Urteil vom Verwaltungsgericht Augsburg - Au 6 K 17.1539

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung durch den Beklagten.

Der am ... 1977 in ... geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger. Er wuchs zunächst bei seiner Familie im Irak auf, besuchte ab dem 7. Lebensjahr eine der Grundschule vergleichbare Schulform und beendete diese im Alter von zehn Jahren, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, nachdem der Vater verstorben war. Im Jahr 2002 reiste er erstmals in die Bundesrepublik ein und stellte am 20. März 2002 einen Asylantrag, der mit Bescheid des (nunmehrigen) Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 4. Juni 2002 abgelehnt wurde, zugleich wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und die Abschiebung in den Irak angedroht. Die hiergegen erhobene Klage wurde abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 1.3.2004 – Au 8 K 04.30046). Der Antrag auf Abänderung des Bescheides bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 16. März 2009 abgelehnt.

Am 28. Mai 2004 erhielt der Kläger eine Duldung, die in der Folgezeit mehrmals verlängert wurde. Mit Schreiben vom 8. September 2005 teilte die damals zuständige Ausländerbehörde der vormaligen Bevollmächtigten des Klägers auf ihre Anfrage hin mit, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht möglich sei. Mit Schreiben vom 26. November 2008 ließ der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG beantragen; er sei Vater des am ... 2008 geborenen Kindes Z. M., die russische Mutter des Kindes sei im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG, mit dieser lebe er zusammen.

Am 16. April 2009 reichte der Kläger einen Formblattantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ein. Am 12. Oktober 2009 erteilte der Beklagte dem Kläger eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, die in der Folgezeit mehrmals – zuletzt bis zum 29. März 2017 – verlängert wurde.

Die Staatsanwaltschaft ... teilte der Ausländerbehörde (mit Schreiben vom 27.4.2007, 5.5.2011 und 24.1.2012, s. hierzu und zu weiteren Mitteilungen Bl. 135, 143, 217, 254, 304, 322, 333, 336, 353, 365, 367 und 370 der Behördenakte) u.a. mit, dass Verfahren wegen (gefährlicher) Körperverletzung bzw. Sachbeschädigung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden seien.

Laut Mitteilung des Jugendamtes (vom 20.10.2011) habe die Lebensgefährtin den Kläger aus der gemeinsamen Wohnung geworfen. Diese teilte der Ausländerbehörde am 19. Juli 2012 telefonisch mit, dass der Kläger die letzten beiden Tage bei ihr gewesen sei und seinen Sohn besucht habe. Er habe sie gebeten, die erstattete Anzeige wegen fortgesetzter Körperverletzung und Beleidigung zurückzunehmen.

Der Kläger wurde am 22. Februar 2016 in Untersuchungshaft genommen und befindet sich nunmehr im regulären Strafvollzug. Der Bundeszentralregisterauszug (vom 4.10.2016) enthält zwei Vorverurteilungen (fahrlässiger Vollrausch am 31.3.2013, Sachbeschädigung am 20.5.2013), für die nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet wurde (s.a. Auszug vom 8.8.2017, Bl. 490 bzw. 426 der Behördenakte).

Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts ... vom 21. Dezember 2016 (Az. ...) wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hatte der Kläger im Verlauf des 22. Februar 2016 tagsüber nicht ausschließbar ein bis zwei Bier getrunken, abends ab 19.00 Uhr trank er drei bis vier weitere Bier sowie eine nicht mehr genau feststellbare Menge an Wodka. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor 21.00 Uhr habe sich der Geschädigte, der ein Zimmer im 2. Stock des Anwesens, in dem auch der Kläger lebte, bewohnte, auf den Flur begeben, um dort Wäsche aufzuhängen. Der Kläger sei an ihm vorbeigegangen, habe ihn auf Arabisch als „Hurensohn“ beschimpft und sei in das Zimmer des A. S. gegangen. Dieses habe er nach einem kurzen Streit verlassen, dabei die Zimmertür zugeschlagen und gerufen: „Ich ficke die Leute A., K.“. Der Kläger sei in sein im 1. Stock gelegenes Zimmer gegangen, habe ein 20 cm langes Küchenmesser mit einer gezähnten Schneide und Klingenlänge von 10 cm, bei welchem die Messerspitze abgebrochen gewesen sei, genommen und sei damit zum Zimmer des Geschädigten zurückgekehrt. Dieser habe den Wäschekorb in der einen Hand gehabt und mit der anderen Hand die Tür aufgesperrt. Der Kläger habe mit dem Messer unvermittelt um den Körper des Geschädigten herumgegriffen und dieses an dessen linke Halsseite gesetzt, um ihm den Hals aufzuschneiden und ihn dadurch zu töten. Dem Geschädigten sei es gelungen, die Hand des Klägers wegzudrücken. Der Geschädigte wurde dann an der rechten Brust- und Halsseite durch den ausgeführten Schnitt verletzt. Der Kläger habe erkannt, dass die zugefügte Wunde keinesfalls geeignet sein würde, den Geschädigten, der eine Abwehrstellung eingenommen habe, zu töten. Zur Tatzeit sei von einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 1,95 ‰ und einer wahrscheinlichen Blutalkoholkonzentration von 1,68 ‰ auszugehen. Er habe im Vorfeld Cannabisprodukte in einem Umfang konsumiert, dass in der Blutprobe u.a. ein THC-Gehalt habe nachgewiesen werden können. Dieser vorangegangene Konsum habe zu keiner Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit geführt, es sei von einem mittelgradigen Rauschzustand auszugehen.

