Urteil vom Verwaltungsgericht Braunschweig (5. Kammer) - 5 A 206/11

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000.000,- EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt den Erlass einer Allgemeinverfügung nach § 47a des Vorläufigen Tabakgesetzes (VTabakG) für die Einfuhr und das Inverkehrbringen von Zigaretten, deren Filter eine mit Menthol gefüllte Aromakapsel enthält und die in anderen EU-Ländern rechtmäßig hergestellt sowie verkehrsfähig sind, in die Bundesrepublik Deutschland. Die Aromakapsel besteht aus Stoffen, die in Deutschland teilweise nicht für die Verwendung in Filtern zugelassen sind.

2

Die Klägerin gehört zum „F.“-Konzern und stellt Tabakerzeugnisse, vor allem Zigaretten, her, die sie in Deutschland vertreibt. Die Klägerin beabsichtigt, unter dem Markennamen "G. H. " eine Zigarette in Deutschland zu vermarkten, die in einer in den Zigarettenfilter eingebrachten Kapsel den Aromastoff Menthol enthält.

3

Mit Schreiben vom 06.08.2010 beantragte die Klägerin unter Beifügung zahlreicher Unterlagen bei der Beklagten den Erlass einer Allgemeinverfügung nach § 47a VTabakG für Zigaretten mit Filtern, die eine Aromakapsel enthalten. Diese Kapsel kann vom Raucher durch Zerdrücken geöffnet werden, was zur Freisetzung von Menthol führt, das mit dem Rauchstrom zusammen inhaliert wird. Die Kapsel besteht u.a. aus Gelatine, Gellan, Sorbit, Glycerin, Natriumcitrat, Brillantblau FCF, Tartrazin und mittelkettigen Triglyceriden. Nach der Anlage 1 zur Tabakverordnung sind diese Stoffe nicht als Zusatzstoffe für Zigarettenfilter zugelassen. Menthol hingegen ist als Aroma für die Herstellung von Tabakerzeugnissen allgemein zugelassen. Bei den herkömmlichen Mentholzigaretten, die auf dem deutschen Markt erhältlich sind, wird das Menthol entweder dem Tabak, dem Zigarettenpapier oder dem Verpackungsmaterial zugesetzt. Die Klägerin gab an, derzeit gebe es bereits Filterzigaretten mit Aromakapseln, die ihre Schwestergesellschaften in Frankreich rechtmäßig in den Verkehr gebracht hätten und ab November 2010 auch in Spanien in den Verkehr bringen würden.

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Unter dem 25.11.2010 legte die Beklagte dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Antragsunterlagen zur Prüfung, ob zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes einer Erteilung der Allgemeinverfügung nach § 47a Abs. 2 VTabakG entgegenstehen, vor. Mit Schreiben vom 22.12.2010 erklärte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gegenüber der Beklagten das nach § 47a Abs. 2 Satz 1 VTabakG erforderliche Einvernehmen unter der Voraussetzung, dass das BfR keine Einwände habe.

5

Das BfR erklärte in seiner Stellungnahme vom 28.01.2011, den Antrag aufgrund einer möglichen zusätzlichen gesundheitlichen Gefährdung von Rauchern nicht unterstützen zu können. Ein Erlass der beantragten Allgemeinverfügung sollte jedenfalls mit der Festlegung eines Grenzwertes für Menthol im Tabakrauch verbunden sein, um Konzentrationen, die höher als bei handelsüblichen Mentholzigaretten liegen, als zusätzliches gesundheitliches Risiko auszuschließen. Das BfR führte weiter aus, gesundheitlich bedenklich sei, wenn physiologische Warnreize des Zigarettenrauches, wie der Hustenreiz, durch die Zugabe von pharmakologisch wirksamen Konzentrationen an Menthol unterdrückt würden. Daraus ergebe sich eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung von Rauchern. Durch die Verwendung von Aromakapseln komme es "möglicherweise zu einer veränderten Freisetzung der zugegebenen Substanz, wobei anfänglich besonders hohe, pharmakologisch wirksame Konzentrationen im Hauptstromrauch vorliegen könnten". Als weiteren Aspekt nannte das BfR, dass im Gegensatz zu aromatisiertem Tabak die eingekapselten Aromastoffe nicht verbrannt würden und unter Umständen den Körpergeruch und die Innenraumluft stark beeinflussen könnten. Daraus würden sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten ergeben, bei denen das Tabakrauchen nicht im Vordergrund stehen müsse.

6

Unter dem 23.02.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Filter der antragsgegenständlichen Zigaretten durch das Einbringen der Aromakapsel in das Filtermundstück eine Funktion erhalten würden, die über die Aufgabe, Schadstoffe aus dem Hauptstromrauch zu filtern, deutlich hinausgehe. Um Filter, die neben ihrer Filterfunktion dem Rauch Aroma hinzufügen, in der neuen Funktion gesundheitlich bewerten zu können, bestehe noch Aufklärungsbedarf. Mit Schreiben vom selben Tage bat die Beklagte das BfR um ergänzende Beantwortung von Fragen zu den Unterschieden in der Inhalationstiefe und im Nikotingehalt zwischen herkömmlichen Mentholzigaretten und der neuen Art der Aromatisierung sowie dazu, ob die Aromakapsel durch die Erwärmung des Filters beim Rauchprozess eine substantielle Veränderung erfahre, ob das gezielte Freisetzen der Aromastoffe zu einem vom Raucher selbst bestimmten Zeitpunkt zu einer größeren Attraktivität der neuartigen Zigarette führe, ob gegenüber herkömmlichen Mentholzigaretten ein gesteigertes Gesundheitsrisiko bestehe und ob der Effekt, physiologische Warnreize des Zigarettenrauches zu unterdrücken, bei Zigaretten mit Aromakapseln anders zu bewerten sei als bei herkömmlichen Mentholzigaretten.

