Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 4 K 1863/22

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wird hinsichtlich der Auflage Ziffer I.4. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 10.12.2022 vollständig und hinsichtlich der Auflage Ziffer I.3. insoweit wiederhergestellt, als dort angeordnet wird, dass die einzelnen Fahrräder zueinander einen so geringen Abstand einhalten müssen, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 2/3 und die Antragsgegnerin 1/3.

Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen verschiedene versammlungsrechtliche Auflagen für die von ihr für Sonntag, den 17.07.2022 unter dem Titel „Demonstration für ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen, ein deutschlandweites Straßenbaumoratorium sowie eine sofortige Rücknahme des klimaschädlichen Tankrabatts, Ersetzung durch günstigen und attraktiven Öffentlichen Schienen- und Nahverkehr“ angemeldete Fahrradversammlung, die von der Freiburger Innenstadt über die B 31 (Zubringer Mitte), die BAB 5 von der Anschlussstelle 62 „Freiburg-Mitte“ bis zur Anschlussstelle 61 „Freiburg-Nord“ (einschließlich einer Zwischenkundgebung auf der Autobahn), die B 294 (Zubringer Nord) und die B 3 zurück in die Innenstadt führen sollte. Sie wehrt sich gegen die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11.07.2022 verfügten Vorgaben zur Streckenführung, nach der die B 31 nur teilweise sowie die BAB 5, die B 294 und die B 3 nicht für den Aufzug genutzt werden dürfen, und die Aufzugsstrecke nachträglich, auch während der Versammlung durch den Polizeivollzugsdienst, geändert werden kann, sofern dies nach den aktuellen polizeilichen Erkenntnissen erforderlich ist (Ziffer I.1.), gegen die Auflage, die „genehmigte“ Aufzugsstrecke im geschlossenen Verband zu befahren, sodass die einzelnen Fahrräder zueinander einen so geringen Abstand einhalten, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten (Ziffer I.3.), sowie gegen die Auflage, auf der Aufzugsstrecke östlich der BAB 5 jeweils 200 Meter vor und nach der Autobahnunterführung im Bereich der Bebel- bzw. Seestraße Lautsprecheranlagen nicht zu betreiben (Ziffer I.4.).
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag ist im tenorierten Umfang begründet; im Übrigen hat er keinen Erfolg.
I. Formelle Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auflagen macht die Antragstellerin nicht geltend und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung dem Erfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend gesondert damit begründet, dass die im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendigen Auflagen ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung schon aus zeitlichen Gründen nicht zu vollziehen wären. Damit ist dem Begründungserfordernis genüge getan.
II. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung in Fällen der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 VwGO ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Maßgeblich ist, ob das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen. Ein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin ist in der Regel anzunehmen, soweit die im Eilverfahren gebotene summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass die angefochtenen Auflagen voraussichtlich rechtswidrig sind. Soweit diese hingegen voraussichtlich rechtmäßig sind, überwiegt in der Regel das öffentliche Vollzugsinteresse (vgl. etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.08.2020 - 5 CS 20.1512 -, juris Rn. 31).
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass die Auflage zur Streckenführung sowie die Anordnung, die Aufzugsstrecke im Verband zu befahren, rechtmäßig sind. Hingegen sind die Vorgabe, dass die einzelnen Fahrräder zueinander den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten dürfen, sowie die Auflage, auf der Aufzugsstrecke östlich der BAB 5 jeweils 200 Meter vor und nach der Autobahnunterführung im Bereich der Bebel- bzw. Seestraße Lautsprecheranlagen nicht zu betreiben, aller Voraussicht nach rechtswidrig, weshalb insoweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wiederherzustellen ist. Im Einzelnen:
1. Rechtsgrundlage für die verfügten Auflagen ist § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG). Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG sind unter Beachtung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris).
Wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Im Rahmen der Güterabwägung ist auch das Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger über Ort (hier: Strecke), Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zu beachten, sofern keine erkennbaren Umstände in Gestalt konkreter Tatsachen (im Gegensatz zu bloßen Vermutungen) vorliegen, die eine drohende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch bestimmte Versammlungsmodalitäten wahrscheinlich erscheinen lassen und deshalb eine auf den Versammlungs- oder Aufzugsort bezogene Auflage rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, BVerfGE 69, 315).
