Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 3 K 1199/16
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Kläger begehren eine bauordnungsrechtliche Befreiung für die Ableitung von Abgasen, die beim Betrieb einer Gasfeuerstätte entstehen.
3Die Kläger bewohnen ein freistehendes 2-geschossiges Einfamilienhaus auf dem Grundstück Gemarkung F. , Flur x, Flurstück xxx. Sie wünschen, in ihrem im Erdgeschoss liegenden Wohnzimmer einen Gasofen als Einraum-Zweitheizung zu errichten. Der Gasofen wird mit Propangas betrieben und verfügt über eine Nennwärmeleistung von 10,5 kW. Die Kosten für die Einrichtung des Gasofens werden mit voraussichtlich rund 9.400,- € beziffert. Die Abluft des Gaskamins soll durch die nordwestliche Giebelwand des Gebäudes ins Freie abgeführt werden. Diese Giebelwand weist eine Traufhöhe zwischen rund 3,80 m an der nordöstlichen und 4,20 m an der nordwestlichen Gebäudeecke und eine Firsthöhe von rund 8,40 m auf. Die Abluft soll durch ein waagerechtes Abluftrohr in ca. 1 m Höhe austreten.
4Mit E-Mail vom 12. Dezember 2013 wandte sich eine durch die Kläger beauftragte Ofenbaufirma wegen des Vorhabens an die Beklagte und wies im Wesentlichen darauf hin, der Kamin werde entweder an ein C11 Abgassystem (mit Wanddurchführung) oder über ein System angeschlossen, bei dem Abgase mittels eines Ventilators abgeführt werden. Dieser Ventilator könne, abhängig vom Kamin, in einer Entfernung von bis zu 65 m montiert werden. Der Bezirksschornsteinfeger habe darauf aufmerksam gemacht, dass die Beklagte eine Ausnahmegenehmigung erteilen müsse, da in Deutschland die Abgase über das Dach geführt werden müssten.
5Mit Schreiben 25. August 2014 - bei der Beklagten eingegangen am 26. August 2014 - zeigte der Prozessbevollmächtigte der Kläger an, diese gegenüber der Beklagten anwaltlich zu vertreten. Im Namen der Kläger beantragte er die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Ableitung von Abgasen über die Außenwand. Die gesetzlich vorgesehene Abgasführung über das Dach sei für die Kläger nicht möglich, da im Obergeschoss ihres Hauses eine Flurheizung verlegt sei, die nicht durchbohrt werden könne. Die einzige Möglichkeit sei, das Abgas über einen Wandauslass abzuführen. Andere Alternativen seien mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 14. Januar 2015 wiesen die Kläger darauf hin, dass die Abgasführung für den Kamin über das Dach für sie nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich sei. Da das Dach über die Außenwand hinausrage, müsse ein Loch durch das Dach geschnitten werden, womit die Gefahr verbunden sei, dass das Dach undicht werde. In ihrer Nachbarschaft sei eine Lösung, wie von Ihnen gewünscht, durchgeführt worden. Im Sinne der Gleichbehandlung sei es angebracht, auch Ihnen eine Genehmigung zu erteilen. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 20. Februar 2015 übersandten die Kläger die „Beurteilungskriterien zum Einbau von Gas-Außenwand-Raumheizern mit und ohne Kaminfeuereffekt“ des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs, des Industrieverbandes Haus-, Heizung- und Küchentechnik e. V. und des Bundesverbandes des Schornsteinfegerhandwerks aus dem September 2012 und ein Schreiben des Fachverbandes Sanitär-Heizung-Klima Baden-Württemberg vom 23. Januar 2013, das im Wesentlichen auf diese Beurteilungskriterien Bezug nimmt.
6Weiter verwiesen die Kläger auf ein Alternativangebot einer Ofenbaufirma vom 6. Februar 2015. Danach werde der Edelstahlschornstein als konzentrisches Rohr an der Außenfassade angebracht und durch die Dachfläche geführt. Man biete den Klägern die Montage des Edelstahlschornsteins - inklusive aller Materialien, sowie Dachänderungs- und Eindichtungsarbeiten zu einem Mehrpreis von 2.790,- € (inklusive 19 % Mehrwertsteuer) an.
7Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 18. Februar 2016 wiesen die Kläger zudem darauf hin, dass durch die Ableitung durch die Wand keine Gefahren entstehen würden. Der geplante Ofen nutze Propangas, welches zu gewöhnlichem CO2 und Wasser verbrenne. Im Übrigen verweise man darauf, dass das Gesetz von einem „unverhältnismäßig hohen Aufwand“ spreche. Es sei ausdrücklich nicht die Rede von lediglich unverhältnismäßig hohen Kosten.
8Mit Schreiben vom 27. August 2014 wies die Beklagte den Prozessbevollmächtigten der Kläger unter anderem darauf hin, grundsätzlich sei sie für die Installation eines Heizsystems nicht zuständig. Vielmehr habe sich der Bauherr beim Anschluss von Feuerstätten an Schornsteine oder Abgasleitungen von dem Bezirksschornsteinfegermeister bescheinigen zu lassen, dass die Abgasanlage sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet. Mit Schreiben vom 10. März 2015 fügte die Beklagte hinzu, das vorliegende Merkblatt mit Beurteilungskriterien äußere sich nicht zu den Belästigungen und mache auch keine Aussagen zu außenliegenden Abgasleitungen mit Abstandhaltern, die kostengünstig angebracht und an den Dächern vorbeigeführt werden können. Diese Lösung sei auch günstiger als das vorliegende Angebot vom 6. Februar 2015, da Abdichtungen am Dach entfallen würden. Mit Schreiben vom 23. März 2015 ergänzte die Beklagte, das Angebot für einen außenliegenden Edelstahlschornstein mit Dachdurchführung liege bei 2.790,- € und stelle daher keinen unverhältnismäßig hohen Aufwand dar. Der Ausnahmetatbestand der Bauordnung NRW sei nicht gegeben, da eine Realisierung grundsätzlich möglich sei. Ein Anspruch darauf, dass den Klägern eine rechtswidrige Genehmigung erteilt würde, sei auch mit Blick auf andere Bauvorhaben in diesem Gebiet nicht zu erkennen. Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 fügte die Beklagte ihren Ausführungen im Wesentlichen hinzu, da die Abgasleitung zwischen den Fenstern der Giebelseite geplant werde, seien nicht nur Betriebsstörungen der Anlage durch ein Wiederansaugen der Abgase, sondern auch Belästigungen und Gefahren für alle Anwohner und Besucher des Hauses möglich und zu berücksichtigten. Eine Abweichung sei unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen nicht zu vereinbaren, da der Zweck der Abweichung im Falle der Kläger nur in der Kostenersparnis und in ästhetischen Gründen liege.
9Einer E-Mail eines Mitgliedes des Vorstandes des Bundesverbands des Schornsteinfegerhandwerks vom 12. November 2015 ist zu entnehmen, dass der Verband die Beurteilungskriterien zum Einbau von Gas-Außenwand-Raumheizern zwischenzeitlich zurückgezogen habe, nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Papier seitens der bauaufsichtlichen Gremien nicht mitgetragen werde.
10Auf entsprechende Nachfrage durch die Beklagte teilte das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 27. November 2015 im Wesentlichen mit, dass eine Beurteilung immer nur im Einzelfall möglich sei und daher auch verschieden ausfallen könne. Wenn die Abgase voraussichtlich außen durch ein Rohr über Dach geführt werden können und eine solche Lösung etwa 2.000,- € koste, sei der erforderliche Aufwand dafür oder eine andere zulässige Abgasführung in Anbetracht der möglichen Betriebsstörungen der Feuerstätte durch ein Wiederansaugen der Abgase und der von den Abgasen ausgehenden unzumutbaren Belästigungen nicht unangemessen. Eine derartige Abgasführung sei nicht grundsätzlich unverhältnismäßig.
11Am 30. Mai 2016 haben die Kläger zunächst Untätigkeitsklage erhoben.
12Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 - den Klägern zugestellt am 26. Mai 2017 - lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger auf Erteilung einer Befreiung ab. Zur Begründung berief sie sich auf den vorstehenden Sachverhalt und wiederholte unter Bezugnahme auf § 73 Abs. 1 BauO NRW und die Vorgabe des § 43 Abs. 4 BauO NRW im Wesentlichen ihre vorstehenden Ausführungen. Ergänzend fügt sie hinzu, § 73 Abs. 1 BauO NRW gebe die Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung, wobei die Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Ermessensentscheidung einzuhalten sei. Der Antrag der Kläger ziele originär auf die Einsparung der Kosten für die Über-Dach-Abführung und die optische Erhaltung der Außenfassade ab. Sinn und Zweck der Abgasführung über Dach sei der Schutz des Grundstückseigentümers und der Öffentlichkeit vor Abgasen. Eine Ausnahme könne daher nur erteilt werden, wenn die gesetzliche Forderung für den jeweiligen Bauherren eine unverhältnismäßige Belastung darstelle, die so nicht vorgesehen sei. Die Forderung bestehe für jeden Bauherren und stelle in diesem speziellen Fall kein unlösbares Problem dar, da die Errichtung eines Außenkaminrohres möglich sei. Ein solches Rohr führe zur Veränderung der Optik des Hauses. Diese veränderte Hausansicht sei jedoch nicht unverhältnismäßig und von den Klägern zu tolerieren. Die Kosten für die Außenkaminanlage stellten mit ca. 2.800,- € im Verhältnis zu den Kosten des sonstigen Anlageneinbaus in Höhe von ca. 9.400,- € auch keine Härte dar, die vom Gesetzgeber nicht einkalkuliert gewesen sei, zumal die Beheizung des Hauses bisher durch andere gesetzeskonforme Feuerungsanlagen gesichert worden sei. Durch die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung werde ein Präzedenzfall geschaffen, der § 43 Abs. 5 BauO NRW umgehe, und damit § 43 Abs. 4 BauO NRW zuwiderlaufe, da durch die heutigen technischen Möglichkeiten fast immer ein Anbau eines Außenkamins möglich sei. Die Ausnahmegenehmigung dürfe jedoch keinen allgemeingültigen Regelungscharakter erhalten, sondern nur den Einzelfall berücksichtigen. Im Hinblick auf die bereits vom Gesetz vorgesehene Ausnahmeregel in § 43 Abs. 5 BauO NRW seien auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 BauO NRW entsprechend hoch anzusetzen. Eine Genehmigung aus optischen Gründen und zur Kostenersparnis von ca. 3.000,- € sei mit dem eigentlichen Regelungszweck des § 43 BauO NRW nicht vereinbar.
13Mit Schriftsatz vom 9. Juni 2017 - bei Gericht eingegangen am 13. Juni 2017 - haben die Kläger den Ablehnungsbescheid vom 22. Mai 2017 in das Klageverfahren einbezogen und ihre Untätigkeitsklage in eine Verpflichtungsklage umgestellt.
14Zur Begründung ihrer Klage wiederholen und vertiefen sie ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend zu ihren dortigen Ausführungen weisen Sie insbesondere darauf hin, dass § 43 Abs. 5 BauO NRW bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Beklagten faktisch leerlaufe. So sei es stets möglich, Abgase irgendwie in Richtung des Daches zu bringen. Insbesondere sei es stets möglich, ein Rohr an der Außenfassade zu verschrauben und dann durch das Dach zu bohren, um die Abgase abzuleiten. Dies sei erkennbar nicht Sinn und Zweck des § 43 Abs. 5 BauO NRW, der davon ausgehe, dass es Fälle geben könne, in denen eine Abgasführung über das Dach nicht erfolgen könne. Die Auslegungskriterien des ZIV hätten dies richtig erkannt, indem sie davon ausgingen, dass es einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeute, wenn im Raum kein Anschluss an den Hauptschornstein vorhanden sei. Sie seien gezwungen, einzig und allein für einen Gaskamin, der das Wohnzimmer beheizen solle, einen weiteren Schornstein auf das Dach zu installieren, mit allen Konsequenzen, die ein solcher Einbau für den Rest des Hauses bedeute.
