Urteil vom Sozialgericht Speyer (19. Kammer) - S 19 KR 229/12


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Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 300 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2011 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Der Streitwert wird auf 300 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Aufwandspauschale.

2

Die Klägerin ist Trägerin des nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zugelassenen Klinikums der Stadt … am R…. In dem Krankenhaus wurde in der Zeit vom 16.12.2009 bis zum 24.12.2009 der bei der Beklagten versicherte K… M… (im Folgenden: Versicherter) wegen eines blutenden Magengeschwürs stationär aufgenommen und behandelt.

3

Am 29.12.2009 stellte die Klägerin der Beklagten eine 1. Rechnung (Nr. 90701667) in Höhe von 5.678,06 Euro. Hierbei brachte sie die Fallpauschale (Diagnosis Related Group -DRG-) G46A (Verschiedenartige Gastroskopie bei schweren Krankheiten der Verdauungsorgane verbunden mit äußerst schweren CC oder verbunden mit äußerst schweren, schweren CC oder komplizierendem Eingriff bei Kindern) zum Ansatz. Die Klägerin hatte dieser Abrechnung die Verschlüsselung der Hauptdiagnose mit K25.0 (Ulcus ventriculi: Akut, mit Blutung) zu Grunde gelegt. Als Nebendiagnose kodierte sie unter anderem J96.0 (Akute respiratorische Insuffizienz, andernorts nicht klassifiziert).

4

Die Beklagte beglich diese Forderung zunächst.

5

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Rh…-P… mit der Überprüfung des Falles unter der Fragestellung, ob die Nebendiagnosen korrekt abgerechnet worden seien.

6

Am 02.02.2010 erstellte der Arzt im MDK Dr. T… nach einer Begehung im Haus der Klägerin ein Sozialmedizinisches Gutachten. Darin kam er zu dem Ergebnis, neben den bestätigten bzw. mangels Erlösrelevanz nicht geprüften Nebendiagnosen sei die Nebendiagnose J96.0 (Akute respiratorische Insuffizienz, andernorts nicht klassifiziert) zu streichen, da nicht beschrieben. Er gelangte daher zu der DRG G46B (Verschiedenartige Gastroskopie bei schweren Krankheiten der Verdauungsorgane verbunden mit äußerst schweren CC, schweren CC oder mit komplizierendem Eingriff oder verbunden mit schw. CC bei Kindern, oder Ösophagusperforation, oder Radiofrequenzablation).

7

Die Beklagte erhielt ausweislich eines Schreibens vom 05.02.2010 eine Gutschrift in Höhe von 4.170,51 Euro von Klägerin, die ihrer Ansicht nach noch offene Differenz in Höhe von 1.507,55 Euro verrechnete sie nach mehrfacher Zahlungsaufforderung am 12.05.2010 mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin.

8

Die Klägerin erhob Widerspruch gegen das Begutachtungsergebnis, korrigierte aber gleichwohl die Abrechnung am 09.02.2010 mit Rechnung Nr. 90708139 dahingehend, dass die Nebendiagnose J96.0 nicht mehr angesetzt, dafür jedoch die Nebendiagnose D70.3 (Sonstige Agranoluzytose) nachcodiert wurde, was wiederum in die DRG G46A führte.

9

Daraufhin beauftragte die Beklagte nochmals den MDK R…-P… mit der Überprüfung des Falles unter der Fragestellung, ob die Nebendiagnosen korrekt sind, insbesondere die nachkodierte Nebendiagnose D70.3.

10

Am 30.11.2010 erstellte der Arzt im MDK Dr. K… nach einer Begehung im Haus der Klägerin ein Sozialmedizinisches Gutachten. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Nebendiagnose D70.3 (Sonstige Agranoluzytose) zu streichen sei und gelangte hierdurch erneut zu der DRG G46B.

11

Schon während dieser zweiten Begehung ergänzte die Klägerin die weiteren Nebendiagnosen R63.3 (Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung) und N18.3 (Chronische Nierenkrankheit, Stadium 3).

