Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 7 L 931/20
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
3I.
41. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor. Dazu zählen auch Innenrechtsstreitigkeiten zwischen Organen oder Organteilen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts um deren Befugnisse und damit insbesondere auch – wie hier – ein Kommunalverfassungsstreit um die Organbefugnisse eines Gemeinderates.
5Vgl. Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 40 Rn. 129 (Stand: Juli 2020); Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 40 Rn. 15 m.w.N.; Sodan, in: NK-VwGO, 5. Auflage 2018, § 40 Rn. 179.
62. Der Antrag ist zulässig.
7a) Die Antragstellerinnen sind als Fraktionen des Antragsgegners im Verwaltungs-prozess beteiligtenfähig i.S.d. § 61 Nr. 2 VwGO.
8Vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 61 Rn. 7 (Stand: Juli 2019); Czybulka/Siegel, in: NK-VwGO, 5. Auflage 2018, § 61 Rn. 30 m.w.N.; Kintz, in: BeckOK VwGO, § 61 Rn. 10 (Stand: 01. Oktober 2020).
9Sie können geltend machen, in eigenen Rechten, namentlich in ihrem Recht auf Berücksichtigung bei der Verteilung der Sitze der Ausschüsse entsprechend der Stärkeverhältnisse im Stadtrat auf der Grundlage des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit verletzt zu sein. Damit sind die Antragstellerinnen auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.
10b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist auch im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO statthaft. In der Hauptsache ist eine allgemeine Leistungsklage statthaft, da der streitgegenständliche Stadtratsbeschluss zur Besetzung der Ausschüsse mangels Außenwirkung nicht als Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 1 VwVfG NRW einzustufen ist.
11Vgl. hierzu allgemein Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 Rn. 191; Windoffer, in: NK-VwVfG, 2. Auflage 2019 Rn. 124, jeweils m.w.N.
123. Der Antrag ist aber nicht begründet.
13Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller muss dabei sowohl das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer sofortigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
14Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
151. Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie einen Anspruch auf die begehrte Auflösung und Neubildung der in seinem Antrag aufgeführten Ratsausschüsse haben.
16Gemäß § 57 Abs. 1 GO NRW kann der Rat Ausschüsse bilden. In jeder Gemeinde müssen ein Hauptausschuss, ein Finanzausschuss und ein Rechnungsprüfungs-ausschuss gebildet werden. Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 GO NRW regelt der Rat mit der Mehrheit der Stimmen der (gewählten) Ratsmitglieder die Zusammensetzung der Ausschüsse und ihre Befugnisse; der Bürgermeister als Ratsmitglied kraft Gesetzes stimmt dabei nicht mit (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 6 GO NRW). Dabei steht die Bestimmung der Mitgliederzahl der Ausschüsse im Organisationsermessen des Antragsgegners.
17Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 62 f. m.w.N.
18Dieses Ermessen hat sich an dem sachlichen Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiver Ausschussarbeit auszurichten.
19Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 64 f. m.w.N.; Sächs.OVG, Beschluss vom 14. September 2010 – 4 B 87/10 –, juris Rn. 21.
20Das Organisationsermessen wird durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Spiegelbildlichkeit (nachfolgend a) und das Willkürverbot (b) begrenzt. Diese Grenzen sind hier nicht überschritten.
21a) Der Antragsgegner war nicht durch den Spiegelbildlichkeitsgrundsatz gehindert, die Größe der Ausschüsse wie geschehen festzusetzen.
22Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG überträgt die Grundentscheidung der Verfassung in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden. Daraus folgt, dass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern ein Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert. Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung. Deswegen muss grundsätzlich jeder Gemeindeausschuss ein verkleinertes Bild des Plenums der Gemeindevertretung sein und in seiner Zusammensetzung deren Zusammensetzung widerspiegeln. Auch Gemeindeausschüsse dürfen nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl der Gemeindevertretung mit entschieden haben. Vielmehr müssen auch diese Ausschüsse grundsätzlich als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit soll sicherstellen, dass der Ausschuss die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt verkleinernd abbildet. Da der Abgeordnete frei ist, sich in Fraktionen zu organisieren, sind die Fraktionen als politische Kräfte ebenso gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln wie die gewählten Gemeindevertreter untereinander.
23Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. April 2010 - 8 C 18.08 -, juris Rn. 20, vom 09. Dezember 2009 - 8 C 17.08 -, juris Rn. 18 ff. und vom 10. Dezember 2003 – 8 C 18.03 - juris Rn. 12 ff.; Beschluss vom 27. März 1992 – 7 C 20.91 -, juris Rn. 17, jeweils unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 -, juris Rn. 113; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 62 f. m.w.N.; Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 B 1308/16 -, juris Rn. 5; VG Aachen, Beschluss vom 17. Januar 2020 – 7 L 1456/19 –, juris Rn. 6; VG Arnsberg, Beschluss vom 04. Mai 2017 - 12 L 996/17 -, juris Rn. 7, juris, jeweils m.w.N.; Faber, in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 50 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Anm. 6.7 (Stand: Juli 2015); Rohde, in: BeckOK Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, § 50 GO Rn. 25 m.w.N. (Stand: 01. Dezember 2020); Wellmann, in: Rehn/Cronauge/vLennep/Knirsch, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Band I, § 50 Anm. IV.3 (Stand: Dezember 2017).
24Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit trifft für sich genommen keine Aussage über die zulässige Größe eines Ausschusses. Je kleiner das Untergremium ausfällt, desto mehr gewählte Vertreter werden allerdings an der Wahrnehmung ihrer Statusrechte gehindert, und umso weniger ist insofern der Repräsentationsfunktion entsprochen. Daher steigen die Anforderungen an eine sachliche Rechtfertigung der Delegation von Entscheidungsbefugnissen mit der abnehmenden Größe eines Untergremiums.
25Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. September 2015 – 2 BvE 1/11 –, juris Rn. 97; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 70 f.
26Es liegt in der Natur der Sache, dass es bei der Übertragung der Verhältnisse des Plenums auf ein kleineres Gremium zur Über- oder Unterrepräsentation von Fraktionen kommen kann. Insbesondere werden bei jedem Berechnungsverfahren Fraktionen zwangsläufig teils über-, teils unterrepräsentiert.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 8 C 18.03 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 72 f. m.w.N.; Beschluss vom 27. Mai 2005 - 15 B 673/05 -, juris Rn. 12; VG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Juli 2016 - 1 L 2142/16 -, juris Rn. 4.
28Ein optimales oder ideales Abbild, bei dem jede Fraktion genau den Sitzanteil erhält, den sie auch im Plenum hat, bei der also die Anzahl ihrer Sitze und die Gesamtzahl der Sitze in beiden Gremien im gleichen Verhältnis zueinander stehen, ist in der Regel nicht möglich und rechtlich auch nicht zu fordern.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 74 f.; BayVGH, Beschlüsse vom 12. September 2006 - 4 ZB 06.535 -, juris Rn. 10, und vom 08. Mai 2015 - 4 BV 15.201 -, juris Rn. 30; VG Regensburg, Urteil vom 25. Januar 2006 - RN 3 K 05.01239 -, juris Rn. 58.
30So kann es je nach Wahl der Ausschussgröße sogar dazu kommen, dass kleine Fraktionen gar nicht in einem Ausschuss vertreten sind, was für sich allein betrachtet nicht zu beanstanden ist.
31Vgl. BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 1992 - 7 B 49.92 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 76 f. m.w.N.; Beschluss vom 27. Mai 2005 – 15 B 673/05 –, juris Rn. 17 ff.; VerfGH Rh.-Pf., Beschluss vom 23. Mai 2014 - VGH B 22/13 -, juris Rn. 20; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 30. April 2015 - OVG 12 S 57.14 -, juris Rn. 9; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 10. Mai 2013 - 10 A 10229/13 -, juris Rn. 3.
32Auch wenn demgemäß eine optimale Abbildung des Plenums in verkleinerter Form nicht geboten ist, dürfen gleichwohl die Stärkeverhältnisse im Ausschuss nicht ohne rechtfertigenden Grund von denen im Plenum wesentlich abweichen.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 79 f. m.w.N.
34Wesentliche Abweichungen vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz sind nur zulässig, wenn sie durch entsprechend gewichtiges kollidierendes Verfassungsrecht - etwa mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Gemeindegremien und die Effektivität der Gremienarbeit - gerechtfertigt sind.
35Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 64 f. m.w.N.; Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 B 1308/16 -, juris Rn. 9; VG Aachen, Beschluss vom 17. Januar 2020 – 7 L 1456/19 –, juris Rn. 10 f. m.w.N.; VG Arnsberg, Beschluss vom 04. Mai 2017 - 12 L 996/17 -, juris Rn. 11.
36Gemessen daran steht den Antragstellerinnen ein Anspruch auf Auflösung und Neubildung der von ihnen aufgeführten Ratsausschüsse mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu.
37Die 38 Sitze im Antragsgegner sind wie folgt verteilt:
38Fraktion |
Sitze |
CDU |
13 |
SPD |
12 |
Bündnis90/Die Grünen |
6 |
FDP |
3 |
UWG |
2 |
Die Partei |
2 |
Gemäß den mehrheitlich gefassten Beschlüssen des Antragsgegners vom 15. Dezember 2020 wurden fünf Ausschüsse mit 17 Sitzen (Bildung, Sport und Kultur, Soziales, Integration und demographische Entwicklung sowie Technik, Bau, Digitales und Innovation) und drei Ausschüsse mit sieben Sitzen (Rechnungsprüfung, Bürger, Wahlprüfung) gebildet.
40In den 17er-Ausschüssen sind die Sitze wie folgt verteilt:
41Fraktion |
Sitze |
CDU |
6 |
SPD |
5 |
Bündnis90/Die Grünen |
3 |
FDP |
1 |
UWG |
1 |
Die Partei |
1 |
In den 7er-Ausschüssen sind die Sitze wie folgt verteilt:
43Fraktion |
Sitze |
CDU |
3 |
SPD |
2 |
Bündnis90/Die Grünen |
1 |
FDP |
1 |
UWG |
0 |
Die Partei |
0 |
Dass die Antragstellerin zu 3. in den 7er-Ausschüssen gar nicht vertreten ist, ist nicht als eine wesentliche Abweichung vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz einzustufen. Dieser verlangt nicht, dass durch die Größe der Ausschüsse gewährleistet ist, dass sämtliche Fraktionen in diesen mitwirken können.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 2009 – 8 C 17/08 –, juris Rn. 29; Beschluss vom 07. Dezember 1992 – 7 B 49.92 –, juris Rn. 4; Sächs.OVG, Urteil vom 05. April 2011 – 4 C 5/09 –, juris Rn. 46; VG Potsdam, Beschluss vom 13. August 2014 – 1 L 598/14 –, juris Rn. 14.
46Eine wesentliche Abweichung liegt erst vor, wenn „ansehnlich große Gruppen“ von der Vertretung im Ausschuss ausgeschlossen werden.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 10. Mai 2013 - 10 A 10229/13 -, juris Rn. 3; OVG S.-H., Urteil vom 15. März 2006 - 2 LB 48/05 -, juris Rn. 52.
48Eine ansehnlich große Gruppe in diesem Sinne ist in der Rechtsprechung bei ca. 10 % bzw. ca. 12% noch verneint worden,
49vgl. OVG S.-H., Urteil vom 15. März 2006 - 2 LB 48/05 -, juris Rn. 52; VG München, Urteil vom 22. Juni 2016 – M 7 K 15.4896 –, juris Rn. 27 (jeweils ca. 10%); VG Potsdam, Beschluss vom 13. August 2014 – 1 L 598/14 –, juris Rn. 17 f. (rund 12%).
50bei einer Nichtrepräsentation von 16,4 % der Stimmen des Rates aber bejaht worden.
51Vgl. Sächs.OVG, Beschluss vom 14. September 2010 - 4 B 87/10 -, juris Rn. 22.
