Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 M 53/18

Gründe

I.

1

Die Antragsteller richten sich gegen eine Baugenehmigung der Antragsgegnerin für einen Neubau zur Erweiterung des Instituts für Augenheilkunde A-Stadt.

2

Das Institut für Augenheilkunde A-Stadt bzw. das Medizinische Versorgungszentrum der Augenheilkunde in Mitteldeutschland (MVZ) ist u.a. in einer Villa auf dem Grundstück R-Platz 12 im sog. (...viertel) von A-Stadt untergebracht. Leiter des Instituts ist der Beigeladene. Im Erdgeschoss des Gebäudes sind Praxisräume einschließlich eines Augen-Laserzentrums mit einer Fläche von 264,10 m² vorhanden. Im 1. Obergeschoss befinden sich weitere Praxisräume mit einer Fläche von 145,14 m² sowie Gewerberäume zur Linsenanpassung mit einer Fläche von 111,09 m². Im Kellergeschoss sowie im Dachgeschoss befinden sich drei Wohnungen mit einer Fläche von insgesamt 358,40 m² (102,50 m² + 128,90 m² + 127,00 m²). Im Institut für Augenheilkunde sind neben dem Beigeladenen mehrere Fachärztinnen und Fachärzte für Augenheilkunde sowie mehrere Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung tätig. Zu den Leistungen des Instituts gehören die augenärztliche Diagnose und Behandlung sowie ambulante Operationen. Die Patientenfrequenz beträgt 100 bis 150 Patienten am Tag. Es handelt sich um eine rein ambulante Praxis. Die stationäre Aufnahme von Patienten erfolgt nicht.

3

Am 16.11.2016 beantragte der Beigeladene bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben "Umbau und Neubau Wohngebäude mit Praxis" auf den Grundstücken R-Platz 12 und L-Straße 1. Auf dem Grundstück R-Platz 12 sollen das vorhandene Gebäude und dessen Nutzung "als Bestand" bestehen bleiben. Auf dem angrenzenden Grundstück L-Straße 1 ist die Errichtung von zwei Neubauten geplant. In Haus 1 ist im Erdgeschoss eine Fläche von 372,55 m² u.a. für Operationsräume, im 1. Obergeschoss eine Fläche von 294,53 m² für Praxisräume und im 2. Obergeschoss eine Fläche von 291,86 m² (258,15 m² + 33,71 m²) für zwei Wohnungen vorgesehen. In Haus 2 sollen weitere sechs Wohnungen mit einer Fläche von insgesamt 780,05 m² (227,53 m² + 32,86 m² + 226,41 m² + 32,86 m² + 227,53 m² + 32,86 m²) entstehen. Insgesamt sind in den geplanten Neubauten Flächen für Wohnen von 1.071,91 m² und für OP und Praxis von 667,08 m² geplant.

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Nach Eingang des Bauantrags äußerte der Fachbereich Planen der Antragsgegnerin in einer Stellungnahme vom 16.01.2017 (BA A Bl. 459 f.) unter Hinwies auf § 13 BauNVO Zweifel an der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Auch das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt brachte in einem Schreiben vom 15.02.2017 (BA A Bl. 307 ff.) im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens gegen einen Vorbescheid Zweifel an der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens zum Ausdruck, u.a. weil das Baugrundstück möglicherweise in einen (faktischen) reinen bzw. allgemeinen Wohngebiet liege. Der Beigeladene ließ daraufhin durch seine Architektin eine Erfassung der Nutzungen im gesamten (...viertel) durchführen, deren Ergebnisse in einem Übersichtsplan vom 22.02.2017 (GA Bl. 117) dargestellt wurden. Nachfolgend führte auch die Antragsgegnerin eine Erfassung der Nutzungen im (...viertel) durch, deren Ergebnisse in einer Tabelle vom 02.05.2017 (BA A Bl. 393 ff.) festgehalten wurden. Auf dieser Grundlage gelangte die Antragsgegnerin zu der Einschätzung, das für die Behandlung des Bauantrags maßgebliche Gebiet sei keinem Gebiet der BauNVO zuordenbar und entspreche daher einer Gemengelage (BA A Bl. 392).

5

Mit Baugenehmigung vom 24.01.2018 (BA A Bl. 558 ff.) erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen die Genehmigung, die Baumaßnahme "Umbau und Neubau Wohngebäude mit Praxis" entsprechend den mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen auszuführen. Genehmigt wurde ein Neubau auf dem Grundstück L-Straße 1, ein Umbau auf dem Grundstück R-Platz 12 sowie eine Praxis in zwei Gebäuden (EG im R-Platz 12 und Neubau L-Straße). Die Betriebszeiten der Praxis wurden auf 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr an Werktagen sowie einem gelegentlichen Notdienst an Sonn- und Feiertagen festgelegt. Als zulässige Nutzungen des Neubaus L-Straße wurden die sich aus den Bauvorlagen ergebenden Nutzungen festgelegt. Als zulässige Nutzungen des Bestandsgebäudes R-Platz 12 wurden die bestehenden Nutzungen angegeben.

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Mit Schreiben vom 02.02.2018 legten die Antragsteller Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.