Dies gilt im Grundsatz auch für Demonstrationszüge auf Bundesfernstraßen (§ 1 Abs. 2 FStrG: Autobahnen und Bundesstraßen). Selbst die spezifische Widmung der Autobahnen für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen (§ 1 Abs. 3 FStrG) schließt deren Nutzung für Versammlungszwecke nicht generell aus (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08 -, juris Rn. 11 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.11.2017 - 15 B 1370/17 -, juris Rn. 15; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 04.06.2021 - 11 ME 126/21 -, juris Rn. 10; Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.09.2021 - 10 CS 21.2282 -, juris Rn. 31; OVG Sachsen, Beschluss vom 08.10.2021 - 6 B 376/21 -, juris Rn. 7). Allerdings wird die konkrete Abwägung zwischen Versammlungsrecht und Verkehrserfordernissen bei Bundesfernstraßen regelmäßig einen Vorrang der Verkehrsbelange ergeben. Denn während bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt, Einschränkungen oder gar ein Verbot von Versammlungen aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen, darf Verkehrsinteressen bei öffentlichen Straßen, die allein dem überörtlichen Straßenverkehr gewidmet sind, größere Bedeutung beigemessen werden, so dass das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer solchen Straße gegebenenfalls zurückzutreten hat. Ob eine Bundesfernstraße für eine Versammlung genutzt werden kann, ist dabei anhand einer Prüfung und Bewertung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.11.2017 - 15 B 1370/17 -, juris Rn. 17; Hessischer VGH, Beschluss vom 04.06.2021 - 2 B 1201/21 -, juris Rn. 3; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 04.06.2021 - 11 ME 126/21 -, juris Rn. 12; OVG Sachsen, Beschluss vom 29.10.2021 - 6 B 399/21 -, juris Rn. 8).
Bei der widmungsfremden Nutzung von Autobahnen und Bundesstraßen ist unter anderem zu prüfen, ob die beabsichtigte Nutzung einen direkten Bezug zum Versammlungsthema hat. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben. Daraus folgt ein unmittelbarer Bezug zwischen dem Recht, eine Versammlung auf einer Autobahn oder Bundesstraße abzuhalten, und dem Thema der Versammlung. Je konkreter ein örtlicher Bezug zu einem bestimmten Straßenabschnitt ist, desto eher vermag das Versammlungsrecht das Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ausnahmsweise zu verdrängen. Demgegenüber ist das Versammlungsrecht stärker eingeschränkt, wenn der Bezug eher lockerer und auch auf andere Straßenabschnitte oder andere Bundesfernstraßen sinngemäß übertragbar ist (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 29.10.2021 - 6 B 399/21 -, juris Rn. 8s; Hessischer VGH, Beschluss vom 04.06.2021 - 2 B 1201/21 -, juris Rn. 3 f.). Fehlt es an einer direkten Verbindung, fehlt es auch eher an einer Rechtfertigung für die Einschränkung des Kraftfahrzeugverkehrs durch die Ausübung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG. Zwar sind mit jeder Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen verbunden, da Dritte am Versammlungsort durch das körperliche Verweilen von Demonstranten zwangsläufig verdrängt werden. Derartige Behinderungen und Zwangswirkungen werden aber nur so weit durch Art. 8 GG gerechtfertigt, als sie eine sozial-adäquate Nebenfolge einer rechtmäßigen Demonstration darstellen und sich durch zumutbare Beschränkungen nicht vermeiden lassen. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn die Behinderung Dritter nicht nur als Nebenfolge in Kauf genommen, sondern beabsichtigt wird, um die Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen. Art. 8 GG berechtigt nicht dazu, die öffentliche Aufmerksamkeit durch gezielte und absichtliche Behinderung zu steigern. Das Recht des Veranstalters, Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung selbst zu bestimmen, umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.09.2021 - 10 CS 21.2282 -, juris 32).
