Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 L 209/18

Gründe

1

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.

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Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist erfüllt, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn mit dem Zulassungsantrag substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (so BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2010 - 1 BvR 2011/10 -, zit. nach JURIS).

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Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

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Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der angefochtene Beitragsbescheid vom 26. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2018 sei rechtswidrig, da es an einer hinreichenden Satzungsgrundlage mangele. Insbesondere scheide die Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung der Stadt Zeitz vom 24. September 2015 - SBS 2015 - als Rechtsgrundlage aus, weil der in § 5 Abs. 2 SBS 2015 festgelegte Beitragssatz zu weit unter dem höchstzulässigen Beitragssatz liege und daher mit der in § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA normierten Beitragserhebungspflicht nicht vereinbar sei.

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Die dagegen erhobenen Einwendungen der Beklagten sind nicht durchgreifend.

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a) Infolge der Beitragserhebungspflicht des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA muss bei Herstellungsbeiträgen grundsätzlich ein aufwandsdeckender Beitragssatz festgesetzt werden. Dass § 6 KAG LSA keine dem § 5 Abs. 1 Satz 2 HS 1 KAG LSA entsprechende Formulierung enthält, steht dem nicht entgegen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Gesetzessystematik sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes (vgl. dazu weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21. August 2018- 4 K 221/15 - und v. 2. Oktober 2018 - 4 L 97/17 -, beide zit. nach JURIS).

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Dass sich diese Auslegung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA ergibt, ist daher unerheblich. Jedenfalls wird diese Auslegung im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten durch den Wortlaut nicht ausgeschlossen. Zudem spricht der Wortlaut sogar - im Gegensatz zu der vor dem 20. Juni 1996 geltenden Fassung („…können…erheben…“) - eher dafür. Weiterhin ist der Umstand, dass § 5 Abs. 1 Satz 2 HS 1 KAG LSA im Gebührenrecht ausdrücklich ein Kostendeckungsgebot enthält, nicht ausreichend anzunehmen, dass im Beitragsrecht eine grundsätzliche Verpflichtung zur Festsetzung eines aufwandsdeckenden Beitragssatzes ausgeschlossen sein soll. Dass Beiträge gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA in der ab 19. August 2000 geltenden Fassung nur erhoben werden, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist und soweit nicht ein privatrechtliches Entgelt gefordert wird, führt von vornherein nicht zu einer Beschränkung des Regelungsgehaltes auf ein Aufwandsüberschreitungsverbot.

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b) Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der „aufgestellte Rechtssatz, wonach ein grundsätzliches Ausschöpfungsgebot hinsichtlich der leitungsgebundenen Be[i]träge bestehen“ solle, sei unvereinbar mit den „Grundlagen des Kommunalabgabenrechts in Sachsen-Anhalt“.

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Die vom Verwaltungsgericht vertretenen Anforderungen folgen - wie oben dargelegt - aus § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA. Diese Regelung enthält nicht nur ein Aufwandsüberschreitungsverbot. Eine solche Auslegung ergibt sich insbesondere nicht aus den Darlegungen der Beklagten zu einer Aufgabenverteilung zwischen den kommunalverfassungsrechtlichen Normen und den kommunalabgabenrechtlichen Normen. Vielmehr ist der Landesgesetzgeber durchaus befugt - was er in dem von der Beklagten an anderer Stelle selbst angeführten § 5 Abs. 1 Satz 2 HS 1 KAG LSA sogar ausdrücklich getan hat - im Kommunalabgabengesetz Bestimmungen zur Festsetzung von kosten- bzw. aufwandsdeckenden Abgaben aufzunehmen. Aus den von der Beklagten hier genannten Regelungen in § 6 Abs. 5 Satz 6 KAG LSA (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16. Oktober 2018 - 4 K 101/16 -, zit. nach JURIS) und § 13a KAG LSA ergibt sich ebenfalls nichts anderes. Es handelt sich dabei um Regelungen, welche die Beitragserhebung im Einzelfall betreffen und für die Festsetzung des Beitragssatzes unerheblich sind.

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c) Der Kläger wird durch den rechtswidrigen Bescheid auch gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt.