Mit Schreiben des Beklagten vom 13. Juli 2017 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört. Er teilte daraufhin mit, er komme aus, dort herrsche derzeit Krieg, außerdem habe er im Irak keine Familienmitglieder mehr. Die einzige familiäre Bindung seien sein Sohn und sein Bruder, dieser lebe in .... Er bereue seine Taten zutiefst und habe Angst, in den Irak abgeschoben zu werden.

Der Führungsbericht der JVA ... (vom 24.7.2017) beinhaltet, dass der Kläger eine sehr gute Arbeitsleistung erbringe, disziplinarisch sei er einmal im September 2016 wegen eines Verstoßes gegen das Geschäftsverbot verwarnt worden. Die Zugangsurinkontrolle am 23. Februar 2016 sei positiv auf THC gewesen, weitere Tests im Laufe der Inhaftierung seien negativ gewesen. Laut des forensisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. ... (vom 26.6.2016) bestehe kein Hang, im Übermaß Rauschmittel zu sich zu nehmen. Kontakt mit den externen Suchtberatungsstellen habe der Kläger bisher nicht aufgenommen. Eine Prognose sei aufgrund der zeitlichen Entfernung zum Entlassungszeitpunkt derzeit nicht möglich.

Das Schreiben des Job-Centers vom 25. Juli 2017 beinhaltet, der Kläger habe keine verwertbare Berufsausbildung und nur einige sporadische Kurzzeitarbeitsverhältnisse durchlaufen, seit 2011 habe er sich immer im (Langzeit-)ALG II-Bezug befunden und auch einige Maßnahmen zur Verbesserung der Vermittlungschancen erhalten. Bei der derzeit vorherrschenden Arbeitsmarktsituation sei es durchaus möglich, nach einer voraussichtlichen Haftentlassung im Sommer 2019 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis (zumindest bzw. auch über Zeitarbeitsfirmen) zu erhalten. Eine Aussage könne jedoch noch nicht getroffen werden.

Das Jugendamt der Stadt ... teilte mit Schreiben vom 16. August 2017 mit, dass für den Sohn des Klägers seit dem 1. August 2014 laufend UVG-Leistungen gewährt würden, Unterhaltszahlungen leiste der Kindsvater – mangels Leistungsfähigkeit – nicht. Der Kläger habe laut der Mutter monatlich 133 EUR (bis 7/2014) geleistet.

Einem Aktenvermerk (vom 4.9.2017) über ein Telefonat mit der Mutter des Kindes des Klägers ist u.a. zu entnehmen, dass es nach deren Auskunft bereits während der Beziehung immer wieder zu Gewalt ihr gegenüber gekommen sei. Kurz vor dem Ende der Beziehung sei der Kläger oft betrunken und aufgrund dieses Zustandes extrem gewaltbereit gewesen. Sie sei des Öfteren geschlagen worden. Der Kläger habe sie auch mit einem Messer bedroht. Nach der Trennung habe sie der Kläger längere Zeit telefonisch terrorisiert. Er habe auch vor dem Kindergarten gewartet, um Mutter und Sohn dort aufzuspüren. Aus Angst vor Übergriffen sei sie weggezogen. Anfangs habe der Kläger noch Briefe aus der JVA an seinen Sohn geschrieben und um Mitleid bzw. Besuch gebeten. Letzteres habe sie abgelehnt, der Sohn wisse nichts vom Gefängnisaufenthalt, da sie die Briefe vorlese. Nach der Trennung habe der Sohn oft nach dem Vater gefragt, dies habe aber sehr schnell nachgelassen. Der Kläger spreche kurdisch und arabisch.