7

Das BfR führte unter dem 01.04.2011 aus, problematisch sei, dass durch die Applikation von Menthol eine kühlende Wirkung im Bereich der Zunge und Mundhöhle entstehe. Menthol könne außerdem die Nikotinabhängigkeit von Rauchern verstärken und gleichzeitig den Abbau von Nikotin hemmen. Das Gefahrenpotential von Menthol sei auch darin zu sehen, dass Nichtrauchern der Einstieg zum Rauchen erleichtert werde. So habe eine Datenerhebung in den USA ein besonders hohes Gefährdungspotential für Jugendliche belegt. Untersuchungen zur Freisetzung von Menthol, Einatmungstiefe und Nikotinaufnahme durch Zigaretten, die Aromakapseln enthalten, lägen dem BfR nicht vor. Das Gefährdungspotential ergebe sich aber vor allem daraus, dass zunehmend Neu- oder Jungraucher durch Mentholzigaretten einen Einstieg in das Tabakrauchen fänden. Daher sei es nicht im Interesse des gesundheitlichen Verbraucherschutzes, diesen Trend durch neuartige Produkte weiter zu fördern. Die Frage, ob für Zigaretten mit Aromakapseln im Vergleich zu herkömmlichen Mentholzigaretten ein erhöhtes gesundheitliches Risiko bestehe, könne nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht beantwortet werden. Bei einer Begrenzung von Menthol auf 14 mg/Zigarette gehe von dieser Substanz keine physiologische Wirkung mehr aus und könne ein erhöhtes gesundheitliches Risiko für beide Applikationsformen ausgeschlossen werden.

8

Mit Bescheid vom 12.05.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung ab und führte zur Begründung aus, dass zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstünden. Das Produkt sei in seiner Gesamtheit zu betrachten und nicht nur hinsichtlich der nicht zugelassenen Stoffe, die für die Herstellung der Aromakapsel verwendet würden. Die kühlende Wirkung von Menthol auf die Atemwege könne dazu führen, dass die Symptome von Atemwegserkrankungen, insbesondere von Lungenerkrankungen deutlich verzögert wahrgenommen würden. Eine zusätzliche gesundheitliche Gefährdung für den Raucher könne deshalb nicht ausgeschlossen werden. Die Aromatisierung des Zigarettenrauches mit Menthol könne außerdem unangenehme Eigenschaften des Tabakrauches abmildern, damit zu einem verstärkten Zigarettenkonsum führen oder die Hemmschwelle gegen das Rauchen insgesamt senken. Die Gefahr bestehe, dass insbesondere junge Menschen an das Rauchen gewöhnt würden und das Risiko, an Krebs zu erkranken, für diese Personengruppe gesteigert werde. Die Ablehnung der beantragten Allgemeinverfügung greife auch nicht unzulässig in die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV ein, weil dem Gesundheitsschutz Vorrang zu gewähren sei, zumal hier eine besonders sensible Verbrauchergruppe betroffen sei. Ein früher Einstieg in das Rauchen bereits als Jugendlicher oder Heranwachsender stelle eine gegenüber dem Rauchen an sich gesteigerte Gesundheitsgefahr dar und führe zu einem besonderen Schutzbedürfnis dieser Verbrauchergruppe.

9

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 25.05.2011 Widerspruch und begründete diesen mit Schriftsatz vom 17.06.2011. Sie führte aus, die Ablehnungsentscheidung der Beklagten beruhe auf falschen Grundannahmen. Die Ausführungen zur Neuartigkeit bzw. Andersartigkeit der Mentholzufuhr über die Aromakapsel im Zigarettenfilter seien nicht zutreffend. Sie habe Untersuchungen durchführen lassen, um festzustellen, ob und wie die jeweilige Mentholapplikationstechnik und damit auch die Mentholverteilung innerhalb der Zigarette den Mentholgehalt im Hauptstromrauch beeinflusse. So habe sie die Hauptstromrauchinhaltstoffe Kondensat, Nikotin, Kohlenmonoxid und Menthol für drei herkömmliche auf dem deutschen Markt befindliche Mentholzigaretten und deren dazugehörige Zugzahl sowie die Werte für Zigaretten mit Menthol enthaltenden Aromakapseln zum einen bei Aufbruch der Kapsel bereits vor dem ersten Zug, zum anderen bei Aufbruch vor den letzten zwei Zügen aufgelistet. Die Werte habe das weltweit größte, unabhängige Labor für Tabak- und Tabakproduktanalytik "Labstat" aus Kanada gemessen. Um eine eindeutige Aussage darüber machen zu können, ob die Art der Mentholapplikation einen Einfluss auf die Mentholmenge im Hauptstromrauch habe, sei außerdem die Menthol-Transfer-Effizienz (MTE) betrachtet worden. Dies sei der Quotient aus Menthol im Hauptstromrauch (mg) und dem Gehalt an Menthol auf der Zigarette insgesamt (mg). Bei Zigaretten gleichen Kondensatniveaus seien ähnliche MTE-Werte gemessen worden. Daraus ergebe sich, dass Filterretention und Filterventilation, die das Kondensatniveau im Hauptstromrauch bestimmten, auch die Mentholmenge im Hauptstromrauch regulierten. Dies bedeute auch, dass sich durch das Zerbrechen der Kapsel erst vor den letzten beiden Zügen keine Änderung im Mentholgehalt pro Zug ergebe, weil der Widerstand des Filters jeweils produktseitig festgelegt sei. Damit stehe fest, dass die Art, wie Menthol in den Hauptstromrauch gelange, für die Höhe der zugeführten Rauchinhaltsstoffe nicht maßgeblich sei. Im Gegensatz zu herkömmlichen Mentholzigaretten habe der Raucher bei Zigaretten nach Art von "G. I. " sogar die Möglichkeit, auf die Zufuhr von Menthol im Hauptstromrauch ganz zu verzichten, weil durch die Verkapselung des Aromastoffs insbesondere die Migration von Menthol durch die gesamte Zigarette verhindert werde. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verbrennung von Menthol, das dem Tabakstoff oder dem Zigarettenpapier zugesetzt sei, die Qualität des Menthols, das dann in den Hauptstromrauch gelange, nennenswert beeinflusse. Eine in der Anlage 2 der Stellungnahme des BfR vom 28.01.2011 ebenfalls erwähnte Studie von Baker et. al aus dem Jahre 2004 habe gezeigt, dass allenfalls eine Art Destillation und nicht eine echte Pyrolyse stattfinde. Die technischen Untersuchungen an verschiedenartig mentholisierten Zigaretten würden im Ergebnis zeigen, dass keine Unterschiede hinsichtlich der Art der Aufnahme, des Effekts und der damit verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen im Vergleich zwischen einer Zigarette mit Mentholkapsel und einer klassischen Mentholzigarette zu erwarten seien. Da es auf dem deutschen Markt bereits Zigaretten gebe, bei denen Menthol gezielt in den Filter appliziert sei, handele es sich bei der "G. H. " entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht um eine Neuartigkeit, sondern um eine Weiterentwicklung der bereits existierenden Mentholzigaretten auf dem deutschen Markt. Da die Voraussetzungen des § 47a VTabakG vorlägen, müsse die Allgemeinverfügung erlassen werden. Es handele sich nicht um eine Ermessensentscheidung der Beklagten, bei der Aspekte des Verbraucherschutzes oder gesundheitspolitische Aspekte berücksichtigt werden könnten, sondern allein entgegenstehenden "zwingende" Gründe des Gesundheitsschutzes. Diese seien nicht dargetan. Die in der Kapsel enthaltenen Stoffe seien mit Ausnahme des Gellans und der mittelkettigen Triglyceride nach der Tabakverordnung nur für Filter nicht ausdrücklich, zu anderen Zwecken aber zugelassen. Durch ihre Verwendung im Filter als Bestandteile der Mentholkapsel ergebe sich keine Erhöhung des Gefährdungspotentials der Zigarette als solcher. Bei der Gesamtbetrachtung der Behörden werde hauptsächlich auf die Wirkung von Menthol im Tabakrauch abgestellt. Diese Wirkungen seien aber seit langem bekannt und hätten nicht zu einer Änderung der Tabakverordnung geführt.

