Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 27 I 11/21
Tenor
Die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner unter der Anschrift V 00, 00000 D, am 00.0.2021 – frühester Beginn der Maßnahme um 6.00 Uhr, Abschluss der Maßnahme bis spätestens 21.00 Uhr – wird zum Zwecke der Ergreifung der Antragsgegner zur Durchführung ihrer Abschiebung angeordnet.
1
Gründe:
2Zuständig für die Entscheidung ist gemäß § 5 Abs. 3 VwGO die Kammer, weil es sich nicht um eine Vollstreckung aus einem Titel gemäß § 169 Abs. 2 1. Halbsatz VwGO handelt, für die der Vorsitzende zuständig wäre,
3VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 3 K 7771/19 – juris, Rn. 10.
4Der am 19. Februar 2021 sinngemäß gestellte Antrag,
5die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner unter der Anschrift V 00, 00000 D, zur Tagzeit zum Zweck der Ergreifung der Antragsgegner für die Durchführung ihrer Abschiebung anzuordnen,
6hilfsweise, das Betreten dieser Wohnung zum Zweck der Ergreifung der Antragsgegner für die Durchführung ihrer Abschiebung anzuordnen,
7hat mit dem Hauptantrag Erfolg (A.). Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedarf es daher nicht (B.)
8A. Der Hauptantrag hat Erfolg. Er ist zulässig (I.) und begründet (II.).
9I. Der Hauptantrag ist vor dem angerufenen Gericht zunächst zulässig. Insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (1.) und der Antrag ist statthaft (2.).
101. Der Verwaltungsrechtweg ist – mangels abdrängender Sonderzuweisung – gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet, da Rechtsgrundlage und damit streitentscheidende Norm für den Erlass der begehrten Durchsuchungsanordnung § 58 Abs. 6 und 8 AufenthG ist und insofern eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt.
11Vgl. 27. Kammer, Beschluss vom 20. August 2020 – 27 I 20/20 – n.v.; so auch: VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 16. November 2020 – 7 I 32/20 –, und vom 6. Oktober 2020 – 22 I 28/20 –, juris, Rn. 5 ff. m.w.N.; siehe ferner VG Braunschweig, Beschluss vom 22. Januar 2021 – 5 E 21/21 –, juris, Rn. 3 ff.; VG Darmstadt, Beschluss vom 18. September 2020 – 6 O 1493/20.DA –, juris, Rn. 4; VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 3 K 7772/19 –, juris, Rn. 5 ff.; VG Gießen, Beschluss vom 26. November 2019 – 6 N 4595/19 –, juris, Rn. 2; a.A.: VG Arnsberg, Beschluss vom 11. November 2019 – 3 I 24/19 –, juris, Rn. 6 ff.
122. Der Antrag ist auch statthaft, weil die von der Antragstellerin beabsichtigte Maßnahme einer richterlichen Anordnung im Sinne des § 58 Abs. 8 Satz 1 1. Halbsatz AufenthG bedarf. Nach dieser Vorschrift dürfen Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG nur durch den Richter angeordnet werden. Gemäß § 58 Abs. 6 S. 1 AufenthG kann, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen.
13Ein solcher Fall liegt hier vor. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Maßnahme stellt eine Durchsuchung im Sinne der Vorschrift dar.
14Nach der ständigen – mit Blick auf die verwendeten Begrifflichkeiten wohl eher anhand von Fällen mit dem Ziel der Auffindung von Sachen entwickelten – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Begriff der Durchsuchung gekennzeichnet durch das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will.
15Statt vieler: BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 1987 – 1 BvR 1202/84 –, juris, Rn. 26.
16Abzugrenzen ist die Durchsuchung von einem reinen Betreten der Wohnung im Sinne von § 58 Abs. 5 S. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Der Richtervorbehalt aus § 58 Abs. 8 AufenthG gilt angesichts seines eindeutigen Wortlauts für § 58 Abs. 5 AufenthG nicht.
17Diese Abgrenzung ist zwar im Einzelnen umstritten. Ob es überhaupt Fälle des Eindringens in eine Wohnung gegen den Willen des Wohnungsinhabers zum Zweck des Auffindens und Ergreifens einer Person gibt, die nicht als Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG mit der Folge eines verfassungsrechtlich angeordneten Richtervorbehalts anzusehen sind oder zumindest so in Nähe einer Durchsuchung gelangen, dass Art. 13 Abs. 2 GG - im Wege der verfassungskonformen Auslegung ‑ Anwendung finden muss,
18vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 15. März 2007 – 1 BvR 2138/05 –, juris, Rn. 36,
19wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt.