Das Landratsamt ... wies den Kläger mit Bescheid vom 6. September 2017 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1), befristete die Wirkung der Ausweisung bzw. einer evtl. durchzuführenden Abschiebung bis zum Ablauf von fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der nachgewiesenen Ausreise (Nr. 2) und drohte ihm die Abschiebung aus der Haft bzw. Therapieeinrichtung in den Irak oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an (Nr. 3); sollte die Abschiebung aus der Haft bzw. Therapieeinrichtung heraus nicht durchgeführt werden können, werde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise werde die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Nr. 4). Der Kläger werde gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG ausgewiesen, durch die Vielzahl von Straftaten sowie die vorliegende Drogenproblematik würden die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die Interessen der Bundesrepublik empfindlich gefährdet. Im Rahmen der Abwägung überwiege das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers. Mit dem strafrechtlichen Verhalten des Klägers, insbesondere der Verurteilung durch das LG ... vom 21. Dezember 2016 liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Mit den durch den Kläger begangenen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen werde ebenfalls das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG erfüllt. Grundsätzlich liege ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG vor, da der Kläger die Vaterschaft zu seinem minderjährigen Sohn anerkannt habe und sich dieser rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, dem Kläger stehe grundsätzlich ein Umgangsrecht zu. Auch das in § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG aufgeführte Wohl des Kindes sei zu berücksichtigen, deshalb liege ein weiteres schwerwiegendes Bleibeinteresse vor. Bei der Abwägung seien insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen und Lebenspartner zu berücksichtigen. Die begangenen Sachbeschädigungen und die massive Körperverletzung stellten einen gravierenden Verstoß gegen die Rechtsordnung dar. Dem Urteil des LG ... sei zu entnehmen, dass der Messerangriff auf den Asylbewerber geeignet gewesen sei, tödlich verlaufende Verletzungen hervorzurufen. Derartige Straftaten stellten schwer-wiegende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar und erschütterten das Sicherheitsgefühl der hier lebenden Menschen. Ausweisungszweck sei die Abschreckung anderer Ausländer vor einem gleichartigen Verhalten (Generalprävention). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und den danach entwickelten Grundsätzen sei eine Ausweisung zu generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, wenn ein öffentliches Interesse bestehe, eine verhaltenssteuernde Wirkung bei anderen Ausländern zu erreichen. Die Ausweisung diene auch der Spezialprävention. Es bestehe aufgrund des Gesamtverhaltens und der Persönlichkeit des Klägers eine begründete Wiederholungsgefahr. Entscheidend sei u.a., ob bei Anwendung „praktischer Vernunft“ neue Verfehlungen nicht in Rechnung zu stellen seien, d.h. das von dem Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztendlich kein anderes sei, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger bestehe. Laut eigenen Angaben spielten Alkohol und Drogen im Leben des Klägers keine nennenswerte Rolle. Dieser Einlassung könne allenfalls bedingt gefolgt werden: Die Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt gehe weit über den Alkoholwert eines Gelegenheitstrinkers hinaus. Obwohl der Kläger nach eigener Auskunft nicht regelmäßig trinke, habe er, sobald er trinke, offensichtlich weder sein Trink- noch sein Sozialverhalten unter Kontrolle. Die Gesamtumstände ließen vielmehr auf ein handgreifliches und schwerwiegendes Alkoholproblem schließen. Bereits in der Beziehung mit der Kindsmutter sei der Kläger oft betrunken und gewaltbereit gewesen, habe die Kindsmutter geschlagen und sogar mit einem Messer bedroht. Die Wiederholungsgefahr gründe sich auch auf ein therapiebedürftiges Drogenkonsumverhalten. Da der Kläger bei früheren Straftaten alkohol- bzw. drogenintoxiniert gewesen sei, sei die Begehung weiterer Straftaten naheliegend, sobald der Kläger trinke oder Cannabis konsumiere. Die hohe kriminelle Energie der gekennzeichneten Straftat könne dabei teilweise auch in der Persönlichkeit des Klägers gefunden werden. Er habe den Asylbewerber unvermittelt und aus einem kaum nennenswerten Anlass heimtückisch mit dem Messer von hinten angegriffen und sei kurz davor gewesen, dessen Leben zu beenden. Auch der Eindruck einer Vorverurteilung habe ihn nicht an der Begehung einer weiteren massiven Straftat gehindert.