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Entscheidend ist insoweit, dass der ihm auferlegten Belastung keine wirksame Ermächtigungsgrundlage zugrunde liegt. Unerheblich ist demgegenüber, dass der Kläger durch den fehlerbegründenden Umstand der zu niedrigen Beitragssatzfestsetzung zunächst begünstigt wird. Denn das Erfordernis der subjektiven Rechtsverletzung in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bezieht sich ausschließlich auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und ist bei materiellrechtlichen Fehlern eines belastenden Beitragsbescheids - wie der fehlenden (wirksamen) Rechtsgrundlage - jedenfalls infolge des zumindest vorliegenden Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG erfüllt. Ein spezifischer Bezug zwischen den zur Nichtigkeit der Norm als Rechtsgrundlage des angefochtenen Verwaltungsakts führenden Mängeln und einer subjektiven Betroffenheit des Klägers wird von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht verlangt. Die Gegenauffassung, dass ein zu geringer Beitragssatz die Beitragspflichtigen nicht beschwere und sie deshalb nicht in eigenen subjektiven Rechten verletze, trägt dem Unterschied zwischen Verwaltungsakt und Rechtsnorm nicht ausreichend Rechnung (vgl. dazu weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v 2. Oktober 2018, a.a.O., m.w.N.).

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Dass nach Auffassung der Beklagten der „tatsächlich erfolgte Grundrechtseingriff weniger intensiv“ sei „als er eigentlich - aus rechtlicher Sicht - sein dürfte bzw. - nach Auffassung des Verwaltungsgerichts - sogar müsste“, ist danach unerheblich.

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2. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen.

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Dazu müsste die Beklagte unter substantieller Auseinandersetzung mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil deutlich machen, dass die Rechtssache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, das heißt überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23. März 2017 - 4 L 102/16 -, zit. nach JURIS, m.w.N.).

16

Die Frage einer fehlenden Rechtsbeschwer des Klägers i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch die Festsetzung eines zu niedrigen Beitragssatzes, der zur Gesamtnichtigkeit der Satzung führt, verursacht schon auf Grund der dazu vorhandenen Rechtsprechung anderer Gerichte keine überdurchschnittlichen Schwierigkeiten. Darüber hinaus ist diese Frage nunmehr durch das Urteil des beschließenden Senats vom 2. Oktober 2018 (a.a.O.) geklärt.

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Auch die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen zu möglichen „Ungleichbehandlungen“ sowie den „Schwierigkeiten und Unsicherheiten hinsichtlich der Nacherhebung nach Ablauf der zeitlichen Obergrenze für die Beitragserhebung“ führen nicht zu einer Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Dass die genannten Faktoren keinen Einfluss auf die Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA haben, lässt sich schon ohne weiteres der bisherigen Rechtsprechung entnehmen.

18

Soweit die Beklagte auf die von ihr im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorgenommenen Ausführungen und dort benannten Fragen abstellt, kann offen bleiben, ob eine derartige Bezugnahme ausreichend ist. Jedenfalls haben diese Ausführungen und Fragen ebenfalls nicht zur Folge, dass die Rechtssache überdurchschnittliche Schwierigkeiten hat. Selbst die Notwendigkeit einer „dezidierten und eingehenden Befassung“ mit verschiedenen Rechtsproblemen und einer verfassungsrechtlichen Prüfung ist dazu nicht genügend. Zudem sind die in Rede stehenden Fragen ebenfalls nunmehr durch die Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. Urteile v. 21. August 2018, a.a.O., v. 2. Oktober 2018, a.a.O., und v. 16. Oktober 2018, a.a.O.) geklärt. Wesentlich neue rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte enthält das Zulassungsvorbringen insoweit nicht.

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3. Die Beklagte zeigt auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf.

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Von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist eine Rechtssache, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung und Anwendung geboten erscheint und die sich nicht ohne Weiteres unter Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung und unter Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden beantworten lässt (so BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 2018 - 2 BvR 350/18 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Der Rechtsmittelführer muss eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17. November 2010 - 4 L 213/09 -, zit. nach JURIS m.w.N.).

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a) Die von der Beklagten formulierten Fragen lassen sich schon ohne weiteres unter Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung und unter Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden beantworten.