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Das BfR nahm zum Widerspruch der Klägerin am 29.07.2011 Stellung und führte aus, die Aromakapsel berge die Gefahr des Einschlusses weiterer zugelassener Substanzen, weil weder für die Dimension der Kapsel noch für die Art und Menge der eingeschlossenen Stoffe regulatorische Beschränkungen bestünden. Die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken seien zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes. Die Aromakapsel erhöhe das Gefährdungspotential gegenüber Zigaretten ohne Menthol. Unerheblich sei, dass von herkömmlichen Mentholzigaretten, die den Festlegungen des Vorläufigen Tabakgesetzes entsprechen, vergleichbare Gefahren ausgehen können.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2011 - zugestellt am 12.10.2011 - wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Darin führte sie aus, der Raucher einer Zigarette mit einer Mentholkapsel sei einer höheren Mentholkonzentration ausgesetzt als der Raucher einer herkömmlichen Mentholzigarette, bei der die Aromatisierung über den Tabak, das Papier, den Filter oder das Verpackungsmaterial erfolgt sei und aufgrund der hohen Flüchtigkeit der Mentholgehalt während der Lagerung abgenommen habe. So sei die Mentholkonzentration nach den Untersuchungsergebnissen der Klägerin mit 5 mg pro Zigarette um ca. 25% höher als die Konzentration in den Vergleichszigaretten und die MTE mit 20% um 5 bis 10% über dem Wert der herkömmlichen Zigaretten. Die vom Labor Labstat in Kanada gemessenen Gehalte würden menschliches Rauchverhalten in seinen verschiedenen Ausprägungen nicht beschreiben, weil es sich um maschinelle Abrauchverfahren handele. Die Ergebnisse würden zudem den subjektiv empfundenen Mentholschwall unmittelbar nach Zerbrechen der Kapsel nicht erklären. Außerdem stünden sie im Gegensatz zu den Untersuchungen von Gordon et al. (Chemical Research in Toxicology, publ. 02.09.2011), die deutlich erhöhte Rauchgaskonzentrationen für die Verbindungen Acetaldehyd, Acetonitril, Acrylnitril, Benzol, 1,3-Butadien, 2,5-Dimethylfuran und Isopren gefunden hätten, nachdem die Kapsel der Untersuchungszigarette vor dem Abrauchen zerdrückt worden sei. Die mit dem Antrag vorgelegten Untersuchungsergebnisse des spanischen Gesundheitsministeriums würden sich allein auf die Werte für TNCO beziehen und seien aufgrund einer zu kleinen Warenprobe nicht repräsentativ; die Informationen über die Ergänzung der rumänischen Gesetzgebung um die einzelnen Inhaltsstoffe der Kapsel würden weder Aufschluss darüber geben, ob der Zulassung eine gesundheitliche Bewertung zugrunde gelegen habe noch, ob mit der Zulassung der einzelnen Stoffe auch die Kapsel als solche zugelassen worden sei. Der mit dem Antrag ebenfalls vorgelegte ADI-Status nehme Bezug auf Studien aus den Jahren 1961 bis 1979. Die wesentliche Wirkungsqualität von Menthol, die in der Stimulation von Kälterezeptoren liege, werde in den Betrachtungen der Klägerin nicht berücksichtigt. Eine zusätzliche Gefährdung des Rauchers aufgrund der kühlenden Wirkung des Menthols auf die Atemwege könne nicht ausgeschlossen werden. Die Hemmschwelle gegen das Rauchen könne durch die Aromatisierung insgesamt sinken, und Jugendliche würden früher zum Rauchen gebracht. Bei der Beurteilung der gesundheitlichen Gefahren eines Erzeugnisses seien die Erkenntnisse nach dem Stand der Wissenschaft und Technik der internationalen Forschung zu berücksichtigen. Da aus anderen Mitgliedsstaaten keine Unterlagen zur gesundheitlichen Bewertung der Kapsel oder ihrer Inhaltsstoffe vorliegen würden, könnten ausschließlich die Erkenntnisse des BfR, des DKFZ und der Food an Drug Administration (FDA) zur Wirkungsweise von Menthol herangezogen werden. Diese würden eine Neubewertung des Zusatzes von Menthol zu Tabakerzeugnissen erfordern und die der Zulassung in der TabakVO zugrunde liegende Risikobewertung grundsätzlich in Frage stellen. Die Versagung der Allgemeinverfügung verletze die Klägerin nicht in subjektiven Rechten. Soweit die Klägerin zur Vorbereitung des Produktstarts Maßnahmen getroffen habe, falle dies nicht unter den Grundrechtsschutz nach Art. 14 GG. Ausgehend von der Berechnung der Klägerin, dass der Allgemeinheit Steuereinnahmen in Höhe von 42 Mio. EUR im 2. Halbjahr 2011 und 77 Mio. EUR im Jahr 2012 entgingen, weil aus den Nachbarstaaten derartige Produkte privat und illegal importiert würden, müssten in Deutschland pro Jahr mehr als 536 Mio. Zigaretten zusätzlich verkauft werden. Bei einem Zigarettenkonsum von 20 Zigaretten pro Tag bedeute dies, dass jährlich etwa 73.500 neue Raucher angesprochen werden sollten.

