Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 M 118/16

Gründe

I.

1

Am 20.10.2016 beantragte die Antragstellerin, eine Kreisstadt mit ca. 28.000 Einwohnern, beim Antragsgegner die Erteilung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG von den Verboten des § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG zum Zwecke der Umsiedlung von Feldhamstern von einem zur Bebauung eines gartenbaulichen Betriebes vorgesehenen Gelände im Südwesten ihres Stadtgebiets nördlich der Bundesautobahn A 38, östlich der Landesstraße L 221, ca. 800 m südlich des Gewerbegebiets Helmepark und westlich der Bahnstrecke Sangerhausen – Artern. Das Vorhabengelände liegt im (künftigen) Geltungsbereich des im Entwurf vorliegenden Bebauungsplans der Antragstellerin Nr. 26 "Industriepark Mitteldeutschland" (IPM) – 1. Bauabschnitt.

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Mit notariellem Kaufvertrag vom 12.08.2016 hatte die Antragstellerin die betreffenden Flächen an die (G.) aus den Niederlanden zum Zwecke der Gemüseproduktion unter Glas veräußert. Nach § 8 des Kaufvertrages war dem Käufer bekannt, dass vor Erteilung der Baugenehmigung ein Antrag auf Eingriff in die Natur nach dem Naturschutzgesetz zu stellen sei. Ferner ist der Käufer, wenn die gestellte Bauvoranfrage nicht bis zum 15.10.2016 und der artenschutzrechtliche Eingriff nicht bis zum 31.10.2016 positiv beschieden sein sollten, zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. In § 11 des Kaufvertrages hat die Antragstellerin ein Wiederkaufsrecht, wenn auf dem Vertragsgrundbesitz nicht spätestens ab dem 30.06.2017 mit dem Bau von Infrastruktur und Gewächshäusern begonnen wird oder dieses nicht bis spätestens zum 31.12.2019 in wesentlichen Teilen (75 %) fertig gestellt ist.

3

Zur Begründung des Antrages gab die Antragstellerin an, die (G.) plane die Errichtung und den Betrieb eines Gartenbau-Kompetenzzentrums zur Obst- und Gemüseproduktion, das in drei Bauabschnitten realisiert werde solle und nach endgültiger Fertigstellung insgesamt eine Fläche von etwa 140 ha in Anspruch nehme werde, davon allein 60 ha für Gewächshäuser. Der erste Bauabschnitt mit einer Fläche von 32 ha beinhalte zunächst die Errichtung von zwei Gewächshäusern mit innovativen Produktionsanlagen für Salate und Kräuter bzw. Erdbeeren. Sie sehe das Vorhaben als große Chance für die Region. Mit der Vorbereitung der Bauarbeiten für den ersten Bauabschnitt müsse noch in diesem Jahr begonnen werden. Der Bau müsse bis spätestens Ende des zweiten Quartals 2017 abgeschlossen sein. Ein entsprechender Baufristenplan liege bereits vor. Es seien bereits Liefervereinbarungen mit Wiederverkäufern abgeschlossen worden. Für den Betrieb werde mit einem Bedarf von 250 bis 300 Arbeitskräften kalkuliert; perspektivisch bestehe eine Erweiterungschance mit einem Bedarf von weiteren bis zu 850 Arbeitsplätzen. Neben diesen unmittelbaren Beschäftigungseffekten bestünden mittelbare Effekte durch vor- und nachgelagerte Produktions- und Dienstleistungseinheiten sowie durch das Konsumverhalten der unmittelbar Beschäftigten. Der Ausnahmeantrag nach § 45 Abs. 7 BNatSchG erfolge im Zusammenhang mit einer die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens betreffenden Bauvoranfrage. Nach einem der Voranfrage beigefügten artenschutzrechtlichen Fachbeitrag, der auf von ihr in den Jahren 2012 bis 2014 in Auftrag gegebenen Erhebungen über den Bestand von Feldhamstern der Büros (M.) beruhe, seien im Untersuchungsgebiet (Gebiet des Bebauungsplans Nr. 26 "Industriepark Mitteldeutschland, 1. BA" und angrenzender Flächen) insgesamt 154 Baue auskartiert worden. Auf der Basis einer weiteren Begehung im August und September 2016 seien auf dem Baufeld für den ersten Bauabschnitt des Gartenbau-Kompetenzzentrums 25 Baue kartiert worden. Da bewirtschaftungsbedingt aber nur ein Viertel der Fläche ausreichend einsehbar gewesen sei, würden vorsorglich 40 Baue (überwinternder) Feldhamster angenommen. Vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Vorhabens für die Stadt und die Region, aber auch wegen der Gewerbesteuereinnahmen, bestehe ein öffentliches Interesse an der Ausnahme. Die Gründe des öffentlichen Interesses seien auch zwingend, denn die Ansiedlung des Gartenbaubetriebes diene vor allem der Wirtschaftsförderung und damit insbesondere dem Erhalt sowie der Schaffung von Arbeitsplätzen. Diese Gründe gingen auch den Belangen des Artenschutzes vor. Der Schaffung einer nennenswerten Zahl von Arbeitsplätzen komme gerade in strukturschwachen Regionen besondere Bedeutung zu. Ein alternativer Standort komme nicht in Betracht. Der Bereich westlich der L 221 habe ausweislich der vorgelegten Kartierungen eine vergleichbare Dichte an Feldhamsterbauen wie der vom Vorhabenträger favorisierte Standort. Im Übrigen agiere die (G.) europaweit und sei nicht zufällig auf den ausgewählten Standort gestoßen. Die vielfältigen speziellen Kriterien, die das Vorhaben an einen Standort stelle, seien selten in so gebündelter Form anzutreffen, wie es hier der Fall sei. Böte sich der Vorhabenträgerin ein Alternativstandort an, wäre sie angesichts der Feldhamsterproblematik und der deswegen schon seit rund zwei Jahren für sie nicht zu erreichenden Planungssicherheit bereits aus ökonomischen Gründen auf den Alternativstandort ausgewichen. Eine weitere Verschlechterung des ungünstigen Erhaltungszustandes der Feldhamsterpopulationen sei nicht zu besorgen.

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Mit Bescheid vom 28.10.2016 erteilte der Antragsgegner Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG vom Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG zum Nachstellen und Fangen der Feldhamster, vom Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG zur Störung der Tiere und vom Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG zur Beseitigung ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten, jeweils befristet bis zum 31.01.2017, sowie vom Verbot des § 44 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG zwecks Unterbringung und Überwinterung der gefangenen Feldhamster im Zoologischen Garten H-Stadt, befristet bis zum 31.05.2017. Der Ausnahmegenehmigung fügte der Antragsgegner verschiedene Auflagen bei. Nach der Auflage Nr. 2.3 sind die geöffneten sowie die bereits kartierten Feldhamsterbaue vorsichtig auszugraben und vorhandene Feldhamster in den Zoologischen Garten H-Stadt zu überbringen. Nach der Auflage Nr. 2.5 ist bis zum 31.03.2017 die Verfügbarkeit der für die Aussetzung der überwinterten Hamster notwendigen Flächen aus dem Flächenpool U01, U04 und U05 im Verhältnis 1:1 (32 ha) nachzuweisen. Die Auflage Nr. 2.6 sieht vor, dass die Aussetzung der Feldhamster auf den Hamsterschonflächen fachgerecht unter Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erfolgen hat. Nach der Auflage Nr. 7 sind die Hamsterschonflächen dauerhaft feldhamsterfreundlich entsprechend einer beiliegenden Anlage zu bewirtschaften. Ein entsprechender Nachweis ist vor Beginn der Erdarbeiten vorzulegen.