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Mit Beschluss vom 11.05.2018 – 2 B 23/18 HAL – hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 02.02.2018 gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 24.01.2018 angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Baugenehmigung verstoße aller Voraussicht nach gegen den aus § 34 Abs. 2 BauGB abzuleitenden Gebietserhaltungsanspruch, denn das Baugrundstück befinde sich in einem faktischen reinen Wohngebiet. Das Bauvorhaben entspreche hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht dem von der näheren Umgebung vorgegebenen Rahmen. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks im (...viertel) sei gerichtsbekannt und stelle sich auch nach Aktenlage als faktisches reines Wohngebiet dar. Das vom Beigeladenen geplante Gebäude Haus 1 und die beabsichtigte Fortführung der Nutzung im R-Platz 12 seien weder gemäß § 3 Abs. 2 BauNVO allgemein noch gemäß § 3 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig, verstoße auch gegen § 13 BauNVO und löse deshalb einen Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller aus. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks sei als faktisches reines Wohngebiet einzustufen, in der das Augen-Laserzentrum nicht zulässig sei. Die nähere Umgebung bestehe zunächst aus der Bebauung innerhalb des von der E-Straße und der L-Straße 1 umfassten Dreiecks. Zudem sei auch die Bebauung entlang der St-Straße, der Z-Straße und der L-Straße zu berücksichtigen. Hierbei handele es sich fast ausnahmslos um mehrgeschossige Wohnbebauung. Das Ärztehaus auf dem Grundstück E-Straße 12 sei ein Ausreißer, der nicht prägend sei. Es steche als ungepflegter Zweckbau mit Flachdachkubatur optisch unangenehm aus der homogenen Villenbebauung entlang der E-Straße heraus. Hinsichtlich der Kubatur präge es die nähere Umgebung nicht. Das Gleiche gelte für seine Nutzung. Dort würden, soweit ersichtlich, lediglich kleine Arztpraxen (Zahnarzt, Allgemeinarzt, Augenarzt) und eine Physiotherapie-Praxis betrieben, die der Versorgung der Umgebung dienten. Die Immobilienbüronutzung in der großzügigen Villa E-Straße 11 führe ebenfalls nicht dazu, dass die nähere Umgebung als allgemeines Wohngebiet einzustufen sei. Von einer diffusen Bebauung sei keinesfalls auszugehen. Die nähere Umgebung stelle sich durch die fast ausnahmslose Wohnnutzung als reines Wohngebiet dar. Dabei berücksichtige das Gericht die Wohnnutzung beidseitig der geschlossenen Bebauung entlang der Z-Straße. Im weiteren Verlauf stünden entlang der St-Straße beidseitig Einfamilienhäuser in geschlossener Bauweise mit kleinen Vorgärten. In der großzügigen Villa Ecke R-Platz/L-Straße befänden sich großzügige Wohneinheiten und im Kellergeschoss eine Apotheke. Die in der näheren Umgebung vorhandenen Nutzungen, die nicht Wohnnutzungen seien, seien in einem reinen Wohngebiet jedenfalls ausnahmsweise zulässig und prägten das Gebiet keinesfalls im Sinne einer diffusen Gemengelage. Die dem Beigeladenen genehmigte "Augenarztpraxis" sei in dem faktischen reinen Wohngebiet ihrer Art nach unzulässig, denn sie überschreite den in § 13 BauNVO vorgegebenen Rahmen. Bei der Erweiterung des Augen-Laserzentrums/Praxisklinik handele es sich nicht um Räumlichkeiten für freiberuflich Tätige und solche Gewerbetreibende, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausübten. Bereits der derzeitige Betrieb gehe über eine bloße Augenarztpraxis weit hinaus. Es sei vielmehr von einem kleinen Klinikum auszugehen, das "aus allen Nähten platze". Die derzeitige Nutzung des Objekts R-Platz 12 durch das Augen-Laserzentrum sei nicht als prägende Vorbelastung zu berücksichtigen, da sie nicht genehmigt sei. Genehmigt seien ein Augen-Laserzentrum mit Behandlung und Forschung im Erdgeschoss sowie eine Praxis für Allgemeinmedizin sowie eine Linsenanpassung als Gewerbeeinheit im Obergeschoss. Die Übernahme der Allgemeinarztpraxis durch das Augen-Laserzentrum, dessen Erstreckung auf zwei Geschosse und die damit verbundene Erweiterung von 264 m² um weitere 145,14 m² auf 409,14 m² seien nicht genehmigt. Aufgrund der durch die Neubauten hinzukommenden Nutzflächen könne von einer bloßen Praxis keine Rede (mehr) sein. Es gehe vielmehr um ein "Klinikum" oder Augen-Laserzentrum, das sich über mehrere Gebäude erstrecke und weder nach § 3 BauNVO noch nach § 13 BauNVO zulässig sei. Zudem handele es sich nicht um die Nutzung bloßer Räume i.S.d. § 13 BauNVO. Dies gelte sowohl für das Bestandsgebäude als auch für das geplante Haus 1. Die Nutzung als Augen-Laserzentrum/Praxisklinik überwiege im Haus 1 und sei nach § 13 BauNVO unzulässig. Auch die Bezeichnung "Versorgungszentrum für Augenheilkunde" spreche nicht für bloße Räume innerhalb eines Wohngebäudes. Die Internetseite des Beigeladenen nenne zudem die Standorte Saaleklinik, K-Straße und Z-Stadt. Von einer bloßen Augenarztpraxis könne daher keine Rede sein. Auch der bereits jetzt durch den Betrieb ausgelöste Zu- und Abgangsverkehr spreche dagegen, das Augen-Laserzentraum als bloße Arztpraxis anzusehen. Jedenfalls durch die Erweiterung sei von einem erheblichen Zu- und Abgangsverkehr auszugehen, der denjenigen einer bloßen Arztpraxis deutlich übersteige. Die hohe Anzahl der OP-Patienten, die eine An- und Abfahrt mit PKW durch Begleitpersonen erforderlich mache, übersteige den Ziel- und Quellverkehr einer Praxis i.S.d. § 13 BauNVO. Bei dem Augen-Laserzentrum handele es sich auch nicht um eine den Bedürfnissen der Bewohner des Gebietes dienende Anlage für gesundheitliche Zwecke i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Dagegen spreche bereits die derzeitige Patientenzahl von 100 bis 150 sowie die Spezialität der augenärztlichen Tätigkeit, die hinsichtlich Art und Umfang über eine bloße Augenarztpraxis hinausgehe. Es handele sich auch nicht um ein "Ärztehaus" mit mehreren Räumen für verschiedene Arztpraxen.

II.

8

Die zulässige Beschwerde des Beigeladenen bleibt in der Sache ohne Erfolg.

9

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 02.02.2018 gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 24.01.2018 angeordnet.