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Den am 20.10.2011 von der Klägerin gestellten Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung das Inverkehrbringen von Zigaretten mit einer Aromakapsel vorläufig zu gestatten, hat die erkennende Kammer mit Beschluss vom 15.12.2011 (5 B 184/11) abgelehnt, weil die Klägerin einen Anordnungsgrund (Dringlichkeit) nicht hinreichend dargetan hatte.

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Bereits zuvor, am 10.11.2011, hat die Klägerin Klage auf Erteilung der begehrten Allgemeinverfügung unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide erhoben. Sie trägt vor:

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Der Umstand, dass die Mentholkonzentration in der Zigarette "G. H.“ höher sei als bei Vergleichszigaretten ohne Mentholkapsel begründe keine höhere Gesundheitsgefahr. Menthol als solches sei nicht schädlich, weshalb es auch keine Grenzwerte für den Zusatz von Menthol zu Tabakerzeugnissen gebe. Auch die Abweichungen in der MTE von 5 bis 10% seien gering und könnten eigenständig eine erhöhte Gesundheitsgefahr nicht begründen. Soweit die Beklagte die Aussagekraft der in maschinellen Abrauchverfahren ermittelten Werte in Frage stelle, sei ihr entgegenzuhalten, dass sie selbst die zusätzliche Vorlage der Untersuchungen nach den Health Canada Abrauchbedingungen ausdrücklich verlangt habe und außerdem die so ermittelten Werte jedenfalls untereinander vergleichbar seien. Anders als bei den von der Beklagten genannten Untersuchungen von Gordon et al. (2011) zu einer auf dem amerikanischen Markt angebotenen Zigarette mit einer Mentholkapsel ("J. ") zeige ihr Produkt nicht den Effekt, höhere Gehalte von flüchtigen Verbindungen im Hauptstromrauch zu liefern, sobald die Kapsel im Filter zerbrochen sei, sondern durch das Zerbrechen der Kapsel hätten sich bei ihren Untersuchungen keine Erhöhungen ergeben. Zum Zeitpunkt der von ihr in Auftrag gegebenen Messungen habe zwar noch kein gültiger ISO-Standard für die Bestimmung von Menthol im Hauptstromrauch existiert, aber ein Entwurf, der zwischenzeitlich als Norm ISO/DIS 13110 veröffentlicht worden sei. Die Bestimmung von Gesamtmenthol im Hauptstromrauch sei nach dem Entwurf des ISO-Standards erfolgt. Abgesehen davon, dass die Untersuchungsmethode von Gordon et al. auch nicht validiert sei, würden die Autoren der Studie selbst einräumen, durch den festgestellten Umstand, dass sich gewisse Rauchinhaltsstoffkonzentrationen bei der Zigarette "J. " erhöhen würden, lasse sich nicht ohne weitere Studien folgern, dass das Produkt schädlicher sei als herkömmliche Mentholzigaretten. Auch sei es nicht ihre Absicht und objektiv nicht feststellbar, dass sich Zigaretten mit Mentholkapseln besonders an Jugendliche richten bzw. von diesen bevorzugt geraucht würden. Die Situation des US-amerikanischen Marktes, auf dem ca. 1/3 aller Produkte mentholisiert seien, lasse sich nicht auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen, wo der Marktanteil von Mentholzigaretten unter 3 % liege. Sie kalkuliere auch nicht mit einem Zuwachs von 73.500 neuen Rauchern, sondern hoffe, dass Raucher anderer Marken gewonnen würden und solche, die vergleichbare Produkte bislang aus dem EU-Ausland bezogen hätten. Dabei nehme sie auch in Kauf, dass Raucher ihrer eigenen Produkte zu dem neuen Produkt wechseln würden. Keinesfalls sei beabsichtigt, die streitgegenständlichen Zigaretten an Jugendliche abzugeben, vielmehr arbeite sie seit Jahren eng mit dem Handel zusammen, um den Jugendschutz zu fördern. Bei den von ihr errechneten Steuereinnahmen habe es sich nicht um zusätzliche Netto-Steuereinnahmen des Fiskus gehandelt, sondern um zusätzliche Steuern, die sie abzuführen habe. Die Beklagte trage die Beweislast für das Vorliegen der zwingenden Gründe des Gesundheitsschutzes, die der beantragten Allgemeinverfügung entgegenstünden. Die angeführten Argumente seien nur Mutmaßungen. Die Beklagte habe allein aus politischen Motiven ihre Ablehnungsentscheidung getroffen. In zahlreichen anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union seien Zigaretten mit Mentholkapseln legal auf dem Markt. Zwischenzeitlich habe sich auch die Tschechische Republik dazu entschlossen, ihr Tabakrecht dahin zu ändern, dass die zur Herstellung einer Mentholkapsel für einen Zigarettenfilter erforderlichen Stoffe ausdrücklich zugelassen seien. Im Februar 2012 habe darüber hinaus das ungarische Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaft ihrer (der Klägerin) ungarischen Schwestergesellschaft die Erlaubnis erteilt, Zigaretten mit Mentholkapseln im Filter in Ungarn auf den Markt zu bringen („K.“).

