Urteil vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 2 Ss 14/21
Tenor
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Kaiserslautern vom 6. November 2020 wird verworfen.
2. Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
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Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern hat mit Verfügung vom 27. März 2020 einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wegen des Vorwurfs eines Vergehens des sexuellen Missbrauchs von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen gem. § 174a Abs. 2 StGB gestellt. Das Amtsgericht ist dem Antrag nicht nachgekommen, sondern hat mit Verfügung vom 25. Mai 2020 gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Nach durchgeführter Hauptverhandlung hat es den Angeklagten am 6. November 2020 sodann aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der auf die Sachrüge gestützten Revision.
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Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
I.
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Dem Angeklagten, der als Sozialarbeiter im Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie in … beschäftigt war, lag zur Last, mit der Zeugin D., welche von Juli bis September 2019 als Patientin der Einrichtung im Rahmen einer sogenannten stationsäquivalenten therapeutischen Intervention u.a. von ihm betreut worden war, nach Ende des Therapieprogramms einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben.
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Das Amtsgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
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„Die seit dem Jahr 2016 wegen einer Depression und einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung psychotherapeutisch betreute Zeugin D. nahm im Zeitraum von Juli bis September 2019 an einem stationsäquivalenten Programm des … in … teil. Bei diesem Konzept hält sich der Patient hauptsächlich in seinem häuslichen Umfeld auf, wo er täglich von einer Person aus dem Behandlungsteam aufgesucht wird. Lediglich einmal pro Woche findet für jeweils einen halben Tag eine Visite in der Klinik statt. Im Fall der Zeugin D. war die Zeugin Dr. L. dabei die psychotherapeutische Hauptbehandelnde. Der Angeklagte war demgegenüber im gesamten Zeitraum lediglich dreimal in die Behandlung involviert und dabei ausschließlich sozialarbeiterisch tätig. Bei den in diesem Rahmen auf Augenhöhe geführten Gesprächen über Hobbies, politische Themen und Alltägliches kristallisierte sich für den Angeklagten und die Zeugin D. heraus, dass sie auf allen Längen miteinander harmonieren und Sympathie für den jeweils anderen empfinden. Eine Woche vor dem aufgrund des ausreichend stabilisierten Zustandes der Zeugin D. für den 29. September 2019 geplanten offiziellen Ende des stationsäquivalenten Programms begannen der Angeklagte, dessen sozialarbeiterischer Einsatz zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war, und die Zeugin D. – im Wissen um das baldige Therapieende – sich privat zu treffen. Während sie sich bei den ersten beiden Treffen darauf beschränkten, spazieren zu gehen, suchten sie bei ihrem dritten Treffen am 28. September 2019 im Anschluss an ihren Spaziergang die Wohnung des Angeklagten auf, da die Zeugin D. wissen wollte, wie jener lebt. Dort küsste die Zeugin D. den Angeklagten, der sich dabei zunächst unwohl fühlte, weil er es als seinerseits unprofessionell erachtete. Nachdem die sexuell selbstbestimmte, bereits erfahrene und diesbezüglich auch nicht in größerem Maße als ein psychisch gesunder Mensch gefährdete Zeugin D. dem Angeklagten jedoch mehrfach mitgeteilt hatte, dass es für sie in Ordnung sei und sie sich aufgrund der für den nächsten Tag geplanten Entlassung nicht mehr in dem Programm fühle, kam es zwischen den Beiden im weiteren Verlauf zum auf Gefühlen der Verliebtheit und Lust basierenden einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Die Zeugin D. und der Angeklagte sind bis heute ein Liebespaar und planen eine gemeinsame Zukunft.“
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Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, der Freispruch beruhe auf einer fehlerhaften Anwendung des materiellen Rechts, weil der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen - jedenfalls - das zwischen ihm und der ihm anvertrauten Zeugin D. bestehende Beratungsverhältnis zur Vornahme sexueller Handlungen missbraucht habe (§ 174c Abs. 1 StGB).
II.
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Das angefochtene Urteil hält der auf die Sachrüge veranlassten umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung stand.
1.
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Das Amtsgericht hat mit zutreffender Begründung eine Strafbarkeit nach § 174a Abs. 2 StGB und § 174c Abs. 2 StGB ausgeschlossen; dies stellt die Beschwerdeführerin auch nicht in Frage.
2.
