Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 9 L 3546/15
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 2862/15, soweit sie sich gegen die der Beigeladenen erteilte Abbruchgenehmigung vom 29.07.2015 richtet, wiederherzustellen,
4hat keinen Erfolg.
5Nach § 80 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. § 212 a Abs. 1 BauGB findet auf die baurechtliche Abbruchgenehmigung keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift hat eine Anfechtungsklage nur gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung, nicht aber im Fall der Genehmigung der Beseitigung baulicher Anlagen.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.09.2015 - 2 B 723/15 -; Urteil vom 26.05.1982 - 11 A 15/80 -; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 20.02.2012 - 2 Bs 14/12 -; a.A. offenbar VG Aachen, Beschluss vom 06.06.2005 - 3 L 306/05 -, juris.
7Die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wenn die Behörde, die den angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat, aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes angeordnet hat. Die aufschiebende Wirkung ist jedoch gemäß § 80 Abs. 5 VwGO regelmäßig dann wiederherzustellen, wenn die angefochtenen Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder wenn aus anderen Gründen das Interesse der Antragstellerin an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Beides ist nicht der Fall.
8Die der Beigeladenen erteilte Abbruchgenehmigung vom 29.07.2015 ist nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung rechtmäßig.
9Das streitbefangene Vorhaben - Abbruch der ehemaligen N. -Schule - ist nach §§ 63 Abs. 1 i.V.m. 65 Abs. 3, Abs. 1 BauO NRW genehmigungspflichtig. Einem Anspruch auf Erteilung der Abbruchgenehmigung kann bei einem Vorhaben der hier in Rede stehenden Größenordnung insbesondere entgegenstehen, dass der Abbruchvorgang selbst zu nicht beherrschbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit führt, oder der Umstand, dass nach Beendigung des Abbruchs ein Zustand eintritt, der die Standsicherheit von Nachbargebäuden ‑ insbesondere wenn sie bewohnt sind ‑ gefährdet. Die Baugenehmigungsbehörde hat sicherzustellen, dass derartige Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch eine von ihr erteilte Abbruchgenehmigung nicht eintreten, §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 15 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW.
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.01.2005 - 10 B 2827/04 - m.w.N.; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, § 3 Rn 29 ff. und § 15 Rn 12 ff., sowie § 63 Rn 82 ff..
11Betroffene Nachbarn können sich gegenüber der Baugenehmigungsbehörde auf § 15 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW berufen; die Vorschrift dient auch ihrem Interesse an dem Erhalt von Sachwerten und der Vermeidung von Personenschäden.
12Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28.01.2005 - 10 B 2827/04 -, vom 01.02.2000 - 10 B 1831/99 - und vom 16.03.1993 - 10 B 108/93 -, juris.
13Die Baugenehmigungsbehörde kann Gefahren für die öffentliche Sicherheit in aller Regel durch die Beifügung von Nebenbestimmungen (§ 36 Abs. 1 VwVfG NRW) abwehren, etwa durch Nebenbestimmungen, die sicherstellen, dass der Abbruch nach den Regeln der Technik (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW) durchgeführt wird und dass verbleibende Nachbargebäude in ihrer Standsicherheit nicht gefährdet werden. Sie muss, wenn hinreichende Anzeichen für eine drohende konkrete Gefahr vorliegen, den Sachverhalt zuverlässig aufklären, um über den Antrag auf Erteilung einer Abbruchgenehmigung sachgerecht entscheiden zu können. Die Intensität dieser Aufklärungspflicht hängt u.a. davon ab, welches Ausmaß begründet zu befürchtende Gefahren bzw. Schäden annehmen könnten und wie gewichtig die auf derartige Gefahren hindeutenden Indizien im Einzelfall sind.
14Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.01.2005 - 10 B 2827/04 -, juris; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW § 3 Rz 6 ff.
15Die der Beigeladenen erteilte Abbruchgenehmigung genügt diesen Anforderungen. Die Antragsgegnerin hat den Sachverhalt nach Lage der Dinge hinreichend aufgeklärt, so dass sie davon ausgehen darf, dass mit dem Abbruch keine konkrete Gefahr entsteht. Die Abbruchgenehmigung stellt sicher, dass die Standsicherheit des Gebäudes der Antragstellerin während und nach Abschluss der Abbrucharbeiten nicht gefährdet sein wird.
16Die der Abbruchgenehmigung beigefügten Nebenbestimmungen stellen den Schutz der Nachbargebäude hinreichend sicher. Gemäß Ziff. 24 der Auflagen zur Abbruchgenehmigung sind für alle erforderlichen statischen Nachweise wie z. B. die Baugrubenabsicherungen und die auszuführenden Unterfangungsarbeiten sowie die Sicherung der Fundamentierung des Hauses R.-------straße 2-4 (gemeinsames Fundament mit der Turnhalle) „vor Ausführungsbeginn die geprüften statischen Berechnungen vorzulegen.“ Ziff. 25 gibt vor, dass vor Abbruchbeginn mit der Baubeginnanzeige ein Statiker zu benennen ist, der als Ansprechpartner für Standsicherheitsfragen beim Rückbau zuständig ist und den Abbruchvorgang begleitet. Ziff. 27 und 28 erlegen der Beigeladenen die Pflicht auf, vor und ggfls. während der Abbrucharbeiten ein Beweissicherungsverfahren an der/den Nachbarbebauung/en sowie Erschütterungsmessungen wie im Messkonzept zur Erschütterungsüberwachung beschrieben, durchzuführen. Das Messkonzept zur Erschütterungsüberwachung vom Büro T. GmbH, L. vom 06.08.2014 ist Bestandteil der Abbruchgenehmigung.
