Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (10. Senat) - 10 L 9/17

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 30. März 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Tatbestand

1

Die Beklagten, die miteinander verheiratet sind, stehen als Beamte auf Lebenszeit im Polizeidienst des Landes Sachsen-Anhalt und wenden sich gegen ihre Entfernung aus dem Dienst.

2

Die am (…) 1965 geborene Beklagte zu 1. absolvierte eine Lehre als Polsterin und war danach in unterschiedlichen Berufszweigen tätig. Im Dezember 1991 wurde sie in den Polizeidienst aufgenommen und arbeitete zunächst als Sachbearbeiterin Einsatz. Im Juli 1995 erfolgte die Verbeamtung auf Lebenszeit. Im Jahr 2000 wurde sie zur Polizeiobermeisterin befördert und nach erfolgreichem Abschluss der Aufstiegsausbildung im Jahr 2011 zur Polizeikommissarin ernannt. Seitdem ist sie im Streifeneinsatzdienst und als Einsatzführerin tätig. Die letzte über sie erstellte dienstliche Beurteilung im März 2009 gelangt für den Zeitraum vom 1. September 2007 bis 31. Dezember 2008 zu einer Gesamtpunktzahl von 267 Punkten und einer Gesamtbewertung „Gut“ (266 bis 330 Punkte).

3

Die Beklagte zu 1. ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Seit 1994 ist sie in zweiter Ehe mit dem Beklagten zu 2. verheiratet; sie hat keine strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Vorbelastungen. Ihre (ungekürzten) monatlichen Netto-Dienstbezüge betragen nach einer Besoldungsmitteilung von Oktober 2014 ca. (…) €.

4

Der am (…) 1960 geborene Beklagte zu 2. absolvierte eine Lehre als Fahrzeugschlosser und verrichtete ab 1979 Dienst bei der Nationalen Volksarmee. Im November 1989 wurde er in den Polizeidienst aufgenommen. 1994 erfolgte die Verbeamtung auf Lebenszeit und im Jahr 2005 wurde er zum Polizeihauptmeister befördert. Nach erfolgreichem Abschluss der Aufstiegsausbildung wurde er im Jahr 2010 zum Polizeikommissar ernannt. Seitdem ist er als Sachbearbeiter Einsatz (Einsatzführer) tätig. Die letzte über ihn erstellte dienstliche Beurteilung im November 2010 gelangt für den Zeitraum vom 17. Juni 2009 bis 30. September 2009 zu einer Gesamtpunktzahl von 248 Punkten und einer Gesamtbewertung „Befriedigend“ (200 bis 265 Punkte).

5

Der Beklagte zu 2. hat ein gemeinsames Kind mit der Beklagten zu 1. sowie zwei weitere erwachsene Kinder. Er hat keine strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Vorbelastungen. Seine (ungekürzten) monatlichen Netto-Dienstbezüge betragen nach einer Besoldungsmitteilung von Oktober 2014 ca. (…) €.

6

Beide Beklagten waren zuletzt im Polizeirevier E-Stadt eingesetzt. Im Rahmen eines vom Sozialamt des Landkreises E-Stadt geführten Verwaltungsverfahrens, in welchem es um die Verpflichtung zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrages gemäß § 94 SGB XII im Rahmen der Gewährung von Sozialleistungen für die Mutter der Beklagten zu 1. ging, wurde die Beklagte zu 1. mit einem - später dann aufgehobenen - Bescheid vom 28. April 2014 zur Zahlung eines fortlaufenden Unterhaltsbetrags in Höhe von monatlich 160,- € einschließlich einer Nachzahlung in Höhe von 960,- € herangezogen. Hiergegen erhoben beide Beklagten in einem als „Familie (…) A.“ von ihnen gemeinsam unterzeichneten Schreiben vom 5. Mai 2014 Widerspruch. Dem Schreiben war als Anlage u. a. beigefügt eine „Juristische Aufklärung für Sie (3 Blatt)“.

7

Die „Juristische Aufklärung“ ist handschriftlich überschrieben mit „Beachte: gültige Rechtsnorm!“ und beginnt mit den Worten: „Zuallererst juristische Aufklärung:“ Im Folgenden wird u. a. ausgeführt, dass das Grundgesetz zumindest seit 1990 keine Geltung mehr habe. Die ersten beiden Seiten der Anlage sind nachstehend eingescannt:

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Mit weiterem Schreiben der „ (…) aus der Familie A. – Mensch und Natürliche Person entspr. § 1 des staatlichen B“ vom 21. Mai 2014 erklärten die Beklagten gegenüber dem Sozialamt des Landkreises E-Stadt die „ZURÜCKWEISUNG gegen die Aufforderung zur Zahlung des Unterhaltsbeitrags/Elternunterhalt.“ In dem Schreiben heißt es u. a: „Ihre o. g. Forderungen basieren letztlich auf dem Grundgesetz (GG). Weder meine Vorfahren noch ich haben das Grundgesetz (GG) noch die darauf basierenden Gesetze legitimiert …. Darüber hinaus ist das GG gemäß seinen eigenen Bestimmungen offenkundig sowieso ungesetzlich und die darauf basierenden Gesetze etc. sind nichtig“. Das von den Beklagten auf jeder Seite persönlich unterzeichnete Schreiben ist nachstehend eingescannt:

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Der Landrat des Landkreises E-Stadt wandte sich daraufhin im August 2014 an den Leiter des Polizeireviers E-Stadt; in den Schreiben der Beklagten werde die Gültigkeit des Grundgesetzes bestritten, was nach seiner Ansicht eine schwerwiegende Verletzung beamtenrechtlicher Dienst- und Treuepflichten darstelle.

