Entscheidung vom Sozialgericht Karlsruhe - S 2 SB 359/19

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Erstfeststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50.
Er ist am … 1972 geboren, in Frankreich wohnhaft und geht einer Beschäftigung bei einem Arbeitgeber in Deutschland nach. Er leidet unter einer zerebralen Läsion am Übergang der Medulla oblongata unklarer Ätiologie und einem Zervikalsyndrom.
In der Zeit vom 19.02.2018 bis 12.03.2018 hielt er sich zur stationären Rehabilitation in der Rehaklinik K. auf. Nach dem Entlassbericht vom 12.03.2018 entließen ihn die Ärzte unter Angabe der vorgenannten Diagnosen mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für die Tätigkeit des Maschinenbedieners und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Am 27.03.2018 beantragte er erstmals die Feststellung eines Grades der Behinderung und legte ärztliche Unterlagen vor, die überwiegend in französischer Sprache abgefasst wurden. Daneben gelangte das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung ... (MDK) vom 12.12.2017 zur Akte. Aufgrund der Läsion bestehe kein weiterer Behandlungsbedarf, als Beschwerden bestünden eine Hemisymptomatik des linken Arms und Schwindel. Eine Rehabilitation werde empfohlen.
Der Beklagte zog den vollständigen Reha-Entlassbericht vom 12.03.2018 bei und legte diesen seinem ärztlichen Dienst zur Stellungnahme vor. Dieser beurteilte die Funktionsbeeinträchtigungen „Kraftminderung, Sensibilitätsstörung linker Arm (Läsion Hirnstammbereich) mit einem Teil-GdB von 30, „Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Kopfschmerzsyndrom, Schwindel“ mit einem Teil-GdB von 20 und „Bluthochdruck“ mit einem Teil-GdB von 10. Der Gesamt-GdB betrage 40.
Mit Bescheid vom 02.07.2018 stellte der Beklagte einen GdB von 40 seit dem 27.03.2018 fest.
Der Kläger ließ Widerspruch einlegen. Nach Zurückweisung des bevollmächtigten Rentenberaters durch den Beklagten ließ der Kläger anwaltlich vorbringen, die Bewertung des Beklagten werde dem tatsächlichen Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung nicht gerecht. Die aus der Läsion folgenden Funktionsstörungen seien höher zu bewerten. Die Bewertung der Wirbelsäule sei nicht zu beanstanden, jedoch müsse unter zusätzlicher Berücksichtigung von Kopfschmerzsyndrom und Schwindel ein höherer Teil-GdB berücksichtigt werden. Hinzu komme die psychische Beeinträchtigung durch die Leiden.
Der erneut eingeschaltete ärztliche Dienst des Beklagten führte aus, eine getrennte Tenorierung von Wirbelsäule, Kopfschmerzsyndrom und Schwindel würde keine substantielle Änderung ergeben. An der Einschätzung sei festzuhalten.
Hierauf gestützt wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.01.2019 zurück.
10 
Mit der am 28.01.2019 zum Sozialgericht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
11 
Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage vorgetragen, die bestehenden Gesundheitsstörungen durch die zerebrale Läsion verbunden mit Hemisymptomatik des linken Armes und wiederkehrenden Schwindelanfällen seien nicht ausreichend bewertet. Daneben bestehe ein depressives Syndrom. Unter weiterer Berücksichtigung der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und des Kopfschmerzsyndroms sei der Gesamt-GdB nicht ausreichend festgestellt.
12 
Der Kläger legte Berichte des Hôpital der Stadt S. vom 22.05.2019 bzw. 27.05.2019 vor.
13 
Das Gericht hat einen Hinweis dahingehend erteilt, dass sich aus den jüngsten Berichten des Hôpital der Stadt S. ergebe, die Läsion sei volumenmäßig absolut stabil und habe zurzeit sehr wenige Folgen. Insoweit sei die Einschätzung des Beklagten unter weiterer Berücksichtigung des Reha-Entlassberichts nicht zu beanstanden. Das Gericht hat einen Gerichtsbescheid angekündigt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
14 
Der Kläger hat die Auffassung vorbringen lassen, das Gericht müsse die behandelnden Ärzte befragen und die vorgelegten Berichte übersetzen lassen und verweist für letzteres auf mehrere Gerichtsentscheidungen, ohne zu bestreiten, dass die vom Gericht genannten Aussagen den Berichten zu entnehmen sind. Auch sei er bisher nicht auf sein Recht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden.