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Ebenso ist die Wertung, dass der Angeklagte das sich aus seiner konkreten Tätigkeit als Sozialarbeiter ergebende Beratungsverhältnis zu der Zeugin D. nicht zur Vornahme der einvernehmlich vorgenommenen sexuellen Handlungen missbraucht hat, rechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Dahinstehen kann, ob die Zeugin D. im Zeitpunkt der sexuellen Handlungen dem Angeklagten (noch) zur Beratung anvertraut gewesen war (zum Sozialarbeiter: Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl., § 174c Rn. 11). Weil die Vorschrift sexuelle Übergriffe innerhalb eines Abhängigkeitsverhältnisses verhindern will, genügen lediglich kurzfristige oder einmalige Kontakte für ein Anvertrautsein regelmäßig nicht (Renzikowski in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 174c Rn. 24). Auch reichen sexuelle Kontakte, die erst nach der regulären Beendigung des Beratungs- bzw. Betreuungsverhältnisses stattfinden, schon nach dem Gesetzeswortlaut grundsätzlich nicht aus (Renzikowski aaO., Rn. 23; Hörnle aaO., Rn. 16 jew. m.w.N.). Dass die Zeugin dem Angeklagten am Tattag (noch) in diesem Sinne anvertraut gewesen war, kann hier daher bereits deshalb zweifelhaft sein, weil nach den - insoweit von der Beschwerdeführerin nicht erheblich angegriffenen - Feststellungen des Amtsgerichts der Sexualkontakt erst zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, an dem „dessen sozialarbeiterischer Einsatz (..) bereits beendet war“ (UA S. 2).
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b) Jedenfalls aber hat das Amtsgericht einen Missbrauch eines Beratungs- bzw. Betreuungsverhältnisses durch den Angeklagten mit tragfähiger Begründung ausgeschlossen.
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aa) Das Amtsgericht hat zutreffend erkannt, dass durch das Einverständnis der Zeugin allein ein missbräuchliches Verhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen wird (vgl. hierzu bereits BT-Drs. 13/1867, S. 7; BGH, Beschluss vom 14.04.2011 – 4 StR 699/10, juris Rn. 27 ff.). Die Frage, ob der Täter das sich aus einem Beratungsverhältnis ergebende Vertrauensverhältnis unter Verletzung der ihm dadurch aufgegebenen Pflichten bewusst zu sexuellen Kontakten mit der ihm anvertrauten Person ausgenutzt hat, ist vielmehr anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Tatumstände des Einzelfalls zu prüfen (BGH, Beschluss vom 25.02.1999 – 4 StR 23/99, juris Rn. 5 [zu § 174a Abs. 1 StGB]; Beschluss vom 14.04.2011 – 4 StR 699/10, juris Rn. 39; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 174c Rn. 10b). Dabei ist regelmäßig der konkreten Art und Intensität des zwischen Täter und Opfer bestehenden Verhältnisses ein entscheidendes Gewicht beizumessen (BGH, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 StR 24/16, juris Rn. 24). Je intensiver die Kontakte zwischen Täter und Opfer im Rahmen des Betreuungs- bzw. Beratungsverhältnisses sind, desto geringere Anforderungen sind an das Vorliegen eines Missbrauchs zu stellen. Je weniger der Täter hingegen im Rahmen dieses Verhältnisses mit dem Opfer befasst ist, desto höher sind die Anforderungen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.06.2009 – 3 Ss 113/08, BeckRS 2009, 20082). An einem missbräuchlichen Ausnutzen der beruflichen Stellung kann es daher insbesondere dann fehlen, wenn eine in ärztlicher Behandlung befindliche Patientin von sich aus das schon vorhandene Interesse eines mit ihr privat bekannten Arztes an ihrer Person ausnutzt, um sich im Rahmen einer lockeren freundschaftlichen Beziehung auf diesem Weg sonst nicht erhältliche Medikamente verschreiben zu lassen, dabei dem Arzt aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Persönlichkeit „auf Augenhöhe“ begegnet und der Entschluss, mit dem Arzt sexuell zu verkehren, nicht auf wesentliche (krankheitsbedingte) Willensmängel zurückzuführen ist (BGH, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 StR 24/16, juris Rn. 25). Entsprechendes gilt, wenn sich Täter und Klient vor dem Sexualkontakt zwar lediglich anlässlich des besonderen Verhältnisses kennengelernt haben, sich daraus aber eine hiervon unabhängige, nicht länger auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruhende Liebesbeziehung entwickelt hatte (jew. zu § 174a StGB: BGH, Beschluss vom 25.02.1999 – 4 StR 23/99, juris Rn. 5; OLG München, Beschlüsse vom 28.06.2010 – 5 St RR (I) 34/10, juris Rn. 14 und vom 19.12.2014 – 5 OLG 15 Ss 606/14, juris Rn. 8). Bei einem Angehörigen des von dem weiten Begriff des Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnis ebenfalls umfassten Hilfspersonals ist zu berücksichtigen, dass hier regelmäßig keine derart existentielle Abhängigkeit wie gegenüber der unmittelbar behandelnden Person besteht (Renzikowski a.a.O., Rn. 29).
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bb) Auf dieser Grundlage hat das Amtsgericht die hier maßgeblichen Umstände erschöpfend festgestellt und gewürdigt.