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(1) Die Frage „Bedarf es für eine gerichtliche Bezifferung des Umfangs einer landesgesetzlichen Beitragserhebungspflicht bei leitungsgebundenen Einrichtungen wegen des Vorbehalts des Gesetzes einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage?“ ist - wie schon in den Urteilen des Senats vom 21. August 2018 (a.a.O.), vom 2. Oktober 2018 (a.a.O.) und vom 16. Oktober 2018 (a.a.O.) dargelegt - dahingehend beantwortet, dass sich die Beitragserhebungspflicht mit der grundsätzlichen Verpflichtung zur Festsetzung eines aufwandsdeckenden Beitragssatzes unmittelbar aus § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA ergibt (vgl. nunmehr auch die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA in LT-DrS 7/3491 vom 18. Oktober 2018, S. 9ff.). Nur weil die beitragserhebende Körperschaft den Unwägbarkeiten einer Beitragskalkulation und insbesondere den Risiken einer möglichen gerichtlichen Überprüfung Rechnung tragen darf, unterliegt die Beitragserhebungspflicht insoweit einer schon aus Praktikabilitätsgesichtspunkten gebotenen immanenten Beschränkung durch Einräumung eines „Sicherheitsabstandes“, der im Wege richterlicher Normkonkretisierung auf bis zu 20 % festzusetzen war. Damit besteht eine ausreichende gesetzliche Grundlage, so dass der Hinweis der Beklagten auf den Vorbehalt des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG und die bundesverfassungsrechtliche „Wesentlichkeits“-Rechtsprechung ins Leere geht. Soweit sie „auf das Spannungsverhältnis zwischen gerichtlicher Kontrolle und Prognosespielraum des Satzungsgebers“ abstellt und dazu auf § 6 Abs. 5 Satz 6 KAG LSA verweist, hat sie ebenfalls keinen Erfolg. Mit § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA wurde den beitragserhebenden Körperschaften gerade kein „- gerichtsfester - Prognose- und Entscheidungsspielraum“ eingeräumt, und § 6 Abs. 5 Satz 6 KAG LSA ist nicht im Rahmen der Festsetzung des Beitragssatzes anwendbar, sondern betrifft allein die eigentliche Beitragserhebung (so OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16. Oktober 2018, a.a.O.).

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(2) Auch die Frage „Ist eine verwaltungsgerichtlich konkretisierte Anschlussbeitragserhebungspflicht, welche die Kommunen dazu verpflichtet, zwingend und ausnahmslos mindestens 80 % des beitragsfähigen Aufwandes auszuschöpfen, mit dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) vereinbar?“ ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senates und der höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres zu bejahen.

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Die insoweit angesprochene kommunale Finanzhoheit als Ausprägung der verfassungsrechtlich garantierten gemeindlichen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG ist nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Der Gesetzgeber ist befugt, sie inhaltlich auszuformen und zu begrenzen. Er hat dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf nicht in den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung eingreifen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27. Januar 2010 - 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04 -; BVerwG, Urt. v. 27. Oktober 2010 - 8 C 43.09 -, jeweils zit. nach JURIS). Der Gesetzgeber kann den Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise dadurch ausfüllen, dass er eine Beitragserhebungspflicht der Gemeinden anordnet, ohne ihnen dabei einen Ermessensspielraum zu belassen (so BVerwG, Beschl. v. 16. November 2017 - 10 B 2.17 -, zit. nach JURIS). Diese Beitragserhebungspflicht kann deshalb auch - wie dies nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA geschehen ist - auf eine grundsätzliche Verpflichtung zur Festsetzung eines aufwandsdeckenden Beitragssatzes unter Einräumung eines „Sicherheitsabstandes“ zwischen festgesetztem und höchstzulässigem Beitragssatz gerichtet sein, ohne dass Art. 28 Abs. 2 GG verletzt ist.

25

Eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Einräumung eines noch weitergehenden Spielraumes der beitragserhebenden Kommunen oder zur Schaffung einer Ausnahmeregelung besteht gerade nicht. Im Gegensatz zum Vortrag der Beklagten ergibt sich eine derartige Verpflichtung „zumindest für atypische Situationen“ auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2017. Dies ergibt sich weder aus dem oben zitierten Satz dieser Entscheidung noch aus dem direkt folgenden Satz „Ebenso wenig ist er zur Einräumung eines Beurteilungsspielraums der Gemeinden verpflichtet, wenn er anstelle einer ausnahmslos zwingenden Regelung Raum für eine Abweichung von der Beitragserhebungspflicht in atypischen Fällen lässt.“. Vielmehr folgt daraus, dass eine ausnahmslos zwingende Regelung gerade nicht ausgeschlossen ist.

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Ohne Erfolg trägt die Beklagte weiter vor, es sei nicht geklärt, ob auch dann „(konkrete) Vorgaben im Hinblick auf die Refinanzierung von Investitionen gemacht werden dürfen, wenn diese Refinanzierung als „gesichert“ gelten kann“. Die Herstellung von leitungsgebundenen Einrichtungen ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA durch die Erhebung von Beiträgen zu decken, so dass es auf andere „Refinanzierungsmodelle“ nicht ankommt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur „verfassungsrechtlichen Zulässigkeit kommunalaufsichtsrechtlicher Weisungen“ ist von vornherein nicht anwendbar, zumal es in der zitierten Entscheidung um die Festsetzung von Hebesätzen von Grund- und Gewerbesteuern geht, die mit der Festsetzung des Beitragssatzes für die Herstellung von leitungsgebundenen Einrichtungen nicht vergleichbar ist.