15 
Das Gericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, auf eigene Kosten Übersetzungen vorzulegen, wenn er der Auffassung sei, dass die Ausführung des Gerichts nicht zutreffe. Hierzu sei er nach §§ 202 SGG und 142 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) verpflichtet. Gleichzeitig hat das Gericht dem Kläger eine Frist nach § 106a Abs. 3 SGG gesetzt. Die verlängerte Frist hat der Kläger ergebnislos verstreichen lassen.
16 
Er hält sich gleichwohl weiterhin für schwerbehindert. Er ist zudem der Auffassung, das Gericht verletze sein Recht auf rechtliches Gehör, weil nur unzureichende Sachaufklärung betrieben werde. Es sei üblich, dass zur medizinischen Sachaufklärung zunächst die behandelnden Ärzte befragt würden. Die „Meinung“ der behandelnden Ärzte könne von entscheidender Bedeutung sein.
17 
Der Kläger lässt beantragen,
18 
den Beklagten zu verurteilen den Bescheid vom 02.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2019 abzuändern und den Grad der Behinderungen mit wenigstens 50 zu bewerten.
19 
Der Beklagte beantragt,
20 
die Klage abzuweisen.
21 
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte nebst beigezogener Verwaltungsakte verwiesen, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

 
A.)
22 
Das Gericht entscheidet nach vorangegangener Anhörung ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, §§ 105, 3 Abs. 1 S. 2 Fall 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
I.)
23 
Der Rechtsstreit ist unter Berücksichtigung des Reha-Entlassberichts vom 12.03.2018, welchen die Kammer im Wege des Urkundenbeweises verwertet, entscheidungsreif und der Sachverhalt insoweit hinreichend geklärt (hierzu unter B.). Lässt sich der Gesundheitszustand wie vorliegend anhand eines aussagekräftigen Berichts vollständig beurteilen, so sind weitere Ermittlungen allenfalls bei substantiierter Behauptung einer Verschlechterung des Gesundheitszustands oder Darlegung bisher nicht berücksichtigter Gesundheitsstörungen angezeigt. Vorliegend fehlt es bereits an der Behauptung, dass sich der Gesundheitszustand verschlechtert hat oder dass weitere Gesundheitsstörungen hinzugetreten sind, so dass es auf die in französischer Sprache abgefassten Berichte (des Hôpital der Stadt S vom 22.05.2019 bzw. 27.05.2019) nicht entscheidungserheblich ankommt, womit sie bereits aus diesem Grund nicht zu übersetzen sind. Zudem bestätigt die Übersetzung durch das Gericht, deren Richtigkeit der Kläger auch nicht in Abrede stellt, dass keine Verschlechterung eingetreten ist. Im Ergebnis bestehen deshalb keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten.
II.)
24 
Aus §§ 61 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) folgt, dass die Gerichtssprache deutsch ist. Das Gericht ist dabei, ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme (siehe oben), der Auffassung, dass die Übersetzungsbeibringung von in einer fremden Sprache vorgelegten Urkunden nach §§ 202 SGG i.V.m. § 142 ZPO grundsätzlich demjenigen obliegt, der sich auf den Inhalt der Urkunde beruft. Systematische Unterschiede der Verfahrensarten vor dem Sozialgericht und vor dem Zivilgericht stehen dieser Wertung nicht entgegen. Zwar gilt vor den Sozialgerichten die Untersuchungsmaxime, § 103 SGG, während vor den Zivilgerichten der Beibringungsgrundsatz zu beachten ist. Aus § 103 S. 1 Halbsatz 2 SGG ergib sich jedoch eindeutig, dass die Beteiligten auch im Rahmen der Amtsermittlung vor den Sozialgerichten „heranzuziehen“ sind. Eine solche Heranziehung stellt die Aufforderung zur Vorlage von Übersetzungen nach § 202 SGG i.V.m. § 142 ZPO gerade dar und ist damit grundsätzlich gerechtfertigt. Ein Ausschluss der Anwendung von § 142 Abs. 3 ZPO wegen der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl. § 202 S. 1 SGG) ist wegen der Mitwirkungsobliegenheit des § 103 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGG also allenfalls dann angebracht, wenn es dem vorlegenden Beteiligten finanziell oder aus anderen Gründen unmöglich ist, Übersetzungen selbst beizubringen, was allerdings in substantiierter Weise darzulegen wäre. Bei Beteiligten, die über ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, die Kosten selbst zu tragen, oder bei denen ohnehin Dritte (z.B. eine Rechtsschutzversicherung) die Kosten aufgrund vertraglicher Verpflichtung zu tragen haben, besteht hingegen keine Veranlassung, von einer Heranziehung nach §§ 103 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2, 202 SGG i.V.m. § 142 Abs. 3 ZPO abzusehen, zumal die anfallenden Kosten für notwendige Übersetzungen regelmäßig nach § 193 SGG vom Unterliegenden zu erstatten sind (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, § 193 Rn. 7d).