52Hier verfügt Die Partei über zwei Sitze im Antragsgegner. Das entspricht bei einer Gesamtzahl von 38 Sitzen 5,263%. In die Betrachtung ist die UWG einzubeziehen, die ebenfalls mit zwei Sitzen vertreten ist. Gleichwohl ist nicht von einer ansehnlich großen Gruppe auszugehen. Der Anteil des Ausschlusses liegt bei 10,526%. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass hier nur die drei 7er-Ausschüsse betroffen sind, wohingegen die Antragstellerin zu 3. und die UWG in den übrigen fünf Ausschüssen mit jeweils einem Sitz vertreten sind. Zudem handelt es bei den 7er-Ausschüssen zwar nicht lediglich um empfehlende Ausschüsse ohne Beschlusskompetenz. Allerdings dürfte es nicht zu weit gehen anzunehmen, dass weder im Rechnungsprüfungsausschuss mit seiner Kompetenz zur Prüfung des Jahresabschlusses (vgl. § 3 der Zuständigkeitsordnung als Anlage zur Geschäftsordnung des Rates der Stadt Würselen – Stand: Januar 2021 – i.V.m. § 59 GO NRW), noch im Bürgerausschuss mit seiner Entscheidungsbefugnis bezüglich der Erledigung von Anregungen und Beschwerden gemäß § 24 GO NRW (vgl. § 4 der Zuständigkeitsordnung) noch im Wahlprüfungsausschuss die maßgeblichen Entscheidungen getroffen werden. Vielmehr dürfte das „operative Geschäft“ der Stadt im Lauf des Jahres in den übrigen Ausschüssen bzw. im Rat betrieben werden, so dass es gerechtfertigt ist, in Bezug auf die 7er-Ausschüsse geringere Anforderungen an die Mitwirkungsrechte kleinerer Fraktionen zu stellen.
53Vgl. zu diesem Ansatz vgl. BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 1992 - 7 B 49/92 – juris Rn. 5; VG Potsdam, Beschluss vom 13. August 2014 – 1 L 598/14 –, Rn. 17 f. juris.
54Die Festlegung der Zahl der Ausschussmitglieder begegnet auch im Übrigen keinen Bedenken.
55Die Frage, wann eine rechtfertigungsbedürftige Abweichung vom Grundsatz der Spiegelbildlichkeit vorliegt, ist mit Blick auf das Gebot zu beantworten, auch im Ausschuss das im Plenum wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerzuspiegeln.
56Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, juris Rn. 83.
57Für die Besetzung der Ausschüsse kommt es auf die Stimmen an, die eine Fraktion in der Wahl zu den Ausschüssen erhalten hat, nicht dagegen auf die Stimmenzahl, die sie bei der Wahl zur Gemeindevertretung erhalten konnte. Denn die Wählerschaft, auf die es bei der Besetzung der Ausschüsse ankommt und deren Stimmen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl den gleichen Erfolgswert haben müssen, sind die Ratsmitglieder. Ihr Abstimmungsergebnis ist das Spiegelbild, das dem Willen der Wählerschaft entspricht.
58Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 84; OVG NRW, Urteil vom 03. November 1954 - III A 353/54 -, OVGE 10, 143 (151); VG Aachen, Urteil vom 27. Februar 1986 - 4 K 494/85 – n.v.; zur Besetzung eines Kreisausschusses durch den Kreistag BayVGH, Urteil vom 01. März 2000 – 4 B 99.1172 –, juris Rn. 13; zur Besetzung eines Ausschusses durch den Stadtrat VG Regensburg, Urteil vom 14. Januar 2015 – RN 3 K 14.1045 –, juris Rn. 43.
59Gemessen daran ist ein rechtfertigungsbedürftiger Verstoß gegen die gebotene Spiegelbildlichkeit anzunehmen, wenn eine Fraktion im Ausschuss eine absolute Mehrheit besitzt, diese aber im Plenum nicht (mehr) innehat,
60vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 B 1286/16 -, juris Rn. 12; VG Regensburg, Urteil vom 17. Dezember 2004 - RN 3 K 14.1351 -, juris Rn. 32,
61oder wenn es im Ausschuss zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse dergestalt kommt, dass etwa zwei Fraktionen gemeinsam über die für Entscheidungen erforderliche absolute Mehrheit verfügen, während dies im Rat nicht (mehr) der Fall ist.
62Vgl. Sächs.OVG, Beschluss vom 14. September 2010 - 4 B 87/10 -, juris Rn. 23.
63Die Fraktionen der CDU und von Bündnis90/Die Grünen haben in dem Koalitionsvertrag vom 08. Dezember 2020 ihre Zusammenarbeit vereinbart. Sie verfügen zusammen über 19 Sitze (CDU: 13 Sitze, Bündnis90/Die Grünen: 6 Sitze). Die übrigen Fraktionen verfügen insgesamt ebenfalls über 19 Sitze (SPD: 12 Sitze, FDP: 3 Sitze, UWG: 2 Sitze, Die Partei: 2 Sitze).