20Zwar gehen einzelne, bereits zu § 58 Abs. 5 bis 8 AufenthG ergangene gerichtliche Entscheidungen auf Grundlage der einfachgesetzlichen Regelung davon aus, dass die Betretensbefugnis weder nach § 58 Abs. 5 AufenthG noch nach Art. 13 Abs. 2 GG einem Richtervorbehalt unterliegt und § 58 Abs. 5 AufenthG verfassungsgemäß ist.
21So etwa: VG Berlin, Beschluss vom 28. April 2020 – VG 10 L 382.19 –, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 3 K 7772/19 –, juris.
22Dagegen haben das Verwaltungsgericht Hamburg und dies bestätigend das Oberverwaltungsgericht Hamburg zum dortigen Landesrecht und vor Geltung der Vorschrift des § 58 Abs. 5 bis 8 AufenthG die unmittelbare Anwendung des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts aus Art. 13 Abs. 2 GG in einem Fall des Betretens eines Zimmers einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber zum Zweck der Abschiebung bejaht.
23Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2019 – 9 K 1669/18 –, juris; OVG Hamburg, Urteil vom 18. August 2020 – 4 Bf 160/19 –, juris.
24In Übertragung dieser Rechtsprechung des OVG Hamburg auf die geltende Rechtslage wird in der Literatur vermehrt in Bezug auf die Regelung von § 58 Abs. 5 AufenthG die Auffassung vertreten, dass mit Blick auf das Ziel des Betretens stets eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG gegeben ist.
25Vgl. Franke/Kerkemeyer, Zum verfassungsrechtlichen Durchsuchungsbegriff und der „Betretenserlaubnis“ in § 58 V AufenthG, NVwZ 2020, 760, 764 ff.
26Weitergehend wird sogar die Frage aufgeworfen, ob insoweit noch eine verfassungskonforme Auslegung in Gestalt der direkten Anwendung des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts des Art. 13 Abs. 2 GG in Betracht kommt, obwohl nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich für Fälle von § 58 Abs. 5 AufenthG kein Richtervorbehalt gelten sollte, oder die Norm als verfassungswidrig anzusehen ist.
27Vgl. Franke/Kerkemeyer, Zum verfassungsrechtlichen Durchsuchungsbegriff und der „Betretenserlaubnis“ in § 58 V AufenthG, NVwZ 2020, 760, 765.
28Nach anderer Auffassung dürfte die Vorschrift in der Praxis leerlaufen bzw. allenfalls als Betretenserlaubnis für Räume dienen können, die nicht vom Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst werden.
29Vgl. Zeitler, HTK-AuslR / § 58 AufenthG / Abs. 5 bis 10, Stand: 28.01.2020, Rn. 31f.
30Auch in anderen Rechtsbereichen ist die Frage der möglichen Abgrenzung zwischen Betreten und Durchsuchung umstritten. So wird etwa im Fall der strafprozessualen Ergreifungsdurchsuchung nach § 102 StPO, die gemäß § 105 StPO einem Richtervorbehalt unterliegt, diskutiert, ob es in Abgrenzung hierzu Fälle einer Nachschau gibt, die nicht dem Richtervorbehalt unterfallen. Eine solche Nachschau soll etwa gegeben sein, wenn sichere Kenntnis darüber besteht, dass der Gesuchte sich in einer bestimmten Wohnung aufhält und diese zum Zweck seiner Festnahme betreten wird.
31So etwa: KG, Beschluss vom 19. Februar 1999 – (5) 1 Ss 363/98 (6/99) –, juris; Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, § 102, Rn. 6 m.w.N.; a.A. Gercke in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 102, Rn. 11, juris; Tsambikakis in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 102, Rn. 3, jeweils m.w.N.
32Soweit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung richtervorbehaltsfreie Betretensrechte von Behörden anerkannt sind, erscheint fraglich, ob sich diese Rechtsprechung nicht allein auf Geschäftsräume bezieht oder aber auf die Wahrnehmung von Besichtigungs- und Kontrollrechten in einer Wohnung zur Feststellung etwa, ob der Inhaber seinen Beruf ordnungsgemäß ausübt oder ob bestimmte verwaltungsrechtliche Vorschriften eingehalten werden.