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Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Entscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind: Die, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts, oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten. Das Gericht nimmt somit eine eigene Interessenbewertung vor. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), spricht dies für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sind die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 23.02.2012 – 14 CS 11.2837 –, juris RdNr. 38; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl., RdNr. 964). Im Beschwerdeverfahren ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats maßgeblich (vgl. OVG MV, Beschl. v. 31.05.1994 – 3 M 11/94 –, juris Rdnr. 2; BayVGH, Beschl. v. 23.02.2012 – 14 CS 11.2837 –, a.a.O. RdNr. 38; SächsOVG, Beschl. v. 10.03.2015 – 1 B 298/14 –, juris Rdnr. 13; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 80 RdNr. 147).

11

In Anwendung dieser Grundsätze überwiegt das Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs das gegenläufige Interesse insbesondere des Beigeladenen an einem sofortigen Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung.

12

Nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung verletzt das streitige Vorhaben des Beigeladenen – bei summarischer Prüfung – den Anspruch der Antragsteller auf Wahrung des Gebietscharakters.

13

Der sog. Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht. Das gilt unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht, denn die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat grundsätzlich nachbarschützende Wirkung zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Da geplante und faktische Baugebiete hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB gleichgestellt sind, lässt sich der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, auf den Nachbarschutz im faktischen Baugebiet übertragen. Der Nachbar hat deshalb auch dort einen Schutzanspruch auf die Bewahrung der Gebietsart, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 – 4 C 28.91 –, juris RdNr. 30; Beschl. v. 27.08.2013 – 4 B 39.13 –, juris RdNr. 3; OVG NW, Urt. v. 22.03.1995 – 7 A 3700/91 –, juris RdNr. 7; Beschl. d. Senats v. 05.03.2014 – 2 M 164/13 –, juris Rdnr. 54). Der Gebietserhaltungsanspruch setzt voraus, dass die Eigenart der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB einem der Baugebiete nach der BauNVO entspricht. Ist das nicht der Fall, sondern stellt sich die Struktur der näheren Umgebung des Vorhabens als Gemengelage dar, kommt ein Anspruch auf Abwehr gebietsfremder Vorhaben über § 34 Abs. 2 BauGB nicht in Betracht (vgl. ThürOVG, Urt. v. 06.07.2011 – 1 KO 1461/10 –, juris Rdnr. 42).

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Gemessen daran spricht im Rahmen der hier nur möglichen summarischen Prüfung überwiegendes dafür, dass das Vorhaben des Beigeladenen den Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller verletzt. Die Eigenart der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB dürfte einem allgemeinen Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO entsprechen (dazu 1). Die mit der angefochtenen Baugenehmigung zugelassene Nutzung dürfte daher nach Maßgabe der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 13 BauNVO unzulässig sein (dazu 2).

15

1. Die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks dürfte einem allgemeinen Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO entsprechen.

16

a) Die nähere Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB dürfte im Kern aus dem auch vom Verwaltungsgericht ins Auge gefassten Bereich bestehen, der aus dem durch die E-Straße, die W-Straße, die St-Straße, die L-Straße und den R-Platz gebildeten Straßengeviert und der gegenüberliegenden Bebauung besteht. Ergänzend kommt die Einbeziehung der Z-Straße zwischen L-Straße und M-Straße, die M-Straße zwischen Z-Straße und R-Platz, der R-Platz zwischen M-Straße und Sch-Straße, die Sch-Straße zwischen R-Platz und W-Straße sowie die W-Straße zwischen Sch-Straße und E-Straße in Betracht. Ein größerer Umgriff der näheren Umgebung, insbesondere deren Ausdehnung auf das gesamte (...viertel), dürfte – entgegen der Ansicht des Beigeladenen – nicht in Betracht kommen.

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Die für die Beurteilung der Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB maßgebliche nähere Umgebung wird dadurch ermittelt, dass in zwei Richtungen, nämlich in Richtung vom Vorhaben auf die Umgebung und in Richtung von der Umgebung auf das Vorhaben geprüft wird, wie weit die jeweiligen Auswirkungen reichen. Zu berücksichtigen ist die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 – 4 C 9.77 –, juris RdNr. 33; Beschl. v. 13.05.2014 – 4 B 38.13 –, juris RdNr. 7; OVG NW, Urt. v. 06.03.2015 – 7 A 1777/13 –, juris Rdnr. 25; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 34 RdNr. 36). Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen.

18

Im Mittelpunkt dieser Umgebung liegt das Grundstück, auf dem das Vorhaben verwirklicht werden soll. Die nähere Umgebung dieses Grundstücks kann jedoch nicht einfach durch konzentrische Kreise mit einem bestimmten Radius ermittelt werden. Von einer solchen Bereichsbestimmung mit Hilfe einer geometrischen Figur dürften regelmäßig aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls Abweichungen geboten sein, die das Ergebnis einer nicht schematischen, sondern einer wertenden Betrachtung sind (vgl. HessVGH, Urt. v. 19.06.2018 – 4 A 1922/17 –, juris Rdnr. 37). Die Ansätze des Beigeladenen, als nähere Umgebung einem Umkreis von 250 m (GA Bl. 118) oder 300 m (GA Bl. 292) um das Baugrundstück anzusetzen, sind daher nicht zielführend, da sie die tatsächliche bauliche Situation vor Ort nicht hinreichend berücksichtigen. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion. Umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.08.2003 – 4 B 74.03 –, juris RdNr. 2; Beschl. d. Senats v. 04.07.2012 – 2 L 94/11 –, juris RdNr. 10). Maßgeblich ist stets eine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall.

