Beschluss vom Sozialgericht Duisburg - S 48 SO 588/17 ER
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Gründe: I.
2Die Beteiligten streiten in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme von Mietkosten anlässlich einer Haftverbüßung des Antragstellers auf Grundlage der §§ 67 ff. des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII).
3Der im Jahre 1970 geborene Antragsteller hat seit November 2009 eine ca. 76 m² große Wohnung im Stadtgebiet der Antragsgegnerin angemietet, für die er monatlich einen Mietzins i.H.v. 430 EUR, einen Nebenkostenvorschuss i.H.v. 130 EUR sowie eine Garagenmiete i.H.v. 40 EUR schuldet. Seit Februar 2015 lebt er von seiner 1979 geborenen Ehegattin und dem gemeinsamen, im Jahre 2010 geborenen Sohn getrennt. Mit Urteil vom 12.01.2016 wurde der Antragsteller durch das Amtsgericht Moers wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten ohne Bewährung verurteilt (Az: 414 Js 170/15). Zum 10.10.2016 nahm der Antragsteller eine Tätigkeit als angestellter Taxifahrer auf. Zuvor bezog er Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
4Nachdem ein Antrag auf Umwandlung der Freiheitsstrafe in eine Bewährungsstrafe bei der Gnadenstelle des Landgerichts Kleve sowie ein Antrag auf Vollstreckungsaufschub bei der Staatsanwaltschaft Kleve ohne Erfolg geblieben waren und der Haftantritt für den 01.12.2017 anberaumt worden war, sprach der Antragsteller am 24.11.2017 bei der Antragsgegnerin im Hinblick auf eine Übernahme der Kosten zum Erhalt seiner Wohnung für die Dauer der Haft vor. Dabei gab er an, dass er beabsichtige, bis zum Haftantritt zu arbeiten, so dass er im Dezember 2017 seine Miete noch bezahlen könne. Ab Januar 2018 beantrage er die Übernahme der Wohnungskosten. Die Verlegung in den offenen Vollzug wegen einer Weiterführung der Erwerbstätigkeit sei beantragt. Eine Entscheidung sei in den nächsten zwei Monaten zu erwarten. Dann könne er die Miete wieder selbst zahlen.
5Seit dem 01.12.2017 verbüßt der Antragsteller die Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Geldern.
6Die Antragsgegnerin leitete den Antrag auf Übernahme der Wohnungskosten während der Haft an den Caritasverband Moers–Xanten e.V. weiter, der dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 04.12.2017 mitteilte, dass die beantragte Hilfe abgelehnt werde, da die vorgesehene Haftzeit nicht dem Zeitrahmen entspreche, der auf max. 12 Monate festgesetzt sei. Im Übrigen wurde vonseiten des Vereins auf ein Informationsblatt "Wohnungssicherung für inhaftierte Personen" Bezug genommen. Ausweislich dieses Informationsschreibens sei der Caritasverband Moers–Xanten e.V. für die Bearbeitung von Angelegenheiten der Wohnungssicherung für inhaftierte Personen zuständig. Der Kreis Wesel habe in seinen Weisungen zur Erbringung von Hilfe nach dem SGB XII festgelegt, dass für alleinlebende oder alleinerziehende Personen mit minderjährigen Kindern mit Wohnort im Kreis Wesel während einer Inhaftierung von max. 12 Monaten die Kosten einer angemessenen Wohnung weitergezahlt würden, um eine Obdachlosigkeit nach der Haft zu vermeiden. Dabei sei unter anderem zu beachten, dass die Haftdauer max. 12 Monate betragen dürfe.
7Hierauf beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 06.12.2017 eine Entscheidung der Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 12.12.2013, B 8 SO 24/12 R, Rn. 19), wonach nicht allein auf die Dauer der Haftstrafe abgestellt werden dürfe. Mit Bescheid vom 13.12.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Übernahme der Unterkunftskosten für die Dauer der Haft ab. Zur Begründung führte sie an, dass mit der Übernahme der Kosten der Wohnung während der Haft sichergestellt werden solle, dass Leistungsberechtigte, die nur für einen überschaubaren Zeitraum inhaftiert seien, nicht ihre Wohnung verlören. Als überschaubarer Zeitraum sei eine Haftzeit von max. 12 Monaten festgesetzt. Die Haftzeit des Antragstellers von 20 Monaten liege nicht mehr in dem vorgegebenen Zeitrahmen.
8Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller, vertreten durch seinen Verfahrensbevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 15.12.2017 Widerspruch ein. Dabei verwies er erneut auf die Entscheidung des BSG vom 12.12.2013. Ferner verwies er auf § 57 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB), wonach eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe bei einer Erstverbüßung schon nach sechs Monaten ausgesetzt werden könne. Der Antragsteller werde alle Möglichkeiten ergreifen, um den Rest der Freiheitsstrafe entweder im Rahmen der Bewährung oder im Rahmen der Strafaussetzung außerhalb der Justizvollzugsanstalt verbüßen zu müssen. Insofern sei es höchst unwahrscheinlich, dass er die noch zu verbüßenden 17 Monate inhaftiert sein werde. Im Falle des § 57 Abs. 1 StGB käme man bei einer zwei Drittel Haftverbüßung auf 13,3 Monate, von denen der Antragsteller bereits einen Monat verbüßt habe, weshalb er nur knapp über der Zwölf-Monatsgrenze liege. Der Antragsteller wäre nach der Haftentlassung obdachlos, weil der Vermieter im Falle des Ausbleibens von zwei Monatsmieten von der fristlosen Kündigung Gebrauch machen und nach Erwirkung eines Räumungsurteils die Wohnung räumen werde. Die bisherige Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, wonach der Eilrechtsschutz erst greife, wenn eine Obdachlosigkeit drohe, sei durch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 01.08.2017 (Az. 1 BvR 1910/12) aufgehoben worden. Der Antragsteller verfüge auch über keine finanziellen Reserven, da er bis zur Festanstellung bei dem Taxiunternehmen Leistungen nach dem SGB II bezogen habe.
9Die Antragsgegnerin half dem Widerspruch nicht ab und leitete ihn mit Nichtabhilfeverfügung vom 21.12.2017 an den Kreis Wesel weiter. Der Kreis Wesel hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 03.01.2018 zu einer beabsichtigten Zurückweisung des Widerspruchs an. Dabei wurde angeführt, dass eine ausreichend sichere Prognose im Hinblick auf eine etwaige kurze Haftdauer nicht getroffen werden könne. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Wohnung des Antragstellers aus sozialhilferechtlicher Sicht aufgrund der Größe und der Höhe des zu entrichtenden Mietzinses nicht erhaltenswert sei.
10Der Antragsteller hat am 15.12.2017 einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er führt an, dass er aufgrund des Umstandes, dass er einen festen Arbeitsplatz habe, davon ausgehe, dass er nach einer kurzen Bewährungsphase in den offenen Vollzug wechseln könne. Insoweit sei davon auszugehen, dass er max. sechs Monate inhaftiert bleibe. Eine Eilbedürftigkeit sei gegeben, damit zumindest bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides gewährleistet sei, dass keine fristlose Kündigung des Mietvertrages durch den Vermieter erfolge. Die Miete für den Monat Dezember 2017 habe er noch bezahlen können. Bislang sei lediglich die Miete für den Monat Januar 2018 offen.
11Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Mietkosten für die Wohnung M.-platz 2a, 47xxx Rh. i.H.v. 600 EUR monatlich zu zahlen, längstens für sechs Monate.
12Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
13Zur Begründung nimmt sie auf ihre Nichtabhilfeverfügung vom 21.12.2017 sowie auf das Anhörungsschreiben des Kreises Wesel vom 03.01.2018 Bezug.
14Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der den Antragsteller betreffenden Leistungsakte der Antragsgegnerin, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
15Gründe: II.
16Der zulässige Antrag ist unbegründet.
171. Gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt dabei neben dem Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. eines materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung, auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes voraus. Ein solcher Anordnungsgrund besteht, wenn die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, vgl. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, S. 927).
18Nach der demzufolge im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
192. Der Antragsteller hat zunächst einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Glaubhaftmachung bedeutet dabei das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens des Anordnungsanspruchs (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 07.08.2013, L 9 SO 307/13 B ER, Rn. 3). Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ist dargetan, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass der Anspruch besteht, wobei es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 07.04.2011, B 9 VG 15/10 B, Rn. 6, m. w. N.). Grundsätzlich muss das Gericht gem. § 103 SGG diejenigen Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen durchführen, die aus seiner Sicht zur Überzeugungsbildung und zur Aufklärung des Sachverhaltes notwendig sind, wobei insbesondere dann, wenn der Antragsteller bei der Aufklärung des Sachverhaltes nicht ausreichend mitwirkt, auch eine Entscheidung aufgrund objektiver Indizien oder der Beweislastverteilung nicht ausgeschlossen ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 07.08.2013, a. a. O., m. w. N.).
