Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 4 K 8989/17

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage (A 4 K 8988/17) gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.10.2017 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
Der Antrag der Antragsteller, zweier minderjähriger serbischer Staatsangehöriger, auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (A 4 K 8988/17) gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.10.2017 ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Möglichkeit der Antragsteller, gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, lässt ihr Rechtsschutzbedürfnis für die Stellung eines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht entfallen, da gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG die erste Wiederaufnahmeentscheidung ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist (BVerfG, Beschluss vom 20.07.2016 - 2 BvR 1385/16 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 19.08.2016 - 6 L 417.16 A -, juris; VG Stuttgart, Beschluss vom 06.02.2017 - A 1 K 198/17 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 03.04.2017 - 17 AE 2022/17 -, juris).
Gegenstand des vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich vorliegend auf die Einstellung des Asylverfahrens und ist dessen Folge. Nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist dagegen die im angegriffenen Bescheid des Bundesamts unter Nummer 4 getroffene Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, weil diese Entscheidung im vorliegenden Verfahren, in dem es den Antragstellern erkennbar allein um die Verhinderung ihrer vollziehbaren Ausreisepflicht geht, von ihm nicht ausdrücklich angegriffen worden ist.
Der zulässige Antrag ist auch begründet. Das Interesse der Antragsteller, vorläufig im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug der Abschiebungsandrohung, weil sich diese bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist und die Antragsteller deshalb insoweit im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach Erfolg haben werden.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Abschiebungsandrohung in Nummer 3 des angefochtenen Bescheids auf der Rechtsgrundlage von § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 38 AsylG und § 59 AufenthG erlassen, weil es das Asylverfahren unter Nummer 1 des Bescheids als eingestellt behandelt hat. Entgegen der Ansicht des Bundesamtes gilt der Asylantrag der Antragsteller jedoch nicht als zurückgenommen und ist sein Asylverfahren infolgedessen nicht eingestellt. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Ein Asylantrag gilt gemäß § 33 Abs. 1 AsylG als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG enthält - nicht abschließende - Fallgruppen, in denen ein Nichtbetreiben des Verfahrens durch den Ausländer vermutet wird; hierzu gehört nach Nr. 1 Var. 2 der Vorschrift der Fall, dass der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist, es sei denn, dass er unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis hinzuweisen. Soll der Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung ist daher, was sich auch aus Art. 12 Abs. 1 lit a) RL 2013/32/EU (des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013) ergibt, deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht, unentbehrlich, denn es liegt auf der Hand, dass das mit einer Belehrung verfolgte Ziel, die Warnung vor nachteiligen Rechtsfolgen, nur dann erreicht werden kann, wenn der jeweilige Adressat die Sprache, in der die Belehrung verfasst wurde, auch versteht (VG München, Beschluss vom 21.07.2017 - M 21 S 17.35568 -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 17.11.2016 - Au 3 S 16.32189 -, juris; VG Lüneburg, Beschluss vom 23.06.2017 - 6 B 57/17 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.03.2017 - 14 L 1129/17.A -, juris; VG Arnsberg, Beschluss vom 20.06.2017 - 5 L 1763/17.A -, juris; jew. m.w.N.). Zudem darf der Hinweis keine Informationen enthalten, die geeignet sind, beim Adressaten Fehlvorstellungen bezüglich der geltenden Rechtslage hervorzurufen (VG Hamburg, Beschluss vom 03.04.2017 - 17 AE 2022/17 -, juris; VG München, Beschluss vom 21.07.2017 - M 21 S 17.35568 -, juris; VG Minden, Beschluss vom 28.02.2017 - 10 L 162/17.A -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2017 - 22 L 108/17.A -, juris; jew. m.w.N.).
An einer den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG genügenden Belehrung fehlt es hier.
Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass die Antragsteller selbst - bzw. ihre gesetzlichen Vertreter - zu irgend einem Zeitpunkt während des Asylverfahrens über die Folgen des Nichterscheinens zur Anhörung belehrt worden wären. Zwar finden sich in den Akten Ausfertigungen des Formulars „Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und allgemeine Verfahrenshinweise“ sowohl in deutscher als auch in serbischer Sprache, die entsprechende Hinweise enthalten; keines dieser Exemplare ist jedoch von den Eltern der Antragsteller als ihren gesetzlichen Vertretern unterzeichnet. Ungeachtet der Frage, ob der dort gewählte Inhalt der Belehrung den Anforderungen des § 33 AsylG genügt (dies verneinend für eine im Wortlaut identische Belehrung etwa VG München, Beschluss vom 21.07.2017 - M 21 K 17.35568 -, juris; VG Lüneburg, Beschluss vom 24.07.2017 - 3 B 27/17 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.03.2017 - 14 L 1129/17.A -, juris; VG Arnsberg, Beschluss vom 20.06.2017 - 5 L 1763/17.A -, juris; VG Minden, Beschluss vom 28.02.2017 - 10 L 162/17.A -, juris; jew. m.w.N.), lässt sich nach Aktenlage daher nicht davon ausgehen, dass die Antragsteller persönlich schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis, wie es § 33 Abs. 4 AsylG verlangt, auf die Rechtsfolgen des § 33 AsylG hingewiesen worden wären.
Dem in § 33 Abs. 4 AsylG normierten Erfordernis einer Belehrung hat das Bundesamt auch nicht durch die in dem an den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller gerichteten Ladungsschreiben vom 06.09.2017 enthaltenen Hinweise genüge getan.
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Dieses Schreiben enthielt - optisch hervorgehoben - folgende Hinweise: „Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Ihre Mandantschaft zu diesem Termin nicht erscheint. Dies gilt nicht, wenn sie unverzüglich nachweist, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatte. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit muss Ihre Mandantschaft unverzüglich die Reise- und/ oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet ist, muss sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Wenn dem Bundesamt kein Nachweis über die Hinderungsgründe vorliegt, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
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Diese Hinweise im Schreiben vom 06.09.2017 sind inhaltlich voraussichtlich nicht zu beanstanden; vielmehr weisen sie auf die Rechtsfolgen von § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG erschöpfend hin und vermeiden die in der seinerzeit verwendeten „Belehrung für Erstantragsteller“ enthaltenen missverständlichen bzw. dem Gesetzeswortlaut nicht entsprechenden Formulierungen (vgl. dazu die oben zitierten Entscheidungen). Auch dass die Belehrung dem Prozessbevollmächtigten gegenüber erfolgt ist, ist unschädlich, nachdem dieser sich im Verwaltungsverfahren als Bevollmächtigter unter Vorlage einer (unbeschränkten) Vollmacht als Vertreter der Antragsteller bestellt hatte; weder dem Wortlaut der Norm noch der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass auch bei ordnungsgemäßer Bevollmächtigung eine Zustellung an den Asylantragsteller selbst erforderlich ist (OVG Magdeburg, Beschluss vom 27.03.2017 - 1 LZ 92/17 -, juris). In dieser Situation schadet es weiter aller Voraussicht nach nicht, dass die Belehrung ausschließlich in deutscher Sprache erfolgte. Einer Übersetzung der Belehrung gemäß § 33 Abs. 4 AsylG in eine Sprache, deren Kenntnis bei dem Asylantragsteller vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, bedarf es in Fällen anwaltlicher Vertretung nicht, weil es in diesem Fall dem Bevollmächtigten obliegt, seine Mandantschaft von dem Anhörungstermin hinreichend zu unterrichten und sie über die Folgen eines Nichterscheinens in Kenntnis zu setzen, so dass die Hinweis- und Warnfunktion auch bei einer (nur) in deutscher Sprache erfolgten Belehrung erfüllt ist (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 27.03.2017 - 1 LZ 92/17 -, juris; ist (OVG Magdeburg, Beschluss vom 27.03.2017 - 1 LZ 92/17 -, juris; VG Cottbus, Beschluss vom 10.05.2017 - 1 L 583/16.A -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2017 - 2 L 12/17.A -, juris).