19

Die für die Bestimmung des Bebauungszusammenhangs erforderliche wertende und bewertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann nur an äußerlich erkennbare, also mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse anknüpfen. Dies kann auf die Abgrenzung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB übertragen werden. Zur Ermittlung können auch Lagepläne verwendet werden, die ein Bild "von oben" vermitteln. Dabei kann die für § 34 Abs. 2 BauGB kennzeichnende wechselseitige Beeinflussung auch über ein den optischen Zusammenhang unterbrechendes Hindernis noch eintreten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.05.2014 – 4 B 38.13 –, a.a.O. RdNr. 13). Auch das Bestehen von Sichtbeziehungen kann für die gegenseitige Prägung von Grundstücken als ein möglicher Aspekt der Abgrenzung von näherer und fernerer Umgebung zu berücksichtigen sein (vgl. OVG NW, Urt. v. 06.03.2015 – 7 A 1777/13 –, a.a.O. Rdnr. 37; Beschl. v. 31.07.2018 – 10 A 793/17 –, juris RdNr. 7).

20

Gemessen daran ist im vorliegenden Fall der eingangs näher abgegrenzte Bereich als nähere Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB anzusehen. Das Vorhaben, insbesondere der hierdurch hervorgerufene Zu- und Abgangsverkehr, wird sich im Wesentlichen in diesem Bereich auswirken. Umgekehrt dürfte sich die Umgebung, die den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt, auf diesen Bereich beschränken. Zwar stoßen innerhalb des (...viertel)s – soweit ersichtlich – keine grundsätzlich verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinander. Auch ist die weiter entfernt liegende Umgebung von dem hier maßgeblichen Bereich nicht durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie deutlich entkoppelt. Gleichwohl dürfte der eingangs beschriebene Bereich als nähere Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB maßgeblich sein und nicht, wie der Beigeladene meint, das gesamte (...viertel), dessen genaue Abgrenzung im Übrigen unklar ist. Die bodenrechtliche Prägung eines Baugrundstücks durch die Umgebung nimmt mit zunehmender Entfernung ab. Die Bau- und Nutzungsstrukturen im Bereich des (...viertel)s, die vom Standort des Vorhabens aus nicht sichtbar und außerdem durch mehrere Straßenzüge getrennt sind, vermögen das Vorhabengrundstück in bodenrechtlicher Hinsicht nicht mehr zu prägen. Eine Prägung – auch im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung – wird vielmehr allein von dem oben näher beschriebenen Straßengeviert und der gegenüberliegenden Bebauung ausgehen. Allenfalls wird sich die nähere Umgebung auf die im Nordwesten sowie im Süden angrenzenden Straßengevierte erstrecken. Die noch weiter entfernt liegenden Bereiche gehören hingegen nicht mehr zur "näheren" Umgebung des Vorhabengrundstücks. Die dort vorhandenen Bau- und Nutzungsstrukturen sind durch die relativ große Entfernung von der hier maßgeblichen Umgebung getrennt.

21

b) Bei summarischer Prüfung entspricht die Eigenart der so abgegrenzten näheren Umgebung entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts einem allgemeinen Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO.

22

Die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 2 BauGB setzt voraus, dass die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete entspricht, die in der BauNVO bezeichnet sind. Das ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn die nähere Umgebung ausschließlich bauliche Elemente enthält, die nur einem der in der BauNVO geregelten Baugebiete zuzuordnen sind (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 34 RdNr. 79). § 34 Abs. 2 ist dabei nicht nur anwendbar, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO mit seinen darin vorgesehenen allgemein zulässigen Nutzungen entspricht. Der zu bestimmende Gebietscharakter wird nicht durch bauliche Nutzungen in Frage gestellt, die nach der Baugebietsvorschrift nur ausnahmsweise genehmigt werden können. Denn auch die Nutzungen, die in einem Baugebiet nur als Ausnahmen zugelassen werden können, prägen in begrenzter Weise den Gebietscharakter mit (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 34 RdNr. 79b).

23

Bei der Bestimmung des sich aus der vorhandenen Bebauung ergebenden Maßstabes ist grundsätzlich alles in den Blick zu nehmen, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung bestimmt jedoch ihren Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind daher zum einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff "Fremdkörper" nichts zu tun, sondern ist Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Darüber hinaus sind solche baulichen Anlagen aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszusondern, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Derartige Anlagen dürfen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung aber nur dann als "Fremdkörper" ausgeklammert werden, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter ihrer Umgebung letztlich nicht beeinflussen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 – 4 C 23.86 –, juris RdNr. 12 ff.; Beschl. v. 16.06.2009 – 4 B 50.08 –, juris Rdnr. 6; Beschl. d. Senats v. 07.08.2017 – 2 M 64/17 –, juris RdNr. 5; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 34 RdNr. 37).

24

Allgemeine Wohngebiete dienen gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Der Baugebietstyp ist durch das Vorherrschen der Wohnnutzung gekennzeichnet. Wohngebäude und Wohnungen müssen im Vergleich zu anderen Nutzungsarten zahlenmäßig überwiegen. Der Wohngebietscharakter muss eindeutig als vorherrschend erkennbar sein. Dies setzt voraus, dass Gebäude mit Wohnungen, wenn auch gemischt genutzt, im allgemeinen Wohngebiet zahlenmäßig überwiegen. Für den Gebietscharakter sind darüber hinaus aber auch die Auswirkungen, die von den anderen Nutzungsarten ausgehen, ihre Häufung und ihre Größe von Bedeutung. Wohngebäude bilden in allgemeinen Wohngebieten die Hauptnutzungsart. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die Wohnnutzung einerseits und andere Nutzungen andererseits in getrennten baulichen Anlagen stattfinden. Häufig werden die Gebäude gemischt genutzt. Der Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets verlangt auch nicht, dass in den gemischt genutzten Gebäuden die Wohnnutzung i.S.d. § 4 Abs. 1 BauNVO überwiegt (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 4 BauNVO RdNr. 19).

25

Nach diesen Grundsätzen stellt sich der Charakter der näheren Umgebung des Baugrundstücks als allgemeines Wohngebiet dar. Die nähere Umgebung ist deutlich vom Vorherrschen der Wohnnutzung geprägt. Das ergibt sich zum einen aus dem vom Beigeladenen vorgelegten Nutzungsplan (...viertel) vom 22.02.2017 (GA Bl. 118), in welchem die weit überwiegende Zahl der baulichen Nutzungen in der näheren Umgebung des Baugrundstücks mit der Farbe Grau für "Wohnen" gekennzeichnet ist. Dieser Befund wird bestätigt durch die von der Antragsgegnerin durchgeführte Überprüfung der Nutzungsarten, deren Ergebnisse in der Tabelle vom 02.05.2017 (BA A Bl. 393 f.) festgehalten wurden. Die deutlich vorherrschende Nutzungsart in dem maßgeblichen Bereich ist danach die Wohnnutzung.

