Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 L 219/18

Gründe

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Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.

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Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist erfüllt, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn mit dem Zulassungsantrag substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (so BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2010 - 1 BvR 2011/10 -, zit. nach JURIS).

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Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

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Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der angefochtene Beitragsbescheid vom 26. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2016 sei rechtswidrig, da es an einer hinreichenden Satzungsgrundlage mangele. Insbesondere scheide die Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung der Stadt Zeitz vom 24. September 2015 - SBS 2015 - als Rechtsgrundlage aus, weil der in § 5 Abs. 2 SBS 2015 festgelegte Beitragssatz zu weit unter dem höchstzulässigen Beitragssatz liege und daher mit der in § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA normierten Beitragserhebungspflicht nicht vereinbar sei.

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Die dagegen erhobenen Einwendungen der Beklagten sind nicht durchgreifend.

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a) Die mit dem Investitionsaufwand verrechenbare Abwasserabgabe gem. § 10 Abs. 3 AbwAG ist im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten nicht im Rahmen der Kalkulation als Abzugsposten bei der Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes zu berücksichtigen, da lediglich eine Verminderung der eigentlich zu leistenden Abwasserabgabe bewirkt wird (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteile v. 16. Oktober 2018 - 4 K 54/16 - und v. 21. August 2018 - 4 K 221/15 -; VG Magdeburg, Urt. v. 26. März 2015 - 9 A 253/14 -, jeweils zit. nach JURIS; wohl auch VGH Hessen, Beschl. v. 10. Mai 2012 - 5 C 3180/09.N -, zit. nach JURIS). Die für die Einrichtung geleisteten Abwasserabgaben sind Kosten der Einrichtung i.S.d. § 5 Abs. 2 KAG LSA (vgl. auch § 7 Abs. 3 Satz 2 AG AbwAG LSA), die durch Benutzungsgebühren gedeckt werden. Soweit Kosten durch die Abgabepflicht nach dem Abwasserabgabengesetz nicht entstanden sind, weil mit Investitionen verrechnet wurde, konnte allein der nur fiktive Aufwand nicht gem. § 7 Abs. 1, Abs. 3 AG AbwAG LSA auf die Gebührenschuldner abgewälzt werden (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 9. Oktober 2003 - 1 K 459/01 -, zit. nach JURIS). Es handelt sich bei den verrechenbaren Abwasserabgaben also gerade nicht um Investitionszuschüsse zur Herstellung der öffentlichen Einrichtung.

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b) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die über Benutzungsgebühren für die Schmutzwasserbeseitigung erwirtschafteten Abschreibungsbeträge jedenfalls für die Zeiträume ab 20. Juni 1996 in der Kalkulation eines Herstellungsbeitrages im Anschlussbeitragsrecht auf Grund der gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA - in der seit 20. Juni 1996 geltenden Fassung - bestehenden Beitragserhebungspflicht nicht zu berücksichtigen sind (so auch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21. August 2018, a.a.O.).

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Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, eine Berücksichtigung solcher Abschreibungsbeträge in der Kalkulation eines Herstellungsbeitrages sei in der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts auch für Zeiträume ab dem 20. Juni 1996 für zulässig erachtet worden. In der von der Beklagten dazu allein zitierten Entscheidung vom 1. Juli 2003 (- 1 M 492/02 -, zit. nach JURIS) wird ausdrücklich ausgeführt, dass die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, wonach Beiträge nur erhoben werden dürfen, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist, verhindern soll, dass die Gemeinde den Aufwand, der in der Vergangenheit bereits ganz oder teilweise durch das Ansammeln von Abschreibungserlösen abgedeckt worden ist, nunmehr über die Erhebung von Beiträgen nochmals verteilt. Die Formulierung in dieser Entscheidung, dass „Abschreibungserlöse jedenfalls bei der Kalkulation von Herstellungsbeiträgen … nicht abgezogen werden müssen“, beruht allein darauf, dass es sich dabei um einen dahingehenden Einwand eines Abgabenschuldners gehandelt hat.