Für die Ausweisung würden auch folgende Punkte sprechen: Bezüglich einer zukünftigen Arbeitsvermittlung habe das Job-Center u.a. mitgeteilt, dass der Kläger über keine verwertbare Berufsausbildung verfüge. In der Vergangenheit habe er über einen größeren Zeitraum Leistungen des Job-Centers erhalten. Die Rentenversicherung habe mitgeteilt, dass Pflichtbeiträge vom 1. Januar 2005 bis zum 28. Februar 2011 regelmäßig eingezahlt worden seien, wobei diese jeweils aus Helfertätigkeiten stammten. Danach habe der Kläger nur noch sporadisch gearbeitet, ab dem 8. März 2011 habe er teilweise auch ALG I bezogen. Nach der Haftentlassung werde der Kläger wieder Leistungen nach dem ALG II erhalten. Neben der Stellungnahme der JVA seien die Auskünfte des Jugendamtes und der Kindsmutter zu berücksichtigen. Nachdem die Kindsmutter das alleinige Sorgerecht habe, stehe dem Kläger ein Umgangsrecht zu, welches er ausüben könnte. Schutzwürdig sei das Bleibeinteresse des Klägers nur dann, wenn es sich bei der Vater-Kind-Beziehung um eine tatsächlich gelebte Nähebeziehung handle. Nachdem der Kontakt zwischen Vater und Sohn nur sporadisch sei, könne nicht von einer Nähebeziehung gesprochen werden; insofern sei dem Bleibeinteresse aufgrund des Umgangsrechts nur geringes Gewicht beizumessen. Eine Verletzung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit komme bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden seien. Ein derartiger Fall liege nicht vor. Der Kläger sei erst mit 25 Jahren eingereist und habe im Irak noch zwei Schwestern, zu denen nach seinen Angaben kein Kontakt bestehe. Bei einer Ausweisung sei davon auszugehen, dass diese ihn unterstützen würden und eine vorübergehende Wohnsitznahme sowie der soziale Kontakt zu einem Teil der Familie gesichert seien. Eine in Zukunft gesicherte wirtschaftliche Existenz habe der Kläger nicht zu verlieren. Die persönlichen Interessen würden insbesondere von Art. 8 EMRK, Art. 6 GG und Art. 7 Grundrechtscharta geschützt. Vorliegend halte sich die Hälfte der Kernfamilie im Irak auf, die gesamte Sozialisierung habe dort stattgefunden. Vor der Inhaftierung habe der Kläger allein gelebt. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei zu befristen. Nach Abwägung aller Umstände seien fünf Jahre angemessen.

Hiergegen ließ der Kläger am 5. Oktober 2017 Klage erheben und beantragen,

Der Bescheid des Landratsamtes ... vom 6. September 2017 wird aufgehoben.

Der Kläger sei der Ansicht, er habe ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Sohn, sie würden sich regelmäßig schreiben. Er habe Unterhalt gezahlt, soweit es ihm möglich gewesen sei. Auch sei eine Therapie wegen seines Alkoholkonsums angebahnt worden. Er sei der Ansicht, aufgrund seines guten Verhältnisses zu seinem Sohn und seines Umgangsrechtes überwiege sein Interesse, in Deutschland zu bleiben.

Ergänzend wurde ausgeführt, der Kläger wolle nach der Haftentlassung wieder einen engen Kontakt zu seinem Sohn aufbauen, es liege daher ein rechtliches Abschiebehindernis vor. Der Kläger beabsichtige, zu seinem Bruder nach ... zu ziehen, er werde keinen Kontakt zu seinem alten Umfeld haben, so dass es keine Drogenkontakte mehr geben werde. Außerdem werde der Bruder des Klägers einen weiteren Drogen- oder Alkoholkonsum auch nicht zulassen. Auf eine Stellungnahme der Drogenhilfe ... (vom 9.3.2018) werde verwiesen; diese beinhaltet u.a., dass der Kläger (seit 27.9.2017) das Beratungsangebot der externen Drogenberatung in Anspruch nehme. Bisher seien neun Gespräche durchgeführt worden. Der Kläger habe sich bereits am 1. Juli 2017 an die Suchtberatung gewandt, aufgrund personeller Gegebenheiten habe ein Erstgespräch jedoch erst zum o.g. Datum erfolgen können. Der Kläger nehme die Gesprächstermine regelmäßig wahr, er sei derzeit im Rahmen der Beratung bereit, sich zu öffnen, um mögliche Zusammenhänge seiner Sucht und seines Lebenslaufes zu hinterfragen und zu reflektieren. Er zeige zum jetzigen Zeitpunkt großes Interesse daran, eine Entwöhnungsbehandlung anzutreten, um mit Hilfe einer therapeutischen Maßnahme dauerhaft ein drogenfreies Leben zu führen und künftige Inhaftierungen vermeiden zu können. Der Kläger beschreibe, er habe in der Zeit vor Haftantritt vor allem Cannabis und Alkohol konsumiert, einen gelegentlichen Konsum von Kokain habe er hingegen selbständig beendet. Aus Sicht der Drogenberatung wirke der Kläger derzeit krankheitseinsichtig und motiviert, eine Entwöhnungsbehandlung aufzunehmen. Die derzeitige erstmalige Inhaftierung habe ihn in dem Wunsch nach einer Therapie weiterhin bestärkt. Ein Kostenantrag (für eine ganztägig ambulante Reha-Maßnahme in ...) sei vorbereitet.

Der Kläger ließ mitteilen, dass er gerne Besuch von seinem Sohn gehabt hätte, die Kindsmutter aber nicht wolle, dass der Sohn den Vater im Gefängnis sehe. Er gehe davon aus, die Vater-Sohn-Bindung sei vor der Haft so eng gewesen, dass danach die Kontaktaufnahme mit Fortführung der Beziehung ohne Probleme möglich sei.