25 
Anders als teilweise postuliert hat die Untersuchungsmaxime nach § 103 SGG nach der Rechtsauffassung der Kammer nicht den Zweck, die Beteiligten von jeder Darlegungslast oder Mitwirkungsobliegenheit zu entbinden. Aus ihm ergibt sich vielmehr, dass sich Untersuchungsmaxime und Mitwirkungspflicht gegenseitig beeinflussen. Eine gesteigerte Mitwirkungsmöglichkeit (beispielsweise bei fachkundiger Vertretung bei gutem Bildungs- und Vermögensstand) bedingt deshalb eine Absenkung der Untersuchungsverpflichtung. Unterlässt ein Beteiligter trotz anwaltlicher Vertretung substantiierte Angaben zu einem Sachverhalt, der ihm günstig wäre, ist das Gericht deshalb regelmäßig nicht zu weiteren Aufklärungsmaßnahme verpflichtet (vgl. BeckOK VwGO/Breunig, 51. Ed. 1.10.2019, VwGO § 86 Rn. 48). Eine verminderte Mitwirkungsmöglichkeit (beispielsweise bei nicht fachkundig vertretenen Menschen mit behinderungsbedingt eingeschränkter Ausdruckfähigkeit) erhöht hingegen die Untersuchungsverpflichtung des Gerichts, weil hier gerade nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass alle günstigen Tatsachen auch vorgetragen werden. Insoweit muss derjenige, der sich auf eine in ausländischer Sprache abgefasste Urkunde beruft, im Rahmen seiner Möglichkeiten auch in substantiierter Weise zu Inhalt und Erheblichkeit vortragen, denn das Gericht ist auch in Ansehung von § 103 S. 1 Halbsatz 1 SGG nicht dazu verpflichtet, auf Kosten des Staats jedes in fremder Sprache abgefasste Schriftstück „ins Blaue hinein“ übersetzen zu lassen. Nachvollziehbare Gründe, bei anwaltlicher Vertretung die Folgen einer Verletzung der sich aus § 103 S. 1 SGG ergebenden Mitwirkungsverpflichtung im Rahmen des Sozialgerichtsverfahren trotz Wortgleichheit anders zu beurteilen als die Verletzung einer Mitwirkungsverpflichtung nach § 86 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Verwaltungsgerichtsverfahren, bestehen zur Überzeugung der Kammer nicht.
26 
Der anwaltlich vertretene Kläger hat trotz Darlegungslast und entsprechender Möglichkeit weder zum Inhalt, geschweige denn zur Erheblichkeit der in seiner Muttersprache abgefassten Urkunden (Arztberichte) inhaltlich vorgetragen, so dass sich die Amtsermittlungspflicht des Gerichts erheblich reduziert. Nachdem er auch nicht vorgetragen hat, dass ihn die Beibringung von Übersetzungen finanziell überfordert bzw. überhaupt etwas kostet, reduziert sich die Verpflichtung des Gerichts zur Einholung von Übersetzungen zulasten der Staatskasse auf Null. Die nicht übersetzten Urkunden bleiben auch deshalb unberücksichtigt.
B.)
27 
Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 02.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2019 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat den Gesamt-GdB in nicht zu beanstandender Weise ab Antragstellung mit 40 bemessen.
I.)
28 
Rechtsgrundlage für die (erstmalige) Feststellung eines GdB ist § 152 Abs. 1 S 1 SGB IX in der seit dem 01.01.2018 anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung vom 23.12.2016 (Bundesteilhabegesetz - BTHG; BGBl. 2016, S. 3234ff), mit welchem die Vorschriften des SGB IX eine weitreichende redaktionelle Änderung erfahren haben. Nach dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den Gesamt-GdB fest. Als Gesamt-GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 S 5 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wenn nicht ein niedrigerer Gesamt-GdB als 20 gegeben ist, § 152 Abs. 1 S. 6 SGB IX. Dabei ist das seit jeher im Schwerbehindertenrecht geltende Finalitätsprinzip zu beachten, das sowohl im Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX als auch in den Prinzipien zur Feststellung des Gesamt-GdB nach § 152 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX festgeschrieben worden ist.
