Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 7 L 705/21
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
3I.
4Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor. Dazu zählen auch Innenrechtsstreitigkeiten zwischen Organen oder Organteilen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts um deren Befugnisse und damit insbesondere auch - wie hier - ein Kommunalverfassungsstreit um die Organbefugnisse eines Gemeinderates.
5Vgl. Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 40 Rn. 129 (Stand: Juli 2020); Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 40 Rn. 15 m.w.N.; Sodan, in: NK-VwGO, 5. Auflage 2018, § 40 Rn. 179.
6Der Antrag ist zulässig.
71.) Die Antragstellerin ist als Ratsfraktion im Verwaltungsprozess beteiligtenfähig i.S.d. § 61 Nr. 2 VwGO.
8Vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 61 Rn. 7 (Stand: Juli 2019); Czybulka/Siegel, in: NK-VwGO, 5. Auflage 2018, § 61 Rn. 30 m.w.N.; Kintz, in: BeckOK VwGO, § 61 Rn. 10 (Stand: 01. Oktober 2020).
9Sie kann geltend machen, in eigenen Rechten, namentlich in ihrem Recht auf Berücksichtigung bei der Verteilung der Sitze der Ausschüsse entsprechend der Stärkeverhältnisse im Stadtrat auf der Grundlage des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit verletzt zu sein. Damit ist die Antragstellerin auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.
102.) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist auch im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO statthaft. In der Hauptsache ist eine allgemeine Leistungsklage statthaft, da die begehrte Aufhebung des Stadtratsbeschlusses vom 09. November 2021 mangels Außenwirkung nicht als Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 1 VwVfG NRW einzustufen ist.
11Vgl. hierzu allgemein Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 Rn. 191; Windoffer, in: NK-VwVfG, 2. Auflage 2019 Rn. 124, jeweils m.w.N.
12II.
13Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber nicht begründet.
14Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller muss dabei sowohl das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer sofortigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
15Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
16Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie einen Anspruch auf die begehrte (erneute) Auflösung und Neubildung der in der Antragsschrift aufgeführten Ratsausschüsse hat.
17Gemäß § 57 Abs. 1 GO NRW kann der Rat Ausschüsse bilden. In jeder Gemeinde müssen ein Hauptausschuss, ein Finanzausschuss und ein Rechnungsprüfungs-ausschuss gebildet werden. Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 GO NRW regelt der Rat mit der Mehrheit der Stimmen der (gewählten) Ratsmitglieder die Zusammensetzung der Ausschüsse und ihre Befugnisse; der Bürgermeister als Ratsmitglied kraft Gesetzes stimmt dabei nicht mit (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 6 GO NRW). Dabei steht die Bestimmung der Mitgliederzahl der Ausschüsse im Organisationsermessen der Gemeinde.
18Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 62 f. m.w.N.
19Dieses Ermessen hat sich an dem sachlichen Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiver Ausschussarbeit auszurichten.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 64 f. m.w.N.; Sächs.OVG, Beschluss vom 14. September 2010 - 4 B 87/10 -, juris Rn. 21.
21Den actus contrarius, also die Auflösung von Ausschüssen, behandelt die Gemeindeordnung nicht und schränkt somit diesbezüglich die Organisationshoheit des Rates nicht ein.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Oktober 2003 – 15 B 1798/03 –, juris Rn. 15; Faber, in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 50 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Anm. 10.2 (Stand: Dezember 2021).
23Das Organisationsermessen wird durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Spiegelbildlichkeit (nachfolgend 1.) und das Willkürverbot (2.) begrenzt. Diese Grenzen sind hier nicht überschritten.
241.) Der Antragsgegner war nicht durch den Spiegelbildlichkeitsgrundsatz gehindert, die Größe der Ausschüsse wie geschehen festzusetzen.
25Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG überträgt die Grundentscheidung der Verfassung in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden. Daraus folgt, dass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern ein Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert. Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung. Deswegen muss grundsätzlich jeder Gemeindeausschuss ein verkleinertes Bild des Plenums der Gemeindevertretung sein und in seiner Zusammensetzung deren Zusammensetzung widerspiegeln. Auch Gemeindeausschüsse dürfen nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl der Gemeindevertretung mit entschieden haben. Vielmehr müssen auch diese Ausschüsse grundsätzlich als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln. Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit soll sicherstellen, dass der Ausschuss die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt verkleinernd abbildet. Da der Abgeordnete frei ist, sich in Fraktionen zu organisieren, sind die Fraktionen als politische Kräfte ebenso gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln wie die gewählten Gemeindevertreter untereinander.
26Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. April 2010 - 8 C 18.08 -, juris Rn. 20, vom 09. Dezember 2009 - 8 C 17.08 -, juris Rn. 18 ff. und vom 10. Dezember 2003 - 8 C 18.03 - juris Rn. 12 ff.; Beschluss vom 27. März 1992 - 7 C 20.91 -, juris Rn. 17, jeweils unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 -, juris Rn. 113; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 62 f. m.w.N.; Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 B 1308/16 -, juris Rn. 5; VG Aachen, Beschluss vom 17. Januar 2020 - 7 L 1456/19 -, juris Rn. 6; VG Arnsberg, Beschluss vom 04. Mai 2017 - 12 L 996/17 -, juris Rn. 7, juris, jeweils m.w.N.; Faber, in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 50 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Anm. 6.7 (Stand: Juli 2015); Rohde, in: BeckOK Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, § 50 GO Rn. 25 m.w.N. (Stand: 01. Dezember 2020); Wellmann, in: Rehn/Cronauge/vLennep/Knirsch, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Band I, § 50 Anm. IV.3 (Stand: Januar 2021).
27Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit trifft für sich genommen keine Aussage über die zulässige Größe eines Ausschusses. Je kleiner das Untergremium ausfällt, desto mehr gewählte Vertreter werden allerdings an der Wahrnehmung ihrer Statusrechte gehindert, und umso weniger ist insofern der Repräsentationsfunktion entsprochen. Daher steigen die Anforderungen an eine sachliche Rechtfertigung der Delegation von Entscheidungsbefugnissen mit der abnehmenden Größe eines Untergremiums.
28Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. September 2015 - 2 BvE 1/11 -, juris Rn. 97; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 70 f.
29Es liegt in der Natur der Sache, dass es bei der Übertragung der Verhältnisse des Plenums auf ein kleineres Gremium zur Über- oder Unterrepräsentation von Fraktionen kommen kann. Insbesondere werden bei jedem Berechnungsverfahren Fraktionen zwangsläufig teils über-, teils unterrepräsentiert.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 8 C 18.03 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 72 f. m.w.N.; Beschluss vom 27. Mai 2005 - 15 B 673/05 -, juris Rn. 12; VG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Juli 2016 - 1 L 2142/16 -, juris Rn. 4.
31Ein optimales oder ideales Abbild, bei dem jede Fraktion genau den Sitzanteil erhält, den sie auch im Plenum hat, bei der also die Anzahl ihrer Sitze und die Gesamtzahl der Sitze in beiden Gremien im gleichen Verhältnis zueinander stehen, ist in der Regel nicht möglich und rechtlich auch nicht zu fordern.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2021 – 15 B 152/21 –, juris Rn. 8, und Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 74 f.; BayVGH, Beschlüsse vom 12. September 2006 - 4 ZB 06.535 -, juris Rn. 10, und vom 08. Mai 2015 - 4 BV 15.201 -, juris Rn. 30; VG Regensburg, Urteil vom 25. Januar 2006 - RN 3 K 05.01239 -, juris Rn. 58.