12

In einem dienstlichen Gespräch vom 4. September 2014 erklärte die Beklagte zu 1. u. a., dass es sich um eine private Angelegenheit handele, die nichts mit dem Dienst zu tun habe. Seit 2006 seien die in dem Sachverhalt gemachten Äußerungen rechtlich abgesichert. Sie habe diese Ausführungen aus dem Internet. Sie habe die von ihr verwendeten Darstellungen als „Trick“ benutzt, um den Forderungen des Sozialamtes nicht nachkommen zu müssen. In einem dienstlichen Gespräch vom 5. September 2014 erklärte der Beklagte zu 2., dass er sich nicht äußern wolle. In den Gesprächen wurden die Beklagten über ihre Pflichten als Polizeivollzugsbeamte belehrt.

13

Nach Einleitung von Disziplinarverfahren gegen die Beklagten im September 2014 enthob die Klägerin mit Verfügungen vom 21. Oktober 2014 die Beklagten vorläufig des Dienstes und ordnete mit Verfügungen vom 20. Januar 2015 die Einbehaltung von 50 v. H. der Dienstbezüge des Beklagten zu 2. sowie von 41 v. H. der Beklagten zu 1. an. Nachdem das Verwaltungsgericht Magdeburg Anträgen der Beklagten auf Aufhebung der Verfügungen stattgegeben hatte, bestätigte der erkennende Senat mit Beschluss vom 21. Mai 2015 (- 10 M 4/15 -) die Suspendierung sowie die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge.

14

Im Anhörungsverfahren zu der Erhebung einer Disziplinarklage teilten die Beklagten mit, das Schreiben vom 21. Mai 2014 entspreche in keiner Form ihrer eigenen persönlichen Auffassung. Die darin enthaltene Auffassung habe allein dem Zweck gedient, den Landkreis zu bewegen, von weiteren unberechtigten Inanspruchnahmen abzusehen. Der Landkreis habe sich ebenfalls an die gesetzlichen Rahmenbedingungen halten sollen.

15

Mit der am 16. März 2016 bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg eingegangenen Disziplinarklage begehrt die Klägerin die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Die Beklagten hätten schuldhaft ein schweres Dienstvergehen begangen. Die Äußerungen in den Schreiben vom 5. und 21. Mai 2014 seien substantiell geeignet, ihre beamtenrechtlichen Pflichten zur Verfassungstreue und zu Achtung und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes zu verletzen. Mit den vorgeworfenen Handlungen sei bereits eine deutliche inner- und außerdienstliche Ansehensschädigung eingetreten. Das Vertrauen des Dienstherrn zu den Beklagten sei völlig zerstört. Die fehlende Reue und Einsicht der Beklagten und ihr Verhalten nach Einleitung des Disziplinarverfahrens sprechen nicht von der Abkehr der in den Schreiben zum Ausdruck gebrachten Negierung der Geltung des Grundgesetzes.

16

Die Klägerin hat beantragt,

17

die Beklagten aus dem Dienst zu entfernen.

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Die Beklagten haben beantragt,

19

die Disziplinarklage abzuweisen.

20

Die Beklagten haben vorgebracht, dass sie kein Dienstvergehen begangen hätten. Es bestünden keinerlei Zweifel an ihrer Verfassungstreue. Ihre Dienstausübung sei seit Jahren tadellos. Sie hätten auch keinerlei Kontakte zur so genannten „Reichsbürgerbewegung“. Weiterhin liege ein Beweisverwertungsverbot vor, da der Landkreis die Schreiben nicht an die Klägerin habe weiterleiten dürfen. Zudem sei eine gemeinsame Disziplinarklageerhebung gegen mehrere Beamte unzulässig. Auch sei der Personalrat nicht hinreichend beteiligt worden.

21

Das Verwaltungsgericht hat der Disziplinarklage mit Urteil vom 30. März 2017 entsprochen und die Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt.

22

Die gemeinsame Erhebung der Disziplinarklage gegen die Beklagten sei zulässig. Insbesondere greife die gerügte fehlende Mitwirkung der Personalvertretung nicht durch. Die Klage sei auch begründet. Die Beklagten hätten ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen. Das Versenden der Schreiben stelle ein einheitliches Dienstvergehen in Gestalt zweier schuldhafter Dienstpflichtverletzungen dar.

23

Zum einen liege darin eine eindeutige und eklatante Verletzung ihrer Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten. Eine Ansehensschädigung sei eingetreten, da die Beklagten ihr Verhalten durch das Versenden der Schreiben öffentlich gemacht hätten. Weiterhin stelle sich die Verletzung ihrer Pflicht als außerdienstliches Verhalten i. S. d. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG dar, das nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet sei, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt oder das Ansehen des öffentlichen Dienstes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Die Beklagten hätten dem für die Tätigkeit der Polizei unabdingbaren Vertrauen der Bevölkerung in ihre Bereitschaft, als Polizeibeamte jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten, nachhaltig durch das wiederholte Negieren der Gültigkeit des Grundgesetzes den Boden entzogen und unwiderruflich zerstört. Zum anderen sei dadurch ein Verstoß der Beklagten gegen ihre Pflicht zur Verfassungstreue gegeben, dass sie durch das Absenden der Schreiben den deutlichen und eindeutigen Schein dafür gesetzt hätten, dass sie sich zu einem Gedankengut bekannt hätten, dass der Bundesrepublik Deutschland als freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegenstehe. Damit sei auch eine innerdienstliche Pflichtverletzung gegeben.