20Unter Zugrundelegung diese Maßgaben erscheint es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten hat, der aus § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. den §§ 67 ff. SGB XII folgen könnte. Die entsprechenden Regelungen des Achten Kapitels des SGB XII sind für den 1970 geborenen Antragsteller grundsätzlich anwendbar (vgl. nur Stachnow-Meyerhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. (2015), § 5 SGB II, Rn. 82), und zwar bereits unabhängig von dem Umstand, dass er im Hinblick auf Existenzsicherungsleistungen aufgrund seines Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung von Leistungen nach dem SGB II gem. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II ausgeschlossen ist.
21a) Die Antragsgegnerin ist für die beantragte Hilfe sachlich und örtlich zuständig. Der Kreis Wesel hat als örtlicher Träger der Sozialhilfe (vgl. § 97 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Ausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen (AG SGB XII NRW)) die Durchführung der im Rahmen des SGB XII obliegenden Aufgaben gem. § 1 Abs. 1 der Satzung über die Mitwirkung der Städte und Gemeinden bei der Erfüllung der Aufgaben des Kreises Wesel als örtlicher Träger der Sozialhilfe vom 10.03.2005 in der Fassung der Änderungssatzung vom 30.03.2009 an die kreisangehörigen Kommunen übertragen. Die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin folgt aus § 98 Abs. 4 SGB XII, wonach für Hilfen an Personen, die sich in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten oder aufgehalten haben, die Absätze 1 und 2 des § 98 SGB XII sowie die §§ 106 und 109 SGB XII entsprechend gelten. Durch den Verweis auf § 98 Abs. 2 SGB XII wird der Träger für örtlich zuständig erklärt, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. Söhngen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. (2014), § 98 SGB XII, Rn. 47). Vor seinem Haftantritt in der Justizvollzugsanstalt Geldern hatte der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet der Antragsgegnerin.
22b) Gem. § 19 Abs. 3 SGB XII werden Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach dem Achten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Die Vorschrift räumt den Hilfesuchenden einen durchsetzbaren Rechtsanspruch im Sinne des § 17 Abs. 1 SGB XII gegen den zuständigen Sozialhilfeträger auf die Hilfeleistung ein, jedoch steht die konkrete Hilfe gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ihrer Art und ihrem Umfang nach im Ermessen des Sozialhilfeträgers (vgl. Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. (2014), § 67 SGB XII, Rn. 13). § 4 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten vom 24.01.2001 (BGBl. I S. 179), geändert durch Artikel 14 des Gesetzes vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), bestimmt weiter, dass Maßnahmen zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung vor allem die erforderliche Beratung und persönliche Unterstützung sind.
23aa) Die Antragsgegnerin sowie der Kreis Wesel konnten die Entscheidung über die Übernahme der Wohnungskosten für die Dauer der Haft nicht dem Caritasverband Moers–Xanten e.V. überlassen. Indem der Verein zunächst die Entscheidung über den Antrag übernahm, fungierte er als sog. Verwaltungshelfer. Der Verwaltungshelfer unterstützt die Verwaltungsbehörde bei der Durchführung bestimmter Verwaltungsaufgaben, wird aber im Unterschied zum Beliehenen nicht selbstständig tätig, sondern nimmt Hilfstätigkeiten im Auftrag und nach Weisung der Behörde wahr (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl., § 23, Rn. 60). Ein Verein kann als Verwaltungshelfer nur in vorbereitender und unterstützender Funktion herangezogen werden, aber nicht selbstständig Verwaltungsakte im Namen des Auftraggebers erlassen. Dementsprechend wäre die Inanspruchnahme von Verwaltungshelfern bei der Entscheidung über Mietkostenübernahmen von Inhaftierten allenfalls in der Weise zulässig, dass die Antragsgegnerin sich in der technischen Abwicklung der Dienste des Vereins bedient, die Entscheidung über den Erlass des Verwaltungsaktes ist jedoch jeweils von ihr zu treffen (vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl., (2014) § 1 VwVfG, Rn. 251 ff.). Für den Erlass und die Bekanntgabe von Verwaltungsakten genügt dabei nicht die Weisung, in einer unbestimmten Zahl von Fällen das maßgebliche Recht umzusetzen und anzuwenden. Vielmehr kann eine hoheitliche Maßnahme grundsätzlich nur auf Grund der Einzelfallentscheidung eines die Behörde repräsentierenden Amtsträgers wirksam werden (vgl. Schliesky, in: Knack/Henneke, 10. Aufl. (2014), § 1 VwVfG, Rn. 100, m.w.N.). Allerdings hat die Antragsgegnerin am 13.12.2017 einen ablehnenden Bescheid erlassen, womit sich das Schreiben des Caritasverbandes Moers–Xanten e.V. vom 04.12.2017 im Ergebnis als unbeachtlich erweist.