5

Zur Begründung führte der Antragsgegner u.a. aus, insgesamt wögen die für das Vorhaben sprechenden Gründe schwerer als die des Schutzes des Feldhamsters. Zumutbare Alternativen seien u.a. im Aufstellungsverfahren zum Bebauungsplan Nr. 26 der Antragstellerin insbesondere westlich der L 221 vorgeschlagen worden. Die Antragstellerin habe aber dargelegt, dass Flächen, die dem Vorhabenträger nicht gehörten bzw. über die er in absehbarer Zeit nicht verfügen könne, nicht als Alternativstandort in Frage komme, zumal durch die Großflächigkeit des Vorhabens ein Eigentumsübergang oder eine Nutzungsberechtigung für alle notwendigen Flächen in der gebotenen Zeit nicht zu erwarten sei. Darüber hinaus seien auch auf dem Alternativstandort artenschutzrechtliche Probleme bezüglich des Feldhamsters zu erwarten. Es sei allerdings sicherzustellen, dass sich der Erhaltungszustand der Feldhamster-Population nicht verschlechtere. Um den Funktionserhalt von Feldhamsterlebensräumen entsprechend § 44 Abs. 5 BNatSchG im räumlichen Zusammenhang zu gewährleisten, seien die Ausgleichsflächen innerhalb der Lokalpopulation bereitzustellen. Die überplanten Ackerflächen westlich von Sangerhausen würden von einer Teilpopulation des streng geschützten Feldhamsters besiedelt, die das größte bekannte Vorkommen der Art im Landkreis repräsentiere. Der Lebensraum dieser Teilpopulation sei durch natürliche Grenzen, Siedlungsflächen und Verkehrswege stark eingegrenzt, so dass ein ungehinderter Austausch mit benachbarten Hamstervorkommen nicht möglich sei. Innerhalb des Lebensraums dieser Teilpopulation sei eine erhebliche Ungleichverteilung von Lebensraumbedingungen feststellbar, die sich nach einem Gutachten in unterschiedlichen Bodenverhältnissen manifestiere und anhand der Verteilung der Feldhamsterbaue, ergo der Siedlungsdichte, augenscheinlich werde. So lägen mit Blick auf das Bodengutachten auf nur ca. 40 % des etwa 1.500 ha umfassenden Lebensraums der lokalen Population lössgeprägte Böden vor, die ein dauerhaftes Überleben der Lokalpopulation sicherten. Die sehr gut geeigneten Böden beschränkten sich auf nur ca. 25 % des lokalen Lebensraums. Davon befänden sich wiederum ca. 60 % im Bereich der Bauabschnitte 1 und 2 zum geplanten Industriepark Mitteldeutschland und ca. 35 % auf den Bauabschnitt 1. Das langfristige Überleben des Feldhamsters westlich von Sangerhausen setze das Vorhandensein geeigneter Flächen in einer ausreichenden Qualität sowie einer hinreichenden Vernetzung voraus. Die im "Ergänzenden Maßnahmenkonzept" des Büros für Landschaftsökologie (M.) vom 19.10.2016 aufgezeigten Flächen seien nicht in vollem Umfang dafür geeignet. Mehr als ein Drittel der vorgesehenen Flächen befänden sich außerhalb des Lebensraums der Lokalpopulation. Von den verbleibenden sieben Ausgleichsflächen, die im Lebensraum der eingriffsrelevanten Lokalpopulation lägen, befänden sich zwei (U06 und U07) und zwei größtenteils (U02 und U03) auf nach dem Bodengutachten ungeeigneten Standorten. Die restlichen drei, überwiegend standörtlich geeigneten Flächen (U01, U04 und U05) wiesen eine Gesamtfläche von etwas über 100 ha auf. Aus diesem Flächenpool seien Flächen für Ersatzhabitate mit einer Größe von mindestens 32 ha als Aussetzungsflächen zur Verfügung zu stellen. Unter diesen Voraussetzungen und unter Berücksichtigung des ergänzenden Maßnahmenkonzepts des Büros (M.) sei zu erwarten, dass der Erhaltungszustand der lokalen Population bei Entzug des bestehenden Habitats nicht verschlechtert werde. Da die Aussiedlungsflächen im Vergleich zum konventionell bewirtschafteten Ausgangshabitat hamsterfreundlich bewirtschaftet würden, sei von einer vollständigen Kompensation des Lebensraumverlustes auszugehen. Die Befristungen erfolgten gemäß dem im Antrag enthaltenen Bauzeitenplan und beinhalteten den Zeitraum außerhalb der regulären Feldhamsterumsiedlung. Hierdurch werde klargestellt, dass die genehmigte Ausnahme einen besonderen Einzelfall darstelle, und nach Ablauf der Frist nur noch eine reguläre Feldhamsterumsiedlung in Betracht komme. Dies sei jedoch nicht Gegenstand dieser Ausnahme. Hierzu bedürfe es eines gesonderten Antrages.

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Hiergegen erhob der Beigeladene, eine anerkannte Naturschutzvereinigung, am 03.11.2016 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist und mit dem er das Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 BNatSchG rügt.

7

Er macht u.a. geltend, die Vorschrift sei schon nicht anwendbar, weil es an einem konkreten Projekt fehle, das Anlass für die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme geben könnte. Es sei mit Blick auf die ihr bekannten Unterlagen zur "(G.)" fraglich, ob überhaupt ein ernsthaftes Investment im Gebiet der Antragstellerin geplant sei. Mit Vorbescheid vom 23.08.2016 sei zwar eine Bauvoranfrage der Antragstellerin für den ersten Bauabschnitt positiv verbeschieden worden. Diese klammere aber neben dem Artenschutz alle notwendigen Einrichtungen zur Realisierung dieses Bauabschnitts aus. Eine ver- und entsorgungstechnische sowie eine verkehrstechnische Erschließung sei ausweislich des Vorbescheids nicht erkennbar. Eine Verpflichtung des Investors zur Realisierung des Vorhabens und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bestehe nicht. Es bestehe die große Gefahr, dass sich nach Umsiedlung der Feldhamster im Nachhinein herausstelle, dass diese nicht erforderlich gewesen sei, weil keine Baugenehmigung erteilt werde, das Vorhaben nicht finanziert werde, der Investor trotzdem nicht baue oder nach Vollendung des ersten Bauabschnitts insolvent werde. Auch der – angebotsbezogene – Bebauungsplan selbst, der keine Festsetzungen nach § 9 BauGB zur Sicherung von Maßnahmen für den Feldhamster enthalte, könne nicht als hinreichend konkretisiertes Projekt angesehen werden. Der Bescheid des Antragsgegners verkenne das Gewicht der irreparablen Zerstörung der betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten auf den Eingriffsflächen. Problematisch seien auch die Befristungen, die es zuließen, dass eine Zerstörung der Lebensräume erfolge, ohne dass Ersatzlebensräume für die Tiere überhaupt gesichert wären. Besonders schwerwiegende öffentliche Belange, die allein zur Rechtfertigung der Ausnahmen in Betracht kämen, seien nicht erkennbar. Die sogenannte Vorhabenträgerin verfolge in erster Linie ein privates Interesse, nämlich die Gewinnerzielung. Ob, in welchem Umfang und für wie lange hiermit Arbeitsplätze geschaffen würden, sei aufgrund der Unsicherheit der Projektrealisierung völlig offen. Bei nicht strikt standortgebundenen Vorhaben wie einem Gartenbaubetrieb falle es in der Regel schwer, zumutbare Standortalternativen auszuschließen. Eine Gebietskörperschaft könne die Alternativlosigkeit einer artenschutzrechtlichen Ausnahme nicht durch Zwischenschaltung Dritter künstlich herbeiführen.