24

Die Beklagten hätten die Dienstvergehen vorsätzlich und schuldhaft begangen, wobei bereits Fahrlässigkeit genüge. Ihnen müsse bewusst gewesen sein, dass ihr Verhalten ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstelle. Sie könnten sich auch nicht erfolgreich auf einen Verbotsirrtum berufen. Angesichts des eindeutigen Inhalts der beiden Schreiben müsse bereits für jeden Laien, und erst recht für die Beklagten als langjährige Polizeivollzugsbeamte mit entsprechender Ausbildung, offensichtlich erkennbar sein, dass dieses Verhalten disziplinarrechtlich nicht folgenlos bleiben könne. Nichts anderes gelte im Hinblick auf ihren Vortrag, dass das vorgeworfene Verhalten Privatsache sei und nur ein „Trick“, um sich der Inanspruchnahme durch das Sozialamt zu entziehen. Ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Schreiben bestehe nicht.

25

Die von den Beklagten begangenen Dienstvergehen wiegten auch so schwer, dass die disziplinare Höchstmaßnahme jeweils indiziert sei. Mit ihrem Verhalten hätten die Beklagten für einen objektiven Betrachter zweifelsfrei und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass in ihren Augen das Grundgesetz ungesetzlich und die darauf basierenden Gesetze nichtig seien. Dadurch hätten sie sowohl das Vertrauen der Allgemeinheit als auch das Vertrauen des Dienstherrn in eine künftige ordnungsgemäße Pflichterfüllung ihrerseits vollständig, eklatant und unwiderruflich zerstört. Die Zuordnung der Beklagten in die so genannte „Reichsbürgerbewegung“ sei nicht erforderlich, um die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen. Entscheidend sei, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung, deren Schutz ihre Kernaufgabe sei, in ihr persönliches Belieben gestellt und eigenen, privaten Zwecken (Entziehung der Inanspruchnahme durch das Sozialamt) untergeordnet hätten. Es lasse auf eklatante Persönlichkeitsmängel schließen, wenn - wie hier - gut ausgebildete, in der Laufbahngruppe 2 befindliche Polizeikommissare mit einem breiten Maß an Lebens- und Berufserfahrung sich entschieden, sich der Verpflichtung zur Zahlung von Elternunterhalt durch einen unseriösen „Trick“ zu entziehen.

26

Durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermöge das Disziplinargericht vorliegend nicht zu erkennen. Es könne nicht entlastend von einer einmaligen Kurzschlusshandlung ausgegangen werden oder davon, dass die Beklagten sich nicht intensiv (genug) mit den verwendeten Vordrucken beschäftigt hätten. Auch habe für die Beklagten keine schockartig ausgelöste vorübergehende psychische Ausnahmesituation bestanden. Die Heranziehung zur Nachzahlung des Elternunterhalts sei ihnen bereits lange vor dem relevanten Schriftverkehr bekannt gewesen. Entlastend könne auch nicht ihr Nachtatverhalten herangezogen werden. Ausweislich des Verwaltungsvorgangs hätten sie Einsicht und Reue nicht unmittelbar nach der Tat gezeigt, sondern erst als absehbar gewesen sei, dass ihr Verhalten disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehe. Entlastend könne nur berücksichtigt werden, dass die Beklagten disziplinarrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten seien. Dies genüge jedoch nicht, um das zerstörte Vertrauen zum Dienstherrn wiederherzustellen. In der Gesamtschau sei durch das schwere Dienstvergehen ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten, der die Beklagten im Beamtenverhältnis als untragbar erscheinen lasse. Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstoße nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot.

27

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts haben die Beklagten fristgerecht Berufung eingelegt, welche sie wie folgt begründen:

28

Es liege kein außerdienstliches Dienstvergehen vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werde das berufserforderliche Vertrauen nur dann in besonderem Maße i. S. d. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Vorsatzstraftaten - gerade zu Lasten Schutzbedürftiger - begingen. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor; der hier vorgeworfenen Tat komme keinerlei strafrechtliche Relevanz zu. Sie hätten nicht vorsätzlich und auch nicht schuldhaft gehandelt. Ihnen sei zur Zeit des Absendens der Schreiben gerade nicht bewusst gewesen, pflichtwidrig zu handeln. Sie hätten überhaupt nicht im Blick gehabt, die Schreiben könnten in irgendeiner Form einen dienstlichen Zusammenhang haben oder auch nur ansatzweise gegen dienstliche Pflichten verstoßen.

29

Sie hätten auch nicht gegen ihre Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen. Da sie bisher nicht durch eine ablehnende Einstellung gegenüber der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung i. S. d. Grundgesetzes aufgefallen sein, könne allein aus dem erstmaligen Absenden solcher Schreiben noch kein Rückschluss auf eine ablehnende Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesgebiet Deutschland gezogen werden. Es könne ihnen nicht nachgewiesen werden, dass sie mit dem Absenden der Schreiben zum Ausdruck bringen wollten, ihrer Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht nachzukommen. Es bestünden keinerlei Zweifel an ihrer Verfassungstreue. Vielmehr würden sie seit Jahren ihren Dienst bei der Klägerin tadellos versehen. Dies habe sogar zu einem Laufbahnwechsel vom mittleren zum gehobenen Dienst geführt.