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Die Klägerin beantragt,

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1. den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2011 aufzuheben und

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2. die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Allgemeinverfügung zu erlassen, die die Einfuhr und das Inverkehrbringen von Zigaretten mit Filtern, denen eine u.a. aus den Stoffen Gelatine, Gellan, Sorbit, Glycerin, Natriumcitrat, Brillantblau FCF, Tartrazin und mittelkettige Triglyceride bestehende und mit Menthol gefüllte Kapsel (Durchmesser max. 3,5 mm mittig im Filter platziert) zugesetzt ist, und die in anderen EU-Mitgliedsstaaten rechtmäßig hergestellt und dort verkehrsfähig sind, in die Bundesrepublik Deutschland gestattet.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert:

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Die Warenverkehrsfreiheit gelte für Tabakerzeugnisse nicht uneingeschränkt. Es bleibe ein Beurteilungsspielraum der Mitgliedsstaaten bei der Bestimmung, in welchem Umfang sie den Gesundheitsschutz des Einzelnen gewährleisten wollen. Die Mitgliedsstaaten könnten in diesem nicht vollständig harmonisierten Bereich individuell strengere Regelungen vorsehen. Sie bezieht sich außerdem auf die Publikationen des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz) aus der Roten Reihe „Tabakprävention und Tabakkontrolle“: „Mentholkapseln in Zigarettenfiltern - Erhöhung der Attraktivität eines gesundheitsschädlichen Produktes“ (Band 17) und „Zigarettenwerbung in Deutschland - Marketing für ein gesundheitsgefährdendes Produkt“ (Band 18) sowie auf den im Bundesgesundheitsblatt erschienenen Artikel des dkfz „Wirkungen von Menthol als Zusatzstoff in Tabakprodukten und die Notwendigkeit einer Regulierung“ (Bd. 55 , Heft 3, März 2012, S. 409-415).

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet.

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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Allgemeinverfügung nach § 47a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Vorläufigen Tabakgesetzes (VTabakG) vom 09.09.2007 (BGBl. I S. 2296) für die Einfuhr und das Inverkehrbringen von Zigaretten mit Filtern, denen eine u.a. aus den Stoffen Gelatine, Gellan, Sorbit, Glycerin, Natriumcitrat, Brilliantblau FCF, Tartrazin und mittelkettige Triglyceride bestehende und mit Menthol gefüllte Kapsel zugesetzt ist (G. H.). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 15.05.2011 und ihr Widerspruchsbescheid vom 06.10.2011 sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 VwGO). Dem Erlass der beantragten Allgemeinverfügung stehen zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegen.

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Der Erlass einer Allgemeinverfügung nach § 47a Abs. 1 und 2 VTabakG steht im Regelungszusammenhang mit dem „Verbringungsverbot“ aus § 47 Abs. 1 VTabakG. Danach dürfen „Erzeugnisse im Sinne dieses Gesetzes“, die nicht den deutschen „lebensmittelrechtlichen“ Bestimmungen entsprechen, grundsätzlich nicht in das Inland verbracht werden (§ 47 Abs. 1 Satz 1 VTabakG). Etwas anderes gilt nach § 47a Abs. 1 Satz 1 VTabakG für Erzeugnisse, die in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union rechtmäßig hergestellt und rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden. Diese dürfen in das Inland verbracht und hier in den Verkehr gebracht werden, auch wenn sie den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden „lebensmittelrechtlichen“ Vorschriften nicht entsprechen, es sei denn, sie entsprechen anderen zum Schutz der Gesundheit erlassenen Rechtsvorschriften nicht (§ 47a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VTabakG). Nach § 47 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VTabakG dürfen diese Produkte nur dann im Inland in den Verkehr gebracht werden, wenn ihre Verkehrsfähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland durch eine Allgemeinverfügung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - der Beklagten - im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden ist. Die Beklagte hat diese Allgemeinverfügung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu erlassen, soweit nicht zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen (§ 47a Abs. 2 Satz 1 VTabakG).

26

Zwar ist hier der Anwendungsbereich von § 47a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VTabakG eröffnet, denn bei der Kapselzigarette, für deren Verkehrsfähigkeit die Klägerin die Allgemeinverfügung beantragt hat, handelt es sich um ein Tabakerzeugnis gemäß § 3 VTabakG und damit um ein „Erzeugnis im Sinne dieses Gesetzes“. Streitgegenstand ist nicht nur die Herstellung und das Inverkehrbringen von nicht zugelassenen Stoffen, die für die Herstellung der Aromakapsel verwendet werden, sondern das Inverkehrbringen der Zigarette mit einer Mentholkapsel im Filter in ihrer Gesamtheit.

27

Auch greift das Verbringungsverbot des § 47 Abs. 1 Satz 1 VTabakG, denn bei den Kapselzigaretten handelt es sich um Erzeugnisse, die nicht den in Deutschland geltenden tabakrechtlichen Vorschriften entsprechen. Soweit § 47 Abs. 1 Satz 1 VTabakG sich auf „lebensmittelrechtliche“ Bestimmungen bezieht, ist dies sachlich falsch, weil die Vorschriften des Vorläufigen Tabakgesetzes nicht mehr zum Lebensmittelrecht gehören und der Gesetzgeber offenbar versäumt hat, diesen Begriff auf Tabakerzeugnisse anzupassen (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Kommentar Band V, C 900 § 47 Rn. 10; Rn. 47a Rn. 4). Da die Aromakapseln unstreitig aus Stoffen zusammengesetzt sind, die zum Teil nicht als Zusatzstoffe für Zigarettenfilter nach der Anlage 1 zur Tabakverordnung zugelassen sind, entspricht das Produkt insgesamt nicht den in Deutschland geltenden tabakrechtlichen Vorschriften.

28

Das Erfordernis des § 47a Abs. 1 Satz 1 VTabakG, dass das Erzeugnis u.a. in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union rechtmäßig in den Verkehr gebracht wird, ist bei den streitgegenständlichen Zigaretten ebenfalls erfüllt. Insoweit hat die Klägerin Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass das Produkt unter dem Namen „G. I.“ u.a. in Frankreich rechtmäßig im Verkehr ist. Auch die Beklagte stellt dies nicht (mehr) in Zweifel. Auf die von der Klägerin betonte Tatsache, dass ihr Produkt neben Frankreich mittlerweile in zahlreichen EU-Staaten rechtmäßig im Verkehr ist, kommt es bei der rechtlichen Würdigung nicht an.