33Vgl. etwa: BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 1971 – 1 BvR 280/66 –, BVerfGR 32, 54-77, juris; hierzu auch: Franke/Kerkemeyer, Zum verfassungsrechtlichen Durchsuchungsbegriff und der „Betretenserlaubnis“ in § 58 V AufenthG, NVwZ 2020, 760, 762 ff.
34Im Falle von Wohnungen müssten sich solche richtervorbehaltsfreien Eingriffsbefugnisse jedenfalls an Art. 13 Abs. 7 GG messen lassen.
35Vgl. hierzu auch: Zeitler, HTK-AuslR / § 58 AufenthG / Abs. 5 bis 10, Stand: 28.01.2020, Rn. 31f.
36Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Betreten im Sinne von § 58 Abs. 5 AufenthG den verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG im Einzelfall auslösen kann, muss die Kammer indes vorliegend nicht entscheiden, weil jedenfalls die hier konkret beabsichtigte Maßnahme sich bereits nicht auf ein reines Betreten der Wohnung der Antragsgegner beschränkt, sondern in ihrer konkret beabsichtigten Ausgestaltung eine Durchsuchung im Sinne des § 58 Abs. 6 AufenthG darstellt. Die Antragstellerin behält sich nämlich für den Fall, dass die Tür auf ihr Klingeln hin nicht geöffnet wird, die zwangsweise Öffnung der Wohnungstür vor.
37Die Antragstellerin hat in ihrer Antragsschrift und konkretisierend mit Schriftsatz vom 23. Februar 2021 die geplante Ausgestaltung der Maßnahme wie folgt beschrieben:
38„Im Zuge der Zuführung zum Flughafen ist beabsichtigt, die Wohnung zur Tagzeit des 00.0.2021 zu betreten, die Obengenannten in ihrer Freiheit zu beschränken und dem Flughafen T zuzuführen. Es ist ausschließlich beabsichtigt, die Wohnungs- und Wohnungszwischentüren zu durchschreiten und die zu den beide obengenannten gehörenden Personen, derer man in den Wohnungen ohne Vornahme weiterer Handlugen (bspw. des Öffnens von Schränken, Behältnissen oder der Nachschau unter Möbelstücken) im offenen Raum ansichtig werden kann, abzuschieben sowie nach Erkennen beider Personen keine weiteren Räume zu betreten. […]
39Es wird erwartet, die Eheleute [sic!], sollten [sic!] diese anwesend sein, offen in einem der obengenannten Räume stehend, sitzend oder liegend anzutreffen. Ein Ausforschen verborgen gehaltener Tatsachen ist nicht beabsichtigt. […]
40In der vorliegenden Sache wird ausdrücklich keine Anordnung beantragt, die über das Betreten und Durchschreiten sowie die Vornahme freiheitsbeschränkender Maßnahmen während dieses Betretens und Durchschreitens hinausgeht. Sollten die Gesuchten nicht offen im Raum gesehen werden, werde ich die Wohnung verlassen. […]
41Sollte die Tür bei einer Maßnahme nicht geöffnet werden, so wird die zwangsweise Öffnung erfolgen. In einer Vielzahl der Fälle wird die Türe und das Schloss dabei nicht beschädigt. Sollte die Türe jedoch abgeschlossen sein oder technisch keine andere Möglichkeit gegeben sein, dann wird das Schloss bei der Öffnung beschädigt und anschließend gewechselt. Im hiesigen Fall kann, da es sich um eine städtische Unterkunft handelt, die Tür mit dem Schlüssel der Unterkunftsbetreuer geöffnet werden.“
42Die so umschriebene beabsichtigte Maßnahme ist als Durchsuchung zu qualifizieren. Bei Eintreffen vor der Wohnungstür des Ausländers hat die Behörde regelmäßig, so auch hier, - über eine „Auffindungsvermutung“ hinaus, ohne die weder ein Betreten noch eine Durchsuchung verhältnismäßig wären, - keine Gewissheit über die Anwesenheit des Ausländers in der Wohnung. Wird die Tür auf das Klingeln nicht geöffnet, gilt dieses umso mehr. Die Behörde kann sich in dieser Situation nicht sicher sein, ob sich der Ausländer in der Wohnung tatsächlich aufhält. Wird dann aber die Tür zwangsweise, d.h. ohne oder gegen den (mutmaßlichen) Willen der Bewohner – und sei es mit einem Zweitschlüssel –, geöffnet und die Wohnung betreten, scheidet eine Differenzierung zwischen einem bloßen, nicht dem Richtervorbehalt unterliegenden Betreten und Durchsuchen erst jenseits der Türschwelle aus; (jedenfalls) in dieser Konstellation ist das mit Zwang durchgesetzte Betreten der Wohnung bereits Teil der Durchsuchungsmaßnahme. Ziel der zwangsweisen Öffnung der Tür ist die Erforschung des Aufenthalts des Ausländers in dieser Wohnung. Maßgeblich für die Einordnung ist die ex ante Beurteilung der Behörde; hier also die Situation bei Eintreffen vor der Wohnungstür. Der Umstand, dass der Ausländer dann gegebenenfalls in der Wohnung “im offenen Raum stehend liegend oder sitzend angetroffen“ wird, vermag diese Einschätzung nicht (mehr) zu ändern. Zudem ist auch davon auszugehen, dass der Ausländer, der auf das Klingeln der Behördenmitarbeiter nicht öffnet, seinen Aufenthalt in der Wohnung geheim halten möchte.