30

Die Annahme, es sei notwendig, sie auf Grund des angeblich zerstörten Vertrauens zu dem Dienstherrn aus dem Dienst zu entfernen, sei abwegig. Das Absenden der Schreiben stelle kein schweres Dienstvergehen i. S. d. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar. Sie hätten dadurch keine Straftat begangen. Zum anderen handele es sich um vorgefertigte und nicht selber entworfene Schreiben, so dass der Inhalt nicht auf ihre eigene Gedanken zurückzuführen sei. Ziel der Schreiben sei es allein gewesen, den Landkreis E-Stadt von seinem rechtswidrigen Verhalten abzubringen. Zum Zeitpunkt des Absendens der Schreiben hätten sie sich in keiner Form Gedanken darüber gemacht, dass die Versendung dieser Schreiben sie in den Verdacht bringen könnte, nicht für den Dienstherrn einzustehen, und gegebenenfalls davon ausgegangen werden könnte, dass sie nicht die Gewähr dafür bieten könnten, sich verfassungstreu zu verhalten. Weiterhin sei nochmals auszuführen, dass sie ihren Dienst vorbildlich versähen, sehr gern Polizeibeamte des Landes Sachsen-Anhalt seien und in diesem Zusammenhang für den Dienstherrn und die Allgemeinheit gern tätig seien und sein wollten. Dies ergebe sich auch aus der dienstlichen Einschätzung des unmittelbaren Dienstvorgesetzten vom 13. Oktober 2014.

31

Die Entfernung aus dem Dienst erscheine nicht gerechtfertigt und unverhältnismäßig. Die Klägerin selbst habe bei Kenntniserlangung des Vorfalls eine erneute Belehrung auf die Amtspflichten als angemessene Reaktion für sachgerecht erachtet. Zudem habe der bayerische Verwaltungsgerichtshof im Bereich des Straftatbestandes der mehrfachen Volksverhetzung im außerdienstlichen Bereich ausschließlich die Zurückstufung des Beamten als angemessene Disziplinarstrafe angesehen. In einem vergleichbaren Fall, in dem ein Polizeibeamter in der Öffentlichkeit einen Siegelring mit SS-Ruden getragen und somit eine Straftat begangen habe, habe das Bundesverwaltungsrecht entschieden, dass der erstmalige Verstoß gegen die beamtenrechtlichen Pflichten offenkundig nicht mit der Höchstmaßnahme zu ahnden sei.

32

Die Beklagten beantragen,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 30. März 2017 - 15 A 16/16 MD - zu ändern und die Disziplinarklage abzuweisen.

34

Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

36

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wer in bedeutsamer Weise die Existenz der staatlichen Strukturen und Ordnungen nach dem Grundgesetz mit teilweise vorformulierten abwegigen Texten aus dem Internet infrage stelle und diese ausdrücklich mit handschriftlichen Zuführungen und Unterstreichungen gegenüber einem Landkreis nachweislich verwende und mit Unterschriftsleistung auf den übersandten Schreiben zu eigen mache, bekenne sich nicht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das Bekunden der Beklagten, dass es sich bei dem Sachverhalt um einen „Trick“ und um eine Privatsache handele und sie angesichts der Sozialdaten „nicht damit rechnen mussten“, namentlich benannt zu werden, sei symptomatisch für die Fehlverhaltensweisen. Das Bekanntwerden des bedeutsamen Fehlverhaltens von Polizeibeamten habe nicht nur unter den Mitarbeitern im Landkreis E-Stadt zu erheblichen Irritationen und der Erstattung von Berichten geführt. Dass die an das Sozialamt gesandten Schreiben keine Straftatbestände erfüllten und Anhaltspunkte für verfassungswidrige Bestrebungen der Beklagten bisher nicht bekannt geworden seien, werde nicht in Abrede gestellt. Dessen ungeachtet sei die vollständige Negation der Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Verstoß gegen die Treuepflicht von Polizeibeamten zu qualifizieren und von der Relevanz her nicht mehr steigerungsfähig. Auch die weiteren Ausführungen zur erwähnten Rechtsprechung bei Vorsatzstraftaten seien für das Disziplinarverfahren ohne Belang.

37

Die disziplinarrechtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass mit den vorgeworfenen Handlungen eine erhebliche inner- und außerdienstliche Ansehensschädigung eingetreten sei. Die Beklagten hätten auch vorsätzlich gehandelt. Von Beamten ihres Statusamtes sei zu erwarten, dass sie den Unrechtsgehalt ihrer Handlungen auch ohne externes Einschreiten erkennen würden. Den als „Trick“ bezeichneten absichtlichen Täuschungsaktivitäten könne mit der vermeintlichen Wahrung von Verteidigungsinteressen nicht legitimiert werden. Die Rechtsordnung biete Möglichkeiten, sich legal zu wehren. Die hier zu Grunde liegenden Äußerungen ließen auf eine für den Polizeivollzugsdienst unzumutbare charakterliche Grundeinstellung und eine tiefe Missachtung der durch § 52 Abs. 1 LBG LSA auferlegten Pflicht (Diensteid) schließen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung i. S. d. Grundgesetzes anzuerkennen und für seine Erhaltung einzutreten. Auch die Umstände der erst in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommenen Beweggründe und späten Einsichten entlasteten die Beklagten nicht. Der durch ihr Verhalten eingetretene Vertrauens- und Achtungsverlust sei derart außergewöhnlich hoch, dass eine unterhalb der Entfernung aus dem Dienst liegende Disziplinarmaßnahme nicht in Betracht kommen könne.