15Die Kläger beantragen,
16die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 22. Mai 2017 zu verpflichten, ihnen die beantragte Abweichungsgenehmigung zur Ableitung von Abgasen einer raumluftunabhängigen Gasfeuerstätte durch die Außenwand ins Freie zu erteilen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Sie beruft sich auf ihre Ausführungen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens und verweist ergänzend darauf, bislang seien keine Ausnahmegenehmigungen in gleich gelagerten Fällen erteilt worden, die als Vergleichsfälle herangezogen werden könnten. Im Übrigen seien originär die Nutzungsmöglichkeiten des zusätzlich zu beheizenden Raumes berücksichtigt worden. Es handle sich nicht um eine Nutzungsänderung in zukünftigen Wohnraum, der nun erstmalig beheizt werden müsse, sondern um einen bisher bereits als Wohn- und Esszimmer genutzten Raum, für den bereits bei der Bauplanung ein Heizsystem vorgesehen worden sei. Es sei offensichtlich eine zweite Wärmequelle gewünscht, die den Wohnkomfort erhöhe.
20Der Berichterstatter hat im Rahmen des Ortstermins am 22. November 2018 die Örtlichkeit in Augenschein genommen.
21Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung und gemäß § 87a Abs. 2, 3 VwGO durch den Berichterstatter entscheiden.
24Die Klage hat keinen Erfolg.
25Zwar ist die Klage zulässig.
26Nachdem der Beklagte den Antrag der Kläger mit Bescheid vom 22. Mai 2017 abgelehnt hat, konnten die Kläger ihre Klage durch ihren Schriftsatz vom 9. Juni 2017 unter Einbeziehung des Ablehnungsbescheides als Verpflichtungsklage fortführen. Die Verpflichtungsklage ist statthaft, da die Entscheidung über die von den Klägern gewünschte Abweichung in Form eines Verwaltungsakts ergeht,
27vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte u. a., BauO NRW, § 73 Rn. 43.
28Die Klage ist jedoch unbegründet.
29Die Kläger haben keinen Anspruch auf die antragsgemäße Erteilung der begehrten Abweichungsgenehmigung, § 113 Abs. 5 VwGO.
30Abzustellen ist insoweit auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
31Die Voraussetzungen des demnach maßgeblichen § 73 Abs. 1, S. 1 und Abs. 2 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 2000 (GV NRW 2000, S. 256), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Mai 2014 (GV NRW 2014, S. 294) sind nicht erfüllt.
32§ 73 Abs. 1 BauO NRW ist vorliegend anwendbar, da das Vorhaben der Kläger gegen die bauaufsichtliche Anforderung des § 43 Abs. 4 BauO NRW verstößt. Danach sind die Abgase von Feuerstätten durch Abgasanlagen über Dach abzuleiten. Demgegenüber wünschen die Kläger, die Abluft des geplanten Gasofens (einer Gasfeuerstätte im Sinne des § 43 Abs. 5 BauO NRW) durch die Außenwand ihres Wohngebäudes ins Freie abzuleiten, wobei sich die Austrittsöffnung des Austrittsrohrs in einer Höhe von ca. 1 Meter über der Erdoberfläche befinden soll.
33Die formellen Erteilungsvoraussetzungen sind erfüllt, insbesondere haben die Kläger das Antragserfordernis beachtet.
34Nach § 73 Abs. 2 BauO NRW ist die Abweichung schriftlich zu beantragen, wenn für bauliche Anlagen oder andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW keine Baugenehmigung erforderlich ist. Dies ist vorliegend der Fall, da die Errichtung von Feuerungsanlagen (vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 BauO NRW) gemäß § 66 S. 1 Nr. 2 BauO NRW keiner Genehmigung bedarf. Die Kläger haben die Erteilung einer Abweichungsgenehmigung im Rahmen des Schreibens ihres Prozessbevollmächtigten vom 25. August 2014 am 26. August 2014 förmlich beantragt.
35Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichungsgenehmigung erfüllt sind.
36Nach § 73 Abs. 1 S. 1 BauO NRW kann die Genehmigungsbehörde, soweit in BauO NRW nicht anderes geregelt ist, Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen insbesondere der BauO NRW zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.
37Nach der Rechtsprechung erfasst § 73 BauO NRW sowohl solche Fälle, in denen die BauO NRW selbst bestimmt, wann und unter welchen Voraussetzungen von der Bauordnung abgewichen werden kann, als auch solche Fälle, in denen die Vorschriften der BauO NRW zwingend sind,
38vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. Mai 2007 - 7 A 2364/06 - juris, Rn. 42.