26

Soweit der Beigeladene auf die in der näheren Umgebung des Baugrundstücks vorhandenen gewerblichen, freiberuflichen und sonstigen Nutzungen, die nicht Wohnnutzung sind, verweist, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Mit dieser Auflistung kann der Beigeladene den Befund, dass in der näheren Umgebung die Wohnnutzung vorherrschend ist, nicht in Zweifel ziehen. Er benennt auch keine Nutzungen, die in einem allgemeinen Wohngebiet weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig sind und zugleich das Baugebiet wesentlich prägen.

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Im Einzelnen:

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Bei der Nutzung des Objekts R-Platz 9 durch die (...) Planungsgesellschaft dürfte es sich entweder um einen gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zulässigen sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb oder um eine gemäß § 13 BauNVO zulässige Nutzung für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Weise ausüben, handeln.

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Gleiches gilt für die Nutzung des Objekts R-Platz 11 durch die Finanzberatung (U. P.) und die Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. P..

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Die Nutzung des Objekts R-Platz 12 durch das vom Beigeladenen geleitete Institut für Augenheilkunde A-Stadt dürfte zwar – gemessen am Maßstab des § 13 BauNVO – in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässig sein. Sie dürfte jedoch gleichwohl die ansonsten durch ein Vorherrschen der Wohnnutzung gekennzeichnete nähere Umgebung nicht wesentlich prägen. Auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage, ob die derzeitige Nutzung des Objekts R-Platz 12 der Baugenehmigung vom 24.03.2006 (GA Bl. 154 ff.) entspricht, dürfte es nicht entscheidend ankommen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, nur genehmigte oder genehmigungsfähige Bauten und Nutzungen könnten die Eigenart der näheren Umgebung prägen, ist zweifelhaft, denn zu einer solchen Prägung kann auch eine Bebauung beitragen, die in einer Weise geduldet wird, die erkennen lässt, dass sich die zuständigen Behörden mit ihrem Vorhandensein abgefunden haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.11.2016 – 4 CN 2.16 –, juris RdNr. 26). Die Prägung der näheren Umgebung ist im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB vorrangig nach dem tatsächlich Vorhandenen zu beurteilen. Entscheidend ist insoweit, dass die Nutzung des Gebäudes R-Platz 12 durch eine Arztpraxis gemessen am Umfang der in der näheren Umgebung vorherrschenden Wohnnutzung nur einen relativ geringen Raum einnimmt.

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Die Nutzung des Objekts R-Platz 13 durch die Apotheke am R-Platz dürfte gemäß § 13 BauNVO zulässig sein (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 13 BauNVO RdNr. 18).

32

Das vormals im Objekt E-Straße 4 befindliche Bildungszentrum Zahntechnik der Handwerkskammer wurde zum 30.06.2017 geschlossen (https://www.zm-online.de/news/nachrichten/aus-fuer-zahntechnik-in-halle-saale/). Da nichts dafür ersichtlich ist, dass eine vergleichbare Nachnutzung in Zukunft zu erwarten ist, dürfte diese Nutzung vorliegend außer Betracht bleiben (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 34 RdNr. 79c). Im Übrigen wäre das Bildungszentrum als Anlage für kulturelle Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 4 BauNVO RdNr. 86).

33

Bei der Nutzung des Objekts E-Straße 9 durch die unter dem Künstlernamen "Kunst + Konzept" tätige Künstlerin (W.) dürfte es sich, sollte die entsprechende künstlerische Tätigkeit nicht mehr als wohnakzessorische Berufstätigkeit unter den Begriff des Wohnens gefasst werden können (vgl. hierzu VG München, Urt. v. 05.10.2016 – M 1 K 16.1301 –, juris RdNr. 23), um eine gemäß § 13 BauNVO zulässige Nutzung für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Weise ausüben, handeln.

34

Die Nutzung des im Eigentum der Antragsteller im vorliegenden Verfahren 2 B 23/18 HAL (2 M 53/18) stehenden Objekts A-Straße durch das Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung (ISW) war bereits im Jahr 2011 beendet und spielt im vorliegenden Verfahren keine Rolle.

35

Bei der Nutzung des Objekts E-Straße 11 durch den Antragsteller im Verfahren 2 B 24/18 HAL (2 M 54/18) als "Mietzentrale K." dürfte es sich entweder um einen gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zulässigen sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb oder um eine gemäß § 13 BauNVO zulässige Nutzung für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Weise ausüben, handeln.

36

Die Nutzung des Objekts E-Straße 12 durch das Ärztehaus dürfte zwar, gemessen am Maßstab des § 13 BauNVO, ebenfalls in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässig sein, jedoch – wie das Institut für Augenheilkunde – gleichwohl die ansonsten durch ein Vorherrschen der Wohnnutzung gekennzeichnete nähere Umgebung nicht wesentlich prägen. Entscheidend ist auch hier, dass die Nutzung des Gebäudes durch mehrere Arztpraxen gemessen am Umfang der in der näheren Umgebung vorherrschenden Wohnnutzung quantitativ von eher untergeordneter Bedeutung ist. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner im Ergebnis durchaus plausiblen Einschätzung ausgegangen. Auf die Kubatur des Gebäudes kommt es insoweit allerdings nicht an, so dass die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts eher irreführend sind. Soweit der Beigeladene meint, eine "klare Prägung" des Gebiets durch eine in einem (reinen) Wohngebiet unzulässige "medizinische intensive Nutzung" daraus herleiten zu können, dass die Nutzung der Objekte E-Straße 12 und R-Platz 12 durch Arztpraxen aus der bewussten Entscheidung der Behörden (zu DDR-Zeiten) zur Errichtung der Poliklinik Saalekreis in den genannten Gebäuden herrührt, vermag dies nicht zu überzeugen. Da es – wie ausgeführt – für die Prägung der näheren Umgebung vorrangig auf das tatsächlich Vorhandene ankommt und insoweit die Wohnnutzung deutlich vorherrschend ist, kommt dem Umstand, dass das Vorhandensein von Arztpraxen in den Objekten E-Straße 12 und R-Platz 12 womöglich auf eine bewusste behördliche Entscheidung zur Einrichtung einer Poliklinik zurückzuführen ist, keine maßgebliche Bedeutung zu.