24bb) Bei der Ausübung des Auswahlermessens im Rahmen des § 67 SGB XII kann es anerkanntermaßen sinnvoll sein, für in Haft befindliche Personen mit sozialen Schwierigkeiten den Erhalt einer vor Haftantritt vorhandenen Unterkunft zu sichern, weil für einen Haftentlassenen der Verlust der Wohnung ähnlich wie der Verlust des Arbeitsplatzes deutlich schwerer zu kompensieren ist als für andere Bürger (Scheider, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, 19. Aufl. (2015), § 4 VO zu § 69 SGB XII, Rn. 4). Grundsätzlich kann dabei die Übernahme von Kosten der Unterkunft bei einer bevorstehenden, konkret abzusehenden Entlassung in Betracht kommen. Allerdings kann allein aus der Tatsache, dass jemand aus der Haft entlassen wird, nicht das Vorliegen sozialer Schwierigkeiten geschlossen werden. Ein Anspruch wird daher in der Regel ausscheiden, wenn der Leistungsberechtigte nach seiner Entlassung aller Voraussicht nach wieder voll in das Erwerbsleben integriert sein wird (Luthe, in: Hauck/Noftz, 37. Erg.-Lfg. (2014), § 67 SGB XII, Rn. 36). Bei der Weiterfinanzierung einer Wohnung während der Haft ist maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Dabei kommt es im Wesentlichen darauf an, ob es wirtschaftlich sinnvoll und vertretbar ist, die Wohnung während der Dauer der Unterbringung beizubehalten (Luthe, a.a.O.). Voraussetzung der Übernahme der Mietzahlungen von Inhaftierten ist regelmäßig eine im Hinblick auf Größe und Entgelt sozialhilferechtliche Angemessenheit der Wohnung (Luthe, a.a.O., Rn. 59). Nach der Rechtsprechung des BSG, der das Gericht nach eigener Prüfung folgt, besteht "die von § 67 SGB XII erfasste Bedarfslage (soziale Schwierigkeiten bei Entlassung) nicht schon im Zeitpunkt der beantragten Leistung, sondern erst zukünftig; vorbeugende Sozialhilfeleistungen zum Erhalt der Wohnung für die Zeit nach der Haftentlassung können aber ggf. nach § 15 SGB XII beansprucht werden. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift, die nicht zu Leistungen eigener Art berechtigt, sondern rechtlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Hilfeart steht, soll die Sozialhilfe vorbeugend gewährt werden, wenn prognostisch dadurch eine dem Einzelnen drohende Notlage ganz oder teilweise abgewendet werden kann (vgl. BVerwGE 87, 31, 36; BVerwG Buchholz 436.0 § 72 BSHG Nr 2). Auch im Rahmen des § 67 SGB XII ist der Träger der Sozialhilfe ermächtigt und verpflichtet zu prüfen, ob der Zweck dieser Art von Sozialhilfe (Vermeidung von Wohnungslosigkeit bei Haftentlassung) nicht dadurch besser erreicht werden kann, dass die danach in Betracht kommenden Leistungen bereits vor Eintritt der Notlage gewährt werden." (BSG, Urteil vom 12.12.2013, B 8 SO 24/12 R, Rn. 18). Hieraus folgt, dass die Antragsgegnerin eine Prognose darüber anzustellen hat, ob die Mietaufwendungen nicht vorbeugend i.S.d. § 15 SGX XII i.V.m. § 67 SGB XII zu übernehmen sind. Bei der Prognoseentscheidung wird sich ein starres Abstellen auf die Haftdauer etwa dergestalt, dass ein Anspruch auf Übernahme von Mietkosten bei einer Haftdauer von über einem Jahr ausscheide, nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig als ermessensfehlerhaft erweisen, da eine solche abstrakte Beurteilung für alle Fälle einen Anknüpfungspunkt weder im Gesetz noch in der Verordnung findet. Vielmehr gilt, dass je näher die Haftentlassung bevorsteht, desto konkreter sich die Notwendigkeit von Geldleistungen anstelle sonstiger Hilfen ergeben kann. Umgekehrt kann eine ausreichend sichere Prognose dann nicht erstellt werden, wenn die Umstände nach Haftentlassung schon wegen der noch bevorstehenden Haftdauer noch nicht eingeschätzt werden können (BSG, Urteil vom 12.12.2013, a.a.O., Rn. 19; vgl. zu dieser Rechtsprechung Müller, in: Jung, Stand: Nov. 2017, § 67 SGB XII, Rn. 12).