12

Die Klägerin erhob nochmals Widerspruch gegen das Begutachtungsergebnis. Die zuletzt gestellte Rechnung vom 02.12.2010 (Nr. 90759160), wiederum unter Ansatz der DRG G46A in Höhe von 5.678,06 Euro hat die Beklagte am 06.12.2010 letztlich in voller Höhe beglichen.

13

Die Beklagte beauftragte ein weiteres Mal den MDK R…-P… mit der Überprüfung des Falles unter der Fragestellung, ob die Nebendiagnosen korrekt abgerechnet worden seien. Es wurde um abschließende Prüfung aller relevanten von der Klinik nachkodierten Nebendiagnosen gebeten. Ausdrücklich wurde im Prüfauftrag die nachkodierte Nebendiagnose R63.3 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

14

Am 13.01.2011 erstellte die Ärztin im MDK Dr. K… nach einer Begehung im Haus der Klägerin ein Sozialmedizinisches Gutachten. Die nachkodierte Nebendiagnose R63.3 (Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung) bestätigte die Sachverständige. Wie im Vorgutachten kam sie zu dem Ergebnis, die Nebendiagnose D70.3 (Sonstige Agranoluzytose) sei zu streichen. Nach abschließender Prüfung aller relevanten Nebendiagnosen bestätigte die Gutachterin allerdings die DRG G46A.

15

Die Klägerin forderte von der Beklagten mit Rechnung vom 03.12.2010 eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro. Die Beklagte verweigerte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 17.01.2011 die Zahlung unter Berufung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.06.2010 (B 1 KR 1/10 R). Danach sei dem Krankenhaus die Aufwandspauschale immer dann nicht zu zahlen, wenn die Abrechnung des Krankenhauses fehlerhaft gewesen und die Krankenkasse hierdurch veranlasst worden sei, das Prüfverfahren einzuleiten. Dies gelte auch, wenn sich der Gesamtrechnungsbetrag für die Krankenhausbehandlung nicht verringere. Die Aufwandspauschale ziele demnach nur auf diejenigen Prüfungen ab, die ohne berechtigten Anlass eingeleitet worden seien, nicht aber auf Prüfungen, zu denen es durch ein Fehlverhalten des Krankenhauses gekommen sei.

16

Die Klägerin hat am 28.03.2012 Klage erhoben. Zur Begründung beruft sie sich auf die gesetzlichen Vorschriften. Hinsichtlich der von der Beklagten angeführten Entscheidung des BSG wies die Klägerin zudem darauf hin, dass sich diese Entscheidung nur mit der Änderung der Hauptdiagnose befasst habe, jedoch keine Auseinandersetzung mit einer Änderung, Ergänzung oder Streichung von Nebendiagnosen erfolgt sei. Im vorliegenden Fall habe die Korrektur der Nebendiagnosen nicht zu einer Änderung der abgerechneten DRG geführt, so dass es bei dem abgerechneten Betrag verblieb. Daher sei die Beklagte zur Zahlung einer Aufwandspauschale nebst Zinsen verpflichtet.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 300 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.12.2010 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

21

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass die Klägerin die Aufwandspauschale nicht beanspruchen könne, da sie Anlass zur Prüfung gegeben habe. Sie beruft sich nochmals auf das Urteil des BSG vom 22.06.2010 (B 1 KR 1/10 R). Den Erwägungen des BSG lasse sich entnehmen, dass jede nachweisbar fehlerhafte Abrechnung eines Krankenhauses einen Anspruch auf die Aufwandspauschale ausschließe. Dies sei auch recht und billig, da die Krankenkassen auf tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen seien und sich deshalb auf die Schlussrechnung des Krankenhauses verlassen müssten. Das Krankenhaus verfüge über alle Informationen für eine ordnungsgemäße und verlässliche Abrechnung. Komme das Krankenhaus seinen Pflichten nicht nach, müsse es den durch die Prüfung verursachten Verwaltungsaufwand hinnehmen, ohne hierfür eine Entschädigung in Form der Aufwandspauschale beanspruchen zu können. Vorliegend habe die Klägerin zudem nach der ersten MDK-Prüfung die Rechnung selbst durch Streichung der zunächst kodierten Nebendiagnose J96.0 berichtigt. Daher sei die fehlerhafte Abrechnung und Veranlassung der Prüfung unstreitig. Nur auf Grund der im Rahmen der zahlreichen Widersprüche nachkodierten etlichen Nebendiagnosen sei am Ende doch noch die „gewünschte“ DRG zur Abrechnung gekommen. Ausschließlich das mehrfache Fehlverhalten der Klägerin habe Anlass zur Einleitung des Prüfverfahrens gegeben. Es sei unbeachtlich, ob dies durch die Fehlerhaftigkeit der Hauptdiagnose, Nebendiagnose oder der Prozedur verursacht wurde.

