Urteil vom Sozialgericht Detmold - S 22 R 564/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 43.497,76 Euro festgesetzt.
1
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.03.2013 aufgrund einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) streitig.
3Die Klägerin, seit 00.00.2014 Rechtsnachfolgerin der A GmbH, ist ein Unternehmen mit dem Geschäftsgegenstand der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung und im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Die Klägerin wandte bei der Arbeitsentgeltberechnung für die beschäftigten Leiharbeitnehmer zunächst das zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit (CGZP) vereinbarte Tarifwerk an. Am 15.03.2010 wurde das Tarifwerk dahingehend modifiziert, dass auf Gewerkschaftsseite nicht nur die CGZP, sondern zusätzlich fünf Einzelgewerkschaften genannt wurden.
4In der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 30.06.2011 verwendete die Klägerin in ihren Arbeitsverträgen die folgende Bezugnahmeklausel:
5"Auf das Arbeitsverhältnis finden die zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP) einerseits und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP), der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV), dem Beschäftigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung (BIGD), dem Arbeitnehmerverband land- und ernährungswirtschaftlicher Berufe (ALEB), medsonet Die Gesundheitsgewerkschaft (medsonet) andererseits abgeschlossenen Tarifverträge, derzeit bestehend aus Manteltarifvertrag, Manteltarifvertrag für die Auszubildenden, Entgeltrahmentarifvertrag, Entgelttarifverträge West und Ost sowie Beschäftigungssicherungstarifvertrag, in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung."
6In der Zeit vom 01.07.2011 bis zum 31.03.2013 verwendete die Klägerin in ihren Arbeitsverträgen die folgende Bezugnahmeklausel:
7"Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag des BAP (Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V.) bestehend aus Manteltarifvertrag, Manteltarifvertrag für die Auszubildenden, Entgeltrahmentarifvertrag, Entgelttarifverträge West und Ost sowie Beschäftigungssicherungstarifverträge, in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Seit dem 15.04.2011 ist der BAP (Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister) der gültige Zusammenschluss des AMP (Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V.) und des BZA (Bundesverband Zeitarbeit Personal Dienstleistungen e.V.)."
8Am 01.09.2014 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung bei der Klägerin durch. Nach Anhörung der Klägerin mit Schriftstück vom 19.11.2014 forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 04.12.2014 für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2013 Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von insgesamt 43.497,76 Euro nach. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Gesetzgeber habe seit dem 01.01.2004 für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung den Grundsatz "equal pay" (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) und das Gebot "equal treatment" (gleiche Arbeitsbedingungen) im Gesetz (§ 10 Abs. 4 AÜG) verankert. Das AÜG sehe jedoch einen Ausnahmefall für das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot vor. Existiere ein Tarifvertrag, der die Entlohnung der Leiharbeitnehmer regle, könne gemäß § 9 Nr. 2 AÜG vom Gleichbehandlungsgrundsatz auch zum Nachteil des Leiharbeitnehmers abgewichen werden. Dies gelte nicht nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer tarifgebunden seien, sondern auch, wenn in Arbeitsverträgen die Geltung von Tarifverträgen vereinbart werde. Bei den von der Klägerin verwendeten vorformulierten Vertragsbedingungen handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Bestimmungen in AGB seien unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. Eine unangemessene Benachteiligung und damit eine Unwirksamkeit der Vertragsbedingung könne sich nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auch aus der Unklarheit und Unverständlichkeit einer Bestimmung in AGB ergeben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe mit Urteilen vom 13.03.2013 (Az. 5 AZR 954/11 und 5 AZR 242/12) festgestellt, dass die Verweisung in Arbeitsverträgen auf den mehrgliedrigen Tarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP), der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und den genannten Gewerkschaften vom 15.03.2010 intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam sei, wenn sich nicht ersehen lasse, welches der tariflichen Regelwerke bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang haben solle. Hiernach verstoße die von der Klägerin in der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.03.2013 verwendete Klausel gegen das Transparenzgebot, da sie keine Kollisionsregel enthalte. Unerheblich sei, dass bei Vereinbarung der Klausel die tariflichen Regelwerke noch inhaltsgleich gewesen seien. Aufgrund der Unwirksamkeit der Bezugnahmeklauseln komme kein Tarifvertrag im Sinne des § 9 Nr. 2 AÜG zur Anwendung. Damit gelte § 10 Abs. 4 AÜG, wonach die Leiharbeitnehmer der Klägerin Anspruch auf ein Arbeitsentgelt hätten, das im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Im Beitragsrecht der Sozialversicherung gelte gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Entstehungsprinzip. Bemessungsgrundlage für den Beitragsanspruch sei nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht das vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte, sondern das von ihm geschuldete Arbeitsentgelt. Die Geltendmachung oder Durchsetzbarkeit des arbeitsrechtlichen Vergütungsanspruchs durch den Arbeitnehmer sei unerheblich. Beitragsbemessungsgrundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge sei damit der Arbeitsentgeltanspruch eines vergleichbaren Stammarbeiters in dem Entleihbetrieb nach § 10 Abs. 4 AÜG. Es seien daher Beiträge zur Sozialversicherung auf Grundlage der Differenz zwischen dem gemeldeten und der Beitragsberechnung zugrunde gelegten Arbeitsentgelt und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers in dem jeweiligen Entleihbetrieb und Überlassungszeitraum für jeden Leiharbeitnehmer individuell nachzuerheben. Für die meisten Mitarbeiter seien individuelle equal-pay-Löhne von der Klägerin in Zusammenarbeit mit den Entleihern ermittelt worden; diese könnten akzeptiert werden.