38

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

40

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist sowohl hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Sachverhalts als auch hinsichtlich der Sanktionsfindung nicht zu beanstanden. Auch nach Auffassung des Senats gebietet das Verhalten der Beklagten die Feststellung eines endgültigen Vertrauensverlustes des Dienstherrn und der Allgemeinheit mit der Folge, dass sie aus dem Dienst zu entfernen sind (§ 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA).

41

1. Die Disziplinarklage ist zulässig.

42

Die von den Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren genannten Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Disziplinarklage, welche sie im Berufungsverfahren nicht wiederholt haben, sind nicht durchgreifend. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

43

2. Die Disziplinarklage ist auch begründet.

44

a) Die Beklagten haben durch das Versenden der Schreiben vom 5. und 21. Mai 2014 an das Sozialamt des Landkreises E-Stadt ein Dienstvergehen i. S. d. § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen.

45

(1) Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG müssen sich Beamtinnen und Beamte durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung i. S. d. Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Aus den dem Senat vorliegenden Personalakten ergibt sich zudem, dass beide Beklagten anlässlich ihrer beamtenrechtlichen Vereidigung folgende Eidesformel nachgesprochen haben:

46

„Ich schwöre, meine Kraft dem Volk und dem Land Sachsen-Anhalt zu widmen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu wahren und zu verteidigen …“

47

Mit den streitbefangenen Schreiben haben die Beklagten nicht nur die Geltung („Gültigkeit“) des Grundgesetzes verneint, sondern auch „die darauf basierenden Gesetze etc.“ als nichtig bezeichnet. Zudem haben sie die Auffassung bekundet, es gebe „somit heute keine staatlich oder gesetzlich legitimierten Einrichtungen oder Ämter“. In dem - ausdrücklich - mit „Beachte: gültige Rechtsnorm !“ eigenhändig überschriebenen Pamphlet haben sie sich zu der Behauptung verstiegen, die Bundesrepublik Deutschland sei als souveräner Staat nie geschaffen worden und dessen Rechtssystem habe sich durch Menschenrechtsverletzungen selbst aufgelöst. Mit den darin geäußerten Thesen werden die freiheitliche demokratische Grundordnung, das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland, nicht zuletzt die Existenz der staatlichen Strukturen und Ordnungen nach dem Grundgesetz infrage gestellt, so dass offensichtlich eine Verletzung der Pflicht des § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG vorliegt. Dabei handelt es sich um eine innerdienstliche Pflichtverletzung i. S. d. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG. Denn die Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist unteilbar und nicht auf den dienstlichen Raum beschränkt (so auch VGH Bayern, Urt. v. 28. November 2001 - 16 D 00.2077 -; BVerwG, Urt. v. 10. Mai 1984 - 1 D 7.83 - zu § 52 Abs. 2 BBG, jeweils zit. nach JURIS). Nicht erforderlich für eine Pflichtenverletzung ist danach, dass der Beamte gegenüber seinem Dienstherrn in irgendeiner Weise - wie es die Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat formuliert hat - „Konsequenzen zieht“.

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(2) In dem Versenden liegt weiterhin eine außerdienstliche Dienstpflichtverletzung nach § 47 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 34 Satz 3 BeamtStG.

49

Das Verhalten von Beamtinnen und Beamten muss gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Diese Vorgabe wird durch das Versenden von Schreiben, in denen die Existenz der Bundesrepublik negiert wird, offensichtlich verletzt. Dass diese Schreiben an eine Behörde im Rahmen eines Sozialverwaltungsverfahrens gerichtet wurden, steht dem nicht entgegen. Es handelt sich dabei im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten nicht um eine „reine Privatsache“. Auch ist die Voraussetzung des § 47 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorliegend erfüllt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen. Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien dazu erhebliche Vorsatzstraftaten erforderlich. Entscheidend ist vielmehr, ob das außerdienstliche Verhalten nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung als solche reicht zur Annahme eines Dienstvergehens nicht aus, sondern hinzutreten müssen weitere, auf die Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung bezogene Umstände. Ob und in welchem Umfang durch das außerdienstliche Verhalten eines Beamten das für sein Amt erforderliche Vertrauen beeinträchtigt wird, hängt in maßgeblicher Weise von Art und Intensität der jeweiligen Verfehlung ab. Dabei kommt vorsätzlichen Straftaten lediglich eine besondere Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8. Juni 2017 - 2 B 5.17 zit., nach JURIS, m. w. N.). Daraus folgt, das auch ein Verhalten, das keinen Straftatbestand erfüllt, als außerdienstliches Dienstvergehen i. S. d. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG angesehen werden kann (vgl. z. B. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 3. August 2017 - DL 13 S 2084/16 -: unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13. Juli 2016 - 3d A 1112/13.O -: Prostitution; OVG Niedersachsen, Urt. v. 11. Juni 2013 - 6 LD 1/13 -: Unerlaubte Nebentätigkeit, jeweils zit. nach JURIS).