39Unterschiede ergeben sich bei den Voraussetzungen, die für die Bewilligung einer Abweichung erfüllt sein müssen. Steht eine Abweichung von zwingendem Recht in Rede, setzt dies eine atypische Grundstückssituation voraus. Lässt die bauordnungsrechtliche Regelung eine Ausnahme von vornherein zu, verbleibt es bei Vorliegen der Voraussetzungen bei der Anforderung an eine ermessensgerechte Entscheidung, in die die nachbarlichen Interessen einzubeziehen sind,
40vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. Mai 2007 - 7 A 2364/06 - juris, Rn. 44 ff.
41Die Kläger berufen sich auf § 43 Abs. 5 BauO NRW. Nach dieser Vorschrift dürfen die Abgase von Gasfeuerstätten mit abgeschlossenem Verbrennungsraum, denen die Verbrennungsluft durch dichte Leitungen vom Freien zuströmt (raumluftunabhängige Gasfeuerstätten) abweichend von § 43 Abs. 4 BauO NRW durch die Außenwand ins Freie geleitet werden, wenn eine Ableitung der Abgase über Dach nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist (1.) und die Wärmeleistung der Feuerstätte 11 kW zur Beheizung und 28 kW zur Warmwasserbereitung nicht überschreitet (2.) und Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen.
42Im vorliegenden Fall bedarf es keiner Entscheidung, ob es sich bei den Voraussetzungen für eine „Abweichung“ von § 43 Abs. 4 BauO NRW, wie sie durch § 43 Abs. 5 BauO NRW ermöglicht wird, um zwingendes Recht oder um eine Ausnahme im genannten Sinne handelt. Denn weder sind die Voraussetzungen des § 43 Abs. 5 BauO NRW erfüllt, noch liegt eine atypische Grundstückssituation vor. Im Übrigen wären auch die durch die Beklagte im Rahmen des Ablehnungsbescheids vom 22. Mai 2017 angestellten Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden. Im Einzelnen:
43Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 5 BauO NRW sind nicht erfüllt.
44Die - unstreitig mögliche - Ableitung der Abgase des geplanten Gasofens über Dach ist nicht mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden.
45Dabei ist zu prüfen, ob der Aufwand, der mit der Erfüllung der Verpflichtung für die Bauherren verbunden ist, außer Verhältnis zu den Vorteilen steht, die die Verpflichtung bewirkt. Aufwand und Ertrag sind miteinander abzuwägen. Da es sich bei § 43 Abs. 5 BauO NRW um eine Ausnahmevorschrift handelt, ist sie nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen. Der gesetzliche Regelfall einer Ableitung von Abgasen über das Dach darf nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass bereits bei einem Sachverhalt, der dem Regelfall entspricht, von einem Abweichungsfall ausgegangen wird.
46Der Aufwand für die Kläger erweist sich als gering. Er geht insbesondere nicht in relevantem Umfang über den Aufwand hinaus, der im Regelfall mit der gesetzlich vorgesehenen Abführung von Abgasen über das Dach einhergeht. Weder ist die Wegstrecke, über die die Abgase transportiert werden müssen besonders groß, noch gestaltet sich die Führung des Abgasrohres als besonders kompliziert. Die Kläger bewohnen ein Einfamilienhaus durchschnittlichen Zuschnitts mit einer durchschnittlichen Gebäudehöhe (Traufhöhe zwischen 3,80 m und 4,20 m, Firsthöhe rund 8,40 m). Die Feuerstätte soll einen Raum beheizen, der durch Gebäudeaußenwände umschlossen wird, bei dem mithin auch innerhalb des Hauses keine bedeutenden Strecken durch Rohrleitungen überbrückt werden müssen. Auch dürfte sich die von den Klägern nicht gewünschte Führung des Abgasrohres entlang der Außenwand des Gebäudes im Vergleich zur grundsätzlich ebenfalls denkbaren Führung des Rohres innerhalb des Hauses bereits deshalb als weniger aufwändig darstellen, da das Rohr auf geradem Weg nach oben geführt werden kann. Auch die gegebenenfalls notwendige Führung des Rohres durch das überstehende Dach ist bereits im Regelfall notwendige Folge eines Verbringens von Abgasen mittels Abgasleitungen oder Schornsteinen durch das Dach. Die zusätzlichen Kosten der Abgasleitung gegenüber einem Abführen der Abgase durch die Wand ins Freie, die bei Gesamtkosten für die Anlage in Höhe von rund 9.400,- € und zusätzlichen Kosten in Höhe von rund 2.800,-€ bei weniger als 1/3 der Gesamtkosten liegen, stellen ebenfalls keine übermäßige Belastung dar. Dabei ist auch zu berücksichtigten, dass es sich bei dem geplanten Gasofen - worauf die Beklagte verweist und was von den Klägern nicht in Abrede gestellt wird - um eine zusätzliche Wärmequelle handelt, die zur bereits vorhandenen Heizungsanlage hinzutritt. Soweit die Kläger eine Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds der Außenwand ihres Wohnhauses befürchten, vermögen sie bereits keinen Belang aufzuzeigen, der zu einer Erhöhung des den Klägern entstehenden Aufwands führt. Unabhängig davon finden Abgasrohre durch den nachträglichen Einbau neuartiger Heizungsanlagen in Bestandsgebäude zunehmende Verbreitung. Ihnen kann keine verunstaltende Wirkung beigemessen werden.
