Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 3 K 548/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheides.
3Sie stellte mit Antrag vom 29. September 2016, ergänzt mit Schreiben vom 18. Dezember 2017, eine Bauvoranfrage betreffend das Grundstück G1 , und wollte geklärt wissen, ob dort ein Lebensmitteldiscounter mit einer Verkaufsfläche von 1.750 m² bzw. 1.375 m² nach der Art der baulichen Nutzung planungsrechtlich zulässig ist, wenn man bei der Prüfung das Gebot der Rücksichtnahme und die Frage der Immissionsbelastung bzw. der Anordnung von Stellplätzen ausklammert.
4Das von der Klägerin für die Errichtung des Lebensmitteldiscounters vorgesehene Grundstück besitzt eine Fläche von rund 9.500 m². Darauf befinden sich im Wesentlichen zwei ehemalige Stallanlagen für Hühner mit einer Länge von jeweils mehr als 70 Metern. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Vorhabengrundstück als Geflügelfarm. Vor mehr als zehn Jahren wurde diese Nutzung aufgegeben. Die Stallgebäude stehen leer.
5Zum Zeitpunkt der Stellung der Bauvoranfrage beanspruchte der Bebauungsplan Nr. 18 aus dem Jahr 1969 Geltung. Die Beklagte hatte das Vorhabengrundstück darin als Mischgebiet festgesetzt. Im Rahmen der Aufstellung dieses Bebauungsplanes war die Öffentlichkeit wie folgt auf die Möglichkeit hingewiesen worden, Anregungen und Bedenken zu erheben:
6„Die Bebauungspläne 18 bis 21 sowie die Begründung liegen in der Zeit vom 1. Juli einen Monat lang im Bauamt Zimmer 13/14 zu jedermanns Einsicht offen. Gegen die in den Bebauungsplänen vorgesehenen Festsetzungen kann jedermann Anregungen und Bedenken schriftlich einreichen oder zur Niederschrift erklären“.
7Mit Schreiben vom 3. April 2017 hörte die Beklagte die Klägerin an und führte dazu aus: Die gestellte Bauvoranfrage sei voraussichtlich abzulehnen. Zwar seien in einem Mischgebiet, zu dem das Vorhabengrundstück gehöre, Einzelhandelsbetriebe nach der Art der baulichen Nutzung grundsätzlich zulässig. Für das Vorhaben der Klägerin gelte dies aber nicht. Es handele sich mit einer Verkaufsfläche von über 800 m² um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der nach seiner Nutzungsart allein in Kern- oder Sondergebieten zulässig sei.
8Dem trat die Klägerin mit Stellungnahme vom 18. Dezember 2017 entgegen: Die Beklagte verkenne, dass ein Mischgebiet vorliege, welches nach der Baunutzungsverordnung aus dem Jahre 1962 zu beurteilen sei. In derartigen Mischgebieten seien Einzelhandelsbetriebe unabhängig von ihrer Verkaufsfläche nach der Art ihrer baulichen Nutzung ohne Weiteres planungsrechtlich zulässig.
9Am 24. Januar 2018 beschloss die Beklagte die Aufstellung eines Bebauungsplanes (I/18 – 4. Änderung „ L--/ R-straße“). Sein Geltungsbereich sollte das Vorhabengrundstück umfassen. In einem Zusatz zur Bekanntmachung wies sie auf ihre Absicht hin, durch die Änderung des vorhandenen Bebauungsplanes L-e Wohnbauflächen zu schaffen.
10Die Klägerin hat am 6. Februar 2018 (Untätigkeits-) Klage erhoben.
11Am 8. Februar 2018 hat die Beklagte eine Veränderungssperre für das streitbefangene Plangebiet beschlossen und diese in ihrem Amtsblatt vom 15. Februar 2018 mit dem Zusatz bekannt gemacht, dass beabsichtigt sei, ein einheitliches allgemeines Wohngebiet anstelle des bisherigen Mischgebietes festzusetzen.
12Mit Bescheid vom 2. März 2018 hat die Beklagte die Erteilung des streitbefangenen Bauvorbescheides abgelehnt: Ein großflächiger Lebensmitteldiscounter widerspreche der nunmehr erlassenen Veränderungssperre, welche die städtebauliche Entwicklung des Plangebietes zu einem Wohngebiet absichern solle.