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Am 18.11.2016 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung der artenschutzrechtlichen Genehmigung. Zur Begründung gab sie an, bereits im Ausnahmeantrag sei zwar dargelegt worden, dass ein Abfangen der Feldhamster auf dem künftigen Baufeld im Frühjahr gegenüber der Winterumsiedlung die für die betroffenen Tiere schonendere Variante sei, dies jedoch mit Blick auf den Baufristenplan und die Finanzierungsnöte des Vorhabenträgers nicht möglich sei, ohne das Vorhaben ernsthaft zu gefährden. Dem stehe mit Blick auf Satz 3 und 4 der Auflage Nr. 2.4 auch nicht entgegen, dass sich die Geschäftsführung des Zoologischen Gartens H-Stadt entgegen vorheriger Zusagen inzwischen nicht mehr bereit erkläre, die geborgenen Feldhamster zwecks Überwinterung aufzunehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt sei nicht ausgeschlossen, dass sie diese Auflage noch erfüllen könne. Es würden selbstverständlich keine Fakten geschaffen, bevor nicht die Überwinterung der dann ausgegrabenen Feldhamster auch wirklich gesichert sei. Zudem sei der Widerspruch des Beigeladenen bereits unzulässig, weil eine altruistische Verbandsklagebefugnis in Bezug auf artenschutzrechtliche Ausnahmen im Zusammenhang mit nur baugenehmigungsbedürftigen Vorhaben, die keiner Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterlägen, weder im UmwRG noch in § 64 BNatSchG vorgesehen sei. Auch aus Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention lasse sich ein solches Recht nicht ableiten.

9

Mit Schreiben vom 07.12.2016 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, eine für die Anordnung des Sofortvollzuges erforderliche Eilbedürftigkeit sei derzeit nicht erkennbar. Nach dem Baufristenplan habe bereits am 28.11.2016 für den ersten Bauabschnitt eine (Teil-)Baugenehmigung beantragt werden sollen. Dies sei bislang nicht erfolgt. Ferner sei derzeit nicht bekannt, ob die Unterbringung der geborgenen Feldhamster zwecks Überwinterung zwischenzeitlich anderweitig abgesichert werden könne. Demzufolge sei die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung bis zur Klärung dieser offenen Punkte sowie bis zur entsprechenden Anpassung der artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung derzeit nicht umsetzbar. Mit Schriftsatz vom 09.12.2016 legte die Antragstellerin eine Vereinbarung mit der Betreiberin des Tiergartens (...) vom 30.11.2016 vor, in welcher sie sich bereit erklärt, bis zu 40 Tiere bis zum Ende der Winterschlafphase (spätestens Mai) aufzunehmen und artgerecht zu halten. Daraufhin bat der Antragsgegner mit Schreiben vom 12.12.2016 vor dem Hintergrund, dass derzeit weder ein Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung noch einer Teilbaugenehmigung vorliege, um Mitteilung, in welchem zeitlichen Rahmen bzw. mit welchem zeitlichen Vorlauf eine Bergung der Feldhamster auf der ca. 32 ha großen Fläche des ersten Bauabschnitts erfolgen müsse. Hinzu komme, dass auch die Bauvoranfrage vom 14.09.2016, mit welcher die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit geklärt werden solle, nicht positiv beschieden worden sei und aufgrund der Bedenken der obersten Landesentwicklungsbehörde auch zeitnah nicht damit zu rechnen sei. Mit Schriftsatz vom 13.12.2016 legte die Antragstellerin eine Erklärung ihres Fachbereichsleiters Stadtentwicklung und Bauen vom selben Tag vor. Danach seien für die Bergung der ca. 40 Feldhamster als Worst-Case-Szenario 1,5 Arbeitstage pro Bau angesetzt, so dass von 60 Arbeitstagen auszugehen sei. Ferner habe der vom Vorhabenträger beauftragte Planer am 08.12.2016 erneut bestätigt, den Bauantrag vor Weihnachten einreichen zu wollen.

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Auf den am 13.12.2016 gestellten Antrag der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 19.12.2016 die sofortige Vollziehung der Ausnahmegenehmigung vom 28.10.2016 angeordnet und zur Begründung u.a. ausgeführt: Der Antrag sei schon deshalb begründet, weil dem Beigeladenen voraussichtlich die Widerspruchsbefugnis fehle. Eine solche Befugnis dürfte sich nicht aus § 42 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO i.V.m. §§ 64 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4, Abs. 2 Nrn. 5 bis 7 BNatSchG ergebe. Die für ein Mitwirkungsrecht einer anerkannten Naturschutzvereinigung und damit für ein Widerspruchrecht hier allein in Betracht kommende Vorschrift des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG sei nicht einschlägig und auch nicht analog anwendbar auf Fälle der artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung. Eine erweiternde Auslegung der Norm sei auch nicht vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus (Aarhus-Konvention – AK) möglich. Wenn eine mit Unionsrecht und insbesondere mit der Habitat-Richtlinie geschützte Art betroffen sei, fordere zwar der EuGH eine Auslegung des nationalen Rechts in den vom Umweltrecht der Union erfassten Bereichen, die so weit wie möglich im Einklang mit den in Art. 9 Abs. 3 AK festgelegten Zielen stehe. Die Grenzen des Möglichen ergäben sich hierbei aber nicht aus dem Unionsrecht, sondern der nationalen Rechtsordnung. Eine Auslegung contra legem im Sinne einer methodisch unzulässigen richterlichen Rechtsfortbildung fordere das Unionsrecht nicht. Da nach dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers die bundesrechtlich eröffnete Möglichkeit des Klagerechts auf die enumerativ aufgeführten Fälle beschränkt sein solle, scheide die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke und demzufolge eine erweiternde Auslegung des § 64 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG aus. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber ausweislich der Denkschrift zur Ratifizierung der AK hinsichtlich der Verpflichtung aus Art. 9 Abs. 3 AK keinen Änderungsbedarf gesehen habe und sich bis zum Erlass des UmwRG und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21.01.2013, mit dem u.a. § 64 Abs. 1 BNatSchG zuletzt geändert worden sei, daran nichts geändert habe. Eine erweiternde Auslegung des Anwendungsbereichs des UmwRG scheitere ebenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke, weil sich das UmwRG – wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12.11.2004 (4 C 34.13) ausgeführt habe – zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung als eine seinen Anwendungsbereich abschließend umschreibende Regelung verstanden habe. Aus Art. 9 Abs. 3 AK unmittelbar lasse sich ebenfalls keine Widerspruchsbefugnis ableiten.

II.

A.

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Die Beschwerde des Beigeladenen hat Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gebieten eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

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1. Der Beigeladene rügt voraussichtlich zu Recht, dass er die erforderliche Befugnis zur Erhebung des Widerspruchs gegen die in Streit stehende Ausnahmegenehmigung besitzt.