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Soweit die Beklagte vorbringt, die vom Verwaltungsgericht und dem beschließenden Senat vertretene Rechtsprechung führe „letztlich zur Aufgabe der Ergebnisrechtsprechung und ohne Auseinandersetzung mit den bisherigen Rechtsgrundsätzen zu einer erheblichen Einschränkung der Träger der Abwasserbeseitigung hinsichtlich ihrer Möglichkeiten zur Gestaltung von Beiträgen und Gebühren im Rahmen des KAG LSA“, fehlt es schon an einer substanziierten Darlegung, woraus sich die Fehlerhaftigkeit dieser Rechtsprechung ergeben sollte.

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c) Infolge der Beitragserhebungspflicht des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA muss bei Herstellungsbeiträgen grundsätzlich ein aufwandsdeckender Beitragssatz festgesetzt werden. Dass § 6 KAG LSA keine dem § 5 Abs. 1 Satz 2 HS 1 KAG LSA entsprechende Formulierung enthält, steht dem nicht entgegen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Gesetzessystematik sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes (vgl. dazu weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21. August 2018, a.a.O.; Urt. v. 2. Oktober 2018 - 4 L 97/17 -, zit. nach JURIS; vgl. nunmehr auch die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA in LT-DrS 7/3491 vom 18. Oktober 2018, S. 9ff).

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Dass sich diese Auslegung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA ergibt, ist daher unerheblich. Im Übrigen spricht der Wortlaut sogar - im Gegensatz zu der vor dem 20. Juni 1996 geltenden Fassung („…können…erheben…“) - eher dafür. Weiterhin ist der Umstand, dass § 5 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA im Gebührenrecht ausdrücklich ein Kostendeckungsgebot enthält, nicht ausreichend anzunehmen, dass im Beitragsrecht eine grundsätzliche Verpflichtung zur Erhebung eines aufwandsdeckenden Beitragssatzes ausgeschlossen sein soll. Dass Beiträge gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA in der ab 19. August 2000 geltenden Fassung nur erhoben werden, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist und soweit nicht ein privatrechtliches Entgelt gefordert wird, führt von vornherein nicht zu einer Beschränkung des Regelungsgehaltes auf ein Aufwandsüberschreitungsverbot (vgl. dazu nunmehr auch die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA in LT-DrS 7/3491 vom 18. Oktober 2018, S. 10f.).

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Da § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA eine Deckung des Aufwandes für die Herstellung einer leitungsgebundenen Einrichtung allein durch Beiträge fordert, kommt es auf die Ausführungen der Beklagten zu einer Kostendeckung auf anderem Wege nicht an.

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d) Eine Verletzung der Beitragserhebungspflicht durch einen zu niedrigen Beitragssatz führt zur Nichtigkeit des Beitragssatzes und damit zur Nichtigkeit der gesamten Beitragssatzung. Eine Trennung des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA in eine Schutznorm für den Abgabepflichtigen in Bezug auf Art, Höhe sowie andere Umstände der Abgabe und einen normenkonkretisierenden und -ausfüllenden Teil im Sinne kommunalrechtlicher Haushaltsvorschriften sowie eine damit verbundene Aufteilung des Rechtsverstoßes der Satzung in einen den Abgabenpflichtigen belastenden Teil und einen lediglich kommunalrechtliche Aufsichtsmaßnahmen auslösenden Teil lässt sich nicht vornehmen (vgl. weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urteile v. 2. Oktober 2018, a.a.O. und v. 21. August 2018, a.a.O.).

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e) Auch folgt aus § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten nicht, dass bei einer zur Verletzung der Beitragserhebungspflicht führenden Unterschreitung des höchstzulässigen und damit aufwandsdeckenden Beitragssatzes jedenfalls der festgesetzte Beitragssatz als „minus“ wirksam ist. Weder bei der Prüfung einer Verletzung des Aufwandsüberschreitungsverbotes noch bei der Prüfung der Einhaltung der grundsätzlichen Verpflichtung zur Aufwandsdeckung ist eine derartige Trennung vorzunehmen (vgl. weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urteile v. 2. Oktober 2018, a.a.O. und v. 21. August 2018, a.a.O.).

