Beschluss vom Sozialgericht Hildesheim (12. Kammer) - S 12 SF 49/05
Tenor
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts E. vom 8. November 2005, Az. S 23 AS 565/05 ER, wird zurückgewiesen.
Tatbestand
- 1
Die Beteiligten streiten um die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren.
- 2
1. Im zugrundeliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren wandte sich die Antragstellerin gegen die ratenweise Einbehaltung von Rückforderungsansprüchen im Rahmen von Arbeitslosengeld II Leistungen.
- 3
Am 9. September 2005 stellte die Antragstellerin vor dem erkennenden Gericht einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Sie begehrte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches gegen einen Bescheid des Antragsgegners, mit welchem dieser die Einbehaltung von Sozialleistungen vornahm. Der Antragsgegner gab am 10. Oktober 2005 ein Sachanerkenntnis und ein Kostenanerkenntnis ab. Das Anerkenntnis wurde von der Antragstellerin angenommen.
- 4
2. Mit Kostenrechnung vom 24. Oktober 2005 machte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die folgenden Gebühren geltend:
- 5
Verfahrensgebühr für Verfahren vor Sozialgericht § 14, Nr. 3102 VV RVG 250,00 €
- 6
Terminsgebühr im Verfahren vor Sozialgericht § 14, Nr. 3106 VV RVG 200,00 €
- 7
Zwischensumme netto
470,00 €
16 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG
75,20 €
zu zahlender Betrag
545,20€
- 8
Bei der Verfahrens- und Terminsgebühr brachte er die jeweilige Mittelgebühr in Ansatz. Der Antragsgegner übermittelte die Kostenrechnung am 1. November 2005 zur förmlichen Kostenfestsetzung an das Gericht.
- 9
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle brachte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 8. November 2005 die folgenden Gebühren in Ansatz:
- 10
Verfahrensgebühr §§ 3, 14 RVG Nr. 3102
170,00 €
Terminsgebühr §§ 3, 14 RVG Nr. 3106 VV
135,00 €
Pauschale für Kommunikationsdienstleistungen
20,00 €
16 v.H. MwSt Nr. 7008 VV
52,00€
Summe
377,00 €
- 11
Die Verfahrens- und die Terminsgebühr setzte er in Höhe der Drittelgebühr fest. Die anwaltliche Gebührenbestimmung in der geltend gemachten Kostenrechnung sei unbillig, da Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit –ähnlich wie bei einer Untätigkeitsklage – deutlich unterdurchschnittlich seien. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Angelegenheit rechtfertige sich insgesamt eine Festsetzung in Höhe der Drittelgebühr.
- 12
Gegen den am 9. November 2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss richtet sich die am 11. November 2005 beim Sozialgericht Hildesheim eingegangene Erinnerung, mit welcher der Bevollmächtigte eine Kostenfestsetzung in Höhe der Mittelgebühr verlangt. Zur Begründung vertritt er die Ansicht, dass Eilverfahren nach § 86 Abs. b SGG regelmäßig deutlich aufwendiger als Hauptsacheverfahren seien. In jedem Fall sei eine mehr oder weniger umfangreiche materiell rechtliche Begründung erforderlich. Zudem weist er darauf hin, dass die Betragsrahmengebühren in sozialrechtlichen Angelegenheiten ohnehin sehr niedrig seien. Eine individuelle Aufwandsprüfung im Einzelfall sei nicht durchzuführen, da der Zweck der Mittelgebühr gerade darin liege, Streitigkeiten über die Kostenhöhe zu vermeiden.
- 13
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
- 14
Die Erinnerung ist zulässig aber unbegründet.
- 15
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Recht eine Festsetzung in Höhe der Drittelgebühr vorgenommen. Ein darüber hinausgehender Gebührenansatz ist nicht verbindlich, da er unbillig ist.
- 16
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt betroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dies ist vorliegend der Fall, da die Kriterien des § 14 RVG eine Qualifikation der Angelegenheit als durchschnittlich nicht zu rechtfertigen vermögen. Sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist eine individuelle Einzelfallbetrachtung der gebührenrechtlichen Bestimmungsmerkmale vorzunehmen. Während dies im Hauptsacheverfahren in der ganz überwiegender Zahl der Fälle zu der Festsetzung der Mittelgebühr führt, so fallen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren oftmals niedrigere Gebühren als im Hauptsacheverfahren an. Diese Regelvermutung findet auch im vorliegenden Falle Anwendung.
- 17
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren oftmals deutlich unterdurchschnittlich. Denn umfangreiche Repliken und Erwiderungen sind hier zumeist nicht nötig. Vorliegend bestand die gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes in der Fertigung eines Antragsschriftsatzes, der auf einer Viertelseite begründet wurde. Auch findet im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage statt, was eine erheblich geringere Ermittlungstiefe zur Folge hat. Im Vergleich zum Hauptsacheverfahren ist kein ordnungsgemäßer Beweisantritt unter Benennung der zulässigen Beweismittel erforderlich; es besteht vielmehr die Beweiserleichterung der einfachen Glaubhaftmachung durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung. Eine förmliche Beweisaufnahme findet im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelhaft nicht statt. Vorliegend hat der Rechtsanwalt jedoch keinerlei Glaubhaftmachung des Sachvortrages geleistet. Zudem erfolgte kein Sachvortrag zum Anordnungsgrund. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren und ein Hauptsacheverfahren im Regelfalle parallel geführt werden, sodass ein erheblicher Teil der anwaltlichen Arbeit auch in jeweils anderen Verfahren nutzbar gemacht werden kann. Hieraus ergeben sich Synergieeffekte, die den Umfang der Tätigkeit ebenfalls reduzieren. Dies wird vorliegend anhand der Tatsache deutlich, dass die Antragsbegründung im Wesentlichen aus einem einfachen Verweis auf das Parallelverfahren bestand. Schließlich ist auch dem zeitlichen Umfang Rechnung zu tragen, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ebenfalls geringer ist. Hier lag zwischen Antragstellung und Anerkenntnis ein Monat.
- 18
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zumeist ebenfalls geringer. Dies ist gleichfalls bedingt in der geringeren Ermittlungstiefe durch die nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage und in der Beweiserleichterung der einfachen Glaubhaftmachung, welche hier sogar unterblieben ist. Auch haben die gleichzeitige Führung des Hauptsacheverfahrens und des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hier zu einer geringeren Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit beigetragen.
- 19
Die Bedeutung der Angelegenheit kann sich durchaus als durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich darstellen. Denn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann sich auch einer hohen persönlichen Dringlichkeit der Angelegenheit eine gesteigerte Bedeutung ergeben. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass jedenfalls bei gerichtskostenpflichtigen Verfahren regelmäßig ein quotenmäßiger Streitwert von 1/3 bis 1/2 festgesetzt wird, wodurch die Bedeutung im Vergleich zum Hauptsacheverfahren auch durchaus niedriger sein kann. Vorliegend ist hier um Abzweigungsbeträge gestritten worden, so dass allenfalls von einer durchschnittlichen Bedeutung ausgegangen werden kann.
- 20
Die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse indiziert bei Empfängern von SGB II Leistungen im Regelfalle eine Einstufung als unterdurchschnittlich.
- 21
Bei der Gebührenbemessung haben betriebswirtschaftliche Erwägungen außer Betracht zu bleiben.
- 22
Die Entscheidung ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG).
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