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1.1. Dem Verwaltungsgericht ist zwar darin beizupflichten, dass sich eine Widerspruchsbefugnis des Beigeladenen nicht aus § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO i.V.m. den §§ 64 Abs. 1, 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ergibt. Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG kann eine anerkannte Naturschutzvereinigung, soweit § 1 Abs. 3 UmwRG nicht entgegensteht, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der VwGO einlegen gegen Entscheidungen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Absatz 2 Nr. 5 bis 7, wenn die Vereinigung (1.) geltend macht, dass die Entscheidung Vorschriften dieses Gesetzes, Rechtsvorschriften, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, Naturschutzrecht der Länder oder anderen Rechtsvorschriften, die bei der Entscheidung zu beachten und zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind, widerspricht, (2.) in ihrem satzungsgemäßen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich, soweit sich die Anerkennung darauf bezieht, berührt wird und (3.) zur Mitwirkung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 oder Abs. 2 Nr. 5 bis 7 berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache geäußert hat oder ihr keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Die Erteilung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG von den artenschutzrechtlichen Verboten des § 44 BNatSchG fällt nicht unter die in § 63 BNatSchG geregelten Tatbestände, insbesondere nicht unter § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG, der die Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von Gebieten im Sinne des § 32 Abs. 2, Natura 2000-Gebieten, Naturschutzgebieten, Nationalparken, Nationalen Naturmonumenten und Biosphärenreservaten betrifft.

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Der Vorinstanz ist auch darin zu folgen, dass eine erweiternde Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG im Lichte des Art. 9 Abs. 3 AK nicht möglich ist. Der EuGH hat zwar in seinem Urteil vom 08.03.2011 zum "slowakischen Braunbären" (C-240/09 – NuR 2011, 346) verlangt, dass der nationale Richter dann, wenn eine mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Habitat-Richtlinie geschützte Art betroffen sei, das nationale Recht im Hinblick auf die Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in den vom Umweltrecht der Union erfassten Bereichen so auszulegen habe, dass es so weit wie möglich im Einklang mit den in Art. 9 Abs. 3 AK festgelegten Zielen stehe. Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 01.04.2015 – BVerwG 4 C 6.14 –, juris, RdNr. 35, m.w.N.), dass das Unionsrecht eine Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG contra legem nicht fordert. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der eindeutige Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG keine Auslegung dergestalt zulässt, dass auch die Erteilung einer Befreiung oder Ausnahme von nicht schutzgebietsbezogenen Geboten oder Verboten ein Mitwirkungsrecht der anerkannten Naturschutzvereinigungen auslöst.

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1.2 Zutreffend hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.2014 – BVerwG 4 C 34.13 –, juris, RdNr. 21) ferner angenommen, dass sich unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 AK (i.V.m. § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO) keine Klage- oder Widerspruchsbefugnis anerkannter Naturschutzvereinigungen herleiten lässt.

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1.3. Die erforderliche Widerspruchsbefugnis des Beigeladenen dürfte sich hier aber – wovon nunmehr auch die Antragstellerin ausgeht – unmittelbar aus Art. 9 Abs. 2 AK ergeben.

17

Gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 1 AK stellt jede Vertragspartei im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass die betroffenen Mitglieder der Öffentlichkeit, (a) die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ (b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Art. 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten. Art. 9 Abs. 2 AK wurde bislang nur bei UVP-pflichtigen Vorhaben herangezogen (vgl. EuGH, Urt. v. 12.05.2011 – C-115/09 –, NuR 2011, 423 [Trianel]). In seinem Urteil vom 08.11.2016 (C-243/15 –, juris, RdNr. 55 ff.) hat der EuGH nunmehr entschieden, dass Art. 9 Abs. 2 AK Umweltschutzorganisationen, die den in Art. 2 Nr. 5 dieses Übereinkommens genannten Anforderungen genügen, ein Recht auf einen Rechtsbehelf gewährt, soweit dieser gegen eine Entscheidung gerichtet ist, die in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK fällt. Dies gelte insbesondere auch für die von Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b AK erfassten Entscheidungen, insbesondere solche, die im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWR des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere (FFH-RL) erlassen werden. Aus Art. 9 Abs. 2 AK ergebe sich, dass diese Bestimmung den Wertungsspielraum begrenze, über den die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Modalitäten der dort vorgesehenen Klagen verfügen, da sie das Ziel habe, der betroffenen Öffentlichkeit, zu der auch die Umweltschutzorganisationen gehören, die die Voraussetzungen nach Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens erfüllen, einen „weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren. Diese Organisationen müssten somit zwingend die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union geltend machen können.

18

Ist aber Art. 9 Abs. 2 AK auch auf solche Entscheidungen der nationalen Behörden anzuwenden, die im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b AK erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, dürften davon auch Entscheidungen nach Art. 16 FFH-RL erfasst sein. Die Art. 12 bis 14 sowie Art. 15 Buchst. a und b FFH-RL bilden ein kohärentes System von Regelungen, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, für die betroffenen Tier- und Pflanzenarten ein strenges Schutzsystem einzuführen. Art. 16 der Richtlinie, der die Kriterien genau festlegt, auf deren Grundlage die Mitgliedstaaten von den Verboten der Art. 12 bis 15 abweichen dürfen, stellt eine Ausnahmebestimmung vom Schutzsystem der Richtlinie dar, der deshalb restriktiv auszulegen ist (EuGH, Urt. v. 10.05.2007 – C-508/04 –, juris, RdNr. 109 f.).

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2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausnahmegenehmigung des Antragsgegners vom 28.10.2016 ist nicht gerechtfertigt, weil sich die angefochtene Ausnahmegenehmigung nach derzeitigem Erkenntnisstand als voraussichtlich rechtswidrig erweist.

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2.1. Nach der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG können von den Verboten des § 44 im Einzelfall aus (anderen) zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art Ausnahmen zugelassen werden.

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Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des öffentlichen Interesses hat der Gesetzgeber den Kreis der im Rahmen der Ausnahmeprüfung berücksichtigungsfähigen Gemeinwohlgründe bewusst weit gezogen; er umfasst grundsätzlich alle öffentlichen Interessen, lediglich reine Privatinteressen scheiden aus. Das Vorhaben muss auch nicht unmittelbar aus Gründen des öffentlichen Interesses durchgeführt werden; es reicht aus, dass es für die Zulassung bzw. Verwirklichung des Projekts Gründe des öffentlichen Interesses gibt. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob Projektbetreiber ein öffentlicher oder ein privater Träger ist, der mit dem Projekt auch (eigen-)wirtschaftliche Interessen verfolgt; erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn an der Durchführung eines unmittelbar privatnützigen Vorhabens auch – mittelbar – öffentliche Interessen bestehen, z.B. zur Förderung oder Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (vgl. OVG RP, Urt. v. 08.07.2009 – 8 C 10399/08 –, juris, RdNr. 207, m.w.N.).

22

Mit der Qualifizierung der öffentlichen Belange als „zwingende Gründe“ wird einerseits verdeutlicht, dass nur öffentliche Belange von einigem Gewicht zur ausnahmsweisen Rechtfertigung einer erheblichen Beeinträchtigung in Betracht kommen (vgl. OVG RP, Urt. v. 08.07.2009, a.a.O., RdNr. 210 in juris, m.w.N.). Andererseits muss es sich nicht um unausweichliche Sachzwänge handeln; gemeint ist ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – BVerwG 4 C 2.99 –, juris, RdNr. 39). In diesem Zusammenhang wird gefordert, dass die für das Projekt streitenden öffentlichen Interessen einen hinreichenden Ortsbezug haben müssen, ihre Verwirklichung auf bestimmte Standortmerkmale angewiesen ist; zwingenden Charakter kann insbesondere ein wirtschaftliches Interesse nur haben, wenn es sich auf eine bestimmte Region bzw. einen bestimmten Standort in spezifischer Weise bezieht (OVR RP, a.a.O., m.w.N). Das Bundesverwaltungsgericht fordert in diesem Zusammenhang, dass die von der Behörde behaupteten positiven Wirkungen des Vorhabens auf bestimmte öffentliche Belange durch Erfahrungswissen abgesichert sein müssen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, juris, RdNr. 160).