13Am 30. März 2020 hat der Rat der Beklagten den Bebauungsplan I/18 – 4. Änderung „ L--/ R-straße“ als Satzung beschlossen. Darin wird im Südosten des Plangebietes und westlich der R-straße ein „Mischgebiet 2“ festgesetzt.
14Am 30. März 2020 hat der Erste Beigeordnete der Beklagten die Bekanntmachung des Bebauungsplanes angeordnet. Am 31. März 2020 hat er bestätigt, dass der Rat in seiner Sitzung vom 30. März 2020 den Plan als Satzung beschlossen habe.
15Die Klägerin hat die veränderte planungsrechtliche Situation in ihre Klage einbezogen und macht nunmehr geltend: Ihr Anspruch auf Erteilung einer positiven Bauvoranfrage für einen Lebensmitteldiscounter am geplanten Standort bestehe fort. Der nunmehr von der Beklagten erlassene Bebauungsplan stehe dem nicht entgegen. Dieser Plan sei unwirksam. Ihm fehle bereits die städtebauliche Rechtfertigung. Das darin westlich der R-straße festgesetzte „Mischgebiet 2“ stelle sich als ein sog. Etikettenschwindel dar. Die Mischgebietsausweisung sei von der Beklagten nur vorgeschoben. In Wahrheit sei es der Beklagten allein darum gegangen, L-e Wohnbauflächen zu ermöglichen. Dieses Ziel sei aber aufgrund gewerblicher Lärmimmissionen nicht zu erreichen gewesen. Aus diesem Grund sei das beabsichtigte Wohngebiet unzulässigerweise als „Mischgebiet 2“ deklariert worden.
16Die Klägerin beantragt,
17die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 2. März 2018 zu verpflichten, ihren Antrag vom 29. September 2016 in der Fassung vom 18. Dezember 2017 auf Erteilung eines Bauvorbescheides positiv zu bescheiden.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Insbesondere liege kein Etikettenschwindel vor. Eine Diskrepanz zwischen ihrem Planungswillen und dem Planungsinhalt sei nicht zu erkennen. Zunächst sei es zu keiner Zeit ihre Absicht gewesen, im Plangebiet ausschließlich Wohnbebauung zu ermöglichen. Vielmehr habe sie sich bewusst dazu entschieden, in einem Teil des Plangebietes eine Wohnnutzung zu realisieren und den anderen Abschnitt als Mischgebiet vorzusehen. Ferner sei die Festsetzung der beiden Mischgebiete (1 und 2) auch nicht deshalb unzulässig, weil sie unter Berücksichtigung der Lärmimmissionen eines vorhandenen Gewerbebetriebes erfolgt sei, die der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebietes entgegengestanden hätten.
21Der Berichterstatter hat am 28. Mai 2021 einen Termin an Ort und Stelle durchgeführt; auf die gefertigte Terminsniederschrift wird verwiesen.
22Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der Planurkunden und der Aufstellungsvorgänge verwiesen.
23Entscheidungsgründe
24Die zulässige Klage ist unbegründet.
25Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 2. März 2018 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
26Sie hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die gestellte Bauvoranfrage zur Errichtung eines Lebensmitteldiscounters positiv beantwortet.
27Nach der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage (§§ 77 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 i.V.m. 74 Abs. 1 der Bauordnung – BauO – NRW) ist auf Antrag zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen.
28Der Antrag der Klägerin erfüllt zwar die formellen Voraussetzungen.
29So ist der Bauherr gehalten, seinen Antrag hinreichend bestimmt zu stellen. Ein antragsgemäß erteilter Bauvorbescheid enthält nämlich aufgrund seiner Verwaltungsaktqualität (§ 35 Satz 1 VwVfG NRW) eine partielle Zulässigkeitsfeststellung in Bezug auf das Vorhaben und bindet die Bauaufsichtsbehörde bei der nachfolgenden Erteilung der Baugenehmigung. Bleibt eine Bauvoranfrage unklar, ist sie nicht bescheidungsfähig, weil sie nicht in der Lage ist, den Umfang der eintretenden Bindungswirkung des Vorbescheides eindeutig vorzugeben.
30Vgl. nur Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Urteil vom 14. Oktober 2013 – 2 A 204/12 –, juris, Rn. 43 ff.