64Demgegenüber verfügen die Fraktionen der CDU und von Bündnis90/Die Grünen in den mit 7 Mitgliedern besetzten Ausschüssen über eine Mehrheit. Sie haben zusammen 4 Sitze inne (CDU: 3 Sitze, Bündnis90/Die Grünen: 1 Sitz), während die übrigen Fraktionen insgesamt nur 3 Sitze haben (SPD: 2 Sitze, FDP: 1 Sitz, übrige Fraktionen: 0 Sitze).
65Vergleichbar verhält es sich bei den 17er-Ausschüssen: CDU und Bündnis90/Die Grünen verfügen über 9 Sitze (CDU: 6 Sitze, Bündnis90/Die Grünen: 3 Sitze), wohingegen die übrigen Fraktionen gemeinsam nur auf 8 Sitze kommen (SPD: 5 Sitze, FDP: 1 Sitz, UWG: 1 Sitz, Die Partei: 1 Sitz),
66Hieraus erhellt, dass die Besetzung der Ausschüsse nicht rechnerisch genau der Besetzung des Antragsgegners entspricht:
67Fraktion |
Sitze Antragsgegner in % |
Sitze 7er-Ausschüsse in % |
Sitze 17er-Ausschüsse in % |
CDU |
34,210 |
42,857 |
35,290 |
SPD |
31,578 |
28,571 |
29,411 |
Bündnis90/Die Grünen |
15,789 |
14,285 |
17,647 |
FDP |
7,894 |
14,285 |
5,882 |
UWG |
5,263 |
0 |
5,882 |
Die Partei |
5,263 |
0 |
5,882 |
Allerdings ergibt sich daraus der geltend gemachte Anspruch auf Neubesetzung der in Rede stehenden Ausschüsse nicht. Denn es kann, wie oben dargelegt, ausnahmsweise gerechtfertigt sein, insbesondere mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Ratsarbeit, wenn dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nicht voll Rechnung getragen wird. So liegt der Fall hier.
69Bei einer Neubildung der Ausschüsse auf der Grundlage der gegenwärtigen Besetzung des Rates gemäß § 50 Abs. 3 Sätze 3 bis 6 GO NRW nach dem Verfahren von Hare/Niemeyer -
70vgl. VG Köln, Urteil vom 02. Februar 2011 – 4 K 915/10 –, juris Rn. 56; VG Bayreuth, Beschluss vom 15. September 2020 – B 9 E 20.668 –, juris Rn. 61; Wellmann, in: Rehn/Cronauge/v.Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Band I, § 50 Anm. IV.4 (Stand: Dezember 2017) -
71gemäß dem Vorschlag der Antragstellerin zu 1 (8er Ausschüsse anstatt 7er-Ausschüsse, 18er-Ausschüsse statt 17er-Ausschüsse) wäre zwar die Über- und Unterrepräsentation weniger deutlich ausgeprägt:
72Fraktion |
Sitze im Antragsgegner in % |
Sitze 8er-Ausschüsse in % |
Sitze 18er-Ausschüsse in % |
CDU |
34,21 |
37,5 |
33,333 |
SPD |
31,58 |
37,5 |
33,333 |
Bündnis90/Die Grünen |
15,79 |
12,5 |
16,666 |
FDP |
7,89 |
12,5 |
5,555 |
UWG |
5,26 |
0 |
5,555 |
Die Partei |
5,26 |
0 |
5,555 |
Freilich zeigt sich, dass auch diese Konstellationen Über- und Unterrepräsentationen ergeben. Die Antragsteller können auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass hier die Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen keine Mehrheit in den jeweiligen Ausschüssen hätten. Der entscheidende und auch rechtlich relevante Nachteil besteht darin, dass jeweils eine Pattsituation gegeben wäre in dem Sinne, dass die Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen als Koalitionspartner einerseits und die übrigen Fraktionen als Opposition andererseits über dieselbe Stimmenanzahl verfügten. Das ist zwar im Rat in Bezug auf die gewählten Mitglieder nicht anders. Der entscheidende Unterschied besteht freilich darin, dass hier ein Patt durch die Stimme des auch der CDU angehörigen Bürgermeisters (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 5 GO NRW) aufgelöst wird.