22

Die Klägerin erwidert hierauf, die Streichung der Nebendiagnosen sei im Dissens erfolgt, so dass eine fehlerhafte Abrechnung keinesfalls unstreitig sei. Trotz dieses inhaltlichen Dissenses sei eine Nachkodierung vorgenommen worden. Diese Nachkodierung bzw. Neuberechnung sei kein Widerspruch, sondern es resultiere hieraus eine neue Schlussrechnung, für die vorliegend wiederum innerhalb der sechs-Wochen-Frist eine erneute Prüfung durch den MDK angezeigt und durchgeführt wurde.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der von der Klägerin vorgelegten Behandlungsunterlagen Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

24

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsstreit durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.

25

Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig.

26

Sie ist auch im Wesentlichen begründet, wobei Zinsen von der Klägerin erst ab dem 17.01.2011 beansprucht werden konnten. Soweit diese bereits ab dem 22.12.2010 geltend gemacht wurden, war die Klage daher abzuweisen.

27

Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Zahlung der Aufwandspauschale ist § 275 Abs. 1c Satz 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer und Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen. Nach § 275 Abs. 1c SGB V ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V eine Prüfung nach Absatz 1 Nummer 1 SGB V zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst im Krankenhaus anzuzeigen. Satz 3 der Norm bestimmt: „Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro zu entrichten.“

28

Die hier streitige Prüfung erfüllt die Voraussetzungen des § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V i.V.m. § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Die Beklagte hat eine Abrechnungsprüfung durch den MDK in diesem Sinne veranlasst. Überprüft wurde die Schlussrechnung für eine Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 SGB V, nämlich für die stationäre Behandlung des Versicherten im Krankenhaus der Klägerin in der Zeit vom 16.12.2009 bis zum 24.12.2009. Durch die wiederholten Begehungen im Rahmen der Begutachtung durch den MDK ist der Klägerin auch tatsächlich ein Aufwand entstanden.

29

Es handelt sich vorliegend um nur eine Prüfung im Sinne des § 275 Abs. 1c SGB V, auch wenn es auf Grund der MDK-Begutachtungen zu korrigierten Rechnungen und insofern wiederum zu erneuten Begutachtungen kam. Gleichwohl handelte es sich lediglich um einen einzigen Abrechnungsvorgang betreffend die stationäre Behandlung des Versicherten im Krankenhaus der Klägerin in der Zeit vom 16.12.2009 bis zum 24.12.2009.

30

Die Absätze 1 Nr. 1 und 1c des § 275 SGB V enthalten Regelungen zur Prüfung der Leistung, hier der Abrechnung einer erfolgten Krankenhausbehandlung. Gegenstand der Prüfung in diesem Sinne ist dabei immer der konkrete Abrechnungsfall, also die Abrechnung eines Behandlungsfalles, für den mit der Abrechnung eine Vergütung gefordert wird. Selbst wenn – wie hier – wiederholt Stellungnahmen des MDK eingeholt werden und die Begründung des geforderten Rechnungsbetrages (durch „Nachschieben“ weiterer abrechnungsrelevanter Positionen), möglicherweise auch durch Stellen einer neuen (korrigierten) Rechnung mehrfach geändert wird, wird im Ergebnis noch immer die Abrechnung eines konkreten Behandlungsfalles geprüft. Dieser wird bestimmt durch den der Abrechnung zu Grunde liegenden Sachverhalt.

