Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 8 K 1418/14
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 18. Februar 1014 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen einen immissionsschutzrechtlichen Bescheid, mit dem ihm die Abdeckung von zwei Lagerbehältern für Flüssigmist aufgegeben wurde.
3Der Kläger betreibt in G. einen Schweinemastbetrieb mit 1.975 Mastplätzen. Der seit 1984 genehmigte Betrieb wurde zuletzt mit Bescheid vom 15. Juli 2010 um einen weiteren Stall mit 784 Mastplätzen erweitert. Zum genehmigten Betrieb gehören zwei Lagerbehälter für Flüssigmist (sog. Güllebehälter) aus Beton mit einem Durchmesser von 14 Metern und 18 Metern (Fassungsvermögen: 661,93 m3 und 1.166,16 m3).Die Nebenbestimmung Ziffer 2.5 zum vorgenannten Bescheid bestimmt hierzu:
4Die Güllebehälter sind mit entsprechenden Maßnahmen nach dem Stand der Technik abzudecken oder es sind gleichwertige Maßnahmen zur Emissionsminderung anzuwenden, die einen Emissionsminderungsgrad bezogen auf den offenen Behälter ohne Abdeckung von mindestens 80 % der Emissionen an geruchsintensiven Stoffen und an Ammoniak erreichen.
5Der Kläger praktiziert eine Abdeckung durch eine natürliche Schwimmdecke, die sich bedingt durch die Konsistenz der Gülle automatisch auf der Oberfläche bildet und den Geruchsaustritt hemmt. Vor dem Ausbringen auf die Felder wird die Masse durch ein Rührwerk im Behälter homogenisiert und entnommen. Sobald die Oberfläche unbewegt bleibt bildet sich die Schwimmdecke neu.
6Nach Anhörung des Klägers ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 18. Februar 2014 an, dass die Lagerbehälter für Flüssigmist innerhalb eines Jahres nach Zustellung des Bescheides mit einer geeigneten Abdeckung – Zeltdach, Schwimmfolie oder Schwimmkörper – zu versehen sind (Ziffer 1.a.) und die vorgesehenen Maßnahmen einen Monat vor deren Durchführung als Änderung gem. § 15 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) mit den erforderlichen Unterlagen anzuzeigen sind (Ziffer 1.b.). Für den Fall der nicht rechtzeitigen oder nicht ausreichenden Befolgung der Anordnungen werden dem Kläger Zwangsgelder angedroht, in Bezug auf die Anordnung zu Ziffer 1.a. in Höhe von 5000 € (Ziffer 3.), in Bezug auf die Anordnung zu Ziffer 1.b. in Höhe von 250 € (Ziffer 4.). Zudem wird eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 125 € erhoben (Ziffer 2.).
7Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus:Die Forderung einer anderen Behälterabdeckung in Ziffer 1.a. des Bescheides ergehe im Wege einer nachträglichen Anordnung gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Genehmigungsbedürftige Anlagen seien zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt nach dem Stand der Technik zu errichten und zu betreiben. Der Stand der Technik habe sich weiterentwickelt. Nach dem Erlass des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MKULNV) "Immissionsschutzrechtliche Anforderungen an Tierhaltungsanlagen" vom 19. Februar 2013 (sog. Filtererlass) seien für die Flüssigmistlagerung geschlossene Behälter erforderlich. Bei bestehenden Anlagen sei eine Nachrüstung mittels Zeltdach, Schwimmfolie oder - körper binnen Jahresfrist zu fordern.Soweit der Erlass eine abweichende Entscheidung im Einzelfall ermögliche, werde hiervon im Sinne eines gleichmäßigen Verwaltungshandelns – auch im Verhältnis zu den Berufskollegen des Klägers mit ähnlich großen Anlagen – kein Gebrauch gemacht. Die bisherige Abdeckung sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht gleich effektiv, denn diese werde beim Aufrühren und Entnehmen der Masse für längere Zeit zerstört. Durch die großen Oberflächen der Behälter würden dann nicht unerhebliche Emissionen frei. Bei der Nachrüstung mit einer der benannten Abdeckungsarten sei dies nicht mehr der Fall. Soweit der Kläger für die Güllebehälter einen Anteil von 9,5 % an der Gesamtgeruchsbelastung durch seine Anlage angebe, sei dies eine relevante Größe für ein Einschreiten mit dem Ziel einer Geruchsverminderung. Im Übrigen sei er an die Vorgaben des Erlasses gebunden; den Bedenken des Klägers gegen dessen Rechtswirksamkeit könne er nicht folgen. Sowohl die Maßnahme als solche als auch die Jahresfrist für deren Durchführung seien verhältnismäßig.Wegen der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen im Bescheid Bezug genommen.
8Gegen den am 20. Februar 2014 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 19. März 2014 die vorliegende Klage erhoben, die er umfassend begründet.