37

Die G-Straße liegt außerhalb des Bereichs der näheren Umgebung des Baugrundstücks, so dass die dort vorzufindenden Nutzungen für die Bestimmung von deren Eigenart ohne Belang sind. Unabhängig davon dürften die vom Beigeladenen aufgelisteten Nutzungen, die in der G-Straße anzutreffen sein sollen, in einem allgemeinen Wohngebiet entweder allgemein oder zumindest ausnahmsweise zulässig sein. Insbesondere die Nutzungen durch das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt sowie den Landessportbund Sachsen-Anhalt e.V. dürften als Anlagen für Verwaltungen gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig sein (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O. § 4 BauNVO RdNr. 128).

38

Entsprechendes gilt für die vom Beigeladenen aufgelisteten Nutzungen am T-Platz.

39

Auch im Hinblick auf die vom Beigeladenen aufgelisteten Nutzungen in der Sch-Straße, der W-Straße, der M-Straße und der St-Straße ist nicht ersichtlich, dass diese – soweit sie sich in der näheren Umgebung des Baugrundstücks befinden – in einem allgemeinen Wohngebiet weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig sind. Selbst das in der St-Straße 18a und damit außerhalb des Bereichs der näheren Umgebung gelegene Tierheim dürfte als Anlage für gesundheitliche Zwecke in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sein (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 4 BauNVO RdNr. 99).

40

Die weiterhin aufgelisteten Nutzungen in der N-Straße, der R-Straße, der I-Straße, der F-Straße, der U-Straße, der O-Straße, der H-Straße, der J-Straße, der S-Straße, der Goethestraße und der V-Straße dürften im vorliegenden Verfahren bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung keine Rolle spielen, da die genannten Straßen außerhalb des Bereich liegen dürften, der als nähere Umgebung des Baugrundstücks anzusehen ist.

41

2. Die mit der angefochtenen Baugenehmigung zugelassene Nutzung ist bei summarischer Prüfung nach Maßgabe des § 13 BauNVO unzulässig. Nach dieser Vorschrift sind für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben, in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 4 Räume, in den Baugebieten nach den §§ 4a bis 9 auch Gebäude zulässig.

42

a) Die mit der angefochtenen Baugenehmigung zugelassene Nutzung in dem Bestandsgebäude auf dem Grundstück R-Platz 12 und in dem Neubau auf dem Grundstück L-Straße 1 ist am Maßstab des § 13 BauNVO zu messen, denn hierbei handelt es sich – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – um den Betrieb einer Augenarztpraxis.

43

Die vom Beigeladenen im Baugenehmigungsverfahren vorgelegte Betriebsbeschreibung (BA A Bl. 31) bezeichnet den auf den Grundstücken R-Platz 12 und L-Straße 1 geplanten Betrieb als "Augenarztpraxis mit ambulanten OP" mit 2 Kassenarztsitzen und durchschnittlich 150 Patienten pro Tag. Die erbrachten Leistungen werden als "augenärztliche Diagnose und Behandlung mit ambulanten OP" beschrieben. Da es sich hierbei um eine rein ambulante Praxis handelt und eine stationäre Aufnahme von Patienten nicht erfolgt, kann das Vorhaben sachgerecht nur als Betrieb einer Augenarztpraxis beschrieben werden, die von § 13 BauNVO erfasst wird.

44

Arztpraxen fallen nicht unter den Begriff der "Anlagen für gesundheitliche Zwecke" i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO; ihre Zulässigkeit richtet sich vielmehr nach § 13 BauNVO (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – 4 C 17.95 –, juris RdNr. 23 ff.; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 13 BauNVO RdNr. 82). Die Baunutzungsverordnung konkretisiert mit ihrer Baugebietstypologie u.a. die an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu stellenden Anforderungen sowie das Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung. Von maßgeblicher Bedeutung für die Bestimmung des jeweiligen Gebietscharakters sind die Anforderungen des Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet und die Erfüllung eines spezifischen Gebietsbedarfs (verbrauchernahe Versorgung). Durch die Zuordnung von Nutzungen zu Baugebieten will der Verordnungsgeber diese oft gegenläufigen Ziele zu einem schonenden Ausgleich bringen. Dies ist für die Auslegung der Nutzungsbegriffe im Einzelfall von Bedeutung. Würde man Arztpraxen als Anlagen für gesundheitliche Zwecke i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO ansehen, hätte dies zur Folge, dass diese in allgemeinen Wohngebieten unbeschränkt allgemein zulässig wären. Dies würde zu einer höheren Verkehrsbelastung dieser Gebiete durch vermehrten Zielverkehr führen und hätte erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die mit § 4 BauNVO erstrebte Wohnruhe. Zugleich ginge eine derartige Auslegung über das hinaus, was zur Erfüllung des Gebietsbedarfs erforderlich ist. Zum Ausgleich der genannten unterschiedlichen Ziele trifft § 13 BauNVO eine sachgerechte Regelung (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – 4 C 17.95 –, a.a.O. RdNr. 27).