31

Dieses Auslegungsergebnis lässt sich auf den Wortlaut des § 275 Abs. 1c SGB V selbst stützen, der den Begriff der "Prüfung" im Singular verwendet (so schon SG Speyer, Urteil vom 20.06.2012 - S 17 KR 190/11 -). Zudem gewährt § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V ausdrücklich eine Pauschale für die Prüfung in Höhe von 300 Euro, weshalb es weder darauf ankommt, wie hoch der Aufwand im Einzelfall ausgefallen ist noch welche Prüfvorgänge tatsächlich erfolgt sind.

32

Hingegen geht der 1. Senat des BSG (Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 14/13 R –, juris Rn. 8) in Übereinstimmung mit dem 3. Senat des BSG (Urteil vom 22.11.2012 – B 3 KR 20/12 R –, juris Rn. 16) davon aus, dass eine Aufwandspauschale bei einer Krankenhausbehandlung im Sinne eines abrechnungstechnischen Behandlungsfalls mehrfach anfallen kann, wenn die Krankenkasse dem MDK mehrere selbstständige Prüfaufträge erteilt (an die Zahl der erteilten Prüfaufträge anknüpfend auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.04.2013 – L 5 KR 200/12 –, juris). Die gesetzliche Regelung nimmt jedoch an keiner Stelle Bezug auf einen Prüfauftrag der Krankenkasse gegenüber dem MDK. Daher überzeugt es auch nicht, an die Erteilung eines solchen Auftrages oder aber an dessen inhaltliche Ausgestaltung oder an die Frage, wie der MDK den Auftrag verstehen musste, weitere Folgen zu knüpfen.

33

Letztlich bejaht der 1. Senat (Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 14/13 R –, juris) einen grundsätzlich weit zu verstehenden Prüfauftrag, soweit die KK nicht ausdrücklich Einschränkungen vorgegeben hat, um dem Wirtschaftlichkeitsgebot gerecht zu werden. Soweit der MDK bei seiner Prüfung der Behandlungsunterlagen und/oder bei einer Krankenhausbegehung weitere, der Krankenkasse zunächst verborgene Auffälligkeiten feststellt, die bei einem eingeschränkten Prüfauftrag über die durch ihn gezogenen Grenzen hinausgehen, entfaltet der ursprüngliche (eingeschränkte) Prüfauftrag auch nach Auffassung des 1. Senats keine Sperrwirkung. Der MDK dürfe und müsse dann - gegebenenfalls nach Rückfrage bei der Krankenkasse - weitere Ermittlungen anstellen (BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 14/13 R – juris Rn. 13). Nach diesem Verständnis gelangte man daher gleichfalls zu einem einzigen umfassenden Prüfvorgang.

34

Die Prüfung des hier maßgeblichen Abrechnungsfalles hat letztlich nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags geführt. Für diesen Fall bestimmt § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, dass die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro zu entrichten hat.

35

Weitere Voraussetzungen sieht das Gesetz für das Entstehen des Anspruchs auf Zahlung der Aufwandspauschale nicht vor. Der Anspruch ist entgegen der Auffassung der Beklagten insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Prüfung durch eine fehlerhafte Abrechnung der Klägerin veranlasst worden sein könnte.

36

Die Beklagte stützt sich bei ihrer Argumentation auf die Rechtsprechung des 1. Senats des BSG. Dieser hatte angenommen, dass der Anspruch auf Aufwandspauschale jedenfalls ausscheide, wenn die Krankenkasse durch eine nachweislich fehlerhafte Abrechnung des Krankenhauses veranlasst wurde, das Prüfverfahren nach § 275 SGB V unter Beteiligung des MDK einzuleiten (BSG, Urteil vom 22.06.2010 - B 1 KR 1/10 R - juris Rn. 18 ff.; dem ausdrücklich folgend der 3. Senat mit Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 4/13 R -). Der 3. Senat hat diese Rechtsprechung in dem zuletzt genannten Urteil in dem Sinne fortentwickelt, dass der "Grundsatz" des Entfallens der Aufwandspauschale bei Veranlassung des Prüfverfahrens durch Falschkodierung nicht gelte, wenn das Krankenhaus gute Gründe für die vorgenommene Kodierung geltend machen könne und zur zweifelsfreien Aufklärung weitere aufwändige Ermittlungen erforderlich wären.