Ausweislich des Führungsberichtes der JVA ... vom 14. Juni 2018 wolle der Kläger eine stationäre Maßnahme bei K. in ... absolvieren; ein entsprechender Therapieantrag sei vorbereitet. Aufgrund der Deliktstruktur und Persönlichkeit des Klägers käme er zudem für eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt für Gewaltstraftäter in Betracht. Nach der Indikationsprüfung am 16. November 2017 sei er jedoch von der sozialtherapeutischen Abteilung K. abgelehnt worden, da er die Tat weiterhin leugne. Seitens des psychologischen Dienstes werde derzeit die Eignung zur Teilnahme am nächsten Anti-Gewalt-Training in der JVA geprüft. Der Kläger sei bereits wegen Sachbeschädigung und fahrlässigen Vollrausches zu Geldstrafen verurteilt worden. Am 6. Dezember 2017 habe ein Disziplinarverfahren durchgeführt werden müssen, da der Kläger das geordnete Zusammenleben in der Anstalt gestört habe, indem er einem anderen Insassen ohne rechtfertigenden Grund mit der Hand ins Gesicht gegriffen habe. Es seien fünf Tage Arrest als Disziplinarmaßnahme verhängt und zur Bewährung ausgesetzt worden. Der Gefangene habe einmal im Januar 2018 von seinem Bruder, zudem mehrmals, jedoch nicht regelmäßig, Besuch von Bekannten erhalten. Zweidrittelzeitpunkt sei der 23. August 2018, Strafende der 23. November 2019.

Das Jugendamt der Stadt ... teilte (mit Schreiben vom 6.7.2018) u.a. mit, es habe ein begleiteter Umgang (8 Termine: 27.2.2015 bis 6.6.2015) stattgefunden. Dann seien 14-tägige Umgangstreffen geplant und hierfür sechs Termine und ein Auswertungsgespräch festgelegt gewesen. Die Mutter des Kindes habe berichtet, den Kläger telefonisch nicht erreicht und einmal vergeblich am Treffpunkt gewartet zu haben. Das Auswertungsgespräch habe der Kläger abgesagt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Behörden- und Strafakten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 6. September 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Befristungsentscheidung und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und -anordnung ist auch für die Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325, juris Rn. 18).

1. Die vom Kläger angefochtene Ausweisung ist rechtmäßig.

Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers beurteilt sich nach §§ 53 ff. des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)

a) Die Ausweisung setzt als gebundene und gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325, juris Rn. 22) tatbestandlich voraus, dass der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der vorgenannten Schutzgüter eintreten wird (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325, juris Rn. 23). Dies ist hier der Fall.

aa) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung, weil er eine schwere Straftat begangen hat und eine erhebliche Wiederholungsgefahr bis heute besteht.

Maßgeblicher Ausweisungsanlass ist die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung (LG, U.v. 21.12.2016 – ...). Das Körperverletzungs- und Gewaltdelikt des Klägers gefährdet das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes – GG). Die Gesundheit der Bürger nimmt aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein; ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft, das durch eine Straftat, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 57). Nach den Darlegungen des Strafgerichts ist zwar die vertikal über Brust und Hals verlaufende 25 cm lange, nicht sehr tiefe Schnittwunde des Geschädigten folgenlos verheilt, das Handeln des Klägers war aber jedenfalls abstrakt geeignet, das Leben des Geschädigten zu gefährden; das Strafgericht teilte die Einschätzung des Sachverständigen, dass es in der gegebenen Situation, in welcher der Kläger seinem Kontrahenten ein stabiles scharfes Messer mit einer Klingenlänge von 10 cm an den Hals hielt, letztlich einer glücklichen Fügung zu verdanken war, dass der Geschädigte lediglich eine oberflächliche Schnittverletzung davontrug. Zudem ging das Strafgericht von einem strafbefreienden Rücktritt vom unvollendeten Mordversuch aus und berücksichtigte u.a. zu Gunsten des Klägers, dass die Tat durch Alkoholkonsum erheblich begünstigt wurde. Während des Strafverfahrens bestritt der Kläger die Tatbegehung. Der Tatvorwurf wurde jedoch nach Überzeugung des Strafgerichts durch die glaubhaften Angaben des Geschädigten belegt, dessen Angaben darüber hinaus erhebliche Unterstützung durch ihre Verflechtung mit den Aussagen anderer Zeugen fanden (s. LG, U.v. 21.12.2016 –, S. 25). Zwar sind die Ausländerbehörde – und auch das Verwaltungsgericht – an die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts und an die Beurteilung des Strafrichters nicht gebunden, in der Regel ist jedoch von der Richtigkeit der strafrechtlichen Entscheidung auszugehen (vgl. BayVGH, U.v. 22.2.2012 – 19 ZB 11.2850, 19 CS 11.2715 – juris Rn. 15). Die Kammer hat vorliegend keinerlei Zweifel an dem vom Landgericht ... festgestellten Sachverhalt und dem darauf beruhenden strafrechtlichen Schuldspruch. Das Strafgericht setzte sich dabei eingehend mit der Aussage des Geschädigten auseinander, dessen Schilderung des Tatgeschehens sich widerspruchslos mit der objektiven Spurenlage, insbesondere dem Verlauf der Verletzungen und den Ergebnissen der DNA-Analyse in Einklang bringen ließe. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger mit Blick auf sein Schreiben an die Ausländerbehörde vom 19. Juli 2017, seine Straftaten zutiefst zu bereuen (s. Bl. 502 der Behördenakte), man habe Streit gehabt, das Ganze sei ein Versehen gewesen; er habe keine Absicht gehabt, jemanden zu töten. Nach Auswertung des Strafurteils und der beigezogenen Strafakten hat die Kammer am strafrechtlichen Schuldspruch nicht die geringsten Zweifel. Der Kläger hat eine gefährliche Körperverletzung in einem mittelgradigen Rauschzustand verübt und stellt aufgrund dieses Verhaltens eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dar.