31Gemessen daran ist der Antrag der Klägerin nicht schon als bescheidungsunfähig anzusehen. Die darin vorgenommene Beschränkung der Fragestellung auf die zulässige Nutzungsart („Art der baulichen Nutzung“) wird von § 77 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW als eine mögliche Variante der planungsrechtlichen Bauvoranfrage vorausgesetzt. Ferner begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, wenn die Klägerin bewusst diejenigen Fragen des Bauplanungsrechts ausklammert, welche auf die Prüfung der „Umgebungsverträglichkeit“ des Einzelhandelsvorhabens abzielen.
32Es ist in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein‑Westfalen anerkannt, dass der Bauherr die planungsrechtliche Bauvoranfrage für einen (großflächigen) Einzelhandelsbetrieb – wie hier geschehen – dergestalt stellen kann, dass die Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme ausgeklammert bleibt und erst im späteren Baugenehmigungsverfahren geprüft wird.
33Vgl. OVG NRW, Urteile vom 14. Oktober 2013 – 2 A 204/12 –, juris, Rn. 54, vom 31. Oktober 2012 – 10 A 912/11 –, juris, Rn. 36; anderer Ansicht: Thüringer OVG, Urteil vom 11. August 2021 – 1 KO 214/19 –, juris, Rn. 24 ff. m.w.N.
34In der Sache hat das mit der Klage weiterverfolgte Begehren auf Erteilung eines positiven Bauvorbescheides aber keinen Erfolg.
35Der geplante Lebensmitteldiscounter ist auf dem Vorhabengrundstück nach der Art der baulichen Nutzung unzulässig. Das folgt nicht schon aus den Festsetzungen des Bebauungsplanes I/18 – 4. Änderung, denn dieser Plan ist unwirksam (dazu 1.). Ebenfalls unwirksam ist der Ursprungsbebauungsplan aus dem Jahr 1969 (dazu 2.). Der streitige Lebensmitteldiscounter ist im Außenbereich geplant und deshalb unzulässig (dazu 3.).
361. Der Bebauungsplan I/18 – 4. Änderung „ L--/ R-straße“ ist unwirksam.
371.1 Es besteht ein formeller Mangel, der zur Planunwirksamkeit führt. Für das nordrhein-westfälische Landesrecht ist geklärt, dass es für die Ausfertigung von Bebauungsplänen erforderlich ist, dass eine Originalurkunde geschaffen wird, auf welcher der Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister als Vorsitzender des Rates, des zuständigen Beschlussorgans der Gemeinde, zeitlich nach dem Ratsbeschluss und vor der Verkündung der Satzung schriftlich bestätigt, dass der Rat an einem näher bezeichneten Tag diesen Bebauungsplan als Satzung beschlossen habe.
38Vgl. dazu: OVG NRW, Urteile vom 6. September 2018 – 7 D 10/16.NE –, juris, Rn. 27 ff., vom 22. Februar 2018 – 7 D 26/15.NE –, juris, Rn. 53 f. und vom 22. März 2019 – 7 D 39/17.NE –, juris, Rn. 33 f. sowie Bischopink/Külpmann/Wahlhäuser, Der sachgerechte Bebauungsplan, 5. Auflage 2021, S. 144 ff.
39Diese zwingenden Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die schriftliche Bestätigung, dass der Rat der Beklagten den Bebauungsplan als Satzung beschlossen hat, erfolgte vorliegend erst am 31. März 2020 und damit nicht vor der Verkündung/Bekanntmachung des Planes, die bereits am 30. März 2020 eingeleitet worden war.
401.2 Der Plan leidet auch an einem materiellen Mangel. Die im Plan enthaltene Festsetzung „Mischgebiet 2“ ist unwirksam, weil insoweit die städtebauliche Erforderlichkeit fehlt. Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung erforderlich ist, vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BauGB. Gegenstand der städtebaulichen Erforderlichkeit im Sinne der Vorschrift ist nicht nur die gesamte Bauleitplanung an sich, sondern jede einzelne Festsetzung, die – isoliert betrachtet – dem Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit genügen muss. Dies ist zu bejahen, wenn die im Plan getroffenen Festsetzungen nach der planerischen Konzeption einer Gemeinde geboten, also von ihren berechtigten städtebaulichen Interessen getragen sind und ihrem tatsächlichen Planungswillen entsprechen.
41Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Januar 2015 – 1 C 10442/14 –, juris, Rn. 32 und OVG NRW, Urteile vom 9. Oktober 2003 – 10a D 71/01.NE –, juris, Rn. 35 und vom 16. September 2002 – 7a D 118/00.NE –, juris, Rn. 36.
42Vorliegend lässt sich der Planungswille der Beklagten nicht mit der Festsetzung des Mischgebietes 2 im südöstlichen Planbereich in Einklang bringen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Beklagte im Mischgebiet 2 tatsächlich ein – das Mischgebiet kennzeichnendes – Miteinander von Wohnen und Gewerbe beabsichtigt hat. Angesichts der ursprünglichen Konzeption der Beklagten, die sich der Vorlage zum Aufstellungsbeschluss vom 23. Januar 2018 und der Bekanntmachung des Beschlusses über die Veränderungssperre vom 15. Februar 2018 entnehmen lässt, beabsichtigte sie, innerhalb des Plangebietes vollständig Wohnbauflächen zu schaffen. Das auf der Grundlage des Bebauungsplanes Nr. 18 festgesetzte Mischgebiet sollte in ein allgemeines Wohngebiet geändert werden. Dieses Planungsziel hat die Beklagte weiterverfolgt, obwohl sie im Südosten des Plangebietes das Mischgebiet 2 festgesetzt hat. Maßgeblich ist, dass das Mischgebiet 2 nach den Planungsunterlagen allein auf eine wohnliche Nutzung zugeschnitten ist. Dafür spricht, dass die bauliche Nutzung des Mischgebietes 2 nach den Ziffern 2 und 5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes auf Einzelhäuser in offener Bauweise mit maximal acht Wohneinheiten beschränkt ist. Das in der Planbegründung abgedruckte städtebauliche Konzept geht von vier Einzelhäusern aus, was mit den Baugrenzen des Bebauungsplanes übereinstimmt. Aus der Planbegründung ergibt sich weiter, dass die Beklagte im Mischgebiet 2 nur Wohnnutzung zulassen wollte. Ferner hat die Beklagte das Mischgebiet 2 in seinen weiteren Festsetzungen dem allgemeinen Wohngebiet 4 angepasst, vgl. Ziffer 3.1 der textlichen Festsetzungen. Ihr unveränderter Planungswille lässt sich weiter an der beabsichtigten verkehrlichen Erschließung des Mischgebietes 2 verdeutlichen. Die verkehrliche Infrastruktur des Plangebietes ist für die Ansiedlung gewerblicher Betriebe nicht geeignet. Es fehlt schon an Stellplätzen für den zu erwartenden Kunden- und Lieferverkehr. Die Tiefgaragen zu den Wohnhäusern sind dafür nicht ausgelegt.
43Der Einwand der Beklagten, die erforderliche Nutzungsdurchmischung ergebe sich aus einer Gesamtschau der Mischgebiete 1 und 2, jedenfalls aber unter Einbeziehung der restlichen Mischgebietsflächen entlang der R-straße, greift nicht durch. Da jede einzelne Festsetzung für sich genommen dem Gebot städtebaulicher Erforderlichkeit unterliegt, kommt es auf eine Gesamtbetrachtung nicht an.
44Die damit gegebene Unwirksamkeit der Festsetzung des Mischgebietes 2 führt zur Gesamtunwirksamkeit des Planes. Die unwirksame Festsetzung ist nämlich Bestandteil einer einheitlichen Gesamtplanung, deren Regelungen so miteinander verzahnt sind, dass sie nicht isoliert voneinander betrachtet bzw. aufrecht erhalten werden können.
452. Der Ursprungsbebauungsplan aus dem Jahr 1969 ist ebenfalls unwirksam.
462.1 Dieser Plan leidet an einem Verfahrensfehler. Die Beklagte hat es seinerzeit versäumt, bei der Bekanntmachung der Offenlage dieses Planes darauf hinzuweisen, dass Einwendungen und Anregungen seitens der Bürger „während der Auslegungsfrist“ vorgebracht werden können. Die ortsübliche Bekanntmachung über die öffentliche Auslegung des Planentwurfs und der Begründung entsprach damit nicht den rechtlichen Anforderungen des damaligen § 2 Abs. 6 des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960 (BBauG 1960). Danach hatte die Gemeinde die Entwürfe der Bauleitpläne mit dem Erläuterungsbericht oder der Begründung auf die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen. Ort und Dauer der Auslegung waren mindestens eine Woche vorher ortsüblich mit dem Hinweis bekannt zu machen, dass Bedenken und Anregungen „während der Auslegungsfrist“ vorgebracht werden können, vgl. Satz 2 der Vorschrift. Nach Satz 4 der Norm prüfte die Gemeinde die fristgemäß vorgebrachten Bedenken und Anregungen.