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Der Senat geht zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass hiernach ein zwingendes öffentliches Interesse an der Erteilung der Ausnahmegenehmigung besteht, weil durch das in Rede stehende Vorhaben der Errichtung eines großflächigen Gartenbaubetriebes, das wegen Verstoßes gegen die artenschutzrechtlichen Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG ohne die Ausnahme nicht verwirklicht werden könnte, eine nicht unerhebliche Zahl von Arbeitsplätzen in einer strukturschwachen Region geschaffen werden kann. Aufgrund des Bauvorbescheides ist zumindest davon auszugehen, dass das im ersten Bauabschnitt geplante Vorhaben als gartenbaulicher Betrieb nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB im Außenbereich planungsrechtlich grundsätzlich zulässig und damit verwirklichungsfähig ist. Der Umstand, dass für die weiteren Bauabschnitte, die nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB im Außenbereich privilegiert sind, wie etwa Markthalle, Weiterverarbeitungshallen, Logistikzentrum, Fischaufzucht, Blockheizkraftwerk, die bauplanungsrechtlichen Grundlagen (Bebauungsplan Nr. 26 IPM) noch fehlen, dürfte dem zwingenden öffentlichen Interesse an dem im ersten Bauabschnitt vorgesehenen Vorhaben nicht von vornherein entgegenstehen.

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2.2. Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG darf jedoch eine Ausnahme nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Abs. 1 der FFH-RL weitergehende Anforderungen enthält.

25

2.2.1. Der Verweis auf zumutbare Alternativen greift das Kriterium "keine anderweitige zufriedenstellende Lösung" aus Art 16 Abs. 1 FFH-RL auf. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL ist als Ausnahmeregelung eng auszulegen, bei der die Beweislast für das Vorliegen der für jede Abweichung erforderlichen Voraussetzungen die Stelle trifft, die über sie entscheidet (EuGH, Urt. v. 14.06.2007 – C-342/05 –, juris, RdNr. 25). Lässt sich das Planungsziel an einem nach dem Schutzkonzept der FFH-RL günstigeren Standort oder mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen, muss der Projektträger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Der Vorhabenträger darf von einer ihm technisch an sich möglichen Alternative erst Abstand nehmen, wenn diese ihm unverhältnismäßige Opfer abverlangt oder andere Gemeinwohlbelange erheblich beeinträchtigt werden. Standort- oder Ausführungsalternativen, die sich nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verwirklichen lassen, können außer Betracht bleiben. Das zumutbare Maß an Vermeidungsanstrengungen darf nicht außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu dem damit erzielbaren Gewinn für Natur und Umwelt stehen. In diesem Zusammenhang können auch finanzielle Erwägungen den Ausschlag geben (vgl. zu Art. 6 Abs. 4 FFH-RL: BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – BVerwG 4 C 2.99 –, juris, RdNr. 30 f.). In Betracht zu ziehen sind zudem nur solche Alternativen, die die Identität des Vorhabens wahren. Von einer Alternative kann dann nicht mehr die Rede sein, wenn sie auf ein anderes Projekt hinausläuft, weil die vom Vorhabenträger in zulässiger Weise verfolgten Ziele nicht mehr verwirklicht werden könnten. Zumutbar ist es nur, Abstriche vom Zielerfüllungsgrad in Kauf zu nehmen. Eine Variante, die nicht verwirklicht werden kann, ohne dass selbständige Teilziele, die mit dem Vorhaben verfolgt werden, aufgegeben werden müssen, braucht dagegen nicht berücksichtigt zu werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – BVerwG 4 C 12.07 –, juris, RdNr. 33). Bleibt aber das Ziel(-Bündel) als solches erreichbar, so sind Abstriche am Grad der Zielvollkommenheit als typische Folge des Gebots, Alternativen zu nutzen, hinnehmbar (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – BVerwG 4 A 28.01 –, juris, RdNr. 26). Diese zum Habitatschutz entwickelten Grundsätze gelten für das Artenschutzrecht entsprechend (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, juris, RdNr. 240).

26

Gemessen daran, bestehen erhebliche Zweifel daran, dass es keine zumutbare Alternative für das streitige Vorhaben in seiner konkreten Ausführung gibt.

27

a) Zwar mag in Bezug auf den konkreten Standort eine die Identität des Vorhabens wahrende Alternative nicht vorhanden sein, insbesondere weil – wie die Antragstellerin und der Antragsgegner geltend machen – sich auf der von der oberen Naturschutzbehörde vorgeschlagenen Fläche westlich der L 221 in möglicherweise (nahezu) vergleichbarem Umfang Feldhamster befinden, diese Fläche aufgrund der Eigentumsverhältnisse nicht für das Bauvorhaben zur Verfügung steht und die Erschließung auf dieser Fläche aufwändiger ist.

28

b) Jedoch drängt sich eine Ausführungsvariante auf den zur Bebauung vorgesehenen Flächen auf, die mit einer geringeren Eingriffsintensität verbunden wäre. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Umsiedlung der Feldhamster nach Beendigung des Winterschlafs im Frühjahr 2017 und anschließendem Baubeginn nicht als die für die lokale Feldhamsterpopulation schonendere Variante in Betracht kommt. Noch im Maßnahmenkonzept des Büros (M.) vom 01.09.2016 (S. 15, Blatt 100 des Verwaltungsvorgangs) wurde darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt der Feldhamster-Umsiedlungen auf die Zeitfenster des zeitigen Frühjahrs (oberirdische Aktivität vor der Fortpflanzungsperiode) und des Spätsommers (oberirdische Aktivität nach der Fortpflanzungsperiode) beschränkt sei. Nach K. Mammen / U. Mammen – Methoden feldökologischer Säugetierforschung 2 (2003) – Möglichkeiten und Grenzen der Umsiedlung von Feldhamstern –, S. 465) (http://www.oekotop-halle.de/sites/default/files/IMCE/dokumente) kommen zum Umsiedeln von Feldhamstern nur das sehr zeitige Frühjahr oder der Spätsommer in Frage, d.h. die Zeit der oberirdischen Aktivität vor oder nach der Fortpflanzungsperiode.

29

Soweit die Antragstellerin und der Antragsgegner darauf verweisen, dass ein Zuwarten bis zum Frühjahr aufgrund des Bauzeitenplans des Investors und bereits abgeschlossener Verträge mit Wiederverkäufern nicht zumutbar sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Eine Gebietskörperschaft darf die Alternativlosigkeit einer artenschutzrechtlichen Ausnahme nicht durch Zwischenschaltung Dritter künstlich herbeiführen (vgl. Meßerschmidt, BNatSchG § 45 RdNr. 78). Ebenso wenig darf der Vorhabenträger die Alternativlosigkeit in zeitlicher Hinsicht dadurch herbeiführen, dass er sich bereits vor Beginn der Maßnahme vertraglich in der Weise bindet, dass er termingebundene Lieferverpflichtungen eingeht. Dies gilt hier insbesondere deshalb, weil sowohl der Antragstellerin als auch dem Investor bekannt war, dass bereits seit mehreren Jahren die "Feldhamsterproblematik" auf der in Rede stehenden Fläche besteht. Unabhängig davon ist fraglich, ob der von der Antragstellerin ins Feld geführte Bauzeitenplan unabhängig vom Erfordernis einer artenschutzrechtlichen Ausnahme umgesetzt werden kann. Bis jetzt liegt lediglich ein Bauvorbescheid des Antragsgegners vom 23.08.2016 vor, der die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Teils des Vorhabens (gartenbaulicher Betrieb) nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB feststellt, allerdings unter verschiedenen Bedingungen, die nicht nur die artenschutzrechtlichen Belange betreffen. So muss daneben

30

- der Nachweis erbracht werden, dass es sich bei dem neu gegründeten Betrieb um einen gärtnerischen Vollerwerbsbetrieb handelt,
- die verkehrliche, versorgungstechnische und entsorgungstechnische Erschließung nachgewiesen werden,
- den durch die Wasserbehörde zu prüfenden Belangen zum Umgang mit Niederschlagswasser und Abwasser ausreichend Rechnung getragen werden und eine positive Bewertung erfolgen können,
- durch das Amt für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten Süd die entsprechenden Zustimmungen nach § 34 FlurbG erteilt werden,
- die Pachtverträge zu den in Anspruch genommenen Grundstücken vorliegen.