50

(3) Es besteht auch kein Anlass zu der Annahme, die Beklagten hätten sich die teilweise vorformulierten Texte nicht in der Weise zu eigen gemacht, dass man ihnen den Inhalt wirklich zurechnen könne. Das Gegenteil ist der Fall: Hinsichtlich des erstgenannten Schreibens („Juristische Aufklärung“) vom 5. Mai 2014 ergibt sich dessen bewusstes, zielgerichtetes Gebrauchmachen zum einen daraus, dass die Beklagten am Schluss ihres handschriftlich unterzeichneten Schreibens ausdrücklich auf die Anlage „Juristische Aufklärung für Sie (3 Blatt)“ hingewiesen haben, zum anderen aus der handschriftlichen Überschrift: „Beachte: gültige Rechtsnorm !“. Zu dem weiteren Schreibens vom 21. Mai 2014 ist festzustellen, dass die Beklagten nicht nur jede der fünf Seiten handschriftlich unterzeichnet, sondern auch jeweils „Blatt -x- der Zurückweisung vom 21.05.2014 zum Elternunterhalt“ eingefügt haben. Es kann danach keine Rede davon sein, dass sie lediglich vorformulierte Texte versandt haben, ohne dass sie sich mit deren Inhalt beschäftigt haben. Dass die Beklagten die Seiten des Schreibens vom 21. Mai 2014 jeweils nur mit ihren Vornamen abgezeichnet haben, stellt ihre Urheberschaft von vornherein nicht in Frage.

51

Dass die Beklagten bislang nicht durch eine ablehnende Einstellung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung i. S. d. Grundgesetzes aufgefallen sind und es sich um das erstmalige Absenden solcher Schreiben handelt, lässt den Pflichtenverstoß nicht entfallen. Entsprechendes gilt für ihren Hinweis auf ihre bisherige tadellose Diensterfüllung. Welche Motivation die Beklagten bei dem Absenden der Schreiben gehabt haben, ist für die Frage des Vorliegens eines Dienstvergehens unerheblich, da es allein darauf ankommt, dass sie die ihnen zuzurechnenden Thesen nach außen getragen haben.

52

b) Soweit die Beklagten geltend gemacht hatten, es bestehe auf Grund von Verstößen gegen datenschutzrechtliche Regelungen ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der beiden streitbefangenen Schreiben, ist dem nicht zu folgen. In Bezug auf diesen Vorwurf, den die Beklagten im Berufungsverfahren nicht mehr erhoben haben, wird auf die Ausführungen in dem Beschluss des Senats vom 30. Juli 2015 (- 10 M 4/15 -) Bezug genommen.

53

c) Die Beklagten handelten auch schuldhaft. Sie haben die Schreiben zu einem bestimmten Zweck vorsätzlich erstellt und versandt. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht im Einzelnen darlegt, musste den Beklagten weiter angesichts des Inhalts der Schreiben bewusst gewesen sein, dass ihr Verhalten ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstelle. Sie können sich daher auch nicht erfolgreich auf einen Verbotsirrtum berufen. Beide Beklagte sind Beamte im Eingangsamt der Laufbahngruppe 2. Sie haben noch vor wenigen Jahren im Rahmen ihrer Aufstiegsausbildung die Grundlagen des Staats- und Verfassungsrechts vermittelt bekommen. Ihnen musste - was für jeden Polizeibeamten ohnehin gelten sollte - die Verbindlichkeit und Unabänderbarkeit der staatlichen Ordnung unter der Geltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in besonderer Weise präsent (gewesen) sein. Dass sie - wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat - sich „missverstanden gefühlt“, „aus der Situation heraus“ gehandelt und „die Konsequenzen nicht auf dem Schirm“ gehabt hätten, ändert daran nichts.

54

d) Die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls führt zur Verhängung der Höchstmaßnahme gegen die Beklagten, weil sie durch ihr Dienstvergehen das Vertrauen der Klägerin und auch der Allgemeinheit endgültig verloren haben (§ 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA).

55

Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten und des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10. Dezember 2015 - 2 C 50.13 -; Urt. v. 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 -; Beschl. v. 16. März 2017 - 2 B 42.16 -, jeweils zit. nach JURIS, m. w. N.).

56

(1) Bei dem Verhalten der Beklagten handelt es sich um ein schweres Dienstvergehen i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, das die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme indiziert.

57

Für die Schwere des Dienstvergehens können bestimmend sein die objektive Handlung (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, zum Beispiel die Verletzung einer Kern- oder einer Nebenpflicht, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, wie etwa Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte, zum Beispiel der materielle Schaden (vgl. BVerwG, Urteile v. 29. Mai 2008 - 2 C 59.07 -, v. 11. Januar 2007 - 1 D 16.05 - und v. 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 -, jeweils zu § 13 BDG, zit. nach JURIS).

58

Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten ein immenses Gewicht haben und eine Kernaufgabe von Polizeibeamten, nämlich den Schutz und die Gewähr der freiheitlich-demokratischen Grundordnung betreffen. Die in direkter Verletzung ihres Diensteides erfolgte völlige Negation dieser Grundordnung gegenüber Dritten, die von den Beklagten wiederholt durchgeführt worden ist, ist bei Polizeivollzugsbeamten in keiner Weise hinnehmbar und führt zu einer Wertung dieses Verhaltens als schweres Dienstvergehen i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 DG LSA. Dass das Verhalten der Beklagten nicht strafbewehrt ist, steht dem nicht entgegen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass die Beklagten durch ihr Verhalten derart eklatante Persönlichkeitsmängel offenbart haben, dass eine Weiterbeschäftigung im Beamtenverhältnis grundsätzlich ausgeschlossen ist.