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f) Soweit das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt im Hinblick auf die Unterschreitung des höchstzulässigen Beitragssatzes in der Vergangenheit entschieden haben sollte, es käme allein darauf an, dass der festgesetzte Beitragssatz im Ergebnis nicht dem Aufwandsüberschreitungsverbot widerspricht, hält der nunmehr zuständige Senat an dieser Rechtsprechung nicht fest (so OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21. August 2018, a.a.O., v. 2. Oktober 2018, a.a.O. und v. 16. Oktober 2018 - 4 K 101/16 -, zit. nach JURIS). Im Übrigen bestand in diesen Entscheidungen auf Grund der dortigen Differenzen zwischen Beitragsfestsetzung und höchstzulässigem Beitragssatz bzw. den erhobenen Einwendungen keine Veranlassung zu einer Beanstandung nach den oben genannten Kriterien.

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g) Der Kläger wird durch den rechtswidrigen Bescheid auch gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt.

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Entscheidend ist insoweit, dass der ihm auferlegten Belastung keine wirksame Ermächtigungsgrundlage zugrunde liegt. Unerheblich ist demgegenüber, dass der Kläger durch den fehlerbegründenden Umstand der zu niedrigen Beitragssatzfestsetzung zunächst begünstigt wird. Denn das Erfordernis der subjektiven Rechtsverletzung in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bezieht sich ausschließlich auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und ist bei materiellrechtlichen Fehlern eines belastenden Beitragsbescheids - wie der fehlenden (wirksamen) Rechtsgrundlage - jedenfalls infolge des zumindest vorliegenden Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG erfüllt. Ein spezifischer Bezug zwischen den zur Nichtigkeit der Norm als Rechtsgrundlage des angefochtenen Verwaltungsakts führenden Mängeln und einer subjektiven Betroffenheit des Klägers wird von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht verlangt. Die Gegenauffassung, dass ein zu geringer Beitragssatz die Beitragspflichtigen nicht beschwere und sie deshalb nicht in eigenen subjektiven Rechten verletze, trägt dem Unterschied zwischen Verwaltungsakt und Rechtsnorm nicht ausreichend Rechnung (vgl. dazu weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v 2. Oktober 2018, a.a.O., m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 21. August 2018, a.a.O.).

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Auf die Ausführungen der Beklagten zur Bestimmung des Schutzzwecks des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i.V.m. Art. 20 GG kommt es danach von vornherein nicht an.

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2. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen.

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Dazu müsste die Beklagte unter substantieller Auseinandersetzung mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil deutlich machen, dass die Rechtssache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, das heißt überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23. März 2017 - 4 L 102/16 -, zit. nach JURIS, m.w.N.).

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Die Frage einer fehlenden Rechtsbeschwer des Klägers i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch die Festsetzung eines zu niedrigen Beitragssatzes, der zur Gesamtnichtigkeit der Satzung führt, verursacht schon auf Grund der dazu vorhandenen Rechtsprechung anderer Gerichte keine überdurchschnittlichen Schwierigkeiten. Darüber hinaus ist diese Frage nunmehr durch das Urteil des beschließenden Senats vom 2. Oktober 2018 (- 4 L 97/17 -, a.a.O.) geklärt

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Soweit die Beklagte auf die „hier aufgeworfenen Fragen des Mindestbeitragssatzes und der Absetzung bestimmter Kostenpositionen in der Kalkulation“ sowie die sonst von ihr im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO benannten Rechtsfragen abstellt, kann offen bleiben, ob eine derartige Bezugnahme ausreichend ist. Jedenfalls haben auch diese Fragen nicht zur Folge, dass die Rechtssache überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweist. Zudem sind sie ebenfalls nunmehr durch die Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. Urteile v. 21. August 2018, a.a.O., v. 2. Oktober 2018, a.a.O., und v. 16. Oktober 2018 - 4 K 101/16 -, zit. nach JURIS) geklärt.

