Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 28 K 8502/14
Tenor
Die Verpflichtung des Klägers zu der Ersatzpflanzung von vier Bäumen in Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 28. November 2014 wird aufgehoben.
Die Kostend des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Koste vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
1
Tatbestand
2Zwischen dem Kläger und der Beklagten steht die Verpflichtung des Klägers als Straßenbaulastträger zu Ersatzpflanzungen auf Grund der Baumschutzsatzung der Beklagten nach der Fällung von Bäumen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit der Straße in Streit.
3Der Kläger setzte die Beklagte durch Schreiben des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 2014 davon in Kenntnis, dass er als Straßenbaulastträger aus Gründen der Verkehrssicherheit vier Bäume im Stadtgebiet der Beklagten an der L 0 (I. Straße) fällen müsse. Nachdem die Beklagte den Kläger daraufhin durch Schreiben vom 4. November 2014 mit Verweis auf die Baumschutzsatzung der Stadt E. (Baumschutzsatzung) aufgefordert hatte, einen Antrag auf Befreiung von den Verboten der Baumschutzsatzung zu stellen, wurde der Sachverhalt zwischen dem Kläger und der Beklagten am 7. November 2014 im Rahmen eines Ortstermins erörtert. Zwar waren sich der Kläger und die Beklagte einig, dass die Bäume zu fällen waren. Jedoch wurde keine Einigkeit in Bezug auf die Bindung des Klägers an die Baumschutzsatzung erzielt.
4Die Beklagte wertete die Mitteilung des Klägers vom 15. Oktober 2014 daraufhin als Antrag auf Erteilung einer Befreiung von den Verboten der Baumschutzsatzung und erteilte dem Kläger durch Bescheid vom 28. November 2014 eine Rodungsgenehmigung. Zugleich verpflichtete die Beklagte den Kläger in Ziffer 2 des Bescheides nach § 8 Baumschutzsatzung zur Pflanzung von vier standortgerechten, heimischen Laubbäumen mit einem Stammumfang von mindestens 16 - 18 Zentimeter bis spätestens zum 31. Dezember 2015.
5Der Kläger hat gegen die Verpflichtung zu der Ersatzpflanzung in Ziffer 2 des Bescheides am 17. Dezember 2014 Klage erhoben.
6Zur Begründung seiner Klage führt er im Wesentlichen aus, der Beklagten fehle es in Bezug auf das Land an einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Verpflichtung. Die Baumschutzsatzung finde in Bezug auf die Bäume als Straßenzubehör keine Anwendung. Nach § 9a Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW bedürfe er im Rahmen der Unterhaltung der Straße keiner Genehmigung, Zustimmung, Anzeige, Erlaubnis, Überwachung und Abnahme. Davon gingen auch das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein Westfalen und das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen in den Hinweisen für die Gehölzpflege an Bundesfern- und Landstraßen in Nordrhein-Westfalen aus. Das Schreiben des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 2014 habe ausschließlich der Beteiligung der Beklagten im Sinne dieser Hinweise gedient.
7Der Kläger beantragt,
8Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 28. November 2014 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie führt im Wesentlichen aus, der Kläger sei nicht nach § 9a Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW von der Einholung einer Genehmigung nach der Baumschutzsatzung freigestellt, da sich die Freistelllung ausschließlich auf bauliche Anlagen erstrecke, wozu die Bepflanzung der Straße nicht gehöre.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe
14Die zulässige Klage hat Erfolg.
15Die Verpflichtung des Klägers zu der Ersatzpflanzung von vier Bäumen in Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 28. November 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16Der Beklagten ist es verwehrt, dem Kläger auf Grund der Baumschutzsatzung Verpflichtungen zu Ersatzpflanzungen aufzuerlegen.
17Der Kläger ist mit der Fällung der Straßenbegleitbäume als Teil der Straße (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 StrWG NRW) seinen Verpflichtungen aus der Straßenbaulast nachgekommen. Die Straßenbaulast umfasst alle mit dem Bau und der Unterhaltung öffentlicher Straßen zusammenhängenden Aufgaben (§ 9 Abs. 1 StrWG NRW). Der Träger der Straßenbaulast ist im Rahmen der Erfüllung seiner Straßenbaulast für den Erhalt, die Pflege und die Standsicherheit der Bäume sowie die Freiheit von Sichtbehinderungen verantwortlich.
18Vgl. Fickert, StrWG NRW, 3. Auflage (1989), § 9 Rdnr. 87, m. w. N.
19Die Aufgaben obliegen den Bediensteten der damit befassten Körperschaft als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit (§ 9a Abs. 1 StrWG NRW).