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So hat es neben der in selbstbestimmter Weise abgegebenen Einwilligung der Zeugin berücksichtigt, dass der einvernehmlich vorgenommene Geschlechtsverkehr in einem Zeitpunkt stattfand, zu dem der Angeklagte nicht mehr in die Beratung der Zeugin eingebunden gewesen und das auf seiner beruflichen Stellung fußende Vertrauensverhältnis bereits regulär beendet gewesen war. Es hat ferner in seine Betrachtung den Umstand eingestellt, dass der sexuelle Kontakt auf Gefühlen der Verliebtheit und Lust beruhte und keine Anhaltspunkte dafür festzustellen waren, dass der Angeklagte sich die am folgenden Tag formell beendete Behandlung der Zeugin verbal oder in sonstiger Weise zu Nutze gemacht hat.
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cc) Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision dringen nicht durch.
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Soweit die Beschwerdeführerin zum Beleg ihrer Auffassung, wonach bei der Behandlung seelischer Störungen jeglicher Sexualkontakt zwischen Behandelnden und Klienten als missbräuchliches Ausnutzen einer Vertrauensstellung zu werten sei, auf das Schrifttum verweist (Renzikowski aaO., § 174c Rn. 27) verkennt sie bereits, dass dies lediglich für Personen vertreten wird, die als Psychiater oder Psychotherapeut behandelnd tätig geworden sind (vgl. hierzu: OLG Düsseldorf,Urteil vom 12.10.1989 - 8 U 10/88, NJW 1990, 1543). Ein Abhängigkeits- bzw. Über-Unterordnungsverhältnis, wie es sich im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung zwischen Behandler und Patient regelmäßig einstellt und ein missbräuchliches Verhalten des Täters indiziert (vgl. § 174c Abs. 2 StGB; zur Differenzierung zwischen Behandlungs- und Beratungsverhältnissen s.a. Fischer aaO. Rn. 10b), hat das Amtsgericht vorliegend ohne Rechtsfehler ausgeschlossen. Entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung hat das Amtsgericht daneben durchaus beachtet, dass sich der Angeklagte und die Zeugin erst im Rahmen von deren Teilnahme an dem stationsäquivalenten Programm im Jahr 2019 kennengelernt hatten und dass es vor dem 28. September 2019 lediglich drei hierdurch veranlasste und zwei weitere private Treffen gegeben hatte. Es liegt jedoch auf der Hand und bedurfte deshalb keiner weitergehenden Erörterung durch das Amtsgericht, dass dies der Feststellung eines Liebesverhältnisses „auf Augenhöhe“ nicht entgegensteht.
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dd) Die im Rahmen der Prüfung eines missbräuchlichen Verhaltens des Angeklagten herangezogenen Feststellungen sind auch nicht lückenhaft.
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Nach den getroffenen Feststellungen war der sozialarbeiterische Kontakt bereits beendet, als sich eine Woche vor dem für den 29. September 2019 geplanten Ende des Programms der Angeklagte und die Zeugin privat zu treffen begannen. Zwischen dem letzten im Rahmen des Programms erfolgten Treffen und dem Tattag lag damit mindestens eine Woche. Die im beruflichen Kontext des Angeklagten erfolgten Treffen hatten alltägliche Dinge zum Gegenstand. Weitergehende Feststellungen zu Dauer der drei Termine und deren zeitlichen Abständen waren aus Rechtsgründen nicht erforderlich. Gleiches gilt für nähere Ausführungen zu dem Krankheitsbild der Zeugin. Das Amtsgericht hat gestützt auf die Ausführungen der die Zeugin behandelnden Ärztin festgestellt, dass die Zeugin, deren psychotherapeutische Behandlung im Zeitpunkt der sexuellen Handlungen bereits unmittelbar vor dem Abschluss stand, sexuell selbstbestimmt und nicht in größerem Maße als ein psychisch gesunder Mensch durch ihre Erkrankung gefährdet war. Weitergehende, für den Tatvorwurf relevante Erkenntnisse waren aus einer näheren Aufklärung des Krankheitsbildes der Zeugin nicht zu erwarten. Im Hinblick auf die Aussage der Ärztin war auch das Alter der Zeugin nicht ausdrücklich zu berücksichtigen. Anhaltspunkte, dass der Angeklagte im Rahmen der privat vorgenommenen Spaziergänge das früher bestehende Beratungsverhältnis oder eine besondere Vulnerabilität der Zeugin zu einer missbräuchlichen Einflussnahme ausgenutzt haben könnte, sind den schriftlichen Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Eine nähere Darstellung der jeweiligen Gesprächsinhalte war deshalb rechtlich nicht geboten.
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Dafür, dass die Vorstellung des Angeklagten von dem psychischen Zustand der Zeugin oder seine Vorstellung von ihrem Verhältnis zueinander von den tatsächlichen Gegebenheiten abgewichen wären, gibt es keine Anhaltspunkte.
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Die Kostenentscheidung folgt § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.
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Referenzen
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- 4 StR 23/99 2x (nicht zugeordnet)
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