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Allerdings fehlt es im vorliegenden Fall an der durch § 33 Abs. 4 AsylG geforderten Form der Kenntnisnahme der Belehrung durch den Bevollmächtigten der Antragsteller. Insoweit bedarf es hier keiner Entscheidung, ob auch in Fällen, in denen die Belehrung an einen Bevollmächtigten der Asylantragsteller erfolgt, von diesem oder den Antragstellern eine Empfangsbestätigung im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG zu verlangen ist (so etwa VG Cottbus, Beschluss vom 10.05.2017 - 1 L 583/16.A -, juris; VG Arnsberg, Beschluss vom 16.02.2017 - 2 L 134/17.A -, juris), oder ob es im Falle der Bevollmächtigung ausreicht, dass sich aus den Akten ergibt, dass das Schreiben dem Bevollmächtigten im Sinne des § 8 VwZG tatsächlich zugegangen ist (so etwa VG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2017 - 2 L 12/17.A -, juris; VG Greifswald, Beschluss vom 25.10.2017 - 3 B 2099/17 As HGW -, juris). Denn selbst wenn man § 8 VwZG für anwendbar und folglich den tatsächlichen Zugang für ausreichend erachten wollte, setzte eine Heilung des Zustellungsfehlers voraus, dass sowohl der Zugang des Dokuments als auch der Zeitpunkt seines Zugangs beweiskräftig feststehen (Sadler, VwVG, VwZG, 9. Aufl., § 8 VwZG Rn. 7; Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, VwZG, (10. Aufl., § 8 VwZG Rn. 4), etwa durch einen Ausdruck des bei der Deutschen Post abrufbaren Auslieferungsbelegs (VG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2017 - 2 L 12/17.A -, juris). Zweifelhaft dürfte daher bereits sein, ob allein der Umstand, dass der Bevollmächtigte sich im weiteren Verfahren gegenüber dem Bundesamt auf das die Belehrung enthaltene Schreiben bezieht, die in § 33 Abs. 4 AsylG vorgesehene Empfangsbestätigung ersetzt (so VG Greifswald, Beschluss vom 25.10.2017 - 3 B 2099/17 As HGW -, juris), da es insoweit jedenfalls am Nachweis des Zugangszeitpunkts fehlt. Jedenfalls aber vermag - insbesondere vor dem Hintergrund der in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Var. AsylG normierten weitreichenden Folgen eines Nichterscheinens zur Anhörung und daraus folgend der besonderen Bedeutung der Belehrung - allein der Umstand, dass der Bevollmächtigte nicht anwaltlich versichert hat, das betreffende Schreiben nicht erhalten zu haben, die gemäß § 33 Abs. 4 AsylG erforderliche Empfangsbestätigung hinsichtlich der Belehrung nicht zu ersetzen (anders wohl VG Augsburg, Beschluss vom 23.02.2017 - Au 7 S 16.32815 -, juris). Vorliegend aber fehlt es nicht nur an einem Nachweis - oder auch nur konkreten positiven Anhaltspunkten - dafür, dass das Schreiben vom 06.09.2017 dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller tatsächlich zugegangen ist und er folglich tatsächlich über die Folgen seines Nichterscheinens belehrt worden ist; es gibt noch nicht einmal einen Ab-Vermerk oder anderen Hinweis darauf, dass und wann das Schreiben den Zugriffsbereich des Bundesamtes verlassen hat. Den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG genügt die Belehrung folglich nicht.
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Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, wie es sich auswirkt, dass in den Akten auch kein Vermerk über das Nichterscheinen der Antragsteller bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter enthalten ist.
14 
Das Bundesamt hat nach summarischer Prüfung das Asylverfahren folglich zu Unrecht gemäß §§ 33 Abs. 1, 2, 32 AsylG eingestellt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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