472.2 Dieser Verfahrensfehler ist nach wie vor beachtlich. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Vorschriften zur Planerhaltung (§§ 214 und 215 BauGB) auch auf solche Satzungen entsprechend anzuwenden sind, die auf der Grundlage bisheriger Fassungen des Gesetzes in Kraft getreten sind. Während nach § 214 BauGB nur einzelnen Mängel beachtliche Wirkung zukommt, schließt § 215 BauGB die Beachtlichkeit aus, wenn sie nicht binnen eines bestimmten Zeitraums gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Die fehlerhafte Bekanntmachung stellt eine beachtliche Verletzung der Verfahrens- und Formvorschriften im Sinne des § 214 Abs. 1 BauGB dar. Nach § 214 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 BauGB ist es beachtlich, wenn unter anderem die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB verletzt worden sind. Der Inhalt des § 3 Abs. 2 BauGB entspricht im Wesentlichen § 2 Abs. 6 BBauG 1960 und enthält u.a. den Hinweis darauf, dass Stellungnahmen „während der Auslegungsfrist“ abgegeben werden können. Eine Unbeachtlichkeit im Sinne des § 214 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 BauGB liegt nicht vor. Der Bekanntmachungsmangel ist auch nicht durch bloßen Zeitablauf unbeachtlich geworden, vgl. § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 BauGB. Die Anwendung der Norm setzt u.a. voraus, dass bei der Inkraftsetzung einer Satzung auf die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verletzung von Vorschriften und auf die Rechtsfolgen fehlender Rügen hingewiesen wird. Daran fehlt es hier, da die Bekanntmachung der Genehmigung des Bebauungsplanes Nr. 18 durch den Regierungspräsidenten Aachen vom 6. Februar 1969 eine entsprechende Belehrung nicht enthielt.
483. Der Lebensmitteldiscounter ist im Außenbereich geplant und deshalb unzulässig.
493.1 Die Prüfung, ob ein Vorhabengrundstück dem unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) angehört, der grundsätzlich bebaubar ist, oder aber zum Außenbereich (§ 35 BauGB) zu zählen ist, der grundsätzlich von Bebauung freigehalten werden soll, hat bei den Voraussetzungen für die Annahme eines unbeplanten Innenbereichs anzusetzen. Die Ausgangsfrage lautet, ob sich tragfähige Argumente finden lassen, mit denen sich die Anwendbarkeit der Vorschriften über den unbeplanten Innenbereich rechtfertigen lässt. Fehlt es daran, so ist das Grundstück – schon aus diesem Grund – dem Außenbereich zuzuordnen. Allein diese Folgerungsrichtung entspricht der gesetzlichen Systematik über die Zulässigkeit der Bebauung im Innen- bzw. Außenbereich (§§ 34, 35 BauGB).
50Vgl. grundlegend: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 14. Dezember 1973 – IV C 48.72 –, juris, Rn. 29.
51Vorliegend lassen sich keine tragfähigen Argumente finden, mit denen sich die Anwendbarkeit des § 34 BauGB über den unbeplanten Innenbereich auf das Vorhabengrundstück rechtfertigen lassen.
52Das Vorhabengrundstück gehört nicht zu einem „Ortsteil“ im planungsrechtlichen Sinne. Ortsteil nach § 34 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer „organischen Siedlungsstruktur“ ist.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 1968 – IV C 2.66 –, juris, Rn. 17 und Beschluss vom 2. April 2007 – 4 B 7/07 –, juris, Rn. 4.