45

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass, wenn schon ein Krankenhaus als Anlage für gesundheitliche Zwecke in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig sei, dies erst recht für Arztpraxen gelten müsse. Im Gegensatz zu einer Praxis mit ambulanter Versorgung ist der durch stationären Aufenthalt der Patienten geprägte Betrieb eines Krankenhauses auf Ruhe im Gebiet angewiesen, stellt also Anforderungen an das Gebiet. Krankenhäuser sind zudem Vorhaben singulären Charakters, während Arztpraxen im Vergleich damit häufig vorkommen. § 15 BauNVO ermöglicht bei solch singulären Vorhaben eine Vermeidung gebietsunverträglicher Auswirkungen im Einzelfall. Bei in größerem Umfang in ein Wohngebiet drängenden Nutzungen ist diese Norm als Steuerungsinstrument für den Einzelfall weniger geeignet. Im Übrigen würde die Erstreckung des Begriffs der Anlagen für gesundheitliche Zwecke i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO auf Arztpraxen dazu führen, dass die Ärzte – und eventuell auch die Apotheker – gegenüber sonstigen freiberuflich oder gewerblich Tätigen eine Privilegierung erfahren, für die ein städtebaulicher rechtfertigender Grund nicht ersichtlich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – 4 C 17.95 –, a.a.O. RdNr. 28).

46

b) Die auf den Grundstücken R-Platz 12 und L-Straße 1 geplante Augenarztpraxis ist gemäß § 13 BauNVO ihrer Art nach unzulässig. Sie wahrt nicht den durch § 13 BauNVO für freiberufliche Nutzungen in (faktischen) allgemeinen Wohngebieten gestatteten Rahmen.

47

In allgemeinen Wohngebieten ist die Berufsausübung freiberuflich Tätiger auf "Räume" beschränkt. Der Begriff der "Räume" kennzeichnet Raumeinheiten, die nur Teile des Gebäudes sind. Der Zweck der Beschränkung der freiberuflichen Nutzung auf "Räume" liegt darin, die Prägung der Wohngebäude in den Wohngebieten durch ihre Wohnnutzung zu erhalten. Diesem Ziel dient der Grundsatz, dass die Büronutzung – faustregelartig – nicht mehr als die Hälfte der Wohnungen und auch nicht mehr als 50 % der Wohnfläche pro Gebäude umfassen darf. Die Beschränkung der Büronutzung des freiberuflich Tätigen auf eine einzige Wohnung dient demselben Ziel. In einem Wohngebäude in einem Wohngebiet erwartet man keine Büroeinheiten, die größer sind als die in dem Hause und in dem Gebiet vorhandenen Wohnungen. Büros, die größer als eine Wohnung sind, drängen die Wohnnutzung übermäßig zurück und lassen das Gebäude als ein gewerblich genutztes Gebäude erscheinen. Zwar lässt § 13 BauNVO in Wohngebieten nicht nur "kleine" Praxen zu, sondern spricht von "Räumen". Der Charakter eines Wohngebäudes geht aber verloren, wenn in ihm Büros vorhanden sind, die größer sind als die für Wohnhäuser typische Nutzungseinheit, die Wohnung (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.05.2001 – 4 C 8.00 –, juris Rdnr. 17; OVG NW, Urt. v. 22.03.1995 – 7 A 3700/91 –, a.a.O. RdNr.21; BremOVG, Beschl. v. 25.02.2005 – 1 B 41/05 –, juris RdNr. 16; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 13 BauNVO RdNr. 43).

48

Gemessen daran ist die mit der angefochtenen Baugenehmigung vom 24.01.2018 genehmigte Nutzung in dem Bestandsgebäude R-Platz 12 nach § 13 BauNVO unzulässig, da die freiberufliche Nutzung mehr als 50 % der Wohnfläche in Anspruch nimmt. Die Flächen für Praxis und Gewerbe umfassen 520,33 m² und übersteigen damit die Wohnfläche von 358,40 m² erheblich. Selbst wenn die Fläche für die Gewerbeeinheit von 111,09 m² außer Betracht gelassen wird, beträgt die Fläche für Praxisräume noch immer 409,24 m², womit sie die Wohnfläche von 358,40 m² immer noch signifikant übersteigt und damit die Nutzung dieses Gebäudes prägt.

49

Die genehmigte Nutzung in Haus 1 auf dem Grundstück L-Straße 1 ist ebenfalls nach § 13 BauNVO unzulässig. Der in Haus 1 vorgesehenen Nutzungsfläche für Praxis- und Operationsräume von insgesamt 667,08 m² (372,55 m² + 294,53 m²) steht eine Wohnfläche von nur 291,86 m² (258,15 m² + 33,71 m²) gegenüber. Hierdurch wird auch das Haus 1 deutlich durch die gegenüber der Wohnnutzung weit überwiegende freiberufliche Nutzung geprägt.

50

Aus dem Umstand, dass in den geplanten Neubauten auf dem Grundstück L-Straße 1 insgesamt Flächen für Wohnen von 1.071,91 m² und Flächen für OP und Praxis von 667,08 m² geplant sind, ergibt sich nichts anderes. Auch der Umstand, dass das Gesamtvorhaben auf den Grundstücken R-Platz 12 und L-Straße 1 nach den Planungen über Wohnflächen von 1.430,31 m² und Praxis- und Gewerbeflächen von 1.187,41 m² verfügt, rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Begriff "Räume" als maßgeblicher Bezugspunkt der Zulässigkeitsprüfung nach § 13 BauNVO bezieht sich auf ein Gebäude und nicht auf ein Baugrundstück (VGH BW, Urt. v. 06.07.2005 – 3 S 141/05 –, juris Rdnr. 24). Damit hat eine Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens am Maßstab des § 13 BauNVO getrennt für jedes Gebäude, also gesondert für das Bestandsgebäude R-Platz 12 und für die beiden Neubauten auf dem Grundstück L-Straße 1, zu erfolgen, da es sich hierbei um jeweils eigenständige Gebäude handelt.

51

Aus der Tatsache, dass für die Nutzung des Gebäudes R-Platz 12 bereits die Baugenehmigung vom 24.03.2006 vorliegt, folgt nichts anderes. Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung vom 24.01.2018 ist auch die (erneute) Regelung der Nutzung des Gebäudes R-Platz 12, womit insoweit auch die Möglichkeit eines Nachbarrechtsbehelfs (erneut) eröffnet wurde.