29

Die Kapselzigarette widerspricht auch einer zum Schutz der Gesundheit erlassenen Rechtsvorschrift im Sinne von § 47a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VTabakG. Die Stoffe, aus denen die Aromakapsel besteht, sind - zumindest teilweise - für Zigarettenfilter nach Anlage 1 zu § 1 TabakVO nicht zugelassen. Die Tabakverordnung ist eine zum Schutz der Gesundheit erlassene Rechtsvorschrift (vgl. die Bezugnahme auf § 20 Abs. 3 VTabakG in der Eingangsformel der Tabakverordnung). Dies hat zur Folge, dass eine Ausnahme vom Verbringungsverbot des § 47 Abs. 1 i.V.m § 47a Abs. 1 Satz 1 VTabakG nicht vorliegt und die Verkehrsfähigkeit des Produkts der Klägerin nur im Wege der Allgemeinverfügung nach § 47a VTabakG wiederhergestellt werden kann.

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Die Beklagte hat es im Ergebnis aber zu Recht abgelehnt, die beantragte Allgemeinverfügung zu erlassen. Nach § 47a Abs. 2 Satz 1 VTabakG erlässt sie die Allgemeinverfügung, soweit nicht zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen, wobei gemäß § 47a Abs. 2 Satz 3 VTabakG bei der Beurteilung der gesundheitlichen Gefahren des Erzeugnisses die Erkenntnisse der internationalen Forschung zu berücksichtigen sind. Aus der Formulierung „Allgemeinverfügungen…werden…erlassen“ ergibt sich, dass die Beklagte bei der Entscheidung über deren Erlass keinen Ermessenspielraum hat und dass die materielle Beweislast dafür, dass dem Inverkehrbringen zwingende Gründe entgegenstehen, bei der Beklagten liegt und nicht die Klägerin die Ungefährlichkeit des Erzeugnisses nachweisen muss (vgl. zum Begriff „Sicherheit“ im inhaltsgleichen § 54 LFGB, Wehlau, § 54 Rn. 22 m.w.N.; Meyer/Steinz, LFGB, § 54 Rn. 20). Die Beklagte beruft sich zu Recht darauf, dass zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes dem Erlass der Allgemeinverfügung entgegenstehen.

31

Das Tatbestandsmerkmal der „zwingenden Gründe des Gesundheitsschutzes“ bzw. Inhalt und Ausmaß dieses Prüfkriteriums entwickelte der Europäische Gerichtshof in seiner „Cassis“-Rechtsprechung (U. v. 20.2.1979 - Rs. 120/78) zur Auslegung der Rechtfertigungsgründe des früheren Art. 30 EGV (heute: Art. 36 AEUV) und hat es insbesondere bei der Klärung der Verwendung von Zusatzstoffen weiterentwickelt (U. v. 5.2.1981 - Rs. 53/80 „Nisin“; U. v. 14.7.1983 - Rs. 174/82 „Sandoz“). Zwingende Erfordernisse sind danach diejenigen im allgemeinen Interesse liegenden Ziele, die dem freien Warenverkehr vorgehen. Mit dem Merkmal „zwingend“ wird zum Ausdruck gebracht, dass bei der Beurteilung der gesundheitlichen Gefahren die Belange des Gesundheitsschutzes einerseits und der Behinderung des freien Warenverkehrs andererseits eine umfassende Güter- und Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen ist. Bei dieser Abwägung besteht in Fällen, in denen eine Harmonisierung beabsichtigt, aber noch nicht verwirklicht ist, und nach dem jeweiligen Forschungsstand noch Unsicherheit bei der Einschätzung der Schädlichkeit von Stoffen vorhanden ist, ein Beurteilungsspielraum der Mitgliedsstaaten bei der Bestimmung, in welchem Umfang sie den Gesundheitsschutz gewährleisten wollen (vgl. EUGH, U. v. 5.2.1981 - a.a.O.; U. v. 13.3.1986 - Rs. 54/85 „Pflanzenschutzmittel“, NJW 1987, 565; U. v. 12.3.1987 - Rs. 178/84 „Reinheitsgebot Bier“; U. v. 28.10.2010 - C - 333/08 - „Verarbeitungshilfsstoffe“).

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Bei der Auslegung des Merkmals „zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes“ ist für Tabakerzeugnisse zu berücksichtigen, dass im Gegensatz zu Lebensmitteln die Besonderheit besteht, dass das Rauchen jeder Zigarette mit oder ohne Mentholzusatz gesundheitsschädlich und suchtfördernd ist. Die Warenverkehrsfreiheit für Tabakerzeugnisse gilt deshalb von vornherein auch nicht uneingeschränkt. So heißt es etwa in den Erwägungsgründen 4 zur Richtlinie 2001/37/EG vom 05.06.2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen (- L194, 26 -), dass angesichts der besonders schädlichen Wirkungen des Tabaks dem Gesundheitsschutz in diesem Zusammenhang Vorrang eingeräumt werden sollte und alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Erkenntnisse zu berücksichtigen seien.

33

Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes unter Berücksichtigung des Einschätzungsspielraums der Beklagten gegeben.

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Dafür muss die Beklagte nicht nachweisen, dass der Konsum des Produkts der Klägerin als solches etwa aufgrund von bestimmten Rauchinhaltsstoffen schädlicher ist als herkömmliche, auf dem deutschen Markt zugelassene Mentholzigaretten. Es genügt vielmehr, dass Informationen zu dieser Zigarettenart vorliegen, aus denen sich eine gegenüber herkömmlichen Zigaretten erheblich größere Gefährlichkeit und/oder Suchtgefahr ergibt.

35

Soweit die Beklagte die Gefährlichkeit von Menthol im Zusammenhang mit dem Rauchen von Zigaretten anführt, belegt sie damit die zwingenden Gründe des Gesundheitsschutzes jedoch nicht. Dass der Zusatzstoff Menthol kühlend, schmerzlindernd und leicht betäubend wirkt, was die Inhalation des strengen und reizenden Tabakrauchs erleichtert und amerikanischen Studien zufolge zu einem erhöhten Abhängigkeitspotential führt (vgl. Kahnert u.a., Wirkungen von Menthol als Zusatzstoff in Tabakprodukten und die Notwendigkeit einer Regulierung, Bundesgesundheitsblatt 2012, 409-415), genügt nicht, um das Inverkehrbringen einer neuen Zigarette mit Mentholkapsel zu untersagen, weil diese Wirkungen auch beim Rauchen der auf dem deutschen Markt zugelassenen „herkömmlichen“ Mentholzigaretten entstehen.