43Die Einordnung der Maßnahme als Durchsuchung wird auch der Intensität des Eingriffs gerecht. Denn das erstmalige Betreten der Wohnung gegen den Willen der Antragsgegner stellt sich in Bezug auf den Schutzzweck des Art. 13 GG als – mindestens – ebenso gewichtig dar wie eine Suche nach den Betroffenen innerhalb der Räumlichkeiten. Es macht in Bezug auf das Gewicht des Eingriffs keinen Unterschied, ob sich der Betroffene durch Nichtöffnen der Wohnungstür verborgen hält oder ob er sich innerhalb der Wohnung – zum Beispiel in einem hinter der Wohnungstür befindlichen Schrank, hinter einem geschlossenen (Dusch-)Vorhang oder in seinem Bett unter der Bettdecke – versteckt. Alle diese Sachverhalte sind dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen keinen freiwilligen Zugriff auf ihre Person innerhalb der eigenen Wohnung gewähren wollen und rechtfertigen im Hinblick auf den Richtervorbehalt des § 58 Abs. 8 AufenthG keine unterschiedliche Handhabung.
44Vgl. Franke/Kerkemeyer, Zum verfassungsrechtlichen Durchsuchungsbegriff und der „Betretenserlaubnis“ in § 58 V AufenthG, NVwZ 2020, 760, 762 ff.
45Es bedarf vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen auch nicht der Entscheidung, ob das von der Antragstellerin beschriebene beabsichtigte „Durchschreiten lediglich zugezogener Zwischentüren“ ohne die Vornahme weiterer Handlungen keine Durchsuchung darstellt, sondern lediglich unter die Betretensbefugnis des § 58 Abs. 5 AufenthG fällt.
46II. Der Hauptantrag ist auch begründet. Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 58 Abs. 6 S. 1 AufenthG – eine ordnungsgemäße Antragstellung (1.) und die Erforderlichkeit der Durchsuchung zum Zweck der Abschiebung (2.) – liegen vor.
471. Den Anforderungen an einen Antrag auf Richtervorbehaltsentscheidung ist vorliegend genügt. Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält und damit eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz vorsieht; der Richter darf die Wohnungsdurchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Prüfung der Ermittlungen davon überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist.
48Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14 –, juris, Rn. 18 m.w.N
49Der Richter darf nicht zu einem Grundrechtseingriff ermächtigen, der im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht erforderlich und zumutbar und damit nicht verhältnismäßig sein würde.
50Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92 –, BVerfGE 96, 44-56, Rn. 28.
51Zu diesem Zweck ist die beantragende Behörde von Verfassungs wegen verpflichtet, das Gericht grundsätzlich in der Antragsschrift umfassend über alle entscheidungsrelevanten Tatsachen zu informieren. Insbesondere bedarf es einer Begründung, die den Erlass der Anordnung aus Sicht der Behörde rechtfertigt.
52Vgl. BVerfGE 103, 142 (153); Voßkuhle, Präventive Richtervorbehalte, in: Papier/Merten (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, Rn. 89; Wildhagen, Persönlichkeitsschutz durch präventive Kontrolle, 2010, S. 169 m.w.N.
53Diese Anforderungen erfüllt die Antragsschrift in Gestalt der vom Gericht erbetenen Klarstellung.