33So kann es je nach Wahl der Ausschussgröße sogar dazu kommen, dass kleine Fraktionen gar nicht in einem Ausschuss vertreten sind, was für sich allein betrachtet nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 1992 - 7 B 49.92 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 76 f. m.w.N.; Beschluss vom 27. Mai 2005 - 15 B 673/05 -, juris Rn. 17 ff.; VerfGH Rh.-Pf., Beschluss vom 23. Mai 2014 - VGH B 22/13 -, juris Rn. 20; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 30. April 2015 - OVG 12 S 57.14 -, juris Rn. 9; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 10. Mai 2013 - 10 A 10229/13 -, juris Rn. 3.
35Auch wenn demgemäß eine optimale Abbildung des Plenums in verkleinerter Form nicht geboten ist, dürfen gleichwohl die Stärkeverhältnisse im Ausschuss nicht ohne rechtfertigenden Grund von denen im Plenum wesentlich abweichen.
36Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 79 f. m.w.N.
37Wesentliche Abweichungen vom Spiegelbildlichkeitsgrundsatz sind nur zulässig, wenn sie durch entsprechend gewichtiges kollidierendes Verfassungsrecht - etwa mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Gemeindegremien und die Effektivität der Gremienarbeit - gerechtfertigt sind.
38Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 64 f. m.w.N.; Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 B 1308/16 -, juris Rn. 9; VG Aachen, Beschluss vom 17. Januar 2020 - 7 L 1456/19 -, juris Rn. 10 f. m.w.N.; VG Arnsberg, Beschluss vom 04. Mai 2017 - 12 L 996/17 -, juris Rn. 11.
39Gemessen daran steht der Antragstellerin ein Anspruch auf (erneute) Auflösung und Neubildung der von ihr aufgeführten Ratsausschüsse mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu.
40Die 38 Sitze im Rat der T. X. waren entsprechend dem Ergebnis der Kommunalwahl vom 13. September 2020 wie folgt verteilt:
41Fraktion Sitze
42CDU 13
43SPD 12
44Bündnis90/Die Grünen 6
45FDP 3
46UWG 2
47Die Partei 2.
48Gemäß den mehrheitlich gefassten Beschlüssen des Rates vom 15. Dezember 2020 wurden fünf Ausschüsse mit 17 Sitzen (Bildung, Sport und Kultur, Soziales, Integration und demographische Entwicklung sowie Technik, Bau, Digitales und Innovation) und drei Ausschüsse mit sieben Sitzen (Rechnungsprüfung, Bürger, Wahlprüfung) gebildet.
49In den 17er-Ausschüssen waren die Sitze zu Beginn der Wahlperiode wie folgt verteilt:
50Fraktion Sitze
51CDU 6
52SPD 5
53Bündnis90/Die Grünen 3
54FDP 1
55UWG 1
56Die Partei 1.
57Durch den Austritt der Stadtverordneten B. M. aus der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im April 2021 änderte sich die Verteilung der Sitze im Rat wie folgt:
58Fraktion/Gruppierung Sitze
59CDU 13
60SPD 12
61Bündnis90/Die Grünen 5
62FDP 3
63UWG 2
64Die Partei 2
65Fraktionslos 1.
66Für die Fraktionen änderte sich auf dieser Grundlage die Zusammensetzung der 17er-Ausschüsse folgendermaßen:
67Fraktion Sitze
68CDU 6
69SPD 5
70Bündnis90/Die Grünen 2
71FDP 1
72UWG 1
73Die Partei 1.
74Da die Fraktion Bündnis90/Die Grünen durch den Austritt eines Fraktionsmitglieds einen Sitz im Rat gebüßt hat, dürfte eine für die Ausschussbildung wesentliche Änderung der Sachlage eingetreten sein.
75Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2021 – 15 B 152/21 –, juris Rn. 17.
76Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seiner vorgenannten Entscheidung zu dem hier zu beurteilenden Fall ausgeführt:
77„Die verfassungsrechtliche Fundierung des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes hat zur Konsequenz, dass Veränderungen der Kräftekonstellationen in der Zusammensetzung des Gemeinderates während der Wahlperiode grundsätzlich durch eine Anpassung der Ausschussbesetzungen nachvollzogen werden müssen, wenn sie wesentlich sind.
78Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 79 ff.; Beschlüsse vom 30. Januar 2017 - 15 B 1286/16 -, juris Rn. 7 f. und - 15 B 1308/16 -, juris Rn. 7 f., m. w. N.; vgl. auch Heusch, NWVBl. 2019, 1, 6.
79Die Frage, wann eine wesentliche Abweichung von der gebotenen Spiegelbildlichkeit, d. h. ein Verstoß gegen den Spiegelbildlichkeitsgrundsatz vorliegt, ist mit Blick auf das Gebot, auch im Ausschuss das im Plenum wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerzuspiegeln, zu beantworten. Abzustellen ist dabei nach den oben dargestellten Grundsätzen auf das Verhältnis zwischen den Sitzen im Gemeinderat einerseits und den Sitzen im Ausschuss andererseits, nicht auf die Relation zwischen den in den Kommunalwahlen erreichten Prozentzahlen und den Ausschusssitzen.
80Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 83 f.
81Ausgehend davon dürfte der Fraktionsaustritt eines Ratsmitglieds über die in der Rechtsprechung des Senats dargestellten Konstellationen,
82vgl. zu diesen OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, juris Rn. 85 ff.,
83hinaus immer schon dann zu einer wesentlichen Abweichung führen, wenn eine dem geänderten Kräfteverhältnis der Ratsfraktionen und -gruppen entsprechende Neubesetzung von Ausschüssen nach Maßgabe des schon bei ihrer ursprünglichen Besetzung zugrunde gelegten Zählverfahrens gemäß § 50 Abs. 3 Satz 3 bis 6 GO NRW (Hare/Niemeyer) zu einer Änderung der Sitzzuteilung an die Fraktionen führen würde und diese - unabhängig von gebildeten Koalitionen - geeignet wäre, neue Mehrheitsverhältnisse bei Abstimmungen in den Ausschüssen herbeizuführen. Denn bei einer solchen Sachlage spiegelt das im Plenum wirksame - durch den Fraktionsaustritt veränderte - politische Meinungs- und Kräftespektrum dasjenige der Ausschüsse nicht mehr adäquat wider, so dass die Besetzung der Ausschüsse der Anpassung bedarf. Eine solche Anpassung kann im Kommunalverfassungsstreit jede Fraktion geltend machen, die aufgrund der veränderten Konstellation im Plenum in den Ausschüssen nicht mehr hinreichend vertreten ist.
84Vgl. Heusch, NWVBl. 2019, 1, 7, m. w. N.
85Das dürfte jedenfalls für die Antragstellerin zu 1. bezogen auf die mit 17 Sitzen gebildeten Ausschüsse zutreffen. Sie hätte - anders als die Antragstellerinnen zu 2. und 3. - bei einer dem geänderten Kräfteverhältnis der Ratsfraktionen entsprechenden Neubesetzung der 17er-Ausschüsse unter Berücksichtigung des Verfahrens I./O. einen zusätzlichen Ausschusssitz zu erwarten. Dies haben die vom Antragsgegner angestellten Berechnungen ergeben, deren Richtigkeit weder von den Antragstellerinnen bestritten worden ist noch Zweifeln begegnet. Ein solcher Zuwachs von fünf auf sechs Sitze in den 17er-Ausschüssen (bei damit einhergehendem Verlust eines Sitzes für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wäre auch geeignet, veränderte Mehrheitsverhältnisse bei Abstimmungen in den Ausschüssen herbeizuführen. Soweit der Antragsgegner mit seiner Beschwerdeerwiderung geltend macht, bei einer Nachzeichnung des neuen Sitzverhältnisses im Rat erhielten in den 17er-Ausschüssen „die Fraktionen von CDU und SPD jeweils sechs Sitze […], was nicht die insoweit unterschiedliche Sitzverteilung dieser Fraktionen im Rat widerspiegeln würde“, ist ein Auftreten derartiger „Unschärfen“ bei der spiegelbildlichen Übertragung des Kräfteverhältnisses der Fraktionen im Plenum auf die kleineren Ausschüsse systemimmanent und war auch nach der Ausschussbesetzung gemäß dem Ratsbeschluss vom 15. Dezember 2020 zu verzeichnen; so sind hiernach sowohl in den 17er- als auch 7er-Ausschüssen mehrere Fraktionen mit jeweils einem Sitz vertreten, obwohl sie jeweils im Rat unterschiedlich viele Sitze haben.“
86Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2021 – 15 B 152/21 –, juris Rn. 16 ff.