36

Nicht geklärt ist bislang, ob das Rauchen von Zigaretten mit Mentholkapseln schädlicher ist als das Rauchen herkömmlicher Mentholzigaretten. Die Angaben der Beteiligten über die tatsächliche Mentholmenge im Hauptstromrauch des streitgegenständlichen Produkts, bezüglich der Rauchinhaltsstoffe beim Abrauchen dieser Zigarette sowie den damit verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen gehen auseinander. Die Untersuchungen von Gordon et al., auf die sich die Beklagte bezieht, und die Untersuchungen des Labors „Labstat“ aus Kanada führen auch bedingt durch unterschiedliche Messmethoden nicht zu eindeutigen Ergebnissen. In der Studie von Gordon wurden bei „J.“-Zigaretten erhöhte Konzentrationen der flüchtigen organischen Verbindungen gemessen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (dkfz) hält diese Untersuchungsergebnisse für alarmierend, weil sie nahelegen, dass Menthol bei kapselhaltigen Zigaretten die Kanzerogenität und Giftigkeit von Zigaretten weiter erhöht (dkfz, „Mentholkapseln in Zigarettenfiltern - Erhöhung der Attraktivität eines gesundheitsschädlichen Produktes, „Rote Reihe“, Band 17, S. 7). Aus der Studie von Gordon et al. ergibt sich aber letztlich nicht mehr als ein „Anfangsverdacht“, denn die Studie stellt in ihrem „abstract“ und in den „conclusions“ selbst ausdrücklich fest, dass weitere Studien erforderlich sind, um die Unterschiede der Rauchinhaltsstoffkonzentrationen nebst Auswirkungen auf die Gesundheit zwischen Mentholkapsel-Zigaretten und herkömmlichen Mentholzigaretten konkret feststellen und erklären zu können.

37

Ob sich eine solche Unsicherheit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf den Einschätzungsspielraum des einzelnen Mitgliedsstaats im Bereich des Gesundheitsschutzes dahin auswirkt, dass er nach dem Vorsorgeprinzip Schutzmaßnahmen treffen kann, ohne abwarten zu müssen, bis das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt sind (vgl. EuGH, U. v. 28.10.2010, a.a.O, Rn. 91), kann hier letztlich dahinstehen.

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Jedenfalls wird durch die Vermarktung der Zigarette der Klägerin mit neuartiger Kapseltechnik die Attraktivität des Rauchens wesentlich erhöht und damit gegen das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Framework Convention on Tobacco Control, FCTC) vom 21.05.2003 verstoßen.

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Dieses Rahmenübereinkommen, das von 174 Staaten, darunter auch Deutschland, unterzeichnet wurde, dokumentiert eine weltweite Übereinstimmung, dass die Attraktivität von Tabakprodukten nicht durch neuartige Produkte zusätzlich gesteigert werden soll. In Art. 9 FCTC werden wirksame Maßnahmen zur Regulierung der Inhaltsstoffe von Tabakerzeugnissen gefordert und in den dazu erlassenen Leitlinien wird ausgeführt, dass es aus Sicht der öffentlichen Gesundheit keine Rechtfertigung gibt, den Einsatz von Aromastoffen zu gestatten, die dazu beitragen, Tabakerzeugnisse attraktiv zu machen. Bei dem Rahmenübereinkommen handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, zu dessen Umsetzung sich die EU und Deutschland als Vertragsparteien verpflichtet haben. Die darin enthaltenen Regelungen beruhen auf objektiv erstellten Ergebnissen der internationalen Forschung. Daher ist es folgerichtig, wenn ein Mitgliedsstaat sie bei der Ausübung des den Gesundheitsschutz der Bevölkerung betreffenden Entscheidungsspielraumes zu Grunde legt. Auch die Beklagte hat deshalb zu Recht bei der Einschätzung der Gesundheitsschädlichkeit der Einführung einer Kapselzigarette Ziele und Regelungen der WHO herangezogen.

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Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Mentholkapsel die Zigaretten für Raucher attraktiver macht und gerade nicht dazu beiträgt, den Zigarettenkonsum einzuschränken. Sie hat sich insoweit zu Recht u.a. auf Publikationen des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz, „Mentholkapseln in Zigarettenfiltern - Erhöhung der Attraktivität eines gesundheitsschädlichen Produktes, „Rote Reihe“, Band 17) berufen. Dort wird aus dem US-Patent zur Kapseltechnologie von R. J. Reynolds aus dem Jahr 2003 zitiert: „…Zigaretten, die charakteristische Geschmacksstoffe enthalten, die eine angenehme Sinneserfahrung bieten, sind für Raucher eindeutig von Interesse. Manche Raucher bevorzugen eine Zigarette, die in der Lage ist, selektiv eine Vielzahl von unterschiedlichen Geschmacksrichtungen bereit zu stellen, je nach dem augenblicklichen Verlangen des Rauchers. Der Geschmack einer solchen Zigarette könnte aufgrund des Verlangens des Rauchers nach einem bestimmten Geschmack zu einem Zeitpunkt gewählt werden oder aufgrund des Wunsches, den Geschmack während des Rauchens zu ändern. Zum Beispiel kann das Ändern des Geschmacks während des Rauchens dem Raucher ermöglichen, die Zigarette mit einem atemerfrischenden Geschmack, wie Menthol oder Grüne Minze, zu beenden“ (zit. nach dkfz, Band 17, S.11).