29 
Durch den bis zum 14.01.2015 in der Vorgängervorschrift des § 69 Abs. 1 S 5 SGB IX enthaltenen Verweis auf die im Rahmen des § 30 BVG festgelegten Maßstäbe wurde auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangspunkt die „Mindestvomhundertsätze“ für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden sind. Von diesen Mindestvomhundertsätzen leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (VersMedV) ab, wobei die nähere Ausgestaltung in der Anlage zu § 2 der VersMedV, den sogenannten Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG), erfolgt ist. Als Rechtsverordnung binden sie grundsätzlich sowohl Verwaltung als auch Gerichte. Die VMG sind jedoch, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere des früheren § 69 SGB IX, dessen Regelugen ab dem 01.01.2018 in § 152 SGB IX überführt wurden - zu überprüfen. Daher sind VersMedV und VMG im Lichte dieser rechtlichen Vorgaben auszulegen und bei Verstößen dagegen nicht anzuwenden (Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R).
30 
Mit der zum 15.01.2015 eingeführten Verordnungsermächtigung des § 70 Abs. 2 SGB IX, die seit dem 01.01.2018 in § 153 Abs. 2 SGB IX geregelt ist, hat der Gesetzgeber das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates diejenigen Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, welche nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung sind weiterhin die VMG anzuwenden, wie sich aus der ebenfalls zum 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsvorschrift des §159 Abs. 7 SGB IX, welche zum 01.01.2018 inhaltsgleich in § 241 Abs. 5 SGB IX überführt wurde, ergibt. Die VersMedV und die dort enthaltenen VMG dienen folglich auch weiterhin als verbindliche Rechtsquelle sowohl für die Bestimmung des GdB als auch für die Feststellung der Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen.
31 
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Gesamt-GdB gem. § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX ferner nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Folglich werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (§ 2 Abs. 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen bestimmt. In einem zweiten Schritt sind diese mit einem Einzel-GdB zu bewerten und den jeweils unter Teil A Ziff. 2 Buchstabe e) der VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen. Innerhalb der Funktionssysteme sind die jeweiligen Einzel-GdB sodann zu einem Teil-GdB zusammen zu fassen. In einem dritten Schritt ist gemäß Teil A Ziff. 3 der VMG dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Teil-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle feste Grade angegeben sind.
32 
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist ferner zu beachten, dass zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen in Funktionssystemen, die nur einen Teil-GdB von 10 bedingen, von Ausnahmefällen abgesehen nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnten. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (Teil A Ziff. 3 Buchstabe d) ee) VMG). Bei Gesundheitsstörungen, welche in Funktionssystemen einen Teil-GdB von 20 bedingen, ist es vielfach ebenfalls nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Maßgeblich ist hier, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Behinderung auf eine andere besonders nachhaltig auswirkt oder inwieweit sie sich überschneiden (Teil A Ziff. 3 Buchstaben a)-d) VMG).
II.)
33 
Gemessen hieran ist für die vorhandenen Beeinträchtigungen ein Gesamt-GdB von 40 zur Überzeugung der Kammer jedenfalls nicht zu niedrig bemessen. Dabei sind zunächst, gegliedert nach den unter Teil A Ziff. 2 Buchstabe e) der VMG genannten Funktionssystemen, die folgenden Teil-GdB zu berücksichtigen:
34 
1.) Gehirn einschließlich Psyche
35 
Zerebral bedingte Teillähmungen und Lähmungen mit leichten Restlähmungen und Tonusstörungen der Gliedmaßen rechtfertigen nach Teil B Ziff. 3.1 der Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) einen Einzel-GdB 30. Nach dem Reha-Entlassbericht vom 12.03.2018 bestand im Rahmen der fachneurologischen Verlaufsuntersuchung am 08.03.2018 kein sicheres neurologisches Defizit der oberen Extremitäten, insbesondere keine Paresen, keine sensiblen Störungen und keine Reflexasymmetrie. Die für den 21.02.2018 beschriebene Minderung des Muskeltonus links (Kraftgrad 4/5), daraus resultierende Absinktendenz beim Arm- und Beinvorhalteversuch und die Bradydiadochokinese sind von einem Einzel-GdB von 30 ebenso umfasst wie die vom Kläger angesprochene seelische Begleiterscheinung, welche jedoch keiner besonderen ärztlichen Behandlung bedarf, Teil A Ziff. 2i VMG, der Schwindel und die Kopfschmerzsymptomatik. Ausgeprägte Teillähmungen oder vollständige Lähmungen, welche einen höheren Einzel-GdB als 30 rechtfertigen könnten, sind nicht dokumentiert. Insoweit ist ein Teil-GdB von 30 im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche ausreichend.