31

Ausdrücklich nicht von der Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit erfasst werden folgende Anlagen:

32

- Markthalle mit 2.700 m² für den Direktvertrieb
- 5 Hallen mit 2.400 m² für die Weiterverarbeitung der Produkte
- Logistikzentrum
- Gewächshaus Fischaufzucht 10.000 m²
- Wasserbecken 5.100 m², 4.400 m²
- Stellflächen 9.345 m²
- Blockheizkraftwerke, Wärmepumpen, PV-Dachanlagen, Kleinstwindräder.

33

Bauordnungsrechtliche Belange wurden nicht geprüft.

34

Nach den Angaben der Beteiligten ist derzeit noch nicht einmal ein prüffähiger Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung für diesen ersten Abschnitt gestellt, so dass nicht absehbar ist, ob und wann mit dem Bau welcher Anlagenteile unter den vom Antragsgegner geforderten Bedingungen begonnen werden kann.

35

Hinzu kommt, dass bislang noch kein Nachweis darüber vorliegt, dass nach Ende der Überwinterung im Frühjahr 2017 die vom Antragsgegner für geeignet gehaltenen Aussiedlungsflächen U01, U04 und U05 verfügbar sind. Nach der Auflage Nr. 2.5 ist der Antragstellerin insoweit eine Frist bis zum 31.03.2017 eingeräumt. Es bleibt insoweit offen, was geschehen soll, wenn die geforderten 32 ha Umsiedlungsflächen nicht zur Verfügung stehen, etwa weil sich die betroffenen Grundstückseigentümer gegen die Ansiedlung von (weiteren) Feldhamstern in einer nicht unerheblichen Größenordnung wehren sollten oder eine "feldhamsterfreundliche Bewirtschaftung" ablehnen. Die Betreiberin des (...)er Zoos hat sich in der Vereinbarung vom 30.11.2016 zur Haltung der Feldhamster nur bis zum Ende der Winterschlafphase (spätestens Ende Mai 2017 [die Angabe Mai 2016 ist offensichtlich ein Schreibfehler]) bereiterklärt; die Antragstellerin hat sich darin verpflichtet, nach Ablauf der Winterschlafphase die Feldhamster abzuholen und diese fachgerecht auf einer feldhamsterfreundlich bewirtschafteten Fläche auszubringen.

36

2.2.2. Im Übrigen hat der Senat auch Zweifel daran, ob der Nachweis dafür erbracht ist, dass sich bei Durchführung der geplanten Umsiedlung der Feldhamster der Erhaltungszustand der Feldhamster-Populationen nicht verschlechtert.

37

a) Als Erhaltungszustand einer Art bezeichnet Art. 1 Buchstabe i FFH-RL die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in einem Gebiet auswirken können. Der Erhaltungszustand wird als günstig betrachtet, wenn aufgrund der Daten der Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Population dieser Art zu sichern.

38

Unter einer Population ist nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG eine biologisch oder geografisch abgegrenzte Zahl von Individuen einer Art zu verstehen. Die Individuen innerhalb ihres Verbreitungsgebiets müssen zueinander in generativen oder vegetativen Vermehrungsbeziehungen stehen (BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – BVerwG 4 A 1075.04 juris, RdNr. 571). Anders als beim Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist allerdings im Rahmen der Ausnahme nach § 45 Abs. 2 BNatSchG nicht der Erhaltungszustand des von dem Vorhaben unmittelbar betroffenen lokalen Vorkommens maßgeblich, sondern eine gebietsbezogene Gesamtbetrachtung anzustellen, die auch die anderen (Teil-)Populationen der Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in den Blick nimmt; entscheidend ist, ob die Gesamtheit der Populationen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, das über das Plan- bzw. Vorhabengebiet hinausreicht, als lebensfähiges Element erhalten bleibt (BVerwG, Urt. v. 06.11.2013 – BVerwG 9 A 14.12 –, juris, RdNr. 130). Das schließt freilich nicht aus, dass in die Beurteilung auch die Auswirkungen auf die örtliche Population mit einfließen. Dies kann im Rahmen einer zweistufigen Betrachtung geschehen, wie sie die EU-Kommission in ihrem "Guidance document on the strict protection of animal species of Community interest under the Habitats Directive 92/43/EEC", Februar 2007 (S. 60 f.) empfiehlt: Bleibt der Erhaltungszustand der betroffenen lokalen Population günstig, so steht damit zugleich fest, dass keine negativen Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art in ihrem überörtlichen Verbreitungsgebiet zu besorgen sind. Lässt sich dem Vorhaben die Unbedenklichkeit für die lokale Population nicht attestieren, ist ergänzend eine weiträumigere Betrachtung geboten. Dann ist zu fragen, ob die Beeinträchtigung des lokalen Vorkommens sich auf die Stabilität der Art im überörtlichen Rahmen negativ auswirkt, was maßgeblich vom Erhaltungszustand der Art in ihrem regionalen oder sogar noch größeren Verbreitungsgebiet abhängt (zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – BVerwG 9 A 3.06 –, juris, RdNr. 249). Insoweit ist der Behörde ein naturschutzfachlicher Einschätzungsspielraum eingeräumt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.03.2008 – BVerwG 9 VR 10.07 –, juris, RdNr. 47).

39

Der Erhaltungszustand kann allerdings auch durch Ausgleichsmaßnahmen sichergestellt werden (Meßerschmidt, a.a.O., RdNr. 82). Hierfür kann es ausreichen, wenn geeignete und ausreichend große Ausweichhabitate orts- und zeitnah zur Verfügung gestellt werden (BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – BVerwG 4 A 1075/04 –, juris, RdNr. 573). Der zuständigen Behörde ist (auch) hinsichtlich der Bewertung von Maßnahmen, mit denen neue Habitatflächen für die betroffenen Arten zur Verfügung gestellt werden, ein naturschutzfachlicher Einschätzungsspielraum eingeräumt (BVerwG, Beschl. v. 09.09.2009 – BVerwG 4 BN 4.09 –, juris, RdNr. 11 in juris, m.w.N.).

40

Im Falle eines ungünstigen Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art sind Ausnahmen nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL (ausnahmsweise) zulässig, wenn sachgemäß bzw. hinreichend nachgewiesen ist, dass sie weder den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Population weiter verschlechtern noch die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes behindern; darüber hinaus müssen keine "außergewöhnlichen Umstände" vorliegen (BVerwG, Urt. v. 28.03.2013 – BVerwG 9 A 22.11 –, juris, RdNr. 135; Urt. v. 14.04.2009 – BVerwG 9 A 5.08 –, juris, RdNr 141; EuGH, Urt. v. 14.06.2007 – C-342/05 –, juris, RdNr. 29).