bb) Die vom Kläger ausgehende Gefahr dauert bis heute an, weil eine Tatwiederholung konkret zu befürchten ist.

Bei der Frage, ob vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 10). Bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung – wie hier im Falle der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit – gelten für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. Denn bei der Gefahrenprognose sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277, juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34).

Die auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob der Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, führt unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, des Täters und seiner Persönlichkeitsstruktur sowie seines Nachtatverhaltens und ggf. einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehenen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/283 f. Rn. 17) hier zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr. Dies ergibt sich aus der konkreten Tatbegehung, der Persönlichkeitsstruktur des Klägers und der mangelnden therapeutischen Aufarbeitung seines tatbegünstigenden erheblichen Alkoholkonsums; es ist zwar nicht von einem Hang, im Übermaß Rauschmittel zu sich zu nehmen, auszugehen, doch war der Kläger zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisiert. Zumal er bereits wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe verurteilt worden war und auch bei Haftantritt die Zugangsurinkontrolle am 23. Februar 2018 im Hinblick auf THC positiv gewesen sei (s. Führungsbericht vom 24.7.2017). Der Kläger ist zwar nicht einschlägig vorbestraft, hat aber eine gefährliche Körperverletzung mittels eines Messers in einem mittelgradigen Rauschzustand begangen. Er hat den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in zwei Tatbestandsalternativen verwirklicht (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB); zum einen handelte es sich bei dem Küchenmesser um ein gefährliches Werkzeug, zum anderen stellte die von hinten erfolgte Tatausführung zumindest eine abstrakt lebensgefährliche Behandlung dar. Zumal nach dem angeforderten Führungsbericht der JVA ... vom 14. Juni 2018 eine sozialtherapeutische Behandlung für Gewaltstraftäter nicht erfolgt ist und die Eignung zur Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training erst geprüft werde. Zwar wirkt der Kläger nach der vorgelegten Stellungnahme der Drogenhilfe vom 9. März 2018 aus Sicht der Drogenberatung krankheitseinsichtig und motiviert, eine Entwöhnungsbehandlung aufzunehmen, eine Therapie hatte er jedoch auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht begonnen; es liegt vielmehr bislang keine Kostenzusage vor. Dass der Kläger derzeit eine externe Drogenberatung in Anspruch nimmt und seit September 2017 bereits mehrere Gespräche durchgeführt wurden, ist zwar ein Hoffnungsschimmer, dass der Kläger sich seinen Persönlichkeitsproblemen stellt. Allerdings ist unter dem Druck der ausländerbehördlichen Maßnahme gezeigtes Wohlverhalten vorsichtig zu bewerten, denn insbesondere ist noch keine Therapie begonnen, geschweige denn erfolgreich abgeschlossen worden. Auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers und seiner nunmehr entwickelten Therapiebereitschaft ist bislang kein grundlegender und seine Gesamtpersönlichkeit erfassender Wandel ersichtlich, so dass die Aussagekraft und Aktualität der strafgerichtlichen und strafvollzugsbehördlichen Feststellungen nicht zu bezweifeln ist. Wegen des hohen Rangs des von ihm verletzten und bei einem Rückfall erneut bedrohten Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit ist aufgrund dieser Feststellungen vorliegend eine erhebliche und gegenwärtige Wiederholungsgefahr anzunehmen. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit seiner Ausweisung ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Kläger nach wie vor nicht hinsichtlich seiner Drogen- bzw. Alkoholdelinquenz therapiert ist. Sind aber die Ursachen seiner früheren Straftat nicht beseitigt, ist weiter von einer konkreten Rückfallgefahr auszugehen.

b) Die Ausweisung ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse des Klägers nach § 53 Abs. 2 i.V.m. § 55 AufenthG deutlich überwiegt.