59

Die möglichen Beweggründe der Beklagten für ihr Verhalten führen zu keiner anderen Einschätzung. Zwar ist davon auszugehen, dass sich die Beklagten nicht als sog. Reichsbürger verstehen oder als solche anzusehen sind (zu deren Argumentationen vgl. etwa Caspar/Neubauer, LKV 2012, S. 529 ff.), wenn sie sich auch - wie bereits die Bezeichnung „ und aus der Familie A. - Mensch und natürliche Person …“ zeigt, sowohl die von den sog. Reichsbürgern gebrauchte Terminologie als auch - was noch schlimmer ist - deren These von der Nichtexistenz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des fehlenden Bestehens der staatlichen Ordnung unter der Geltung des Grundgesetzes zu eigen gemacht haben. Selbst wenn die Beklagten ihre Thesen von der Negierung staatlich-demokratischer Ordnung nur bewusst eingesetzt haben, um eine Verwaltungsbehörde zur Aufhebung von Verwaltungsanordnungen zu veranlassen, ohne selbst diese Überzeugungen zu teilen, wäre von einem schweren Dienstvergehen auszugehen. Die Ausgangssituation hat den Beklagten keinerlei Legitimation für die Versendung der die staatliche Grundordnung leugnenden Traktate an eine Behörde des Landkreises E-Stadt gegeben. Wenn sie den Eindruck erwecken wollen, man habe sich gegen staatliches Unrecht wehren müssen, so gibt es hierfür hinreichend bekannte Rechtsbehelfsmöglichkeiten auf der Basis der nicht nur für die Bürger, sondern auch für die staatliche Verwaltung und die Justiz verbindlichen Rechts- und Verfassungsordnung. Die Versendung von Traktaten, wie den hier zugrunde liegenden, ist in keinem Fall zu rechtfertigen, auch nicht im Hinblick auf das Vorbringen des Prozessbevollmächtigtes der Beklagten zu 1. in der mündlichen Verhandlung, die Beklagten hätten sich subjektiv als „Opfer“ gefühlt und nur „verteidigt“.

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Dass sich die Beklagten über mögliche Konsequenzen im Verhältnis zu ihrem Dienstherrn nicht im Klaren gewesen sein wollen, führt zu keiner anderen Einschätzung. Die Beklagten haben - wie oben dargelegt - schuldhaft gehandelt. Angesichts des Inhalts der Schreiben ist dieses Verschulden nicht so weit herabgesenkt, dass die Bedeutung der vorliegenden Dienstpflichtverletzung in den Hintergrund tritt.

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(2) Ist danach die Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung für das der Beklagten zur Last fallende einheitliche Dienstvergehen, so kommt es für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall zu verhängenden Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zu ihrem Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist. Dabei sind nicht nur die in der Rechtsprechung entwickelten sogenannten „anerkannten“ Milderungsgründe zu berücksichtigen, die typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des betroffenen Beamten erfassen und regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. § 13 Abs. 1 DG LSA sowie das im Disziplinarverfahren geltende Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangen, dass - über die in der Rechtsprechung entwickelten „anerkannten“ Milderungsgründe hinaus - bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sämtliche be- und entlastenden Gesichtspunkte ermittelt und von dem Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 -, a. a. O.). Entlastungsgründe sind nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ bereits dann einzubeziehen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen sprechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23. Februar 2012 - 2 C 38.10 -, zit. nach JURIS, m. w. N.).

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Entlastend für die Beklagten kann weder von einer einmaligen Kurzschlusshandlung ausgegangen werden, noch kann zu ihren Gunsten berücksichtigt werden, dass sie sich auf Grund der Inanspruchnahme durch das Sozialamt, die Pflege der Mutter der Beklagten zu 1., diverse familiäre Schwierigkeiten sowie ihre berufliche Situation in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hätten. Es fällt schon auf, dass die Beklagten diese Entschuldigungsgründe erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgebracht haben. Jedenfalls kann - wie das Verwaltungsgericht jeweils zu Recht ausführt - bei zwei mehr als zwei Wochen auseinanderliegenden Schreiben nicht von einer Kurzschlusshandlung ausgegangen werden, und es gibt für die für eine Annahme einer psychischen Ausnahmesituation erforderliche plötzliche Schocksituation keine Anhaltspunkte.

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Dass sich die Beklagten nach ihrer Angabe hinsichtlich der möglichen (disziplinarrechtlichen) Konsequenzen keine Gedanken gemacht haben, ist - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend darstellt - im Rahmen der Prüfung der entlastenden Umstände unerheblich. Entsprechendes gilt im Ergebnis hinsichtlich ihres Vorbringens, sie seien davon ausgegangen, es handele sich um eine Privatangelegenheit und eine Behörde sei nicht mit der Öffentlichkeit gleichzusetzen.

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Auch eine langjährige Dienstleistung ohne Beanstandungen, womöglich mit überdurchschnittlichen Beurteilungen, fällt jedenfalls bei gravierenden Dienstpflichtverletzungen neben der Schwere des Dienstvergehens in aller Regel nicht mildernd ins Gewicht. Denn jeder Beamte ist verpflichtet, dauerhaft bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten. Die langjährige Erfüllung dieser Verpflichtung kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen an das inner- und außerdienstliche Verhalten abgesenkt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23. Januar 2013 - 2 B 63.12 -, zit. nach JURIS, m. w. N.). Danach kommt es nicht darauf an, dass die Beklagten nach ihrer eigenen Einschätzung bis zu ihrer Suspendierung ihren Dienst „vorbildlich“ versehen haben. Dass sie „gerne“ weiter Polizeibeamte bleiben wollen, ist von vornherein nicht als Milderungsgrund anzusehen oder sonst wie in die Abwägung einzustellen.

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Grundsätzlich mildernd ist daher allein zu berücksichtigen, dass gegen die Beklagten bislang noch keine Disziplinarmaßnahmen verhängt worden sind.