52

Soweit der Beigeladene geltend macht, ein nachbarlicher Gebietserhaltungsanspruch scheide aus, wenn ein Bauvorhaben von so geringem bodenrechtlichen Gewicht sei, dass ein "Umkippen" des Gebietscharakters nicht drohe (vgl. HessVGH, Urt. v. 09.08.2007 – 3 UE 684/07 –, juris RdNr. 39), greift dies vorliegend nicht durch. Ein derartiger Fall, in dem das maßgebliche Baugebiet bereits weitgehend baulich ausgenutzt ist, so dass ein "Umkippen" des Gebietscharakters ausgeschlossen erscheint, liegt hier ersichtlich nicht vor.

53

§ 13 BauNVO ist – auch im Rahmen der entsprechenden Anwendung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB – drittschützend. Die Vorschrift nimmt an der nachbarschützenden Wirkung der Gebietsfestsetzung bzw. des Gebietscharakters bei einer entsprechenden Anwendung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB teil, da sie ebenfalls die Art der baulichen Nutzung betrifft. Sie gewährt dem Nachbarn innerhalb des Baugebietes ein subjektives Abwehrrecht gegen unzulässige freiberufliche und vergleichbare gewerbliche Nutzungen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.12.1995 – 4 B 245.95 –, juris RdNr. 5; Urt. v. 12.12.1996 – 4 C 17.95 –, a.a.O. RdNr. 34; OVG NW, Urt. v. 25.08.2011 – 2 A 38/10 –, juris Rdnr. 61; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 13 BauNVO RdNr. 88). Soweit der Beigeladene geltend macht, die Vergrößerung der Fläche einer Arztpraxis in einem Gebäude betreffe nur das Maß der baulichen Nutzung und könne daher nicht am Gebietserhaltungsanspruch scheitern, der sich nur auf die Art der Nutzung beziehe (vgl. OVG SH, Beschl. v. 08.01.2018 – 1 MB 23/17 –, juris Rdnr. 6), kann dies aus den vorstehend genannten Gründen nicht überzeugen.

54

3. Die Antragsteller sind – entgegen der Ansicht des Beigeladenen – auch nicht deswegen gehindert, sich auf den Gebietserhaltungsanspruch zu berufen, weil sie selbst ihr Grundstück illegal nutzen. Zwar wird in der Rechtsprechung vertreten, dass das Rücksichtnahmegebot nicht zugunsten eines Nachbarn eingreift, der sein eigenes Grundstück formell und materiell illegal nutzt (vgl. OVG MV, Beschl. v. 04.04.2013 – 3 M 183/12 –, juris RdNr. 6; BremOVG, Urt. v. 08.05.2018 – 1 B 18/18 –, juris RdNr. 31). Es kann offenbleiben, ob dies nicht nur im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme, sondern auch gegenüber dem – hier einschlägigen – Gebietserhaltungsanspruch Geltung beansprucht. Jedenfalls nutzen die Antragsteller ihr Grundstück nicht formell und materiell illegal. Es liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Nutzung formell illegal ist. Aus der Antwort der Antragsgegnerin vom 18.09.2018 auf die Anfrage des Beigeladenen lässt sich dies nicht herleiten. Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, dass für die Grundstücke A-Straße und E-Straße 11 in den vergangenen 25 Jahren keine Baugenehmigungen erteilt worden seien. Das lässt nicht auf die formelle Illegalität der Grundstücksnutzung schließen, da das Gebäude offenbar älter als 25 Jahre ist und nichts dafür spricht, dass zu keinem Zeitpunkt eine Baugenehmigung erteilt wurde. Soweit der Beigeladene auf die Nutzung des Grundstücks A-Straße durch das Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung (ISW) abstellt, spielt dies – wie bereits ausgeführt – im vorliegenden Verfahren keine Rolle, da diese Nutzung bereits im Jahr 2011 beendet wurde. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die derzeitige freiberufliche Tätigkeit des Antragstellers zu 2 als freischaffender Filmmusikkomponist baurechtlich genehmigungsbedürftig sein könnte, bestehen nicht.

55

4. Die Beschränkung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller auf einen Teil der angefochtenen Baugenehmigung vom 24.01.2018 kommt nicht in Betracht. Zwar verletzt die Baugenehmigung den Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller nur durch die Genehmigung der Nutzung auf dem Grundstück R-Platz 12 und von Haus 1 auf dem Grundstück L-Straße 1, während die genehmigte Wohnnutzung in Haus 2 unter dem Blickwinkel des § 13 BauNVO unproblematisch ist. Einer solchen Beschränkung steht jedoch die Unteilbarkeit der Baugenehmigung entgegen.

56

Eine auf einen Teil einer im Baunachbarstreit angefochtenen Baugenehmigung beschränkte Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt nur dann in Betracht, wenn die Baugenehmigung rechtlich und tatsächlich teilbar ist (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 13.08.2012 – 1 B 242/12 –, juris RdNr. 6). Die Teilbarkeit einer Baugenehmigung ist gegeben, wenn der abtrennbare Teil räumlich-gegenständlich klar abgrenzbar ist und für den verbleibenden Teil der (nachbarrechtskonformen) Baugenehmigung ein sinnvoll nutzbares Vorhaben zurückbleibt, das keine größeren Umplanungen notwendig macht, und der Bauherr das Vorhaben notfalls selbst als teilbar ansieht (vgl. HambOVG, Urt. v. 14.07.2008 – 2 Bf 277/03 –, juris RdNr. 35; Beschl. v. 17.11.2011 – 2 Bs 177/11 –, juris RdNr. 46). Diese Voraussetzungen sind bei der Baugenehmigung vom 24.01.2018 nicht gegeben. Zwar würde eine Beschränkung der Baugenehmigung auf Haus 2 ein selbständig nutzbares Vorhaben bestehen lassen, jedoch sieht der Beigeladene das Bauvorhaben ersichtlich als untrennbare Einheit an.

57

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.

58

Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwertes folgt der Senat der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.

59

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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