47Die eher geringfügige Beeinträchtigung der Interessen der Kläger steht nicht außer Verhältnis zu dem Bestreben des Gesetzgebers, den Kontakt von Menschen mit Abgasen dadurch zu vermindern, dass diese über Dach abgeführt werden. Der Einwand der Kläger, der geplante Ofen nutze Propangas, das zu gewöhnlichem CO2 und Wasser verbrenne, greift nicht durch. Auch das Einatmen von CO2 kann je nach Konzentration nachteilige Folgen für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen haben, die von einer Minderung der Konzentration, zu Kopfschmerzen und Schwindel bis zu beschleunigtem Herzschlag, Atemnot und Bewusstlosigkeit reichen können,
48vgl. www.wikipedia.de, Stichwort: Kohlenstoffdioxid.
49Ein Eindringen der Abgase durch eines der insgesamt vier großflächigen Fenster des Wohnhauses, die sich auf der Gebäudeseite befinden, an der das Gas in Bodennähe austreten soll, ist möglich und zu vermeiden. Insofern dürfte auch eine Gefahr i. S. d. § 43 Abs. 5 a. E. BauO NRW bestehen, die einer Abweichung entgegensteht.
50Der Einwand der Kläger, § 43 Abs. 5 BauO NRW laufe faktisch leer, da es stets möglich sei, Abgase irgendwie in Richtung des Daches zu bringen, greift nicht durch. Auch bei einer engen Auslegung der Ausnahmevorschrift verbleibt für sie ein eigenständiger Anwendungsbereich. So dürften insbesondere bei höheren Gebäuden größere Entfernungen zu überwinden sein, die den Aufwand einer Ableitung über Dach erhöhen können. Auch mag eine Ableitung über Dach im Einzelfall mit Blick auf die Abwehr von Belästigungen für eine mögliche Nachbarbebauung nicht effektiver sein als eine Ableitung unmittelbar ins Freie. Letztlich ist mit dem Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen darauf zu verweisen, dass die Verhältnismäßigkeit stets in Ansehung des konkreten Einzelfalls bestimmt werden muss,
51vgl. die schriftliche Stellungnahme gegenüber dem Beklagten vom 27. November 2015.
52Sollte § 43 Abs. 4, 5 BauO NRW im Zusammenhang des § 73 BauO NRW als zwingende Regelung anzusehen sein, zeigen die vorstehenden Erwägungen überdies, dass auch keinerlei Anhaltspunkte für eine atypische Grundstückssituation erkennbar sind.
53Da die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Abweichung nicht erfüllt sind, waren die Ermessenserwägungen, die die Beklagte angestellt hat, nicht erforderlich. Lediglich ergänzend ist schließlich darauf hinzuweisen, dass sie unter Berücksichtigung des Prüfungsmaßstabs des § 114 VwGO auch nicht zu beanstanden gewesen wären. Der Beklagte greift unter Berücksichtigung des erforderlichen Schutzes der Grundstückseigentümer und der Öffentlichkeit vor Abgasen im Wesentlichen die im Rahmen der vorstehenden Verhältnismäßigkeitsprüfung genannten Gesichtspunkte auf und gelangt zu dem auch durch das Gericht geteilten Abwägungsergebnis.
54Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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Referenzen
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