17Im Hinblick darauf, dass die umliegenden Wohngebäude (bis auf das Haus R.-------straße 2-4, welches mit der Turnhalle ein gemeinsames Fundament hat) keine gemeinsamen Bauteile mit den abzubrechenden Gebäuden der Schule haben, sind die Nebenbestimmungen geeignet, eine Sicherung der Nachbargebäude zu erreichen. Die umliegenden Gebäude sind hier in ihrer Standsicherheit nicht von dem Wegfall der abzubrechenden Gebäude betroffen, sondern allein durch die Abbrucharbeiten und die damit verbundenen Erschütterungen.
18Dabei ist davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin angeführte „Bunkeranlage“ unterhalb der Schule bei der Rückbauplanung hinreichend berücksichtigt worden ist. Die Antragstellerin hat nicht dargetan, dass die von ihr angemahnten (weiteren) Untersuchungen sowie eine Gefahrenprognose ihr Grundstück betreffend zusätzlich erforderlich sind. Nach der ergänzenden Stellungnahme der M & P Ingenieurgesellschaft vom 31.08.2015, welche das der Abbruchgenehmigung zugrundeliegende „Rückbau- und Entsorgungskonzept“ von August 2014 vorgelegt hat, handelt es sich bei der „Bunkeranlage“ um Luftschutzräume, die in dem normalen Kellergeschoss des Schulgebäudes integriert sind und in die Rückbauplanung eingestellt worden sind. Nach dem „Rückbau- und Entsorgungskonzept“ von August 2014 sind die Luftschutzräume in den Bestand aufgenommen worden (s. dort S. 20). Eine Tiefenentrümmerung ist danach nur im nördlichen Teil des Geländes vorgesehen. Auf dem südlichen Teilbereich des Schulgeländes (an welches auch das Grundstück der Antragstellerin angrenzt) verbleibt das Kellergeschoss ab einer Tiefe von 1,0 m unter der Geländeoberkante im Untergrund (s. dort S. 29), muss also nicht entfernt werden. Diese fachkundigen Ausführungen hat die Antragstellerin nicht erschüttert.
19Der weitere Vortrag der Antragstellerin, der notwendige Austausch des nicht tragfähigen Baugrundes berge die Gefahr, dass das Eindringen von Grundwasser die Standsicherheit der umliegenden Gebäude gefährde, sieht die Kammer durch die ergänzende Stellungnahme der M & P Ingenieurgesellschaft vom 31.08.2015 ebenfalls als ausgeräumt an. Danach liegt die maximale Unterkante des Bodenaustauschs (36,21 m NHN) mindestens 1,7 m oberhalb des zu erwartenden Grundwasserstandes, welcher nach den Angaben des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW auf ca. 34,5 NHN liegt, so dass die hydrogeologischen Verhältnisse durch die Baumaßnahme nicht beeinflusst werden. Die Kammer hat keine Veranlassung, an dieser Einschätzung des Gutachters zu zweifeln.
20Hinsichtlich der durch den Abbruch der Schulgebäude entstehenden Erschütterungen liegt der Abbruchgenehmigung das Messkonzept der T. Erschütterungsmesstechnik GmbH vom 06.08.2014 zugrunde. Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Erschütterungsempfindlichkeit ihres Wohnhauses sei in diesem Konzept fehlerhaft wiedergegeben, so steht dem entgegen, dass nach der ergänzenden Stellungnahme des Gutachters vom 28.08.2015 eine endgültige Einordnung der Gebäude in die jeweilige Beurteilungszeile erst in Abstimmung mit dem Sachverständigenbüro erfolgt, welches im Vorfeld der Baumaßnahme die Bestandsdokumentation durchführt. Falls sich dadurch eine Einordnung einiger oder aller Gebäude in Zeile 3 der DIN 4150-3 ergebe, so führe dies zu reduzierten Anhaltswerten, deren Einhaltung im Zuge der geplanten Erschütterungsmessungen zu überwachen ist. Darüber hinaus sind danach im Zuge der Abbrucharbeiten auch nur kurzzeitige Erschütterungen zu erwarten. Um die Einhaltung der Anhaltswerte der einschlägigen DIN-Norm an den umliegenden Gebäuden zu überwachen, sieht das Messkonzept vor, dass die Baustelle im Zeitraum der Abbrucharbeiten permanent mit Erschütterungssensoren bestückt werden, welche in den verschiedenen - im Einzelfall noch genauer festzulegenden - Gebäuden installiert werden (s. Ziff. 1 und 3 des Messkonzepts zur Erschütterungsüberwachung). Dagegen bestehen keine tatsächlichen oder rechtlichen Bedenken.
21Soweit die Antragstellerin geltend macht, im Zuge der Abbrucharbeiten würden die zulässigen Immissionsrichtwerte überschritten, ist dem entgegen zu halten, dass in der „Schalltechnischen Voruntersuchung gemäß AVV Baulärm für die Abbrucharbeiten Nschule in O. “, die Bestandteil der Abbruchgenehmigung ist, diverse Maßnahmen zur Minderung der Geräusche aufgeführt sind, wie Verwendung geräuscharmer Baumaschinen und geräuscharmer Bauverfahren sowie die Beschränkung der Betriebszeit lautstarker Baumaschinen. Im Hinblick darauf, dass für die Abbrucharbeiten ein beschränkter Zeitraum von insgesamt 16 Wochen angesetzt ist und sich die lärmintensiven Arbeiten sowohl zeitlich als auch örtlich auf dem großflächigen Gelände verteilen dürften, sieht die Kammer die entstehende Immissionsbelastung für die Antragstellerin als zumutbar an.
22Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs.1 und 3, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit, der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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