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(3) Die Frage „Darf bei einer Anfechtungsklage eine Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides auch dann erfolgen, wenn dies dem eigentlichen Begehren, also dem materiellen Rechtsschutzziel des Klägers widerspricht?“ ist ebenfalls auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht klärungsbedürftig.

28

Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Für die Auslegung des Klagebegehrens sind neben dem Klageantrag insbesondere die Klagebegründung sowie das gesamte übrige Klagevorbringen zu berücksichtigen, ferner die Interessenlage des Klägers, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und die übrigen Beteiligten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. BVerwG in st. Rspr., zuletzt Beschl. v. 5. März 2019 - 5 B 13.19 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Wenn ein Kläger allerdings ausdrücklich die Aufhebung eines Beitragsbescheides beantragt, darf das Gericht bei der Aufnahme des Klageantrags (vgl. § 103 Abs. 3 VwGO) nicht mit einer Prüfung nach dem „materiellen Rechtsschutzziel“ von diesem Klageziel abweichen (vgl. auch Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 86 Rdnr. 49b). Denn § 88 VwGO legitimiert das Gericht nicht, den Wesensgehalt der Auslegung zu überschreiten und an die Stelle dessen, was die Partei erklärtermaßen will, das zu setzen, was sie nach Meinung des Gerichts zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte (so BVerwG, Beschl. v. 19. April 2016 - 6 B 3.16 -; Urt. v. 15. April 2015 - 8 C 14.14 -; Urt. v. 23. August 2007 - 7 C 13.06 -, jeweils zit. nach JURIS). Daraus folgt zwingend, dass dann auch eine Beschränkung im Urteilsausspruch mit Hinweis auf ein derartiges Rechtsschutzziel ausgeschlossen ist.

29

(4) Die Frage „Stellt das materielle Rechtsschutzziel eines Klägers eine Grenze für die Reichweite der Entscheidungsbefugnis durch das Gericht dar?“ ist danach dahingehend zu beantworten, dass insoweit die Entscheidungsbefugnis des Gerichts allein durch die Auslegung des Klagebegehrens i.S.d. § 88 VwGO begrenzt ist.

30

(5) Soweit sich die Beklagte hinsichtlich der beiden letzten Fragen zur Begründung einer rechtsgrundsätzlichen Bedeutung auch auf eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Saarland (Urt. v. 14. Februar 1991 - 1 R 618/88 -, zit. nach JURIS) beruft, hat sie von vornherein keinen Erfolg. Denn die genannte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Saarland bezog sich nicht auf eine fehlerhafte Auslegung des Klagebegehrens i.S.d. § 88 VwGO, sondern verneinte - wie auch die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 11. Oktober 2018 (- 9 A 251/17 MD -) - schon eine Nichtigkeit der Beitragssatzung auf Grund eines Verstoßes gegen die Beitragserhebungspflicht. Im Übrigen ist auch diese Rechtsfrage durch die Urteile des beschließenden Senats vom 21. August 2018 (a.a.O.) und vom 2. Oktober 2018 (a.a.O.) geklärt.

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b) Darüber hinaus fehlt es bei sämtlichen Fragen an hinreichend konkreten Darlegungen der Beklagten hinsichtlich ihrer allgemeinen Bedeutung.

32

(1) Der pauschale Hinweis zur ersten Frage, sie sei „zunächst für das Land Sachsen-Anhalt und alle dort ansässigen kommunalen Aufgabenträger der Wasserver- und Abwasserentsorgung von erheblicher Bedeutung“, ist nicht genügend. Dazu hätte die Beklagte zumindest ansatzweise ausführen müssen, warum es zukünftig zu einer nicht unerheblichen Zahl von Verfahren kommen kann, in denen die beitragserhebenden Körperschaften in Sachsen-Anhalt einen Herstellungsbeitragssatz für leitungsgebundene Einrichtungen festsetzen, der unter 80 % des höchstzulässigen Beitragssatzes liegt. Auch dass die Frage „bundesweit die kommunale Anschlussbeitragserhebung“ betreffe, ist nicht ausreichend, da es jeweils um landesrechtliche Vorschriften geht, die letztinstanzlich durch die jeweils zuständigen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ausgelegt werden. Soweit die Beklagte vorbringt, die Rechtsfrage verdeutliche das „Spannungsverhältnis zwischen gerichtlicher Kontrolle und Prognosespielraum des Satzungsgebers“ und habe grundlegende Bedeutung, da „ihre Beantwortung die Gewaltenteilung als solche“ betreffe, handelt es sich ebenfalls um einen pauschalen Hinweis ohne hinreichend konkrete Anknüpfung an Zahl und Art zu erwartender Rechtsstreitigkeiten.

