Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (4. Zivilsenat) - 4 W 25/14
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen wird der angefochtene Beschluss teilweise geändert.
1. Der zuständige Gerichtsvollzieher wird angewiesen, im Beisein der nachstehend unter IV. genannten Sachverständigen
a) alle Computer im Eigentum, im Besitz und in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin, insbesondere in
B…
H…
vorübergehend in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin in Verwahrung zu nehmen, sicherzustellen, dass an den Computern keine Veränderungen durch die Antragsgegnerin vorgenommen werden und der vom Gericht bestimmten Sachverständigen eine sofortige Besichtigung dieser Computer zu ermöglichen,
2. Zur Durchführung dieser Handlungen wird dem Gerichtsvollzieher erlaubt, Geschäftsräume der Antragsgegnerin einschließlich aller Räumlichkeiten und Behältnisse zwangsweise zu öffnen und zu durchsuchen.
II. Die vom Gericht bestimmte Sachverständige wird angewiesen,
1. festzustellen, welche Vervielfältigungen von Computerprogrammen der Antragstellerinnen auf den Festplatten der Computer der Antragsgegnerin gespeichert sind und welche dieser Programminstallationen über ein Netzwerk von einem anderen Computer aus benutzt werden können, indem durch Bedienung der Computer vor Ort oder mittels Fernzugriffs über ein Netzwerk die Inhalte der Festplatten besichtigt, die Zugriffs- und Nutzungsmöglichkeiten festgestellt, die Inhaltsverzeichnisse auf einen von dem Sachverständigen mitgebrachten Datenträger kopiert und/oder die auf den Festplatten gespeicherten Computerprogramme der Antragstellerinnen ausgeführt und die jeweiligen Produkt- und Lizenzschlüssel erfasst werden.
2. über die Feststellungen einen schriftlichen Bericht anzufertigen, in dem insbesondere die Art und genaue Anzahl der festgestellten Vervielfältigungen von Computerprogrammen der Antragstellerinnen aufgeführt sind und festgestellt wird, in welchem Umfang auf den Computern der Antragsgegnerin Vervielfältigungen gespeichert sind und Ausfertigungen dieses Berichts dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) zu dem Aktenzeichen 6 O 37/14 und den Parteien zu übergeben.
III. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben,
1. a) an den Computern für die Dauer der Verwahrung keine Veränderungen vorzunehmen und alle angeordneten Handlungen zu dulden.
b) dem vom Gericht bestimmten Sachverständigen alle für die Bedienung der Computer vor Ort oder mittels Fernzugriffs über ein Netzwerk erforderlichen Informationen und Ressourcen, insbesondere Passwörter, Netzwerkzugänge und elektrische Energie zur Verfügung zu stellen und ihm Auskunft über die Eigentums- und Besitzverhältnisse an den Computern in ihren Geschäftsräumen zu erteilen.
c) während der angeordneten Handlungen die Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen zu dulden.
2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorgenannten Pflichten ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, bei Nichtbeitreibbarkeit Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, die an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist.
3. Für den Fall, dass angeordnete Besichtigungen nicht in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin durchgeführt werden, insbesondere, weil die Antragsgegnerin die ihr aufgegebenen Handlungen nicht vornimmt und/oder die Besichtigung nicht duldet, ist sie verpflichtet, die Computer in ihrem Eigentum, ihrem Besitz und in ihren Geschäftsräumen unverzüglich an den zuständigen Gerichtsvollzieher herauszugeben. Der Gerichtsvollzieher ist befugt, die Gegenstände aus den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin zu entfernen und sie dem Sachverständigen zur Durchführung und für die Dauer der unter II. 1. genannten Handlungen zu übergeben.
IV. Als Sachverständige wird benannt:
Frau Diplom-Informatikerin S…
öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Systeme und Anwendungen der Informationsverarbeitung, insbesondere Systemsicherheit und Softwareentwicklung
S…-H... & P…, IT-Sachverständige
P…
…
Sie wird mit der Durchführung der angeordneten Handlungen beauftragt. Ihr wird gestattet, sich dabei durch Hilfspersonen unterstützen zu lassen.