54Das Merkmal der organischen Siedlungsstruktur verlangt zwingend, dass die vorhandenen Bauten eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung vorgeben. Dazu ist nicht etwa erforderlich, dass es sich um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handelt. Auch eine unterschiedliche, unter Umständen sogar eine in ihrer Art und Zweckbestimmung gegensätzliche Bebauung kann einen Ortsteil bilden. Ebenso wenig kommt es auf die Entstehungsweise der vorhandenen Bebauung oder darauf an, dass die Bebauung einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entspricht. Die Anforderung an die organische Siedlungsstruktur schließt nur das ein, was im Gegensatz zur unerwünschten Splittersiedlung im Außenbereich (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) dem inneren Grund für die Rechtsfolge des § 34 BauGB entspricht, nämlich die nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb des gegebenen Bereiches. Dabei kann sich eine Bebauung, die im Rückblick "organisch" gewachsen sein mag, heute durchaus als unorganische Splittersiedlung darstellen.
55Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1986 – 4 B 41/86 –, juris, Rn. 2.
56Ein unbeplanter Innenbereich im Sinne des § 34 BauGB ist also dann anzunehmen, wenn die vorhandenen Bauten eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung auf dem Baugrundstück vorgeben, weil sie eine „maßstabsbildende Kraft“ besitzen.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. September 1992 - 4 C 15/90 -, juris, Rn. 12.
58Daran fehlt es hier. Weder die Bauten auf dem Vorhabengrundstück selbst noch diejenigen in seiner Umgebung besitzen eine derartige Kraft.
59Die auf dem Vorhabengrundstück noch vorhandenen Bauten einer ehemaligen Geflügelfarm sind dazu nicht mehr in der Lage. An der nördlichen Grundstücksgrenze befinden sich noch mehrere schuppenartige Bauten, die dem früheren Betrieb als Kükenaufzuchthäuser dienten und zum Teil auf Baugenehmigungen aus den 1950er Jahren zurückgehen. Bei den in Ost-West-Richtung noch aufstehenden Bauten mit einer Länge von über 70 m handelte es sich um die ehemaligen Stallgebäude der damaligen Geflügelzucht, die u.a. mit Bauscheinen aus den 1960er Jahren genehmigt worden sind. Das nahe der R-straße in Nord-Süd-Richtung errichtete Gebäude wurde als Lager- und Werkstatthalle ebenfalls im Zusammenhang mit der Geflügelfarm genehmigt. Alle noch vorhandenen Gebäude dienten früher dem Betrieb der Geflügelfarm. Diese Nutzung ist aber vor mehr als einem Jahrzehnt endgültig aufgegeben worden. Für eine Wiederaufnahme der Nutzung fehlt jeder Anhalt. Eine derart funktionslos gewordene Bebauung ist daher nicht geeignet, die künftige Bebauung und Nutzung zu lenken.
60Vgl. zu einem ehemaligen Kasernengrundstück: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2006 – 3 S 2309/05 –, juris, Rn. 24; zu ehemaligen Gebäuden des Fernmeldenotdienstes und dem Wegfall des Bestandsschutzes: VG Aachen, Urteile vom 4. August 2021 – 3 K 3684/19 – und – 3 K 3716/19 –, jeweils juris.
61Nach der Überzeugung der Kammer ist das Vorhabengrundstück auch nicht aufgrund der vorhandenen Umgebungsbebauung einem Ortsteil und damit dem Innenbereich zuzurechnen. Wie eng die Aufeinanderfolge der Baulichkeiten sein muss, um noch als zusammenhängende Bebauung im Sinne des § 34 BauGB gelten zu können, lässt sich nicht schematisch nach einer geographisch-mathematischen Betrachtung beurteilen, sondern erfordert eine umfassende Bewertung der jeweiligen Einzelfallumstände. Von maßgeblicher Bedeutung ist angesichts des Normzwecks des § 34 BauGB, ob die das unbebaute Grundstück umgebende Bebauung eine maßstabsbildende Wirkung hat. Daran fehlt es, wenn es sich wegen der Größe der Fläche potenziell um ein eigenes, fiktives Plangebiet handelt, das einer von der Umgebung gerade unabhängigen städtebaulichen Entwicklung und Überplanung fähig ist.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1972 – IV C 6.71 –, juris, Rn. 23 und zusammenfassend: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2006 – 3 S 2309/05 –, juris, Rn. 24 f. sowie OVG NRW, Urteil vom 17. August 2020 – 2 D 27/19.NE –, juris, Rn. 65 ff., jeweils m.w.N.