542. Die Durchsuchung, die ausdrücklich die Durchführung der Abschiebung der Antragsgegner bezweckt, ist hierzu erforderlich. Letzteres ist dann der Fall, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Voraussetzungen für die Durchführung der Abschiebung der Betroffenen nicht vorliegen könnten, Gründe für die Annahme vorliegen, dass der betroffene Ausländer sich in der in Rede stehenden Wohnung aufhält und die beabsichtigte Durchsuchung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.
55Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es spricht alles dafür, dass die Antragstellerin berechtigt ist, die Antragsgegner abzuschieben (a). Auch ist hinreichend dargelegt, dass die Antragsgegner sich tatsächlich in der zu durchsuchenden Wohnung aufhalten (b). Schließlich ist die beabsichtigte Maßnahme auch verhältnismäßig (c).
56a) Es spricht zunächst alles dafür, dass die Antragstellerin berechtigt ist, die aufgrund der bestandskräftigen Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Mai 2017 vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsgegner abzuschieben. Die Ausreise bedarf darüber hinaus der Überwachung, weil die Antragsgegner nicht innerhalb der ihnen gesetzten Frist ausgereist sind, § 58 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG. Von Amts wegen zu beachtende zwingende Duldungsgründe ergeben sich anhand der vorliegenden Ausländerakten nicht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Antragsgegner zu 1, der unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, reiseunfähig wäre. Insofern wird auf den Einstellungsbeschluss der Kammer vom 27. Februar 2020 im Abschiebungsschutzverfahren im Zusammenhang mit dem letzten Abschiebeversuch im Januar 2020 (27 L 149/20) verwiesen. Durchgreifende Gründe, von dieser Einschätzung abzuweichen, bestehen nicht. Neue ärztliche Bescheinigungen liegen – soweit ersichtlich – nicht vor. Eine ärztliche Inempfangnahme des Antragsgegners zu 1 im Heimatland hat die Antragstellerin ferner zugesichert. Auch ist weiterhin nicht beabsichtigt, die Antragsgegner im Zuge der Abschiebung voneinander zu trennen.
57b) Die Antragstellerin hat auch hinreichend dargelegt, dass sich die Antragsgegner unter der bezeichneten Anschrift tatsächlich aufhalten. Nichts anderes folgt daraus, dass die Antragsgegner bei dem ersten Abschiebungsversuch im Januar 2020 nicht in der Wohnung angetroffen wurden. Zum einen stellte die Antragstellerin anlässlich dessen fest, dass die Wohnung offenbar als solche genutzt wurde. Zum anderen hat die Antragstellerin nachvollziehbar dargelegt, dass die Antragsgegner unter dieser Adresse auch danach durchgehend erreichbar waren. Dass sie sich dort weiterhin aufhielten, werde zudem durch die Äußerungen der Unterkunftsbetreuer, die ständig vor Ort seien und über das Kommen und Gehen der zahlenmäßig überschaubaren Bewohner im Bilde seien, bestätigt. Nach deren Ausführungen halte sich der Antragsgegner zu 2 teilweise außerhalb des ihm zugewiesenen Hauses, an einem Treffpunkt zwischen den Häusern, auf; der Antragsgegner zu 1 sei überwiegend auf dem Zimmer.
58c) Die Durchsuchungsanordnung stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch als verhältnismäßig dar. Insbesondere ist die beabsichtigte Durchsuchung erforderlich. Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn sie das relativ mildeste, jedoch gleich effektive Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks ist.
59Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 1 BvR 3102/13 –, BVerfGE 141, 121-143, Rn. 54.
60Die Erforderlichkeit einer Durchsuchung zur Ergreifung einer Person zwecks Abschiebung kann etwa gegeben sein, wenn die Vollstreckungsmaßnahme bereits einmal daran gescheitert ist, dass sich der abzuschiebende Ausländer so in der Wohnung verborgen gehalten hat, dass er nur durch eine Durchsuchung hätte gefunden werden können, oder aufgrund anderer Umstände konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die geplante Ingewahrsamnahme hieran scheitern könnte.
61Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2004 – 15 W 307/03 –, juris, Rn. 4 m.w.N.; siehe auch Beschluss vom 10.12.2019 – 3 K 7771/19 –, juris, Rn. 29.
62Auch Verstöße gegen Mitwirkungspflichten können möglicherweise die Erforderlichkeit der Wohnungsdurchsuchung begründen.