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3. Die Beklagte zeigt auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf.

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Von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist eine Rechtssache, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung und Anwendung geboten erscheint und die sich nicht ohne Weiteres unter Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung und unter Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden beantworten lässt (so BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 2018 - 2 BvR 350/18 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Der Rechtsmittelführer muss eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17. November 2010 - 4 L 213/09 -, zit. nach JURIS m.w.N.).

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Die Beklagte formuliert folgende Fragen:

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„1. Geht der Amtsermittlungsgrundsatz im Sinne des § 86 Abs. 1 VwGO soweit, dass ein angerufenes Verwaltungsgericht auch ohne Beschwer des Klägers im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO und über das Begehren des Klägers im Sinne des § 88 VwGO hinaus die Fehlerhaftigkeit eines Beitragssatzes und damit einer Satzung feststellen kann?“ und

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„2. Geht der Amtsermittlungsgrundsatz im Sinne des § 86 Abs. 1 VwGO soweit, dass ein angerufenes Verwaltungsgericht ungefragt auf Fehlersuche gehen darf?“.

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Die erste Frage würde sich in einem Berufungsverfahren schon nicht stellen, weil der Kläger - wie oben dargelegt - vorliegend nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO beschwert ist. Weiterhin ist das Verwaltungsgericht nicht unter Verletzung des § 88 VwGO über das Klagebegehren des Klägers hinausgegangen. Für die Auslegung des Klagebegehrens sind neben dem Klageantrag insbesondere die Klagebegründung sowie das gesamte übrige Klagevorbringen zu berücksichtigen, ferner die Interessenlage des Klägers, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und die übrigen Beteiligten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. BVerwG in st. Rspr., zuletzt Beschl. v. 5. März 2019 - 5 B 13.19 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Da aber der zudem noch anwaltlich vertretene Kläger ausdrücklich die Aufhebung des Beitragsbescheides beantragt hat, durfte das Gericht selbst mit einer Prüfung nach dem „materiellen - eigentlichen - Rechtsschutzziel“ bei der Aufnahme des Klageantrags (vgl. § 103 Abs. 3 VwGO) nicht von diesem Klageziel abweichen (vgl. auch Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 86 Rdnr. 49b). Denn § 88 VwGO legitimiert das Gericht nicht, den Wesensgehalt der Auslegung zu überschreiten und an die Stelle dessen, was die Partei erklärtermaßen will, das zu setzen, was sie nach Meinung des Gerichts zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte (so BVerwG, Beschl. v. 19. April 2016 - 6 B 3.16 -; Urt. v. 15. April 2015 - 8 C 14.14 -; Urt. v. 23. August 2007 - 7 C 13.06 -, jeweils zit. nach JURIS). Im Übrigen gibt es nach der Klagebegründung oder sonstigen Umständen (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 13. Januar 2012 - 9 B 56.11 -, zit. nach JURIS) keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger allein im Hinblick auf eine mögliche höhere Beitragsbelastung in der Zukunft auf einen Prozesserfolg verzichtet hätte.

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Die zweite Frage ist ebenfalls in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Danach entspricht es zwar nicht einer sachgerechten Handhabung der gerichtlichen Kontrolle, Abgabensatzungen bzw. die zugrundeliegenden Kalkulationen „ungefragt“ einer Detailprüfung zu unterziehen. Allerdings ist es dem Gericht jedenfalls nicht verwehrt, selbst bei Fehlen entsprechender Rügen zumindest eine Prüfung wichtiger Eckpunkte der Kalkulation vorzunehmen und sich aufdrängenden Mängeln nachzugehen bzw. eine Überprüfung vorzunehmen, soweit es um die Plausibilität der Berechnung des konkreten Abgabensatzes geht. Wenn durch eine überschlägige Prüfung der ohnehin vorliegenden Kalkulation ein Verstoß gegen die Beitragserhebungspflicht jedenfalls naheliegt, sind diese Vorgaben erfüllt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 2. Oktober 2018, a.a.O.).