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(3) Dieser mildernde Umstand erlangt jedoch kein solches Gewicht, dass sie die Schwere des Pflichtenverstoßes aufwiegen. Dass es sich um ein als erstmalig anzusehendes Fehlverhalten der Beklagten handelt, kommt ihnen nur begrenzt zugute. Die Würdigung aller Umstände führt bei prognostischer Beurteilung entgegen der Ansicht der Beklagten zu der Bewertung, dass der Dienstherr und die Allgemeinheit ihnen nach dem von ihnen begangenen schwerwiegenden Dienstvergehen kein Vertrauen mehr in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen können, weil die von ihnen zu verantwortende Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums bei einem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen ist. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die Öffentlichkeit keinerlei Vertrauen in einen Polizeibeamten hätte, wenn sie wüsste, dass dieser die verfassungsmäßige Ordnung insgesamt - zu welchem Zweck auch immer - in Frage stellt. Es würde sich für die Öffentlichkeit, insbesondere aber für die Bürger, die einem derartig denkenden oder handelnden Polizeibeamten gegenübertreten (müssen), die berechtigte Frage stellen, ob der Beamte wirklich legitimiert ist, für die Durchsetzung der Rechtsvorschriften zu sorgen und ggf. auch zwangsweise vorzugehen. Es besteht aus Sicht des Senats insbesondere auch keine durch ein Verhalten der Beklagten (z. B. Einsicht, Reue und/oder positives Nachtatverhalten) geprägte Grundlage, um das durch ihr Verhalten zerstörte Vertrauen wieder aufzubauen. Vielmehr haben sie, bis auf die Einlassung der Beklagten zu 1. in dem Gespräch vom 4. September 2014, in der sie noch ausdrücklich von einem „Trick“ sprach, ihre Motivation im weitergehenden vorgerichtlichen und gerichtlichen Verfahren dahingehend geschildert, dass sie sich mit den Schreiben lediglich gegen ein rechtswidriges Verhalten des Sozialamtes des Landkreises E-Stadt wehren bzw. diesen von seinem rechtswidrigen Verhalten abbringen wollten. Durch diesen Versuch, ihrem Verhalten einen Anstrich der Legitimität zu geben, zeigen die Beklagten, dass sie die Tragweite ihres dienstpflichtwidrigen Verhaltens noch immer nicht vollständig erfasst haben. Den wahren Grund für das Versenden der Schreiben haben die Beklagten nach Überzeugung des Senats nach wie vor nicht hinreichend offen gelegt. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegebene Erklärung der Beklagten zu 1., sie hätten den Inhalt der von einer „Sozialseite“ heruntergeladenen Texte nicht bzw. nicht vollständig zur Kenntnis genommen und nur aus Frust über die ablehnende Haltung des Sozialamtes verschickt, ist angesichts der inhaltlichen Bearbeitung der Schreiben durch die Beklagten sowie die teilweise auf jeder Seite erfolgte Unterschrift von vornherein unglaubhaft. Zudem hatten die Beklagten die Schreiben zusammen mit ihrem umfassend begründeten Widerspruch gegen die Heranziehung der Beklagten zu 1. bzw. etwa zwei Wochen danach versandt, so dass von einer ablehnenden Haltung der Sozialbehörden gegenüber ihrem Widerspruch (noch) keine Rede sein konnte.

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Dass andere Gerichte - wie von den Beklagten aufgezeigt - Verhalten von Beamten im Bereich des Straftatbestandes der mehrfachen Volksverhetzung oder des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nicht mit der Höchstmaßnahme geahndet haben, hat keine durchgreifende Bedeutung. Es handelte sich dabei schon nicht um vergleichbare Sachverhalte.

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e) Danach waren die Beklagten gemäß §§ 13 Abs. 2 Satz 1, 10 Abs. 1 DG LSA aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Angesichts des von den Beklagten begangenen Dienstvergehens und der aufgezeigten Gesamtwürdigung ist die Höchstmaßnahme schließlich nicht unverhältnismäßig. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten hatte die Klägerin durch den Dienstvorgesetzten der Beklagten auch nicht bei den ersten Gesprächen nach Bekanntwerden des Vorgangs im September 2014 lediglich eine Belehrung als angemessene disziplinarrechtliche Reaktion angesehen. Zu dem Zeitpunkt war über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens noch gar nicht entschieden.

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Die darin liegende Härte für die Beklagten ist insbesondere nicht unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Diese Härte beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten der für ihr Handeln verantwortlichen Beklagten, die sich bewusst gewesen sein müssen, dass sie hiermit ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzen. Die damit verbundenen, insbesondere wirtschaftlichen Konsequenzen haben sie selbst zu tragen, denn sie haben die Ursache hierfür selbst mit ihrem Fehlverhalten gesetzt.

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f) Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 DG LSA steht den Beklagten zur Vermeidung besonderer Härten für die Dauer von sechs Monaten ein sog. Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 % ihrer Dienstbezüge zu. Umstände, die eine Verlängerung der Frist i. S. d. § 10 Abs. 3 Satz 3 DG LSA nahelegen, haben die Beklagten nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 3 HS 2 DG LSA)

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II. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 72 DG LSA, 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit ergibt sich aus § 73 Abs. 1 Satz 1 DG LSA.

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III. Diese Entscheidung ist gemäß § 3 DG LSA i. V. m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 31. Januar 2012 - 2 B 132.11 -, zit. nach JURIS).


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