41

b) Die Feldhamster-Populationen befinden sich bundesweit betrachtet in einem ungünstigen Erhaltungszustand, da das natürliche Verbreitungsgebiet abnimmt. Nach dem vom Deutschen Rat für Landschaftspflege herausgegebenen Bericht zum Status des Feldhamsters aus dem Jahr 2014 (S. 8) weisen die Feldhamster-Bestände in fast allen Bundesländern einen negativen Trend auf. In Sachsen-Anhalt beträgt der Bestand > 50.000 Individuen und hat den Rote-Liste-status "vom Aussterben bedroht", die Bestandentwicklung ist allerdings stabil (vgl. S. 37). Hier besitzt die Art aktuell nur noch vier abgrenzbare Verbreitungszentren, darunter das südliche Harzvorland (vgl. das Maßnahmenkonzept des Büros für Landschaftsökologie (M.) vom 01.09.2016, S. 5, Bl. 95 des Verwaltungsvorgangs). Das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU) geht in seiner Stellungnahme zum streitigen Vorhaben vom 18.11.2016 (Anlage BG 10) dort von einem Erhaltungszustand "C" (mittel bis schlecht) bzw. "U1" (unzureichend) und damit von einem ungünstigen Erhaltungszustand aus.

42

c) Derzeit dürfte es an einem hinreichenden Nachweis dafür fehlen, dass im Fall der Durchführung des Bauvorhabens der im südlichen Harzvorland ungünstige Erhaltungszustand der Feldhamster-Population sich nicht weiter verschlechtern und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindert wird.

43

aa) Der Antragsgegner geht selbst davon aus, dass die lokale Feldhamster-Population westlich von Sangerhausen nur erhalten werden kann, wenn die auf der Vorhabenfläche siedelnden Feldhamster auf nahe gelegene geeignete Ausgleichflächen umgesiedelt werden. In der Begründung des angefochtenen Bescheides gibt er an, dass das langfristige Überleben des Feldhamsters westlich von Sangerhausen das Vorhandensein geeigneter Flächen in einer ausreichenden Quantität sowie einer hinreichenden Vernetzung voraussetze. Dies stellt auch die Antragstellerin letztlich nicht in Frage. Sie hat ein Maßnahmenkonzept des Büros für Landschaftsökologie (M.) vom 01.09.2016 sowie ein ergänzendes Maßnahmenkonzept vom 19.10.2016 erstellen lassen und auch die der Ausnahmegenehmigung diesbezüglich beigefügten Auflagen akzeptiert. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem von der Antragstellerin in Auftrag gegebenen artenschutzrechtlichen Fachbeitrag des Sachverständigenbüros M. vom 01.09.2016 (Bl. 107 ff. des Verwaltungsvorgangs), nach dem die höchste Baudichte im nordöstlichen Teil des Geltungsbereichs des künftigen Bebauungsplans Nr. 26 (IPM) und damit nicht in dem hier in Rede stehenden südlichen Bereich des Plangebiets vorzufinden sei. Nach dem ergänzenden Maßnahmenkonzept des Büros (M.) vom 19.10.2016 (S. 5, Bl. 22 des Verwaltungsvorgangs) ergab die Baukartierung für die geplanten Eingriffsbereiche im August/September 2016 für den hier in Rede stehenden Vorhabenbereich (Teilfläche A 5) eine Zahl von 27 festgestellten Feldhamsterbauen und eine Zahl von 45 kartierter Feldhamster-Röhren, so dass auf dieser Fläche mit etwa 30 bis 35 belaufenen Bauen zu rechnen sei. Ferner ergibt sich aus den vom Antragsgegner dem Landesverwaltungsamt übersandten Übersichtskarten zum lokalen Feldhamstervorkommen vom 11.11.2016 (Bl. 139 und 144 des Verwaltungsvorgangs), dass das in Rede stehende Vorhabengelände im so genannten "Kernbereich" des lokalen Lebensraums liegt, der für das dauerhafte Überleben der betroffenen Lokalpopulation essentiell sein soll.

44

bb) Ob mit der Umsiedlung der Erhalt der lokalen Population auf die in den Maßnahmenkonzepten vom 01.09.2016 und 19.10.2016 vorgesehenen Umsiedlungsflächen gewährleistet ist, erscheint nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen fraglich.

45

aaa) Dies gilt insbesondere für die Frage, welche Folgen eine Ausgrabung der Feldhamster und die Überwinterung der geborgenen Tiere in einem Zoo für die betroffenen Individuen haben können. Der Antragsgegner setzt sich mit dieser Frage im angefochtenen Bescheid nicht auseinander. Das ergänzende Maßnahmenkonzept des Büros (M.) vom 19.10.2016 unterstellt zunächst, dass die Erdarbeiten auf den Projektflächen vor Beendigung des Winterschlafs erfolgen, wodurch es zwangsläufig zu einer Tötung von Individuen des Feldhamsters kommen könne. Es beschreibt dann die aus seiner Sicht erforderlichen Maßnahmen bei der Ausgrabung, Überwinterung und Aussiedlung der Tiere. Wie oben bereits dargelegt, ist das Büro (M.) im ursprünglichen Maßnahmenkonzept vom 01.09.2016 (S. 15, Blatt 100 des Verwaltungsvorgangs) aber davon ausgegangen, dass der Zeitpunkt der Feldhamster-Umsiedlungen auf die Zeitfenster des zeitigen Frühjahrs (oberirdische Aktivität vor der Fortpflanzungsperiode) und des Spätsommers (oberirdische Aktivität nach der Fortpflanzungsperiode) beschränkt sei. Gleiches ist den Ausführungen von K. Mammen / U. Mammen (Methoden feldökologischer Säugetierforschung 2 [2003] – Möglichkeiten und Grenzen der Umsiedlung von Feldhamstern –, S. 465, a.a.O.) zu entnehmen.

46

bbb) Aber auch in Bezug auf die Umsiedlung der Feldhamster auf die vom Antragsgegner für geeignet gehaltenen Flächen (U01, U04 und U05) bestehen Bedenken, ob sachgemäß nachgewiesen ist, dass sie weder den ungünstigen Erhaltungszustand der lokalen Population nicht weiter verschlechtern und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindern wird.

47

Das Landesverwaltungsamt als obere Naturschutzbehörde führte in seiner Stellungnahme an den Antragsgegner vom 10.11.2016 (Bl. 135 ff. des Verwaltungsvorgangs) zum dem Baufeld des "Industrieparks Mitteldeutschland" (IPM) aus, dass der vorgesehene Eingriffsbereich nach den vorliegenden Gutachten aus den Jahren 2012 bis 2014 den überlebensnotwendigen Kernbestand der Sangerhäuser Feldhamsterpopulation darstelle. Es sei nicht auszuschließen, dass eine Umsiedlung auch nur eines Teils dieses Bestandes zu erheblichen irreversiblen Schädigungen dieser Population führe. Auf den Flächen dieser Kernpopulation befänden sich auch Landes- und Bundesmonitoringflächen zum Feldhamster, welche von großer Bedeutung für die Einschätzung des Erhaltungszustandes der gesamten Landespopulation und somit für die Berichtspflichten des Landes Sachsen-Anhalt gegenüber der EU sei. Des Weiteren lägen keine Erkenntnisse über eine erfolgreiche Umsiedlung einer so großen Anzahl von Feldhamstern vor. Daher sei hier das Risiko des Scheiterns der Umsiedlung sehr hoch, so dass infolge des Eingriffs in den Kernbestand der Lokalpopulation diese in ihrem Bestand gefährdet werden könne. Das Landesverwaltungsamt verweist zudem auf eine Stellungnahme LAU vom 07.08.2015, in der eine erfolgreiche dauerhafte Kompensation durch die CEF-Maßnahmen (Umsiedlung) infolge der "suboptimalen" Habitateignung der vorgesehenen Umsiedlungsflächen in Frage gestellt wird. Die Fa. (O.) habe im Jahr 2013 festgestellt, dass auf der geplanten Industrieparkfläche östlich der L 221 eine etwa doppelt so hohe Baudichte vorhanden sei wie auf der Fläche westlich der L 221. Nach den Erhebungen des Fa. (O.) GbR aus dem Jahr 2013 seien zudem auf den potenziellen Flächen westlich der L 221 nur ein Drittel aller Baue als Winterbaue klassifiziert worden.