V. Die bei den angeordneten Handlungen anwesenden Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen sind verpflichtet, über Tatsachen zum Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerin, die ihnen währenddessen zur Kenntnis gelangen und über den Gegenstand der Handlungen hinausgehen, Stillschweigen zu bewahren, und zwar auch gegenüber den Antragstellerinnen und deren Mitarbeitern.
VI. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen zurückgewiesen.
VII. Von den Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens haben die Antragstellerinnen 1/4 und die Antragsgegnerin 3/4 zu tragen.
VIII. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf
15.000,00 €
festgesetzt.
Gründe
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Die zulässige sofortige Beschwerde (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO) der Antragstellerinnen führt überwiegend zum Erfolg.
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Die Antragstellerinnen haben gegen die Antragsgegnerin einen Besichtigungsanspruch (§ 101 a UrhG) in dem tenorierten Umfang.
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Nach der genannten Vorschrift kann derjenige, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Urheberrecht eines anderen widerrechtlich verletzt hat, von dem Verletzten auf Besichtigung der Sache in Anspruch genommen werden, die sich in seiner Verfügungsgewalt befindet, wenn dies zur Begründung der Ansprüche des Verletzen erforderlich ist. Die Verpflichtung zur Duldung einer Besichtigung kann im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff ZPO angeordnet werden (§ 101 a Abs. 3 UrhG).
- 4
1. Der Senat hat keinen Zweifel am Vorliegen eines Verfügungsgrundes für die begehrte einstweilige Verfügung. Ein dringlichkeitsschädliches Zuwarten der Antragstellerinnen kann nicht angenommen werden. Die eidesstattliche Versicherung der Zeugin A… über die von Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin gemachten Angaben zur Verwendung von Computerprogrammen im Betrieb der Antragsgegnerin datiert vom 27. April 2014. An diesem Tag stellten zudem die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen fest, dass die Antragsgegnerin im Internet in einem Stellenangebot Mitarbeiter anwarb, die im Umgang mit "branchenüblicher" Software der Antragstellerinnen zu 2) und 3) vertraut waren. Der am 5. März 2014 beim Landgericht eingereichte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfolgte deshalb rechtzeitig.
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2. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Kammer, dass es vorliegend an einer "hinreichenden Wahrscheinlichkeit" für eine Urheberrechtsverletzung (§ 101 a Abs. 1 UrhG) durch die Antragsgegnerin - hier nach §§ 69 a ff UrhG - mangelt. Erforderlich ist ein "gewisser Grad" an Wahrscheinlichkeit. Zu berücksichtigen ist, dass der Anspruch gerade auch demjenigen zusteht, der sich mit Hilfe der Besichtigung erst Gewissheit über das Vorliegen eines Anspruchs verschaffen möchte. Der Besichtigungsanspruch besteht deshalb insbesondere in den Fällen, in denen ungewiss ist, ob überhaupt eine Rechtsverletzung vorliegt. Es reicht der aufgrund zahlreicher Übereinstimmungen begründete Verdacht einer Verletzung, der allerdings nicht wahllos geltend gemacht werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 1. August 2006 - X ZR 114/03 -; 13. November 2003 - I ZR 187/01 -; 2. Mai 2002 - I ZR 45/01 -). Daran gemessen hat das Landgericht zu strenge Anforderungen an das Vorliegen des Besichtigungsanspruchs gestellt.