37

Mangels eines Anknüpfungspunktes im Gesetzestext kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Eine derartige Verkürzung eines gesetzlich eingeräumten Anspruchs durch die Rechtsprechung verstößt gegen den Grundsatz der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes). Der gesetzlichen Regelung des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, dass die Aufwandspauschale nicht anfallen soll, wenn die Abrechnung fehlerhaft erfolgt ist. Auf die ausführliche Begründung des SG Mainz (Urteil vom 14.06.2013 – S 17 KR 58/12 –, juris) – der die Kammer sich anschließt – kann insofern vollumfänglich Bezug genommen werden. Dort wird u.a. ausgeführt:

38

„Im Normtext des § 275 Abs. 1c S. 3 SGB V lässt sich … kein begrifflicher Ausgangspunkt für die Interpretation des BSG finden. Der Wortlaut eines Gesetzes steckt jedoch die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten ab. Entscheidungen, die den Wortlaut einer Norm offensichtlich überspielen, sind unzulässig (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 310, zum Ganzen Rn. 304 ff., 10. Aufl. 2009). Die Bindung der Gerichte an das Gesetz folgt aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Die Bindung an den Gesetzestext folgt aus der schriftlichen Fixierung der Gesetzestexte als auf Grund der Einhaltung des von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahrens allein verbindliche Eingangsdaten für die Rechtsprechung. Eine Überschreitung der Wortlautgrenze verstieße daher gegen Gesetzesbindung und Gewaltenteilungsprinzip. Die Wortlautgrenze stellt gleichzeitig die Grenze für die Möglichkeit der (und Verpflichtung zur) verfassungskonformen Auslegung dar.“

39

Auf die Eindeutigkeit des insofern maßgeblichen Wortlauts des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V hatte auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz bereits im Beschluss vom 09.07.2009 - L 5 KR 90/09 NZB -, juris Rn. 12 sowie im Urteil vom 06.08.2009 – L 5 KR 139/08 –, juris Rn. 13) ausdrücklich hingewiesen.

40

Bei der Rechtsanwendung des BSG handelt es sich nicht um die dort (vgl. ausdrücklich BSG, Urteil vom 22.06.2010 - B 1 KR 1/10 R - juris Rn. 19, bekräftigt im Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 14/13 R –, juris Rn. 12) behauptete „einschränkende Auslegung“ des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, denn eine Auslegung bräuchte einen auslegungsfähigen begrifflichen Anhalt im Normtext. Vielmehr schränkt das BSG den Anwendungsbereich der Norm ein, indem vom Gericht selbst Ausschlussgründe aufgestellt werden. Die vom BSG zur Begründung angestellten Erwägungen zu Sinn, Zweck und funktionalem Zusammenhang der Regelung des § 275 Abs. 1c S. 3 SGB V sind jedoch bereits wegen der Verpflichtung zur Realisierung von Gesetzesbindung nicht dazu geeignet, den klaren und bestimmten Normtext in Frage zu stellen (SG Mainz, Urteil vom 14.06.2013 – S 17 KR 58/12 –, juris Rn. 31; vgl. dort die ausführliche Kritik an den systematischen und entstehungsgeschichtlichen Argumenten der Rechtsprechung des BSG insbesondere unter Rn. 33 ff.). Offen bleibt in Ansehung der Rechtsanwendung durch das BSG insbesondere die Frage, warum das Bestehen eines materiellen Anspruchs davon abhängen soll, ob bestimmte Umstände „unstreitig“ sind bzw. einer Plausibilitätsprüfung wie der des 3. Senats im Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 4/13 R - standhalten können und ob insofern eine „reduzierte“ Amtsermittlung durch das Gericht erfolgen soll.

41

Da aber auch ausweislich der genannten Entscheidungen des BSG eine nachgewiesene oder zumindest unstreitige Fehlerhaftigkeit der Abrechnung vorauszusetzen wäre, um den gesetzlich eingeräumten Anspruch zu Fall zu bringen, wirkt sich die Abweichung von dieser Rechtsprechung des BSG im vorliegenden Fall nicht aus. Denn die Klägerin hat zwar als Reaktion auf die Begutachtungen durch den MDK die ursprünglich kodierten Nebendiagnosen durch weitere Nebendiagnosen ersetzt. Gleichwohl hat sie die Berechtigung der Streichung nicht unstreitig gestellt. Es standen ihr vielmehr weitere als erlösrelevant nachzukodierende Nebendiagnosen für den hier abgerechneten Behandlungsfall zur Verfügung, die vom MDK letztlich auch bestätigt wurden. Auf die – streitig gebliebene und ohne weitere Ermittlungen auch nicht nachweisbare – Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Kodierung käme es im vorliegenden Fall daher auch unter Anwendung der zitierten Rechtsprechung des BSG nicht an.