25cc) Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben ergibt sich im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kein Anspruch auf Übernahme der Mietkosten in dem beantragten Umfang. Denn sofern wie vorliegend mit Blick auf das Auswahlermessen ein Ermessenspielraum der Verwaltung besteht, gewährt das Gesetz dem Bürger grundsätzlich nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und der gerichtliche Rechtsschutz ist beschränkt auf die Rechtskontrolle. Der der Verwaltung vorbehaltene Ermessensspielraum ist als Ausdruck des Gewaltenteilungsprinzips verfassungsrechtlich abgesichert. Das Gericht darf seine eigenen Ermessenserwägungen nicht an die Stelle derer der Verwaltung setzen. Es kann die Verwaltung zu einem bestimmten Verhalten nur bei einer Ermessensreduktion auf Null verpflichten. Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ermessensreduktion auf Null sind umso niedriger, je größer die Gefahr des Rechtsverlusts durch Zeitablauf oder je schwerer die drohenden Folgen sind (Binder, in: Lüdtke, 5. Aufl. (2017), § 86b SGG, Rn. 48 f.). Können die für die Beurteilung einer Ermessensreduzierung maßgeblichen Tatsachen nicht geklärt werden, ist eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen (Frehse, in: Jansen, 4. Aufl. (2012), § 86b SGG, Rn. 107).
26Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen kann von einer Ermessensreduktion auf Null nicht ausgegangen werden. Zwar spricht für einen Anspruch der Umstand, dass der Antragsteller von seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Sohn getrennt lebt, d. h., dass er nach der Entlassung aus der Haft nicht in eine gemeinsame Wohnung zurückkehren kann. Andererseits hat die Staatsanwaltschaft Kleve auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 26.01.2018 mitgeteilt, dass dort nicht abgesehen werden könne, ob eine vorzeitige Entlassung zum ein Halb oder zwei Drittel Zeitpunkt erfolge. Zu berücksichtigen ist ferner der Umstand, dass sich die Kosten der ca. 76 m² großen Wohnung als nicht angemessen im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erweisen sowie letztlich die Erklärung des Antragstellers, dass er unmittelbar nach der Haftentlassung seine Erwerbstätigkeit fortsetzen wolle. Diese Aspekte lassen eine Beurteilung, wonach jede andere Entscheidung als die begehrte Übernahme der Wohnungskosten fehlerhaft wäre, nicht zu.
273. Der Antragsteller hat darüber hinaus einen Anordnungsgrund, der gerade mit Blick auf die vorliegend begehrte vorbeugende Leistung i.S.d. § 15 SGB XII nicht ohne den Anordnungsanspruch betrachtet werden kann, nicht glaubhaft gemacht. Nach der von dem Antragsteller angeführten Rechtsprechung des BVerfG zum sozialgerichtlichen Eilrechtsschutz im Hinblick auf Übernahme der Kosten der Unterkunft, der die Kammer folgt, verbietet sich eine schematische Prüfung des Anordnungsgrundes. Relevante Nachteile i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können nicht nur in einer Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit liegen, sondern können sich auch mit Blick auf negative Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ergeben, die ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für den Betroffenen hätte (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 01.08.2017, 1 BvR 1910/12, Rn. 16). Dabei ist vorliegend jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller aktuell nicht von Obdachlosigkeit bedroht ist, sondern die Notlage erst künftig, nämlich zum Zeitpunkt der Haftentlassung einzutreten droht. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls mit der Zahlung der Miete für den Monat Januar 2018 in Verzug ist, ist ein Anordnungsgrund mit Blick auf eine etwaige nach der Haftentlassung drohende Obdachlosigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht dargetan.
284. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- 9 SO 307/13 1x (nicht zugeordnet)
- 8 SO 24/12 2x (nicht zugeordnet)
- § 17 Abs. 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 69 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- Stattgebender Kammerbeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 2. Kammer) - 1 BvR 1910/12 1x
- 1 BvR 569/05 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 86b 4x
- §§ 106 und 109 SGB XII 2x (nicht zugeordnet)
- § 97 Abs. 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 67 ff. SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- 414 Js 170/15 1x (nicht zugeordnet)
- § 98 Abs. 4 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- § 72 BSHG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 VO 1x (nicht zugeordnet)
- § 67 SGB XII 7x (nicht zugeordnet)
- § 98 Abs. 2 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 19 Abs. 3 SGB XII 2x (nicht zugeordnet)
- § 98 SGB XII 2x (nicht zugeordnet)
- § 15 SGB XII 2x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1910/12 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 103 1x
- § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 57 Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe 1x
- SGG § 193 1x
- § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- 9 VG 15/10 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 1 Anwendungsbereich 2x