9Gegen den ihr am 08.12.2014 zugestellten Bescheid erhob die Klägerin am 07.01.2015 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, es liege kein Verstoß gegen das equal-pay-Gebot vor. Die Urteile des BAG vom 13.03.2013 könnten allenfalls etwaige Forderungen für die Zukunft begründen. Für die Vergangenheit inklusive eines angemessenen Übergangszeitraums von mindestens einem Monat nach Bekanntgabe der Urteile des BAG könne sie sich auf Vertrauensschutz berufen. Die Entscheidungen des BAG seien für sie nicht vorhersehbar und damit überraschend gewesen. Das BAG sei bislang in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die abstrakte Möglichkeit einer unangemessenen Benachteiligung in der Zukunft für eine Intransparenz von Vertragsbedingungen nicht ausreiche, sondern dass zu gegebener Zeit der Einzelfall zu prüfen sei. Vorliegend bestehe die Gefahr einer Intransparenz nicht. Die verwendeten Klauseln seien auslegungsfähig und somit hinreichend bestimmt. Eine solche Bestimmbarkeit habe das BAG bislang immer ausreichen lassen. Sie verweise auf das Urteil des BAG vom 16.02.2010 (Az. 3 AZR 181/08). Der 5. Senat des BAG habe sich mit den Entscheidungen vom 13.03.2013 in Widerspruch hierzu gesetzt und völlig neue Anforderungen an Bezugnahmeklauseln auf mehrgliedrige Tarifverträge statuiert. Er lasse zudem den Vorrang der Auslegung der Klausel außer Acht. Damit statuiere der 5. Senat des BAG in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise eine "echte" Rückwirkung. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in Entscheidungen vom 18.11.1980 (Az. 12 RK 59/79) und vom 27.09.1983 (Az. 12 RK 10/82) die Auffassung vertreten, dass für eine Änderung der Rechtsprechung, die für die Betroffenen wie eine Gesetzesänderung wirke, auch die gleichen Regeln zu gelten hätten. Eine rückwirkende Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderung stelle für alle Arbeitgeber einen nachhaltigen Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.
10Mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen aus, es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen das Vertrauen in die Wirksamkeit der Bezugnahmeklauseln bezüglich der Frage der Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen schützenswert sein solle. Der Abschluss der mehrgliedrigen Tarifverträge infolge des CGZP-Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 vermöge ein solches Vertrauen nicht zu begründen. Weiter liege in den Urteilen des BAG vom 13.03.2013 weder eine Änderung der Rechtsprechung vor noch könne hierin eine Rechtsänderung gesehen werden. Das BAG nehme auf die bisherige Rechtsprechung – Urteil vom 14.11.2012, Az. 5 AZR 107/11 – Bezug, greife diese auf und führe weiter aus, ohne Kollisionsregelung lasse sich zu keinem Zeitpunkt bestimmen, welche tarifliche Regelung Vorrang haben solle.
11Zur Begründung ihrer hiergegen am 16.06.2015 erhobenen Klage wiederholt und vertieft die Klägerin im Wesentlichen ihre bisherigen Ausführungen.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid der Beklagten vom 04.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2015 aufzuheben.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie bezieht sich auf die Begründung im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
17Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist unbegründet.
20Der Bescheid der Beklagten vom 04.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte fordert zu Recht Beiträge zur Sozialversicherung und Umlagen nach.
21Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Bescheides ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Nach § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV erfolgt mindestens alle vier Jahre – bei Vorliegen besonderer Gründe auch außerhalb dieses Turnus – eine Prüfung, ob die Arbeitgeber ihre Pflichten, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Bei kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in den Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung insbesondere das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V], § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI], § 162 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI] und § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]). Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung werden durch Umlagen, die jeweils in einem Prozentsatz des Entgelts (Umlagesatz) festzusetzen sind, von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht (§ 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AAG). Die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes werden durch eine monatliche Umlage, die nach einem Prozentsatz des Arbeitsentgelts (Umlagesatz) zu erheben ist, von den Arbeitgebern aufgebracht (§ 358 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB III). Arbeitsentgelt sind nach § 14 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
22Zu Recht hat die Beklagte den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei der Klägerin im streitigen Zeitraum beschäftigten Leiharbeitnehmer jeweils nach dem Arbeitsentgelt bemessen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde bzw. gezahlt worden wäre.
23Nach der Regelung des § 10 Abs. 4 AÜG in der bis zum 29.04.2011 geltenden Fassung des Art. 6 Nr. 5 Buchst. b) des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4607) kann der Leiharbeitnehmer im Falle der Unwirksamkeit der Vereinbarung mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 2 AÜG von diesem die Gewährung der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen. Entsprechendes gilt nach § 10 Abs. 4 Satz 4 AÜG in der ab 30.04.2011 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 8 Buchst. b) des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerentlassungsgesetzes vom 28.04.2011 (BGBl. I S. 642). § 9 Abs. 2 AÜG in der jeweils geltenden Fassung sieht die Möglichkeit vor, vom Gleichbehandlungsgrundsatz zum Nachteil des Leiharbeitnehmers u.U. durch Tarifvertrag abzuweichen; im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.
24Im streitigen Zeitraum lag eine wirksame, vom Grundsatz des "equal pay" zulasten der Leiharbeitnehmer abweichende Vereinbarung im Sinne von § 9 Nr. 2 AÜG nicht vor. Das BAG hat mit Urteilen vom 13.03.2013 (Az. 5 AZR 954/11 und 5 AZR 242/12) festgestellt, dass die Verweisung in Arbeitsverträgen auf den mehrgliedrigen Tarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP), der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und den weiteren genannten Gewerkschaften vom 15.03.2010 intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam ist, wenn sich nicht ersehen lässt, welches der tariflichen Regelwerke bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang haben soll. Hiernach verstoßen die von der Klägerin im streitigen Zeitraum verwendeten Klauseln gegen das Transparenzgebot, da sie keine Kollisionsregel enthalten.
25Die Klägerin war daher für den genannten Zeitraum verpflichtet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die betroffenen Leiharbeitnehmer jeweils nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde bzw. worden wäre.
26Die Beitragsansprüche sind unabhängig davon entstanden, ob die nach dem equal-pay- Prinzip geschuldeten Arbeitsentgelte den Arbeitnehmern tatsächlich zugeflossen sind. Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später gezahlt hat. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht nicht dem Zufluss-, sondern dem sog. Entstehungsprinzip (BSG, Urteil vom 03.06.2009, Az. B 12 R 12/07 R). Der Anspruch entsteht unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt verlangt hat oder es rechtlich noch verlangen könnte (BSG, Urteil vom 14.07.2004, Az. B 12 KR 7/04 R).
27Der Beitragsnachforderung der Beklagten stehen keine Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen. Ein Vertrauensschutz aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) lässt sich insbesondere nicht aus einem Vertrauen in eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Bezugnahmeklauseln herleiten. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben, verstößt nicht als solches gegen Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Die über den Einzelfall hinausreichende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Es bedarf nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG von seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann. Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 15.01.2009, Az. 2 BvR 2044/07) und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991, Az. 1 BvR 779/85; Nichtannahmebeschluss vom 04.08.2004, Az. 1 BvR 1557/01; Beschluss vom 06.05.2008, Az. 2 BvR 1926/07). Das BAG hat seine Entscheidungen vom 13.03.2013 stichhaltig begründet und sie insbesondere aus der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls des zuständigen 5. Senats hergeleitet bzw. fortentwickelt. Sachfremde Erwägungen, die einen Willkürvorwurf begründen könnten, sind nicht zu erkennen.
28Die Höhe der bestehenden streitigen Beitragsforderung ist von der Klägerin nicht beanstandet worden. Rechts- und Berechnungsfehler sind nicht ersichtlich.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
30Der Streitwert richtet sich nach der streitigen Beitragsforderung.
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