20Die Beklagte war sonach gehindert, gegen den Kläger durch Verwaltungsakt vorzugehen, da nach den Grundsätzen der Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern eine Hoheitsverwaltung nicht mit Anordnungen oder gar mit Zwang in die hoheitliche Tätigkeit einer anderen Hoheitsverwaltung, sei es derselben, sei es einer anderen Körperschaft, eingreifen darf.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1968 - 1 A 1/67 -, Juris (Rdnr. 29); OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. September 1992 - 1 M 146/92 -, Juris (Rdnr. 4).
22Zwar gilt dieser Grundsatz nicht voraussetzungslos, sondern steht unter der Prämisse, dass die Maßnahme in die hoheitliche Tätigkeit des Adressaten des Bescheides eingreift.
23Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 21. April 2004 - 7 LC 97/02 -, Juris (Rdnr. 44).
24Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich betont, „dass dieser Grundsatz nur Übergriffe und Eingriffe in die der anderen Hoheitsverwaltung zustehende Tätigkeit ausschließt, nicht aber Einwirkungen, welche ihre Tätigkeit unberührt lassen.“
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1968 - 1 A 1/67 -, Juris (Rdnr. 29). Zugleich in diesem Sinne OVG Lüneburg, Urteil vom 21. April 2004 - 7 LC 97/02 -, Juris (Rdnr. 44); Drews / Wacke/ Vogel / Marten, Gefahrenabwehrrecht, 9. Auflage (1986); § 15 Nr. 3 b; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6, Auflage (2009), Rdnr. 234; Wolfgang/ Hendricks/ Merz, Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 3. Auflage (2011);
26Dieser Gedanke der Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung findet sich spiegelbildlich in der (im Vordringen befindlichen) abweichenden Auffassung wieder, die eine Ordnungsverfügung auch gegenüber Hoheitsträgern grundsätzlich zulassen will, aber eine Ausnahme konzediert, wenn sie die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben beeinträchtigen würde oder sich eine Einschränkung (im Einzelfall) aus der Zuständigkeitszuweisung an die Fachverwaltung ergibt.
27Vgl. in diesen Sinne Schönenbroicher, in: Schönenbroicher / Heusch, OBG NRW, 1. Auflage (2014), Vor § 17 Rdnr. 10 - 11, m. w. N. ; Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Auflage (2009), Rdnr. 142 -144, m. w. N.; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Auflage (2013), Rdnr. 78, m. w. N.
28Jedoch sind diese (weiteren) Voraussetzungen in Bezug auf die Tätigkeiten des Klägers zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus der Straßenbaulast im Verhältnis zu den Eingriffsbefugnissen der Beklagten auf Grund der Baumschutzsatzung erfüllt. Der Träger der Straßenbaulast ist verpflichtet, alle im Zusammenhang damit stehenden Aufgaben, auch die der Verkehrssicherungspflicht, wahrzunehmen. Sein Untätigwerden würde sonst ihm gegenüber Amtshaftungsansprüche auslösen. Durch einen Genehmigungsvorbehalt für das Fällen von Straßenbäumen mit der Heranziehung zu Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen oder Geldleistungen auf Grund einer Baumschutzsatzung wäre in jedem Einzelfall der Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten eine Auseinandersetzung zwischen den Hoheitsträgern - in der Regel Land und Gemeinde - vorprogrammiert. Eine solche Verfahrensweise lässt sich aber mit der klaren Aufgabenzuordnung des StrWG NRW und den sich aus der Straßenbaulast ergebenden Verpflichtungen des Straßenbaulastträgers nicht in Einklang bringen.
29Vgl. Hengst / Majcherek, StrWG NRW, Loseblattwerk (Stand Dezember 2015), § 9 Tz. 5.1.4.4. Im Ergebnis in diesem Sinne zugleich Fickert, StrWG NRW, 3. Auflage (1989), § 9 Rdnr. 88, mit Verweis auf die Nachrangigkeit der Satzung im Verhältnis zu § 9 StrWG NRW.
30Materiell ist der Kläger als Straßenbaulastträger (im Grundsatz) an die Regelungen des Naturschutzes gebunden, was in den Verpflichtungen in § 9 Abs. 2 StrWG NRW, beim Bau und bei der Unterhaltung der Straßen die Belange des Umweltschutzes angemessen zu berücksichtigen, und § 32 Abs. 1 StrWG NRW, im Rahmen der Straßenbepflanzung dem Naturschutz und der Landschaftspflege Rechnung zu tragen, zum Ausdruck gebracht ist. Die Wahrung dieser Verpflichtung obliegt jedoch ausschließlich dem Kläger und nicht den Gemeinden.