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend“ (Absatz 1) oder als „schwerwiegend“ (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus (vgl. zum Ganzen: BVerwG, vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325, juris Rn. 24).

Bei der Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat sich bei diesem Kriterienkatalog an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht („Boultif/Üner-Kriterien“; vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – a.a.O.). Die o.g. Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

aa) Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer, weil der Kläger wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (LG, U.v. 21.12.2016 – ...). Ob daneben durch die begangenen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen auch § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG einschlägig ist, wie vom Beklagten geltend gemacht wird, kann dahingestellt bleiben, da sich eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54, 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen verbietet (vgl. BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 40).

Zwar können die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG typisierten Interessen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch weniger oder mehr Gewicht entfalten und kann die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat in atypischen Fällen insgesamt weniger schwer erscheinen (vgl. BR-Drs. 642/14 S. 57), doch liegen hierfür unter umfassender Würdigung des Einzelfalles keine Anhaltspunkte vor. Tat, Täter und Nachtatverhalten weichen von vergleichbaren Delikten nicht derart ab, dass hier die Annahme eines atypischen Falles in Betracht käme. Auch nach strafgerichtlicher Bewertung rechtfertigten die Tatumstände und die Täterpersönlichkeit keine abweichende Gewichtung. Zur Schuldfähigkeit des Klägers stellte das Landgericht fest, dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt nicht erheblich vermindert oder gar aufgehoben gewesen sei und er auch nicht an einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder schweren anderen seelischen Abartigkeit leide (LG, U.v. 21.12.2016 –, S. 38 ff.).

bb) Das Bleibeinteresse wiegt demgegenüber nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 3 und 5 AufenthG schwer, weil der Kläger in der Vergangenheit sein Umgangsrecht mit seinem minderjährigen Sohn, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nach Angabe des Klägers die russische Staatsangehörigkeit besitzt, ausgeübt hat. Zumal der Kläger geltend macht, nach der Haftentlassung mit diesem wieder persönlichen Kontakt aufnehmen zu wollen.

cc) In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles wie insbesondere der Dauer des Aufenthalts, der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner überwiegt vorliegend das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Klägers deutlich.

Der Aufenthalt des im Irak aufgewachsenen Klägers dauert seit seiner Einreise im Jahr 2002 ununterbrochen an; auch ist er hier einige Jahre (s. Versicherungsverlauf der Rentenversicherung vom 26.5.2017, Bl. 508 der Behördenakte) berufstätig gewesen, seit dem Jahr 2011 jedoch nur noch zeitweise. Der Kläger hat wesentliche persönliche Bindungen im Bundesgebiet, wo sein minderjähriger Sohn und sein Bruder leben; seine sozialen Beziehungen und Bindungen in den Irak sind demgegenüber gering, aber vorhanden (dazu sogleich). Zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Sohn, für den der Kläger kein Sorgerecht hat, bestand ein Näheverhältnis und der Kläger hat in der Vergangenheit für diesen zunächst auch einen Unterhaltsbeitrag geleistet. Zumindest der Kläger ist auch an einem weiteren Kontakt mit seinem Sohn interessiert, auch wenn dieser während der Haft derzeit nur durch wenige Briefe bzw. über seinen Bruder aufrechterhalten wird.

Massiv gegen den Kläger spricht jedoch der hohe Rang des durch den weiteren Verbleib des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten Schutzgutes. Denn das betroffene Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit weist in der Werteordnung des Grundgesetzes einen hohen Stellenwert auf (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 57), ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft, das durch eine Straftat, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird.

Das Gewicht der sozialen Bindung zu seinem hier lebenden Sohn wird dadurch etwas gemindert, dass (auch) nach den Angaben des Klägers, die Mutter des Kindes mit diesem bereits 2011 oder 2012 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei und er bis zum Umzug nach ... das Kind nur einmal gesehen habe; über das Jugendamt habe er dann einen Umgang beantragt, der ab dem Jahr 2015 auch stattgefunden habe. Zumal im Übrigen für den Auszug (alkoholbedingte) Tätlichkeiten des damals arbeitslosen Klägers gegenüber der Kindsmutter zumindest mitursächlich gewesen sein dürften (s. Strafanzeige bzw. Zeugenvernehmung vom 17.7.2012 und Erklärung vom 20.7.2012, daran nicht festzuhalten, Bl. 269 ff. und 284 der Behördenakte). Aufgrund des Alters des Kindes (geb. ... 2008) hat dieses auch bereits eine gewisse Eigenständigkeit erlangt, sodass es eine Anwesenheit und Beistandschaft des Vaters nicht zwingend erfordert. Das Kind hat während der Haft des Klägers nicht wirklich den Kontakt zu diesem gesucht. Anhaltspunkte, dass das Kindeswohl die Anwesenheit des Klägers zwingend erfordert und deshalb auch einer vorübergehenden Aufenthaltsbeendigung entgegensteht (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 4.9.2007 – 1 C 43.06 – juris), sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Hinzu kommt, dass der Kläger nach Abschluss des Ausweisungsverfahrens jederzeit einen Antrag auf Fristverkürzung stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13/12 – juris Rn. 34, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 42). Darüber hinaus spricht der Kläger arabisch, ist im Irak aufgewachsen, hat einige Jahre eine Schule besucht und war dort auch bereits berufstätig. Er hat dort zwei Schwestern (zu weiteren Verwandten besteht nach seinen Angaben kein Kontakt), do dass er auch Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat hat und dort nicht vollständig entwurzelt ist.