33

(2) Der pauschale Hinweis zur zweiten Frage, Anknüpfungspunkt seien die „verfassungsrechtlichen Grundlagen zur kommunalen Selbstverwaltung und das Maß zulässiger Regelungsdichte“ und den damit in Zusammenhang stehenden Rechtsfragen komme „eine erhebliche Tragweite für das Kommunalabgabenrecht auch in anderen Bundesländern zu“, ist angesichts des Fehlens einer hinreichend konkreten Anknüpfung an Zahl und Art zu erwartender Rechtsstreitigkeiten sowie angesichts der Bedeutung des jeweiligen Landesrechts in den anderen Bundesländern für die formulierte Frage ebenfalls nicht genügend.

34

(3) Die Beklagte legt auch hinsichtlich der dritten und vierten Frage nicht konkret dar, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Rechtsstreitigkeiten zu erwarten ist, sondern belässt es bei Pauschalaussagen. Die genannte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Saarland vom 14. Februar 1991 betrifft - wie oben dargelegt - schon eine andere Rechtsfrage.

35

4. Die Berufung ist schließlich nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen einer Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 2002 (- 9 CN 1.01 -, zit. nach JURIS) zuzulassen.

36

Der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht seinem Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem in einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten, dieselbe Rechtsfrage betreffenden und die Entscheidung tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt. Die Darlegung der Divergenz, die § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO verlangt, erfordert u.a. die Angabe des obergerichtlich oder höchstrichterlich entwickelten Rechtssatzes, die Bezeichnung des Rechtssatzes, mit dem das Verwaltungsgericht von dem obergerichtlich oder höchstrichterlich gebildeten Rechtssatz abgewichen sein soll, und Erläuterungen dazu, worin die Abweichung konkret besteht.

37

Nach Auffassung der Beklagten ergeben sich aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts folgende Rechtssätze: „Eine „ungefragte“ Fehlersuche ist im Zweifel dann nicht sachgerecht, wenn sie das Rechtsschutzbegehren des Klägers aus dem Auge verliert“ und „ Es entspricht in der Regel nicht einer sachgerechten Handhabung der gerichtlichen Kontrolle, die Abgabenkalkulation eines Satzungsgebers ungefragt einer Detailprüfung zu unterziehen“. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht „letztlich“ folgenden Rechtsgrundsatz aufgestellt: „Das Verwaltungsgericht prüft ungefragt und ungeachtet des Rechtsschutzzieles des Klägers jedenfalls die wichtigen Eckpunkte der Abgabenkalkulation, geht sich aufdrängenden Mängeln nach und überprüft die Plausibilität der Berechnung des konkreten Abgabensatzes“.

38

Bei den von der Beklagten herangezogenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich schon nicht um Rechtssätze, sondern die Umschreibung einer Maxime richterlichen Handelns, die die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht in Frage stellt (so BVerwG, Beschlüsse v. 17. Mai 2018 - 4 B 20.18 -, v. 27. September 2012 - 4 BN 20.12 - und v. 4. Oktober 2006 - 4 BN 26.06 -, jeweils zit. nach JURIS). Dementsprechend waren diese Ausführungen für das Divergenzgericht auch nicht derart entscheidungserheblich (vgl. dazu Sodan/Ziekow, a.a.O., § 124 Rdnr. 173; Eyermann, a.a.O., § 124 Rdnr. 42), dass eine ohne entsprechende Rüge vorgenommene Prüfung einer Abgabenkalkulation durch ein Verwaltungsgericht zu einer Fehlerhaftigkeit des darauf beruhenden Urteils führt. Vielmehr kann die ungefragte Fehlersuche als solche nicht Ursache eines fehlerhaften Urteils sein (so auch Hien, in: Fenzel/Kluth/Rennert, Neue Entwicklungen im Verwaltungsverfahrens- und -prozessrecht im Jahr 2010, S. 29, 33).

39

Im Übrigen sind keine hinreichenden Anhaltspunkte (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7. November 2017 - 1 A 2541/16 -, zit. nach JURIS; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. A., § 124 Rdnr. 159a, m.w.N.; Eyermann, VwGO, 15. A., § 124 Rdnr. 43) genannt oder sonst ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht stillschweigend einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Die Beschreibung der rechtlichen Vorgehensweise des Verwaltungsgerichts ist dazu nicht ausreichend.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG.

41

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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