42

Die Norm des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V gilt und ist vom Gericht (ohne Einschränkungen) anzuwenden. Die Beklagte war daher zur Zahlung des geltend gemachten Betrags in Höhe von 300 Euro zu verurteilen.

43

Die Klägerin hat Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2011. Der Zinsanspruch kann nicht auf den rheinland-pfälzischen Sicherstellungsvertrag nach § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB oder sonstige Regelungen zum Anspruch auf Vergütung für erbrachte Leistungen gestützt werden, da die Aufwandspauschale kein Vergütungsanspruch des Leistungserbringers ist. Jedoch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 288 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ein Anspruch auf Verzugszinsen (anders zuletzt BSG, Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 4/13 R – unter Verweis auf weitere Entscheidungen, wonach „mangels anderweitiger Rechtsgrundlage“ nur Prozesszinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB geltend gemacht werden könnten). Nach § 288 Abs. 1 BGB ist eine Geldschuld während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Die Beklagte befindet sich gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB seit dem 17.01.2011, dem Tag der endgültigen Verweigerung der Zahlung der Aufwandspauschale, im Verzug. Ein früherer Beginn des Verzuges ist nicht feststellbar. Weder hat die Klägerin die Zahlung zuvor angemahnt, noch ergibt sich für die Zahlung der Aufwandspauschale eine nach dem Kalender bestimmte Zeit. Auch § 286 Abs. 3 BGB findet keine Anwendung, da es sich bei der Aufwandspauschale nicht um eine Entgeltforderung handelt. Soweit die Klägerin Zinsen bereits 14 Tage nach Zugang der Rechnung geltend macht, war die Klage daher abzuweisen.

44

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Demnach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Da die Klägerin hinsichtlich der Hauptforderung obsiegt hat und nur hinsichtlich des Beginns der Verzinsung – in zu vernachlässigender Weise - unterlegen ist, waren der Beklagten die Kosten des Verfahrens im Ganzen aufzuerlegen.

45

Der Streitwert bestimmt sich nach § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wonach bei einem Antrag, der eine bezifferte Geldleistung betrifft, deren Höhe maßgebend ist.

46

Die Berufung ist nicht zulässig, da der Berufungsstreitwert von 750 Euro nicht erreicht wird. Sie war auch nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Zwar weicht das Urteil von Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil des 1. Senats vom 22.06.2010 - B 1 KR 1/10 R – und diesem ausdrücklich folgend Urteil des 3. Senats vom 28.11.2013 – B 3 KR 4/13 R -) insofern ab, als der dort vorgenommenen „einschränkenden Auslegung“ (im Sinne einer teleologischen Reduktion) nicht gefolgt wird. Jedoch beruht das Urteil nicht auf dieser Abweichung, da vorliegend eine Fehlerhaftigkeit der Abrechnung des Krankenhauses weder nachgewiesen noch unstreitig war. Der 3. Senat des BSG hat darauf hingewiesen, dass es geradezu widersinnig wäre, zu der Frage, ob ein Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale besteht, aufwändige Ermittlungen im Hinblick auf die Fehlerhaftigkeit einer Kodierung durchzuführen, wenn feststeht, dass der Abrechnungsbetrag unvermindert bleibt. Die „Einschränkung“ des Anspruchs für den Fall einer unstreitig oder nachgewiesen fehlerhaften Abrechnung bilde lediglich einen „eng zu begrenzenden Ausnahmefall“ (so BSG, Urteil vom 28.11.2013 – B 3 KR 4/13 R -). Folgte man der Argumentation des BSG, so wäre der Klage daher gleichwohl im tenorierten Umfang stattzugeben gewesen.

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