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Darüber hinaus kommt es maßgeblich darauf an, welche Gefahren durch die beabsichtigte Nutzung einer Autobahn oder Bundesstraße für die Versammlungsteilnehmer und andere Verkehrsteilnehmer entstehen, wie lange und wie intensiv die Beeinträchtigungen und Gefahren für die anderen Verkehrsteilnehmer sind, welche Verkehrsbedeutung dem betroffenen Streckenabschnitt zukommt, mit welchem Verkehrsaufkommen im Zeitpunkt der Versammlung zu rechnen ist, inwieweit den durch eine Versammlung auf einer Bundesfernstraße begründeten Gefahren durch ein Sicherungskonzept begegnet werden kann und ob zumutbare und praktikable Umleitungsmöglichkeiten bestehen, welche die Gefahren und die Beeinträchtigungen ausreichend reduzieren können (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08 -, juris Rn. 13 ff; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.09.2021 - 11 ME 275/21 -, juris Rn. 12 ff.). Weitere Abwägungselemente sind - unter anderem - die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe und die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.09.2021 - 10 CS 21.2282 -, juris Rn. 31).
11 
Nach diesen Maßgaben dürfte es verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, die geplante Fahrradversammlung auf eine Aufzugsstrecke zu verweisen, die weder über die BAB 5 noch die B 294 führt.
12 
Zwar erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass eine Versammlung - jedenfalls ab einer erheblichen Teilnehmerzahl - für ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen und ein deutschlandweites Straßenbaumoratorium auf einer Bundesfernstraße stattfindet. Denn ein Zusammenhang zwischen diesem Versammlungsthema und dem gewählten Versammlungsort lässt sich nicht in Abrede stellen. Jedoch ist dieser Zusammenhang nicht spezifisch, weil er zu allen Bundesfernstraßen gleichermaßen besteht. Die Antragstellerin ist zur Durchführung der Versammlung auf den fraglichen Streckenabschnitt nicht zwingend angewiesen.
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Vor diesem Hintergrund dürfte nach der gebotenen Abwägung im konkreten Fall der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber der Versammlungsfreiheit der Vorrang einzuräumen sein. Die Kammer teilt die Einschätzung der Polizei, dass für den Aufzug die BAB 5 in nördlicher Fahrtrichtung zwischen den Anschlussstellen „Freiburg-Mitte“ und „Freiburg-Nord“ sowie die B 294 in beide Fahrtrichtungen vollständig gesperrt werden müssten. Von der Versammlung wäre damit nicht nur die Autobahn, sondern auch die Umgehung über die B 294 betroffen. Auch die Prognose, dass die Sperrung der BAB 5 mindestens zwei Stunden dauern würde, erachtet das Gericht als plausibel. Die Verkehrsbelange auf diesen Bundesfernstraßen sowie auf potentiellen Umleitungsstrecken lassen es nach dem Inhalt der Akten und der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht zu, dass die Antragstellerin die entsprechenden Straßenabschnitte für den von ihr geplanten Fahrradaufzug nutzt.
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Zwar dürfte sich dies nicht bereits aus der von der Antragsgegnerin vorgetragenen Tatsache ergeben, dass (auch) ein durch die Versammlung ausgelöster Verkehrsstau zu einer Gefahr von Personen- und Sachschäden aufgrund von Auffahrunfällen am Stauende führt. Denn diese Gefahr besteht bei jeder Versammlung auf einer Autobahn - sowie bei jedem der täglich auf deutschen Autobahnen vielfach entstehenden Verkehrsstaus - gleichermaßen. Verkehrsbehinderungen und Staubildungen auf Autobahnen gehören zu den üblichen, mit polizeilichen und straßenverkehrsrechtlichen Mitteln grundsätzlich zu beherrschenden Erscheinungen. Anders als bei diesen im Regelfall nicht oder nicht exakt vorhersehbaren Verkehrsstörungen kann durch Versammlungen eintretenden Behinderungen überdies im Rahmen eines Sicherheitskonzepts vorausschauend durch Umleitungen, frühzeitige Warnhinweise, Meldungen im Verkehrsfunk und andere geeignete Maßnahmen begegnet werden. Die Behörde kann deshalb die Nutzung der Autobahn durch die Versammlung grundsätzlich nicht allein unter Hinweis auf diese zwangsläufig eintretenden Folgen untersagen, weil anderenfalls über § 15 Abs. 1 VersammlG letztlich ein absolutes Verbot der Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke statuiert würde, für das aus den oben dargelegten Gründen eine rechtliche Grundlage fehlt (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08 -, juris Rn. 17).