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Diese besondere Attraktivität auch gerade für junge Raucher wird bestätigt durch eine bunte, dynamische und innovative Werbung („Click. Switch. Refresh.“ (P. I. s), „Squeeze, Click, Change!“( J.). Betont wird zum einen das Frischeerlebnis durch Menthol und zum anderen die Möglichkeit, den Geschmack selbst verändern und bestimmen zu können. Die Werbung spricht Bedürfnisse nach Individualität und Selbstbestimmung an, die insbesondere bei jungen Menschen stark ausgeprägt sind (dkfz, Band 17, S. 13). Soweit die Klägerin bestreitet, mit ihrem Produkt bevorzugt junge Menschen anzusprechen, hat zumindest ihr Geschäftsführer in Österreich eingeräumt, sich an die 20- bis 35jährigen und damit an die jungen Raucher zu wenden. Er wird vom dkfz wie folgt zitiert (Band 17, S. 13; S. 29, Fn. 52): „Wir investieren viel Geld in Marktforschung. Das Ergebnis daraus ist, dass diese Innovation „S. - die Konsumenten anspricht. Es lässt sich eine Tendenz, wie auch bei anderen Konsumgütern erkennen, die zu mehr Entscheidungsfreiheit neigt: Ich mache das, was ich will, wenn ich will! Ich entscheide, ob ich mehr oder weniger Geschmack möchte. Die S. spricht genau diese Zielgruppe an, die relativ breit ist und vor allem die Zwanzig- bis Fünfunddreißigjährigen umfasst“.

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Dem Ziel des WHO-Übereinkommens, die Attraktivität von Tabakerzeugnissen zu verringern, wird durch die Mentholkapsel-Zigarette zuwider gehandelt. Auch wenn nicht sicher prognostiziert werden kann, ob es durch die Kapselzigarette zu einem Zuwachs an neuen Rauchern kommen wird, so wird es bisherigen Rauchern jedenfalls erschwert, mit dem Rauchen aufzuhören. Diese Art der Zigarette enthält eine „technische“ Innovation, die sie maßgeblich von herkömmlichen Zigaretten (mit und ohne Menthol) unterscheidet, denn sie bietet ganz unterschiedliche Möglichkeiten beim Rauchen von nur einer Zigarette. So kann je nach persönlichem Befinden eine ganz „normale“ Zigarette oder aber auch durch das Zerdrücken der Kapsel gleich nach dem Anzünden der Zigarette eine mit einer „herkömmlichen“ Mentholzigarette vergleichbare Zigarette geraucht werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, zunächst eine ganz „normale“ Zigarette zu rauchen und diese dann durch das Zerbrechen der Kapsel mit einem atemerfrischenden Mentholgeschmack zu beenden (was auch das anschließende Pfefferminzlutschen entbehrlich macht). Damit ist die „Kapsel-Technik“ derartig innovativ und attraktiv, dass, wenn nicht erst eine Abhängigkeit geschaffen wird, zumindest die Beendigung der Abhängigkeit erschwert sein kann.

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Die erkennende Kammer hält die in der mündlichen Verhandlung dargestellte Beobachtung der Beklagten, dass die Zielgruppe der 20- bis 35jährigen Raucher häufig noch kein „etabliertes Rauchverhalten“ zeige, sondern sich in einer „Experimentierphase“ befinde, für zutreffend und sieht bei dieser Gruppe deshalb ein erheblich gesteigertes Interesse an der Kapselzigarette. Daneben besteht auch die erhöhte Gefahr, dass „Gelegenheitsraucher“, die nur hin und wieder eine Zigarette rauchen, wegen des beißenden und unangenehmen Geschmacks aber nicht regelmäßig zur Zigarette greifen, durch diese neue Art der Zigarette nikotinabhängig werden.

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Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass bislang in Deutschland die Mentholzigaretten nur einen geringen Marktanteil von unter 3 % ausmachen. Dass sich dies kurz- und mittelfristig ändern kann, zeigt die Entwicklung in Japan, wo der Marktanteil von Mentholzigaretten im Jahr 1980 noch weniger als 1% betrug und im Jahr 2008 nach den Erkenntnissen des Deutschen Krebsforschungszentrums 20% erreichte (dkfz, Band 17, S. 22).

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Dahingestellt bleiben kann in diesem Verfahren auch, dass sich weitere Gefahren ergeben können, wenn nicht Menthol, sondern andere Geschmacksstoffe der Kapsel zugeführt werden, die süß, fruchtig oder würzig sein können (Honig, Lakritz, Zitrone...). Da hier eine Allgemeinverfügung für eine Zigarette, deren Filter ausschließlich eine mit Menthol gefüllte Kapsel enthält, beantragt ist, wäre die Aromatisierung durch einen anderen Zusatzstoff von der Allgemeinverfügung nicht erfasst und das Inverkehrbringen nicht erlaubt.

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Nach alledem stehen zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes im Sinne des § 47a Abs. 2 Satz 1 VTabakG hier der beantragten Allgemeinverfügung entgegen. Sie rechtfertigen die damit einhergehenden Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), in die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz (GG) und in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 Abs. 1 GG. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschluss der erkennenden Kammer vom 15.12.2011 im Eilverfahren (5 B 184/11 - juris) Bezug genommen.

47

Soweit die Klägerin rügt, die Ablehnung des Erlasses einer Allgemeinverfügung für die streitgegenständlichen Kapselzigaretten bedeute eine Ungleichbehandlung gegenüber auf dem Markt gehandelte Zigaretten, bei denen die Zusammensetzung oder die Gestaltung der Verpackung geändert werde, um sie attraktiver zu machen, folgt daraus keine Verletzung des Art. 3 GG (Gleichheitssatz). Der wesentliche Unterschied, der hier eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, ist zum einen, dass die Kapselzigarette Stoffe enthält, die zum Teil nicht als Zusatzstoffe für Zigarettenfilter nach der Anlage 1 zur Tabakverordnung zugelassen sind, so dass die Zigarette insgesamt nicht den in Deutschland geltenden Vorschriften entspricht. Demgegenüber widersprechen Zigaretten, deren Zusammensetzung etwa durch Herausnahme eines Aromastoffes geändert wird oder deren Verpackung neu gestaltet wird, von vornherein nicht der Tabakverordnung, so dass sie ohne Allgemeinverfügung und damit ohne Prüfung entgegenstehender zwingender Gründe des Gesundheitsschutzes verkehrsfähig sind. Zum anderen ist mit der Einführung einer Zigarette mit Aromakapsel eine technische Innovation verbunden, die einen so erheblichen Unterschied zu den von der Klägerin in Bezug genommenen Änderungen bei der äußeren Gestaltung des Produktes oder bei dessen geschmacklicher Veränderung darstellt, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.

48

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

49

Die Berufung ist nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

50

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und entspricht den Angaben der Klägerin über die erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen einer nicht erteilten Allgemeinverfügung im Jahr 2011.

 


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