31In gleicher Weise ergibt sich aus § 9a Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW, dass der Kläger keiner Genehmigung der Beklagten zur Fällung der Bäume bedurfte und die Beklagte dem Kläger sonach keine an die Genehmigungserteilung anknüpfende Ersatzmaßnahme aufgeben durfte.
32Die Straßen sind vom Träger der Straßenbaulast so herzustellen und zu unterhalten, dass sie den Erfordernissen der Sicherheit und Ordnung genügen (§ 9a Abs. 2 Satz 1 StrWG NRW). Dabei bedarf es nach § 9a Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW, ausgenommen für Gebäude, keiner Genehmigung, Zustimmung, Anzeige Erlaubnis, Überwachung und Abnahme, wenn die bauliche Anlage zur Erfüllung der Straßenbaulast unter verantwortlicher Leitung einer Straßenbaubehörde erstellt wird.
33Zu der Straße gehörte nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 StrWG NRW die Bepflanzung, welche sonach von der Pflicht des § 9a Abs. 2 Satz 1 StrWG NRW erfasst und von der Freistellung des § 9a Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW umfasst wird.
34Vgl. Fickert, StrWG NRW, 3. Auflage (1989), § 9 Rdnr. 17.
35Die Freistellung beschränkt sich nicht - wie die Beklagte annimmt - auf „bauliche Anlagen“ im Sinne der BauO NRW. Der Begriff erfasst nach Sinn und Zweck der Regelung, die Verfahrenszuständigkeiten im Zusammenhang mit dem Bau und Unterhalt der Straßen auf den Straßenbaulastträger zu konzentrieren, in gleicher Weise wie der Begriff der Bauten in der Freistellungsregelung des § 4 Satz 2 FStrG i. V. m. § 4 Satz 1 FStrG, die Straße als Baumaßnahme eingeschlossen des Zubehörs.
36Zu § 4 FStrG vgl. Dünchheim, in: Marschall, FStrG, 6. Auflage (2012), § 4 Rdnr. 3.
37Folgerichtig führen das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen und das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen in den von dem Kläger in Bezug genommene Hinweisen für die Gehölzpflege an Bundesfern- und Landesstraßen in Nordrhein-Westfalen aus, dass
38„[d]ie Unterhaltung und Pflege des Straßenbegleitgrüns […] gemäß § 4 FStrG und § 9a Absatz 2 StrWG NRW der Eigenverantwortung des Trägers der Straßenbaulast für die Sicherheit und Ordnung seiner Anlagen [unterliegt]. Einer Anzeige bzw. einer Genehmigung oder Überwachung durch andere Behörden bedarf es verfahrensmäßig nicht. Allerdings genügt die Pflege und Unterhaltung von straßenbegleitenden Gehölzbeständen im Sinne dieser Hinweise nur dann den Anforderungen an die Sicherheit und Ordnung, wenn sie auch den natur- und artenschutzrechtlichen Vorschriften entspricht. Deshalb ist eine fachliche Beteiligung der unteren Landschaftsbehörden vor der geplanten Durchführung von Pflegemaßnahmen angezeigt. Hierdurch kann sichergestellt werden, dass Verstöße gegen natur- und artenschutzrechtliche Vorschriften vermieden werden. Dabei ist eine gute fachliche Zusammenarbeit unter gegenseitiger Respektierung der vom Träger der Straßenbaulast und der unteren Landschaftsbehörde zu vertretenden fachlichen Anforderungen anzustreben.“
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 167 Abs. 2 und 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
40Beschluss:
41Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
42Gründe:
43Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.
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Referenzen
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 1 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 9 StrWG 1x (nicht zugeordnet)
- FStrG § 4 Sicherheitsvorschriften 4x
- § 9a Abs. 2 Satz 2 StrWG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- § 2 Abs. 2 Nr. 3 StrWG 1x (nicht zugeordnet)
- § 9 Abs. 1 StrWG 1x (nicht zugeordnet)
- § 9a Abs. 1 StrWG 1x (nicht zugeordnet)
- § 32 Abs. 1 StrWG 1x (nicht zugeordnet)
- § 9a Abs. 2 Satz 1 StrWG 2x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 2 Nr. 3 StrWG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 1 A 1/67 2x (nicht zugeordnet)
- 1 M 146/92 1x (nicht zugeordnet)
- 7 LC 97/02 2x (nicht zugeordnet)