87Der danach auch aus der Sicht der erkennenden Kammer anzunehmenden wesentlichen Änderung der Sachlage hat der Antragsgegner durch den Beschluss vom 09. November 2021 über die Auflösung der 17er-Ausschüsse Rechnung getragen.
88Dass nunmehr stattdessen 19er-Ausschüsse gebildet worden sind, wird voraussichtlich nicht zu beanstanden sein.
89Die Ausschusssitze sind nach dem Beschluss des Antragsgegners vom 09. November 2021 wie folgt verteilt:
90Fraktion Sitze
91CDU 7
92SPD 6
93Bündnis90/Die Grünen 3
94FDP 1
95UWG 1
96Die Partei 1.
97Diese Verteilung auf der Grundlage der gegenwärtigen Besetzung des Rates entspricht dem in § 50 Abs. 3 Sätze 3 bis 6 GO NRW niedergelegten Verfahren nach Hare/Niemeyer.
98Vgl. hierzu VG Köln, Urteil vom 02. Februar 2011 - 4 K 915/10 -, juris Rn. 56; VG Bayreuth, Beschluss vom 15. September 2020 - B 9 E 20.668 -, juris Rn. 61; Wellmann, in: Rehn/Cronauge/v.Lennep/ Knirsch, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Band I, § 50 Anm. IV.4 (Stand: Januar 2021).
99Auch ist kein zur Neubildung zwingender Verstoß gegen den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gegeben.
100Die Antragstellerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen über eine Mehrheit in den Ausschüssen verfügen (CDU und Bündnis90/Die Grünen: 10 Sitze, restliche Fraktionen: 9 Sitze), die sie im Plenum nicht haben (CDU und Bündnis90/Die Grünen: 18 Sitze, restliche Fraktionen: 19 Sitze). Dieser Umstand wird indes bereits dadurch relativiert, dass im Rat die fraktionslose Stadtverordnete (früher Bündnis90/Die Grünen) durchaus bei Abstimmungen das ursprüngliche Verhältnis von 19/19 herstellen könnte, so dass CDU und Bündnis90/Die Grünen nicht zwangsläufig im Rat in der Minderheit wären. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 25. Juni 2021 in dem Verfahren 15 B 152/21 klargestellt, dass Gegenstand und Bezugspunkt der für den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit maßgeblichen Abbildung das Stärkeverhältnis der politischen Kräfte ist, die sich zur Wahl der Gemeindevertretung gestellt und zwischen denen die Wähler entschieden haben, nicht dagegen der politischen Mehrheiten, die sich erst nach der Wahl in der Gemeindevertretung durch Koalitionsabreden gebildet haben.
101Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2021 – 15 B 152/21 –, juris Rn. 6 f. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 2009 – 8 C 17.08 – juris Rn. 22.