36 
2.) Rumpf
37 
Nach Teil B Ziff. 18.9 VMG ergibt sich der Einzel-GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkungen, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität, sowie der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität bedingen einen Einzel-GdB von 0. Bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende und anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) in einem Wirbelsäulenabschnitt bedingen einen Einzel-GdB von 20. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem Einzel-GdB von 30 zu bemessen, bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ist von einem Einzel-GdB von 30 bis 40 auszugehen, bei besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst) beträgt der Einzel-GdB 50 bis 70.
38 
Für das Leiden im Bereich der Halswirbelsäule ist danach ein Einzel-GdB von 20 angemessen. Neurologische Defizite sind nicht belegt, die Kopfbeweglichkeit wird bei der neurologischen Verlaufsuntersuchung am 08.03.2018 im Rahmen der Rehabilitation als in allen Richtungen frei beschrieben. Der vom Beklagten berücksichtigte Einzel-GdB von 20 erfasst bereits häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome, welche durch die rechts betonte Tonisierung der Nackenmuskulatur plausibel erscheint. Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome wie sie beispielsweise bei Nervenwurzelreizungen aufzutreten pflegen, sind hingegen nicht objektiviert. Nachdem auch keine relevanten neurologischen Defizite bestehen, scheidet ein höherer Teil-GdB als 20 im Funktionssystem Rumpf aus.
39 
3.) Weitere Gesundheitsstörungen, die zu einem erhöhungsrelevanten Teil-GdB von mehr als 10 in einem weiteren Funktionssystem führen würden, sind nicht ersichtlich.
40 
4.) Gesamt-GdB
41 
Unter Berücksichtigung des führenden Teil-GdB von 30 im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche und einem weiteren Teil-GdB von 20 im Funktionssystem Rumpf scheidet ein Gesamt-GdB von 50 aus. Selbst wenn man für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche einen Teil-GdB von 40 annehmen würde, wäre damit keine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 verbunden, weil der Teil-GdB im Funktionssystem Rumpf eine leichte Gesundheitsstörung i.S.v. Teil A Ziff. 3 d) ee) VMG darstellt. Ob vor diesem Hintergrund auch ein Gesamt-GdB von 30 ausreichend wäre, braucht die Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu beurteilen.
C.)
42 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe

 
A.)
22 
Das Gericht entscheidet nach vorangegangener Anhörung ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, §§ 105, 3 Abs. 1 S. 2 Fall 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
I.)
23 
Der Rechtsstreit ist unter Berücksichtigung des Reha-Entlassberichts vom 12.03.2018, welchen die Kammer im Wege des Urkundenbeweises verwertet, entscheidungsreif und der Sachverhalt insoweit hinreichend geklärt (hierzu unter B.). Lässt sich der Gesundheitszustand wie vorliegend anhand eines aussagekräftigen Berichts vollständig beurteilen, so sind weitere Ermittlungen allenfalls bei substantiierter Behauptung einer Verschlechterung des Gesundheitszustands oder Darlegung bisher nicht berücksichtigter Gesundheitsstörungen angezeigt. Vorliegend fehlt es bereits an der Behauptung, dass sich der Gesundheitszustand verschlechtert hat oder dass weitere Gesundheitsstörungen hinzugetreten sind, so dass es auf die in französischer Sprache abgefassten Berichte (des Hôpital der Stadt S vom 22.05.2019 bzw. 27.05.2019) nicht entscheidungserheblich ankommt, womit sie bereits aus diesem Grund nicht zu übersetzen sind. Zudem bestätigt die Übersetzung durch das Gericht, deren Richtigkeit der Kläger auch nicht in Abrede stellt, dass keine Verschlechterung eingetreten ist. Im Ergebnis bestehen deshalb keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten.
II.)