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Die von den Antragstellerinnen für ihren Verdacht einer Urheberrechtsverletzung durch die Antragsgegnerin vorgelegten Indizien sind jedenfalls in ihrer Gesamtschau zur Begründung des geltend gemachten Besichtigungsanspruchs ausreichend. Auch der vorgelegten anonymen Mitteilung eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin, dass diese drei Programme "C..." der Antragstellerin zu 1), 130 Programme ("M...", "M..." und "M... benutze, kann nicht jeder Beweiswert abgesprochen werden, weil durchaus ein nachvollziehbares Interesse des Hinweisgebers angenommen werden kann, anonym zu bleiben (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.05.2012 - 11 W 15/12 -). Die Angaben des Informanden über die Verwendung von Computerprogrammen der Antragstellerinnen wird erhärtet durch die eidesstattliche Versicherung der Zeugin A… vom 27.02.2014, die bei mehreren Mitarbeitern der Antragsgegnerin eruiert hatte, dass diese die Programme "M… O..." und "M... P..." verwende, sowie mehrere "C…" und ein Warenwirtschaftssystem benutze. Das bestätigt auch das Stellenangebot der Antragsgegnerin im Internet, in welchem Mitarbeiter gesucht werden, die über einen sicheren Umgang mit "branchenüblicher Software" C..., A... und M… .verfügen. Mit den Antragstellerinnen zu 1) und 3) wurden keine Volumenlizenzverträge geschlossen, bezüglich der Antragstellerin zu 3) - nach Auskunft des anonymen Informanten - Lizenzen nur für elf der angeblich genutzten 130 Programme, und bezüglich der Antragstellerin zu 2) nur Lizenzen bezüglich anderer Programme als dem nach Auskunft des anonymen Informanten genutzten Programms "C…". Damit ergeben diese Indizien jedenfalls in ihrem Zusammenwirken eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 101 a Abs. 1 UrhG. Zwar mag - wie die Kammer nicht ausschließen wollte- eine legale Nutzung der Softwareprogramme auch ohne Registrierung bei den Antragstellerinnen möglich sein, wenn diese als Einzelprodukte im Handel erworben wurden. Gleichwohl kommt der fehlenden Lizenzierung als Volumenlizenznehmer durchaus Aussagekraft zu, da gerade ein größerer Bedarf an kostenintensiven Softwareprogrammen für die betriebswirtschaftliche Gebotenheit des Vertragsschlusses einer deutlich günstigeren und flexibleren Volumenlizenz seitens der Antragsgegnerin spricht, welche deren Registrierung notwendig machen würde (vgl. auch OLG Frankfurt/Main a.a.O.).
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3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist indes unbegründet, soweit die Antragstellerinnen auch die Sicherstellung von Lizenzbelegen der Antragsgegnerin zu den Computerprogrammen und deren Feststellung durch die Sachverständige begehren (Anträge Nr. I. 2., II. 2., III. 1. c). Ein schutzwürdiges Interesse der Antragstellerinnen an der Feststellung, über welche Lizenzen die Antragsgegnerin verfügt, ist nicht ersichtlich. Der Bestand von Lizenzen ist in erster Linie für die Antragsgegnerin entscheidend, weil sie damit die rechtsmäßige Nutzung der von ihr geprüften Programme beweisen kann. Zwar haben auch die Antragstellerinnen möglicherweise ein Interesse, den Umfang der rechtmäßig genutzten Computerprogramme zu überprüfen, jedoch gibt es keinen Anlass, diese Überprüfung in Verfahren der einstweiligen Verfügung durchzuführen (vgl. KG, Urteil vom 11. August 2000 - 5 U 3069/00 -; Obst in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl., § 101 a, Rdnr. 14).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO und entspricht dem von der Klägerin angegebenen Interesse.
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Referenzen
- ZPO § 567 Sofortige Beschwerde; Anschlussbeschwerde 1x
- ZPO § 569 Frist und Form 1x
- §§ 935 ff ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- UrhG § 69a Gegenstand des Schutzes 1x
- UrhG § 101a Anspruch auf Vorlage und Besichtigung 4x
- ZPO § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen 1x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- Urteil vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) (6. Zivilkammer) - 6 O 37/14 1x
- X ZR 114/03 1x (nicht zugeordnet)
- I ZR 187/01 1x (nicht zugeordnet)
- I ZR 45/01 1x (nicht zugeordnet)
- 11 W 15/12 1x (nicht zugeordnet)
- 5 U 3069/00 1x (nicht zugeordnet)