48

In seiner Stellungnahme vom 07.08.2015 zum geplanten Industriepark (Anlage BG 6) führte das LAU aus, es sei bereits zweifelhaft, ob eine dauerhaft überlebensfähige Population (normative Vorgabe 1.500 Tiere als Gesamtgröße) verbleibe. Lege man selbst die optimistischen Schätzungen des Frühjahrsbestandes von 1.000 Tieren durch das Büro (M.) (2015) zugrunde, dürfte dies schon nicht mehr der Fall sein. Bei aller Unsicherheit der Schätzungen sei zu vermuten, dass durch bau- und anlagebedingte Faktoren ein erheblicher Eingriff stattfinde, der u.U. zur Unterschreitung der Größe einer überlebensfähigen Minimalpopulation führen könne. Die als CEF-Flächen vorgesehenen Flächen westlich des Plangebiets, die in der einvernehmlichen Abstimmung vom Oktober 2013 als relativ konfliktarme Alternativflächen festgestellt worden seien, könnten wegen suboptimaler Bodenverhältnisse mit Grundwasserbeeinflussung nicht dauerhaft höhere Hamsterdichten gewährleisten. Das erforderliche Steigerungspotenzial dieser Flächen für den Hamsterbestand sei fragwürdig. Des Weiteren stelle sich die Frage, wie lange der Vorhabenträger eine hamsterfördernde Bewirtschaftung grundsätzlich gewährleisten wolle. Schon aufgrund des ungünstigen Flächenansatzes (wesentlich weniger Umsiedlungsfläche (75 ha) als verloren gehen würde), müssten dauerhaft überdurchschnittlich erhöhte Hamsterdichten auf den CEF-Flächen erreicht werden. Selbst wenn man die suboptimale Eignung der Flächen außer Betracht ließe, wäre hierfür erwartungsgemäß ein sehr hoher Aufwand nötig, der sich kaum dauerhaft in die landwirtschaftliche Praxis integrieren ließe. Nach Auslaufen der CEF-Maßnahmen könnte dieser Stand wahrscheinlich nicht gehalten werden. In einer weiteren Stellungnahme vom 13.09.2016 (BG 8) zum Kompetenzzentrum "The Garden" bekräftigte das LAU seine Einschätzung unter Berücksichtigung des Maßnahmenkonzepts des Büros (M.) zur Umsiedlung des Feldhamsters und des artenschutzrechtlichen Fachbeitrags des von der Antragstellerin beauftragten Sachverständigenbüros M. vom 01.09.2016.

49

Zwar betrifft die streitige Ausnahmegenehmigung nur eine 32 ha große Teilfläche des ca. 140 bis 150 ha großen Geländes des Gesamtvorhabens, zu dem die obere Naturschutzbehörde und das LAU ihre ablehnende Haltung geäußert haben. Wie bereits dargelegt, bewegt sich die lokale Feldhamsterpopulation nach der Einschätzung des LAU aber am Rande der dauerhaften Überlebensfähigkeit, so dass auch eine Umsiedlung von geschätzt "nur" ca. 40 Feldhamstern von der Teilfläche bedenklich erscheint.

50

Der Beigeladene hat in seiner Widerspruchbegründung (S. 31 ff.) weitere Gesichtspunkte vorgetragen, die dagegen sprechen, dass die vom Antragsgegner für eine Umsiedlung als geeignet erachteten Flächen (U01, U04 und U05) tatsächlich für eine die Erhaltung der Population sichernde Umsiedlung geeignet sind. Die Ausgleichsflächen befinden sich nördlich und südlich der alten B 80 (nunmehr L 151) und damit (möglicherweise) durch Straßen und Gewässer isoliert vom Feldhamsterkernbestand südwestlich der Stadt D., so dass fraglich ist, ob ein Überleben dieser Population gesichert ist.

51

Allerdings ist dem Antragsgegner als untere Naturschutzbehörde – wie dargelegt – eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzubilligen. Dies dürfte auch für die Frage gelten, ob "sachgemäß nachgewiesen" ist, dass sich bei Durchführung der Umsiedlung der ungünstige Erhaltungszustand der lokalen Feldhamsterpopulation nicht weiter verschlechtert und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindert wird. Soweit diese Einschätzungsprärogative reicht, bleibt aber eine gerichtliche Kontrolle der konkreten Entscheidung dahin gehend möglich, ob diese vertretbar, d.h. plausibel und stimmig erscheint (BVerwG, Beschl. v. 28.12.2009 – BVerwG 9 B 26.09 –, juris, RdNr. 12). Dies erscheint aus den oben dargelegten Gründen aber fraglich. Ein gewichtiges Indiz gegen die Vertretbarkeit der Einschätzung des Antragsgegners ist, dass sowohl die obere als auch die oberste Naturschutzbehörde, die den Antragsgegner mittlerweile zur Rücknahme der streitgegenständlichen Ausnahmegenehmigung angewiesen haben, sowie das LAU als Fachbehörde für Naturschutz insoweit eine andere naturschutzfachliche Auffassung vertreten als der Antragsgegner. Zur Begründung der Weisung führte das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Schreiben vom 23.12.2016 aus, dass keine ausreichenden Erkenntnisse zur Umsiedlung der Feldhamster während der Winterruhe vorlägen und durch den Eingriff in den Kernbereich der lokalen Population eine erhebliche, irreversible Schädigung der lokalen Feldhamsterpopulation mit Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Landespopulation nicht auszuschließen sei.

52

cc) Nicht nachgewiesen ist, dass im Fall einer Beeinträchtigung des lokalen Feldhamstervorkommens sich diese nicht negativ auf die Stabilität der Art im überörtlichen Rahmen auswirkt. Dazu enthält der angegriffene Bescheid keine Ausführungen, weil der Antragsgegner davon ausgegangen ist, dass sich der Erhaltungszustand der lokalen Feldhamsterpopulation bei Durchführung der geplanten Umsiedlung und Einhaltung der dem Bescheid beigefügten Nebenbestimmungen nicht verschlechtern werde. In der Beschwerdeerwiderung hat der Antragsgegner zwar (zutreffend) ausgeführt, dass es bei der Frage der Verschlechterung des Erhaltungszustandes einer Population im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG nicht auf die lokale Population ankomme, sondern eine gebietsbezogene Gesamtbetrachtung anzustellen sei, die auch die anderen (Teil-)Populationen der betreffenden Art in den Blick nehme. Letztlich hat er aber nochmals seine Auffassung bekräftigt, dass es hier nicht einmal zu einer Verschlechterung der lokalen Feldhamsterpopulation komme.

B.

53

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil er im erstinstanzlichen Verfahren einen Sachantrag gestellt, die Beschwerde eingelegt und sich so jeweils dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.

C.

54

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen der Vorinstanz an.


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