63Vgl. Zeitler, HTK-AuslR / § 58 AufenthG / Abs. 5 bis 10, Stand: 28.01.2020, Rn. 35.
64Allein der Umstand, dass ein Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist, vermag die Erforderlichkeit einer Wohnungsdurchsuchung dagegen grundsätzlich nicht zu begründen. Andernfalls liefe die verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung des konkreten Einzelfalls durch das Gericht – jedenfalls hinsichtlich der Erforderlichkeit – leer. Denn die Vorschrift des § 58 Abs. 6 AufenthG findet bereits tatbestandlich nur auf Fälle der Abschiebung vollziehbar Ausreisepflichtiger Anwendung. Damit wäre unabhängig vom Einzelfall bei jedem Antrag nach § 58 Abs. 6, 8 AufenthG – das Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale unterstellt – die Erforderlichkeit der Durchsuchung gegeben.
65Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift hinreichend dargelegt, dass im vorliegenden Einzelfall Umstände gegeben sind, die die Erforderlichkeit der beantragten Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner begründen. Dafür spricht zunächst der Umstand, dass die Antragsgegner bereits seit Mai 2017 vollziehbar ausreisepflichtig sind und ihrer Ausreisepflicht – trotz der Ankündigung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Sinne von § 60a Abs. 5 AufenthG zuletzt am 28. Januar 2021 – mithin seit ca. drei Jahren und neun Monaten nicht nachgekommen sind. Insoweit ist ferner zu beachten, dass ein erster Abschiebungsversuch am 28. Januar 2020 scheiterte, weil die Antragsgegner in ihrer Wohnung nicht angetroffen wurden. Trotz Ankündigung der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen und sodann in dem Wissen, dass ein Abschiebeversuch stattgefunden hatte, haben die Antragsgegner keine Anstalten gemacht, freiwillig auszureisen. Der Antragsgegner zu 2 gab bei seiner Vorsprache unmittelbar nach dem Abschiebeversuch an, den Aufenthaltsort seines Sohnes nicht benennen zu können. Eine telefonische Kontaktaufnahme blieb erfolgslos. Wie seitens der Antragstellerin dargelegt, hat sich der Antragsgegner zu 2 ferner wiederholt dahingehend geäußert, nicht freiwillig auszureisen, solange sein Sohn nicht „geheilt“ sei. Auch angesichts der von der Antragstellerin dargelegten Tatsache, dass Vorsprachen bei der Antragstellerin zum Teil erst nach einer faktischen Zusicherung freien Geleits oder aber ohne den Antragsgegner zu 1 stattfanden, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegner auch weiterhin nicht gewillt sind, freiwillig auszureisen. Dies haben sie durch ihr Verhalten wiederholt verdeutlicht.
66Sonstige Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit der beabsichtigten Durchsuchung bestehen nicht.
67Weitere Gründe, die dem Erlass der begehrten Durchsuchungsanordnung entgegenstehen könnten, – insbesondere Ermessensfehler – sind nicht ersichtlich.
68B. Der Hilfsantrag, gerichtet auf die richterliche Anordnung des Betretens der Wohnung, für den Fall dass die Kammer eine solche für erforderlich hält, bedarf nach den vorstehenden Ausführungen keiner Entscheidung mehr.
69Von einer Anhörung der Antragsgegner sowie der Bekanntgabe der richterlichen Entscheidung an diese wird abgesehen, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass sich die Antragsgegner – denen der Abschiebungstermin nicht bekannt zu geben ist (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG entsprechend) – dem Zugriff der Antragstellerin entziehen.
70Vgl. zur Vereinbarkeit des Absehens von einer Anhörung mit Art. 103 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss v. 16. Juni 1981 – 1 BvR 1094/80 –, BVerfGE 57, 346-360; VG Gießen, Beschluss vom 26. November 2019 – 6 N 4595/19 –, juris, Rn. 9.
71Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Festsetzung eines Verfahrenswertes bedarf es nicht, da nach dem Gerichtskostengesetz vorliegend keine Gebühren anfallen.
72Vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 3 K 7772/19 –, juris, Rn. 31.
73Rechtsmittelbelehrung:
74Gegen diese Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
75Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
76Die Beschwerde ist durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
77Die Beschwerde ist nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,‑‑ Euro nicht übersteigt.
78Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
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- § 58 Abs. 8 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 22 I 28/20 1x
- 1 BvR 2138/05 1x (nicht zugeordnet)