24 
Aus §§ 61 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) folgt, dass die Gerichtssprache deutsch ist. Das Gericht ist dabei, ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme (siehe oben), der Auffassung, dass die Übersetzungsbeibringung von in einer fremden Sprache vorgelegten Urkunden nach §§ 202 SGG i.V.m. § 142 ZPO grundsätzlich demjenigen obliegt, der sich auf den Inhalt der Urkunde beruft. Systematische Unterschiede der Verfahrensarten vor dem Sozialgericht und vor dem Zivilgericht stehen dieser Wertung nicht entgegen. Zwar gilt vor den Sozialgerichten die Untersuchungsmaxime, § 103 SGG, während vor den Zivilgerichten der Beibringungsgrundsatz zu beachten ist. Aus § 103 S. 1 Halbsatz 2 SGG ergib sich jedoch eindeutig, dass die Beteiligten auch im Rahmen der Amtsermittlung vor den Sozialgerichten „heranzuziehen“ sind. Eine solche Heranziehung stellt die Aufforderung zur Vorlage von Übersetzungen nach § 202 SGG i.V.m. § 142 ZPO gerade dar und ist damit grundsätzlich gerechtfertigt. Ein Ausschluss der Anwendung von § 142 Abs. 3 ZPO wegen der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl. § 202 S. 1 SGG) ist wegen der Mitwirkungsobliegenheit des § 103 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGG also allenfalls dann angebracht, wenn es dem vorlegenden Beteiligten finanziell oder aus anderen Gründen unmöglich ist, Übersetzungen selbst beizubringen, was allerdings in substantiierter Weise darzulegen wäre. Bei Beteiligten, die über ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, die Kosten selbst zu tragen, oder bei denen ohnehin Dritte (z.B. eine Rechtsschutzversicherung) die Kosten aufgrund vertraglicher Verpflichtung zu tragen haben, besteht hingegen keine Veranlassung, von einer Heranziehung nach §§ 103 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2, 202 SGG i.V.m. § 142 Abs. 3 ZPO abzusehen, zumal die anfallenden Kosten für notwendige Übersetzungen regelmäßig nach § 193 SGG vom Unterliegenden zu erstatten sind (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, § 193 Rn. 7d).
25 
Anders als teilweise postuliert hat die Untersuchungsmaxime nach § 103 SGG nach der Rechtsauffassung der Kammer nicht den Zweck, die Beteiligten von jeder Darlegungslast oder Mitwirkungsobliegenheit zu entbinden. Aus ihm ergibt sich vielmehr, dass sich Untersuchungsmaxime und Mitwirkungspflicht gegenseitig beeinflussen. Eine gesteigerte Mitwirkungsmöglichkeit (beispielsweise bei fachkundiger Vertretung bei gutem Bildungs- und Vermögensstand) bedingt deshalb eine Absenkung der Untersuchungsverpflichtung. Unterlässt ein Beteiligter trotz anwaltlicher Vertretung substantiierte Angaben zu einem Sachverhalt, der ihm günstig wäre, ist das Gericht deshalb regelmäßig nicht zu weiteren Aufklärungsmaßnahme verpflichtet (vgl. BeckOK VwGO/Breunig, 51. Ed. 1.10.2019, VwGO § 86 Rn. 48). Eine verminderte Mitwirkungsmöglichkeit (beispielsweise bei nicht fachkundig vertretenen Menschen mit behinderungsbedingt eingeschränkter Ausdruckfähigkeit) erhöht hingegen die Untersuchungsverpflichtung des Gerichts, weil hier gerade nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass alle günstigen Tatsachen auch vorgetragen werden. Insoweit muss derjenige, der sich auf eine in ausländischer Sprache abgefasste Urkunde beruft, im Rahmen seiner Möglichkeiten auch in substantiierter Weise zu Inhalt und Erheblichkeit vortragen, denn das Gericht ist auch in Ansehung von § 103 S. 1 Halbsatz 1 SGG nicht dazu verpflichtet, auf Kosten des Staats jedes in fremder Sprache abgefasste Schriftstück „ins Blaue hinein“ übersetzen zu lassen. Nachvollziehbare Gründe, bei anwaltlicher Vertretung die Folgen einer Verletzung der sich aus § 103 S. 1 SGG ergebenden Mitwirkungsverpflichtung im Rahmen des Sozialgerichtsverfahren trotz Wortgleichheit anders zu beurteilen als die Verletzung einer Mitwirkungsverpflichtung nach § 86 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Verwaltungsgerichtsverfahren, bestehen zur Überzeugung der Kammer nicht.