15 
Die bei Durchführung der geplanten Aufzugsstrecke voraussichtlich eintretenden Behinderungen des Verkehrs überschreiten aber aufgrund der konkreten Umstände am 17.07.2022 den Rahmen der üblichen und sozialadäquaten und insoweit typischerweise hinzunehmenden Beeinträchtigungen. Da die in nördlicher Richtung nächste Anschlussstelle der BAB 5 (AS 60: Teningen) am 17.07.2022 wegen Bauarbeiten in dieser Fahrtrichtung vollständig gesperrt ist, müsste der Umleitungsverkehr - entweder über die B 3 durch die Freiburger Innenstadt oder über durch mehrere Orte führende Landstraßen - bis zur Anschlussstelle 59 (Riegel) geführt werden. Hinzu kommt, dass an diesem Wochenende - und auch am 17.07.2022 - in unmittelbarer Nähe zur Anschlussstelle Freiburg-Nord das Musikfestival „Seayou“ mit ca. 20.000 Besuchern stattfindet, deren regulärer An- und Abreiseweg über die BAB 5 oder die B 294 führen dürfte. Damit wäre im Bereich der AS 61 sowie auf den Umleitungsstrecken mit zusätzlichem Verkehrschaos zu rechnen. Auch die Erreichbarkeit des Festivalgeländes durch Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste wäre bei Durchführung der Versammlung erheblich erschwert. Auch die für Sonntag erwarteten hohen Temperaturen stellen aus Sicht der Kammer besondere Umstände dar, aufgrund derer die Versammlungsfreiheit im konkreten Fall zurückzutreten hat. Diese dürften nicht nur zu einer verminderten Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer führen; sondern auch das Wohlbefinden der Insassen nicht klimatisierter Fahrzeuge über das übliche Maß hinaus beeinträchtigen.
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Die Kammer verkennt nicht, dass durch eine Verlagerung des Aufzugs auf Straßen mit einer geringeren Verkehrsbedeutung der Charakter der Versammlung in gewisser Weise verändert wird. Ihrem Anliegen kann die Antragstellerin aber - wenn auch nicht mit vergleichbarer Symbolik und Öffentlichkeitswirkung - trotz der Auflage zur Streckenführung Ausdruck verleihen. Für die Abwägung ist überdies unerheblich, ob die Anliegen einer Versammlung politisch erwünscht oder gar - mit Blick auf die Staatszielbestimmung in Art. 20a GG - verfassungsrechtlich geboten sind. Denn die Funktion der Versammlungsfreiheit als Recht gerade politischer Minderheiten zwingt dazu, dass das Versammlungsrecht gegenüber den Versammlungsinhalten grundsätzlich blind ist. Überdies dürfte die Durchführung der geplanten Versammlung weder durch die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung noch durch die Versammlung als solche (etwa durch die konkreten Folgen für den Straßenverkehr) direkt dazu bei, das mit der Versammlung verfolgte Anliegen (hier: klimagerechte Verkehrspolitik) zu erreichen.
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2. Auch soweit sich die Antragstellerin gegen den Zusatz in der Auflage Ziffer I 1. wehrt, nachdem die Aufzugsstrecke nachträglich, auch während der Versammlung durch den Polizeivollzugsdienst, geändert werden kann, sofern dies nach den aktuellen polizeilichen Erkenntnissen erforderlich ist, hat ihr Eilantrag keinen Erfolg. Denn die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 14.07.2022 klargestellt, dass es sich hierbei lediglich um einen Hinweis auf die Gesetzeslage ohne eigenständigen Regelungsgehalt handelt. Damit besteht auch kein rechtlich geschütztes Bedürfnis an einer klarstellenden gerichtlichen Feststellung.
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3. Die Auflage der Antragsgegnerin, die Aufzugsstrecke im geschlossenen Verband zu befahren (Ziffer I.3.), ist voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig.
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Gemäß § 27 Abs. 3 StVO ist ein Verband von mehreren Fahrzeugen geschlossen, wenn er für andere am Verkehr Teilnehmende als solcher deutlich erkennbar ist. Bei einem Fahrradaufzug dürfte ein geschlossener Verband selbst bei größeren Lücken zwischen den Fahrradfahrern deutlich erkennbar sein. Die Geschlossenheit des Verbandes dürfte erste entfallen, wenn einzelne Fahrradfahrer Sichtkontakt mit den übrigen Versammlungsteilnehmern verloren oder sich so weit entfernt haben, dass sie nicht mehr als Teil der Versammlung zu erkennen sind.