74Vgl. zu dem Kriterium der Auflösung einer Pattsituation in Ausschüssen VG Regensburg, Urteil vom 14. Januar 2015 – RN 3 K 14.1045 –, juris Rn. 60.
75Zwar ist zu konzedieren, dass bei Stimmengleichheit ein Antrag abgelehnt ist (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 2 GO NRW i.V.m. § 26 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Rates der Stadt Würselen vom 22. Dezember 1997 – Stand: September 2018 –). Gleichwohl ist es keine sachfremde Erwägung, wenn ein Gemeinderat im Rahmen seines Organisationsermessens solchen Pattsituationen vorbeugen will.
76Vgl. VG Regensburg, Urteil vom 14. Januar 2015 – RN 3 K 14.1045 –, juris Rn. 60.
77Dies gilt insbesondere deshalb, weil CDU und Bündnis90/Die Grünen bei entsprechend übereinstimmendem Abstimmungsverhalten sowohl im Rat als auch in den jeweiligen Ausschüssen eine durch die Mehrheit bestimmte beherrschende Stellung haben. Vor diesem Hintergrund stehen die 7er- und die 17er-Ausschüsse eher im Einklang mit dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit als 8er- und 18er-Ausschüsse.
78b) Der Antragsgegner hat mit der Festsetzung der Größe der in Rede stehenden Ausschüsse auch nicht gegen das eine weitere Grenze seines Ermessens darstellende allgemeine Willkürverbot verstoßen.
79Das Willkürverbot, welches aus der Bindung des Staates an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG fließt, verbietet eine Differenzierung ohne sachlichen Grund und allgemein Entscheidungen auf der Grundlage sachfremder Erwägungen. Ein sachlicher Grund fehlt, wenn sich vernünftige, sich aus der Natur der Sache ergebende oder sonst wie einleuchtende Gründe nicht finden lassen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt insbesondere vor, wenn die Ausschusszahl missbräuchlich so klein gewählt wird, dass dadurch gezielt kleinere Gruppierungen von einem Sitz ausgeschlossen werden.
80Vgl. BayVGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 4 CE 20.2166 –, juris Rn. 26 ff.; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 2331/15 –, Rn. 114 f. m.w.N.
81Dafür ist hier nichts ersichtlich. Es gibt auch sonst keine greifbaren Anhaltspunkte für einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Für die Sitzverteilung in den in Rede stehenden Ausschüssen spricht vielmehr, wie dargelegt, das nicht leicht zu gewichtende Argument der Mehrheitsbildung und damit der Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse.
822. Mangelt es nach alledem bereits an einem Anordnungsanspruch, kommt es auf das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht mehr an.
83Vgl. zum Anordnungsgrund im Kommunalverfassungsstreitverfahren OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 B 1308/16 -, juris Rn. 15 m.w.N.
84Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.
85II.
86Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs.1, 53 Abs.2 GKG. Die Kammer sieht mit Blick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache davon ab, den im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwert i.H.v. 10.000 EUR (vgl. Ziffer 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) zu reduzieren.
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- Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 4 K 915/10 1x
- 4 K 494/85 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvE 1/88 1x (nicht zugeordnet)
- III A 353/54 1x (nicht zugeordnet)
- 8 C 17/08 1x (nicht zugeordnet)
- § 50 GO 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvE 1/11 1x (nicht zugeordnet)
- 15 B 673/05 2x (nicht zugeordnet)
- 1 L 598/14 3x (nicht zugeordnet)
- 1 L 2142/16 1x (nicht zugeordnet)
- § 40 Abs. 2 Satz 5 GO 1x (nicht zugeordnet)
- 12 L 996/17 2x (nicht zugeordnet)
- § 50 Abs. 1 Satz 2 GO 1x (nicht zugeordnet)
- 4 C 5/09 1x (nicht zugeordnet)
- 7 B 49/92 1x (nicht zugeordnet)
- 2 LB 48/05 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- § 57 Abs. 1 GO 1x (nicht zugeordnet)