26 
Der anwaltlich vertretene Kläger hat trotz Darlegungslast und entsprechender Möglichkeit weder zum Inhalt, geschweige denn zur Erheblichkeit der in seiner Muttersprache abgefassten Urkunden (Arztberichte) inhaltlich vorgetragen, so dass sich die Amtsermittlungspflicht des Gerichts erheblich reduziert. Nachdem er auch nicht vorgetragen hat, dass ihn die Beibringung von Übersetzungen finanziell überfordert bzw. überhaupt etwas kostet, reduziert sich die Verpflichtung des Gerichts zur Einholung von Übersetzungen zulasten der Staatskasse auf Null. Die nicht übersetzten Urkunden bleiben auch deshalb unberücksichtigt.
B.)
27 
Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 02.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2019 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat den Gesamt-GdB in nicht zu beanstandender Weise ab Antragstellung mit 40 bemessen.
I.)
28 
Rechtsgrundlage für die (erstmalige) Feststellung eines GdB ist § 152 Abs. 1 S 1 SGB IX in der seit dem 01.01.2018 anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung vom 23.12.2016 (Bundesteilhabegesetz - BTHG; BGBl. 2016, S. 3234ff), mit welchem die Vorschriften des SGB IX eine weitreichende redaktionelle Änderung erfahren haben. Nach dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den Gesamt-GdB fest. Als Gesamt-GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 S 5 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wenn nicht ein niedrigerer Gesamt-GdB als 20 gegeben ist, § 152 Abs. 1 S. 6 SGB IX. Dabei ist das seit jeher im Schwerbehindertenrecht geltende Finalitätsprinzip zu beachten, das sowohl im Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX als auch in den Prinzipien zur Feststellung des Gesamt-GdB nach § 152 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX festgeschrieben worden ist.
29 
Durch den bis zum 14.01.2015 in der Vorgängervorschrift des § 69 Abs. 1 S 5 SGB IX enthaltenen Verweis auf die im Rahmen des § 30 BVG festgelegten Maßstäbe wurde auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangspunkt die „Mindestvomhundertsätze“ für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden sind. Von diesen Mindestvomhundertsätzen leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (VersMedV) ab, wobei die nähere Ausgestaltung in der Anlage zu § 2 der VersMedV, den sogenannten Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG), erfolgt ist. Als Rechtsverordnung binden sie grundsätzlich sowohl Verwaltung als auch Gerichte. Die VMG sind jedoch, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere des früheren § 69 SGB IX, dessen Regelugen ab dem 01.01.2018 in § 152 SGB IX überführt wurden - zu überprüfen. Daher sind VersMedV und VMG im Lichte dieser rechtlichen Vorgaben auszulegen und bei Verstößen dagegen nicht anzuwenden (Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R).
30 
Mit der zum 15.01.2015 eingeführten Verordnungsermächtigung des § 70 Abs. 2 SGB IX, die seit dem 01.01.2018 in § 153 Abs. 2 SGB IX geregelt ist, hat der Gesetzgeber das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates diejenigen Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, welche nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung sind weiterhin die VMG anzuwenden, wie sich aus der ebenfalls zum 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsvorschrift des §159 Abs. 7 SGB IX, welche zum 01.01.2018 inhaltsgleich in § 241 Abs. 5 SGB IX überführt wurde, ergibt. Die VersMedV und die dort enthaltenen VMG dienen folglich auch weiterhin als verbindliche Rechtsquelle sowohl für die Bestimmung des GdB als auch für die Feststellung der Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen.
31 
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Gesamt-GdB gem. § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX ferner nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Folglich werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (§ 2 Abs. 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen bestimmt. In einem zweiten Schritt sind diese mit einem Einzel-GdB zu bewerten und den jeweils unter Teil A Ziff. 2 Buchstabe e) der VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen. Innerhalb der Funktionssysteme sind die jeweiligen Einzel-GdB sodann zu einem Teil-GdB zusammen zu fassen. In einem dritten Schritt ist gemäß Teil A Ziff. 3 der VMG dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Teil-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle feste Grade angegeben sind.