Unabhängig vom Ergebnis der typisierten Abwägung der gegenläufigen Interessen gemäß §§ 54, 55 AufenthG ergibt demnach auch die nach § 53 Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Gesamtabwägung sämtlicher einzelfallbezogener Umstände ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses, ohne dass hieran die vom Kläger vorgebrachten Argumente etwas ändern würden. Die Verhältnisse im Irak erschweren zwar den Aufbau eines neuen Lebens (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 10 ZB 16.81 – juris), führen allerdings nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung. Zumal der Kläger auch hier keine Grundlage (z.B. in Form einer Berufsausbildung) für eine berufliche Integration in Deutschland gelegt hat.

c) Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. Unter Berücksichtigung der dargelegten rechtlichen Vorgaben und der persönlichen Umstände des Klägers kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist; dies gilt auch mit Blick auf den minderjährigen Sohn des Klägers und die faktische Trennung bei einem Vollzug der Ausweisung durch eine Abschiebung des Klägers aus der Strafhaft oder nach Haftentlassung trotz bzw. im Falle der Aufhebung des derzeit bestehenden generellen Abschiebestopps (vgl. Bayerische Staatsministerium des Innern, Rundschreiben vom 10.8.2012, Gz. IA2-2081.13-15, in der Fassung vom 3.3.2014). Die Familie steht zwar nach Art. 6 Abs. 1 GG unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung; gleichwohl ist die Ausweisung als verhältnismäßig anzusehen, wenn man die andernfalls bei Verbleiben im Bundesgebiet fortbestehende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter dritter Personen gegenüberstellt. Dies gilt – unabhängig davon, dass der Kläger nicht als sog. faktischer Inländer anzusehen ist – auch mit Blick auf das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben. Demgegenüber ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Privatleben dann zu bejahen, wenn ein Ausländer aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden ist und ihm (und seinen Familienangehörigen) wegen der Besonderheiten des Falls ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, nicht zuzumuten ist (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2017 – 10 B 17.818 – juris). Vorliegend ist der Kläger aber nach den gegebenen Gesamtumständen bereits kein sog. faktischer Inländer, vielmehr ist er erst im Alter von 25 Jahren hier eingereist. Auch hat er, wie dargelegt, noch soziale Beziehungen und Bindungen, damit einen Bezug zum Irak.

2. Die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf fünf Jahre, gerechnet ab dem Zeitpunkt der nachgewiesenen Ausreise, ist ebenfalls rechtmäßig.

Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots steht dabei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessen des Beklagten. Die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen sind rechtlich im Rahmen des durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmens nicht zu beanstanden.

Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 65 f.). Die Dauer der Frist darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42). Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, ist davon auszugehen, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann, so dass sie nach § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zehn Jahre nicht überschreiten soll. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 66). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.

Nach diesen Maßstäben und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die mit dem angefochtenen Bescheid des Beklagten festgesetzte Frist, welche die Fünfjahresgrenze nicht überschreitet, nicht zu lang und daher rechtmäßig. Durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht. Im vorliegenden Einzelfall trägt das bisherige Verhalten des Klägers, das der auch zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mindestens auf fünf Jahre, da die bisherige Entwicklung des Klägers nicht von einer tiefen Einsichtsfähigkeit, einem deutlichem Bewusstseinswandel und dem Bemühen um Aufarbeitung im Interesse eines künftig straffreien Lebens geprägt ist. Wegen der Einzelheiten wird ergänzend auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO); die obigen Erwägungen dieses Urteils gelten entsprechend (vgl. oben).

3. Die Abschiebungsanordnung ist nach § 58 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wegen seiner Inhaftierung gerechtfertigt. Die hilfsweise Abschiebungsandrohung ist ebenso nicht zu beanstanden; sie entspricht den gesetzlichen Vorschriften (§§ 58, 59 AufenthG).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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