63So liegt der Fall hier. Das Vorhabengrundstück ist ein Außenbereich im Innenbereich („Außenbereichsinsel“), das einer von der Umgebung unabhängigen städtebaulichen Entwicklung und Überplanung fähig ist. Aufgrund seiner Ausdehnung von rund 9.500 m² bietet es ganz unterschiedliche Möglichkeiten der baulichen Nutzung, deren Auswahl und Bestimmung, wie im Übrigen auch von der Beklagten mit den (unwirksam gebliebenen) Bebauungsplänen vorgenommen, eine planerische Abwägung und Festsetzung erfordert.
64Auch die hier vorhandene Umgebungsbebauung kann diesen Planungsakt nicht ersetzen. Ihr fehlt die maßstabsbildende Kraft. Die südliche Umgebungsbebauung entlang der D-Straße besitzt erkennbar keine derartige Bedeutung als Maßstab für die Bebauung. Dort findet sich im Wesentlichen eine eng aneinandergereihte und kleinteilige Wohnbebauung. Nur drei der vier Eckgrundstücke in diesem Bereich weisen Flächen von mehr als 500 m² auf. Die weit überwiegende Zahl der Grundstücke verfügt über Größen von 135 m² bis 280 m² und weist daher nur einen Bruchteil der Größe des Vorhabengrundstücks auf. Der Kontrast zwischen dem großflächigen Vorhabengrundstück und den kleinflächigen Wohnhausgrundstücken bildet eine städtebauliche Zäsur mit trennender Wirkung.
65Vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 2 L 54/ 09 –, juris, Rn. 11 m.w.N.
66In gleicher Weise besteht eine städtebauliche Zäsur mit trennender Wirkung zu den Wohngebieten in östlicher Richtung (entlang der R-straße) und in westlicher Richtung (entlang der L-straße/ L-straat), zumal sich die letztgenannten Gebäude schon jenseits der deutschen Staatsgrenze in den Niederlanden befinden. Die nördliche Umgebungsbebauung entlang der deutschen Seite der L-straße bis zur Kreuzung O-Straße ist ebenfalls eine kleinteilige Bebauung mit Einzelhäusern, Doppelhäusern und Häuserzeilen, die sich entlang der O-Straße fortsetzt. An der Kreuzung O-Straße und R-straße treten gewerbliche Nutzungen mit Büroflächen und einem Einzelhandelsbetrieb hinzu. Insgesamt stellt sich die nördliche Umgebungsbebauung als so diffus dar, dass sie ebenfalls keinen städtebaulichen Maßstab vermitteln kann, der die bauliche Fortentwicklung des 9.500 m² großen Vorhabengrundstücks zu steuern in der Lage wäre.
673.2 Im damit gegebenen Außenbereich ist der Lebensmitteldiscounter unzulässig. Als Einzelhandelsbetriebe gehören Lebensmitteldiscounter nicht zu den nach § 35 Abs. 1 BauGB für den Außenbereich privilegierten Vorhaben. Sie können auch nicht als „sonstige Vorhaben“ (§ 35 Abs. 2 BauGB) im Außenbereich zugelassen werden. Sie beeinträchtigen schon deshalb öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB, weil sie ein Planungserfordernis hervorrufen. Das gilt jedenfalls dann, wenn, wie hier der Fall, mit dem streitigen Lebensmitteldiscounter ein Einzelhandelsvorhaben beabsichtigt ist, das mit einer Verkaufsfläche von 1.750 m² bzw. 1.375 m² die Verkaufsflächenschwelle von 800 m² überschreiten soll. Ein solches Vorhaben stellt als „großflächiger Einzelhandel“ eine eigene Nutzungsart dar. Es ist anerkannten Rechts und bedarf keiner weiteren Ausführung, dass Vorhaben des großflächigen Einzelhandels einen spezifischen Koordinierungsbedarf auslösen, dem nicht das Konditionalprogramm des § 35 BauGB, sondern nur eine Abwägung im Rahmen einer förmlichen Planung angemessen Rechnung zu tragen vermag.
68Vgl. zum Merkmal der Großflächigkeit: BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 – 4 C 10/04 –, juris, Rn. 12; zum Planungserfordernis: BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 – 4 C 5/01 –, juris, Rn. 18.
69Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
70Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 1 und Satz 2 der Zivilprozessordnung.
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