32 
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist ferner zu beachten, dass zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen in Funktionssystemen, die nur einen Teil-GdB von 10 bedingen, von Ausnahmefällen abgesehen nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnten. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (Teil A Ziff. 3 Buchstabe d) ee) VMG). Bei Gesundheitsstörungen, welche in Funktionssystemen einen Teil-GdB von 20 bedingen, ist es vielfach ebenfalls nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Maßgeblich ist hier, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Behinderung auf eine andere besonders nachhaltig auswirkt oder inwieweit sie sich überschneiden (Teil A Ziff. 3 Buchstaben a)-d) VMG).
II.)
33 
Gemessen hieran ist für die vorhandenen Beeinträchtigungen ein Gesamt-GdB von 40 zur Überzeugung der Kammer jedenfalls nicht zu niedrig bemessen. Dabei sind zunächst, gegliedert nach den unter Teil A Ziff. 2 Buchstabe e) der VMG genannten Funktionssystemen, die folgenden Teil-GdB zu berücksichtigen:
34 
1.) Gehirn einschließlich Psyche
35 
Zerebral bedingte Teillähmungen und Lähmungen mit leichten Restlähmungen und Tonusstörungen der Gliedmaßen rechtfertigen nach Teil B Ziff. 3.1 der Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) einen Einzel-GdB 30. Nach dem Reha-Entlassbericht vom 12.03.2018 bestand im Rahmen der fachneurologischen Verlaufsuntersuchung am 08.03.2018 kein sicheres neurologisches Defizit der oberen Extremitäten, insbesondere keine Paresen, keine sensiblen Störungen und keine Reflexasymmetrie. Die für den 21.02.2018 beschriebene Minderung des Muskeltonus links (Kraftgrad 4/5), daraus resultierende Absinktendenz beim Arm- und Beinvorhalteversuch und die Bradydiadochokinese sind von einem Einzel-GdB von 30 ebenso umfasst wie die vom Kläger angesprochene seelische Begleiterscheinung, welche jedoch keiner besonderen ärztlichen Behandlung bedarf, Teil A Ziff. 2i VMG, der Schwindel und die Kopfschmerzsymptomatik. Ausgeprägte Teillähmungen oder vollständige Lähmungen, welche einen höheren Einzel-GdB als 30 rechtfertigen könnten, sind nicht dokumentiert. Insoweit ist ein Teil-GdB von 30 im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche ausreichend.
36 
2.) Rumpf
37 
Nach Teil B Ziff. 18.9 VMG ergibt sich der Einzel-GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkungen, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität, sowie der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität bedingen einen Einzel-GdB von 0. Bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende und anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) in einem Wirbelsäulenabschnitt bedingen einen Einzel-GdB von 20. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem Einzel-GdB von 30 zu bemessen, bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ist von einem Einzel-GdB von 30 bis 40 auszugehen, bei besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst) beträgt der Einzel-GdB 50 bis 70.
38 
Für das Leiden im Bereich der Halswirbelsäule ist danach ein Einzel-GdB von 20 angemessen. Neurologische Defizite sind nicht belegt, die Kopfbeweglichkeit wird bei der neurologischen Verlaufsuntersuchung am 08.03.2018 im Rahmen der Rehabilitation als in allen Richtungen frei beschrieben. Der vom Beklagten berücksichtigte Einzel-GdB von 20 erfasst bereits häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome, welche durch die rechts betonte Tonisierung der Nackenmuskulatur plausibel erscheint. Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome wie sie beispielsweise bei Nervenwurzelreizungen aufzutreten pflegen, sind hingegen nicht objektiviert. Nachdem auch keine relevanten neurologischen Defizite bestehen, scheidet ein höherer Teil-GdB als 20 im Funktionssystem Rumpf aus.
39 
3.) Weitere Gesundheitsstörungen, die zu einem erhöhungsrelevanten Teil-GdB von mehr als 10 in einem weiteren Funktionssystem führen würden, sind nicht ersichtlich.
40 
4.) Gesamt-GdB
41 
Unter Berücksichtigung des führenden Teil-GdB von 30 im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche und einem weiteren Teil-GdB von 20 im Funktionssystem Rumpf scheidet ein Gesamt-GdB von 50 aus. Selbst wenn man für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche einen Teil-GdB von 40 annehmen würde, wäre damit keine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 verbunden, weil der Teil-GdB im Funktionssystem Rumpf eine leichte Gesundheitsstörung i.S.v. Teil A Ziff. 3 d) ee) VMG darstellt. Ob vor diesem Hintergrund auch ein Gesamt-GdB von 30 ausreichend wäre, braucht die Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu beurteilen.
C.)
42 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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