskräftigen Erlaubnisse für die sonntägliche Ladenöffnung der Verkaufsstellen im Möbelhaus (...) und im Einkaufszentrum (N. E.) hinnehmen muss, folgt daraus nicht, dass sich deshalb noch eine weitere Schmälerung ihrer Grundrechtsverwirklichung rechtfertigt. Ein widersprüchliches Verhalten ist in der bloßen Untätigkeit der Antragstellerin, auch gegen die anderen Erlaubnisse rechtlich vorzugehen, noch nicht zu sehen.
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Gegen die erstinstanzlich festgestellte Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin wendet die Beschwerde ein, die in den Verkaufsstellen Möbelhaus (...) und (N. E.) gestattete sonntägliche Ladenöffnungszeit sei bestandskräftig, so dass es auf deren Rechtmäßigkeit nicht ankomme. Es sei für beide Verkaufsstellen und/oder die von ihnen gebotenen Veranstaltungen "mittelalterliche Weihnacht im (N. E.)" sowie "Weihnachtsmarkt" im Möbelhaus (...) mit erheblichen Besucherzahlen zu rechnen, was aus Sicht der Beigeladenen eine separate Veranstaltung darstelle und als "besonderer Anlass" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 LÖffZeitG LSA zu bewerten sei; hierdurch würde ein Besucherstrom ausgelöst, der die Besucher übersteige, die allein wegen der Öffnung der Verkaufsstelle der Beigeladenen kämen.
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Dieses Vorbringen stellt indes die Feststellung des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Beschluss, dass die Antragsgegnerin keine schlüssige und vertretbare Prognose über die jeweiligen Besucherströme angestellt habe, nicht schlüssig in Frage. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 11. November 2015 - 8 CN 2.14 -, juris Rdnr. 36) festgestellt, dass die gemeindliche Prognose zum Besucherstrom, den der Markt selbst (bzw. vorliegend der "besondere Anlass" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 LÖffZeitG LSA) im Gegensatz zur Besucherzahl bei alleiniger Öffnung der Verkaufsstellen auslöst, nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt und insbesondere das Gericht keine eigene Prognose vornehmen darf. Das Beschwerdevorbringen zu den Besucherzahlen ist mithin nicht entscheidungserheblich, weil es vorliegend an einer überprüfbaren Prognose der Antragsgegnerin fehlt und das Gericht keine eigene Prognose anstellen kann. Ob andere (bestandskräftige) Erlaubnisse zur sonntäglichen Ladenöffnung von Verkaufsstellen einen "besonderen Anlass" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 LÖffZeitG LSA zu bilden vermögen und hierunter nicht vielmehr gerade im Hinblick auf die Vorgängerregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG Veranstaltungen zu verstehen sind, die nicht in der Öffnung von Verkaufsstellen bestehen, sowie ob die Rechtmäßigkeit dieser anderen Erlaubnisse allein wegen ihrer Bestandskraft auf sich beruhen kann und damit eine Fortsetzung und Intensivierung rechtswidrigen behördlichen Handelns ermöglicht werden kann, kann wegen der fehlenden gemeindlichen Prognose über die Besucherströme auf sich beruhen und bedarf keiner weitergehenden Vertiefung. Entsprechendes gilt für den Einwand, die Beigeladene verfolge nicht lediglich ein wirtschaftliches Umsatzinteresse, sondern wolle die Konkurrenzfähigkeit zum benachbarten Möbelhaus (...) aufrechterhalten.
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Die Ausführungen der Antragsgegnerin vom 24. November 2016 geben zu einer anderen rechtlichen Bewertung keinen Anlass.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, Abs. 3 VwGO. Im Hinblick auf ihre Kostenpflicht trägt die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
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Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 40, 47, 52 Abs. 2 GKG und folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
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- VwGO § 146 1x
- VwGO § 42 1x
- BetrVG § 2 Stellung der Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber 2x
- § 7 Abs. 1 Satz 1 LÖffZeitG 3x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 152 1x
- § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
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