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Dies zugrunde gelegt, bezweckt die Auflage den Schutz der Demonstrierenden vor Gefahren durch andere - insbesondere motorisierte - Verkehrsteilnehmer, welche den Versammlungszusammenhang nicht erkennen und den Aufzug deshalb zwischen verschiedenen Fahrrädern kreuzen. Zudem dient die Auflage der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vor Behinderungen, die dadurch entstehen, dass sich der Aufzug über das unvermeidbare Maß hinaus in die Länge zieht.
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4. Soweit die Antragsgegnerin in Ziffer I.3. verfügt hat, dass die einzelnen Fahrräder zueinander einen so geringen Abstand einhalten müssen, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten, ist diese Auflage rechtswidrig.
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Der erforderliche Sicherheitsabstand zwischen zwei hintereinanderfahrenden Fahrzeugen muss gemäß § 4 Abs. 1 StVO in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird; zwischen zwei nebeneinanderfahrenden Fahrräder ist grundsätzlich ein Abstand von einem Meter zwischen den Fahrenden - nicht zwischen den Lenkern - ausreichend (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26.02.2018 - 22 U 146/16 -, juris Rn. 7).
23 
Es ist der Kammer kein Grund ersichtlich, wieso es zur Abwehr von Gefahren für die Versammlungsteilnehmer erforderlich sein sollte, dass diese während des Aufzugs den erforderlichen Sicherheitsabstand „gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten“. Eher dürfte eine solche Vorgabe mit erheblichen Gefahren für die Teilnehmer verbunden sein. Denn der Sicherheitsabstand bezeichnet das Mindestmaß, bei dessen Unterschreitung von einer erhöhten Gefahr für die Verkehrsteilnehmer ausgegangen wird, und stellt keinen zu erreichenden Richtwert dar. Eine andere Auslegung der Auflage dahingehend, dass lediglich die Forderung, in Verband zu fahren, konkretisiert wird, ist angesichts des Wortlauts, der an eindeutige verkehrsrechtliche Begriffe anknüpft, nicht möglich.
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5. Die Auflage in Ziffer I.4., auf der (mit der Auflage in Ziffer I.1. vorgegebenen) Aufzugsstrecke östlich der BAB 5 jeweils 200 Meter vor und nach der Autobahnunterführung im Bereich der Bebel- bzw. Seestraße Lautsprecheranlagen nicht zu betreiben, ist aller Voraussicht nach rechtswidrig. Soweit die Antragsgegnerin dies damit begründet hat, die Auflage diene dem Schutz der Verkehrsteilnehmer auf der Bundesautobahn 5 vor dem mit akustische Ablenkungen verbundenen höheren Unfallrisiko aufgrund von Fahrfehlern durch verminderte Aufmerksamkeit, würdigt sie nicht ausreichend, dass Demonstrationen auf bzw. an Bundesfernstraßen stets dazu führen können, dass sich einzelne Verkehrsteilnehmer ablenken lassen. Ein allgemeines Verbot von Versammlungen bzw. aufmerksamkeitserregenden Verhaltungsweisen auf einer Versammlung besteht aber weder auf noch an Bundesfernstraßen. Besondere Umstände, die im konkreten Fall dazu führen, dass das von Art. 8 GG geschützte Interesse der Versammlungsteilnehmer an der durchgehenden Nutzung von Lautsprecheranlagen zurückzustehen hat, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich, zumal in etwa einem Kilometer Entfernung direkt an der BAB 5 ein großes Musikfestival stattfindet, von dem über mehrere Tage hinweg deutlich größere Schallimmissionen auf die Autobahn wirken dürften. Im Übrigen wäre der Schutz der Verkehrsteilnehmer vor besonders ablenken Geräuschen (z.B. Knalleffekte) auch durch mildere Auflagen erreichbar.
25 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m § 52 Abs. 1 GKG. Mit Blick auf die Vorwegnahme der Hauptsache sieht die Kammer von einer Reduzierung des hiernach anzusetzenden Auffangwerts von 5.000,- EUR im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ab (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

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