102Daraus folgt, dass nicht die Koalition von CDU und Bündnis90/Die Grünen in den Blick zu nehmen ist, sondern isoliert ihr jeweiliger Anteil an Ratssitzen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, dass die CDU-Fraktion einen Sitz mehr als die SPD-Fraktion hat. Angesichts dessen ist es mit Blick auf den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nicht zu beanstanden, dass nunmehr 19er-Ausschüsse gebildet worden sind, in denen die CDU-Fraktion jeweils sieben Sitze hat und die Antragstellerin jeweils einen weniger, nämlich sechs Sitze. Der unterschiedlichen Sitzverteilung im Rat würde dagegen bei Zuweisung von jeweils sechs Sitzen an CDU und SPD in 17er-Ausschüssen weniger Rechnung getragen. Auch ist die Funktionsfähigkeit der Ausschüsse bei 19 Sitzen nicht gefährdet, weil keine Pattsituation bestünde: Die Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen verfügen darin jeweils über zehn Stimmen, der Rest über neun Stimmen.
103Zutreffend ist ferner der Hinweis der Antragstellerin, dass die CDU-Fraktion nur über einen Sitz mehr als sie im Rat verfüge und sich dieser Vorsprung bei einer Verkleinerung des Plenums auf Ausschussgröße nicht unbedingt widerspiegeln müsse. Indes kann daraus nicht gefolgert werden, dass es schon als rechtswidrig anzusehen ist, wenn der geringe Unterschied – hier durch Bildung von 19er-Ausschüssen – gleichwohl zum Ausdruck kommt. Das Spiegelbildlichkeitsgebot verlangt keine optimierte Ausschussgröße, sondern verbietet lediglich – wovon hier keine Rede sein kann – grobe Verzerrungen der Stärkeverhältnisse im Plenum.
104Vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 21. Oktober 2021 – 4 ZB 21.1776 –, juris Rn. 12 m.w.N. zu Art. 33 Abs. 1 Satz 2 BayGO.
1052.) Der Antragsgegner hat mit der Festsetzung der Größe der in Rede stehenden Ausschüsse auch nicht gegen das eine weitere Grenze seines Ermessens darstellende allgemeine Willkürverbot verstoßen. Dieses Verbot, das aus der Bindung des Staates an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG fließt, verbietet eine Differenzierung ohne sachlichen Grund und allgemein Entscheidungen auf der Grundlage sachfremder Erwägungen. Ein sachlicher Grund fehlt, wenn vernünftige, sich aus der Natur der Sache ergebende oder sonst einleuchtende Gründe nicht bestehen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt insbesondere vor, wenn die Ausschusszahl missbräuchlich so klein gewählt wird, dass dadurch gezielt kleinere Gruppierungen von einem Sitz ausgeschlossen werden.
106Vgl. BayVGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 4 CE 20.2166 -, juris Rn. 26 ff.; OVG NRW, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 2331/15 -, Rn. 114 f. m.w.N.
107Dafür ist hier nichts ersichtlich. Es gibt keine greifbaren Anhaltspunkte für einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Für die konkret gewählte Größe der Ausschüsse sprechen vielmehr, wie dargelegt, der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit sowie das Argument der Mehrheitsbildung und damit der Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse. Dem ansonsten kaum ergiebigen Protokoll zur Ratssitzung am 09. November 2021 ist zu entnehmen, dass sich die CDU-Fraktion für ihren Vorschlag zur Bildung von 19er-Ausschüssen explizit auf den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit berufen hat. Zwar wäre es auch zulässig gewesen, es bei 17er-Ausschüssen zu belassen und der Antragstellerin jeweils einen weiteren Sitz zuzuweisen. Erweisen sich freilich mehrere Lösungen als rechtlich vertretbar, ist es dem Gericht verwehrt, die vom Rat im Rahmen seines Ermessens getroffene Entscheidung als rechtswidrig einzustufen.
108Mangelt es nach alledem bereits an einem Anordnungsanspruch, kommt es auf das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht mehr an.
109Vgl. zum Anordnungsgrund im Kommunalverfassungsstreitverfahren OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 B 1308/16 -, juris Rn. 15 m.w.N.
110Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.
111Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs.1, 53 Abs.2 GKG. Die Kammer sieht mit Blick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache davon ab, den im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwert in Höhe von 10.000 EUR (vgl. Ziffer 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) zu reduzieren.
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