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Darüber hinaus fehlt es an konkreten Darlegungen der Beklagten hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit der Fragen sowie ihrer allgemeinen Bedeutung. Der pauschale Hinweis, die vorgelegten Fragen hätten „weitreichende Bedeutung“ und ihre Beantwortung diene „im Interesse der einheitlichen Fortentwicklung und Anwendung der prozessrechtlichen Normen dazu, die einheitliche Rechtsanwendung sicher zu stellen.“, ist nicht ausreichend.

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4. Die Berufung ist schließlich nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen einer Abweichung des angegriffenen Urteils von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt zuzulassen.

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Der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht seinem Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem in einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten, dieselbe Rechtsfrage betreffenden und die Entscheidung tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt. Die Darlegung der Divergenz, die § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO verlangt, erfordert u.a. die Angabe des obergerichtlich oder höchstrichterlich entwickelten Rechtssatzes, die Bezeichnung des Rechtssatzes, mit dem das Verwaltungsgericht von dem obergerichtlich oder höchstrichterlich gebildeten Rechtssatz abgewichen sein soll, und Erläuterungen dazu, worin die Abweichung konkret besteht.

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Die Beklagte entwickelt aus mehreren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt den Rechtssatz, dass es in der Regel nicht einer sachgerechten Handhabung der gerichtlichen Kontrolle entspricht, die Abgabenkalkulation eines Satzungsgebers ungefragt einer Detailprüfung zu unterziehen. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht „durch seine Handhabung“ folgenden Rechtsgrundsatz aufgestellt: „Die gerichtliche Fehlersuche umfasst sämtliche Eckpunkte der Abgabenkalkulation und der sich hieraus ergebenden Mängel unter Prüfung der Plausibilität und Berechnung des konkreten Abgabensatzes ohne Berücksichtigung des Rechtsschutzzieles der Kläger“.

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Es kann offen bleiben, ob sich der von der Beklagten formulierte erste Rechtssatz aus den von ihr genannten Entscheidungen ergibt. Bei den von der Beklagten herangezogenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts handelt es sich schon nicht um Rechtssätze, sondern die Umschreibung einer Maxime richterlichen Handelns, die die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht in Frage stellt (vgl. BVerwG, Beschlüsse v. 17. Mai 2018 - 4 B 20.18 -, v. 27. September 2012 - 4 BN 20.12 - und v. 4. Oktober 2006 - 4 BN 26.06 -, jeweils zit. nach JURIS). Dementsprechend waren diese Ausführungen für das Divergenzgericht auch nicht derart entscheidungserheblich (vgl. dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., § 124 Rdnr. 173; Eyermann, a.a.O., § 124 Rdnr. 42), dass eine ohne entsprechende Rüge vorgenommene Prüfung einer Abgabenkalkulation durch ein Verwaltungsgericht zu einer Fehlerhaftigkeit des darauf beruhenden Urteils führt. Vielmehr kann die ungefragte Fehlersuche als solche nicht Ursache eines fehlerhaften Urteils sein (so auch Hien in Fenzel/Kluth/Rennert, Neue Entwicklungen im Verwaltungsverfahrens- und prozessrecht im Jahr 2010, S. 29, 33).

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Im Übrigen sind keine hinreichenden Anhaltspunkte (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7. November 2017 - 1 A 2541/16 -, zit. nach JURIS; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. A., § 124 Rdnr. 159a, m.w.N.; Eyermann, VwGO, 15. A., § 124 Rdnr. 43) genannt oder sonst ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht stillschweigend einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Das pauschale Abstellen der Beklagten auf die „Handhabung“ des Verwaltungsgerichts ist nicht ausreichend.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG.

38

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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