9Im Wesentlichen führt er aus, der Filtererlass sei unwirksam, denn das Land sei für solche Regelungen nicht zuständig. Der Sache nach handele es sich um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, für die § 48 BImSchG eine Zuständigkeit des Bundes vorsehe und von der dieser durch die Regelung in Ziffer 5.4.7.1 lit. h der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) vom 24. Juli 2002 abschließend Gebrauch gemacht habe. Selbst wenn die Möglichkeit ergänzender landesrechtlicher Regelungen bestünde, bedürften diese einer ausdrücklichen Ermächtigung sowie eines einheitlichen Gesetzesvollzuges durch vergleichbare Ländererlasse. Daran fehle es, insbesondere sei auf den Filtererlass des Landes Niedersachen zu verweisen, der eine vergleichbare Anforderung für Güllebehälter nicht enthalte. Zudem sei in Ziffer 5.1.1. der TA Luft bestimmt, dass neuere technische Erkenntnisse die Anforderungen der TA Luft erst dann außer Kraft setzen könnten, wenn das hierfür vorgesehene Verfahren eingehalten worden sei, woran es ebenfalls fehle. Im Übrigen verdeutliche § 48 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, dass keine über den Stand der Technik hinausgehenden Anforderungen gestellt werden dürften. Dies gelte auch für ergänzende Ländererlasse. Das Land verstoße gegen den Grundsatz der Bundestreue, wenn es weitergehende Anforderungen stelle, welche noch dazu zu unterschiedlichen Handhabungen in den Bundesländern führten.
10Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht vorliegen. Die Nachrüstung der Güllebehälter sei zur Umsetzung der immissionsrechtlichen Verpflichtungen des § 5 BImSchG nicht erforderlich. Der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG stehe nicht in Rede. Die Anordnung sei aber auch als Vorsorgemaßnahme gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht rechtmäßig. Das Maß der Vorsorge sei durch den Stand der Technik begrenzt. Die vom Beklagten geforderten Abdeckungen für die Güllebehälter seien nicht allein die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen. Es komme nicht allein auf das technisch Machbare an, sondern auch auf die Frage der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Wirtschaftlichkeit der geforderten Maßnahme. Es sei darauf hinzuweisen, dass das BVT-Merkblatt "Beste Verfügbare Techniken der Intensivhaltung von Geflügel und Schweinen" von Juli 2003 neben den vom Beklagten vorgegebenen Abdeckungen auch eine Strohhäckseldecke oder eine natürliche Schwimmschicht als geeignet ansehe. Gleiches gelte für die TA Luft. Die Auswahl habe nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen.
11Es lasse sich nicht einwenden, die vorgenannten Vorgaben seien überholt. Die Empfehlungen in BVT-Merkblättern seien so lange maßgeblich, bis sie in einem dafür vorgesehenen Verfahren überarbeitet worden seien. Ein Abweichen von den Vorgaben der TA Luft stelle nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hohe Anforderungen und erfordere einen Vergleich des Erkenntnisstandes bei Erlass der TA Luft mit dem aktuellen Stand der Technik, um beurteilen zu können, ob sich in diesem Sinne wesentliche Änderungen ergeben haben. Der Begründung des Bescheides lasse sich hierfür nichts entnehmen.
12Die geforderten Maßnahmen seien nicht nur rechtlich sondern auch tatsächlich anzugreifen. Die Errichtung eines Zeltdaches sei dem Kläger technisch unmöglich, weil der erforderliche Mittelpylon in das Fundament einzulassen sei. In der Folge werde die Bodenplatte undicht. Jedenfalls sei diese Variante wegen der sich aus dem Kostenvoranschlag vom 21. März 2014 (Blatt 81 f der Gerichtsakte) ergebenden Kosten von rund 36.000 € unverhältnismäßig, zumal der kleinere Reservebehälter ohnehin in der Regel nur einmal jährlich genutzt werde. Auch bezüglich der Abdeckung durch Schwimmfolie und Schwimmkörper bestünden technische Bedenken. Nach einem Vermerk der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 2014 würden Schwimmkörper nicht empfohlen (vgl. Blatt 80 der Gerichtsakte), weil diese auf der sich in den Behältern bildenden natürlichen Schwimmdecke keine Haftung hätten. Die Schwimmfolie unterliege unter mehreren Aspekten Bedenken, insbesondere sei zu befürchten, dass das erforderliche Hochfahren des Rührwerks diese beschädige.
13Weiter sei einzuwenden, dass der Beklagte das ihm nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eröffnete Ermessen nicht, jedenfalls nicht fehlerfrei ausgeübt habe. Eine Auseinandersetzung mit den technischen Defiziten der geforderten Abdeckungen fehle ebenso wie eine Kosten-Nutzenbewertung sowie eine Einzelfallbetrachtung in Bezug auf den Anlagenstandort. Anhaltspunkte für eine Belästigung der Nachbarschaft seien dem Kläger nicht bekannt.
14Der Kläger beantragt,
15den Bescheid des Beklagten vom 18. Februar 2014 aufzuheben.
16Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Zur Begründung verweist er auf einen ergänzenden Erlass des MKULNV vom 14. April 2014 (Blatt 114 f der Gerichtsakte). Danach lägen neue Erkenntnisse vor, wonach der in der TA Luft angenommene Emissionsminderungsgrad von 80 % nicht mehr dem Stand der Technik entspreche, insbesondere weil eine natürliche Schwimmschicht oder Strohhäckselschicht beim Aufrühren der Masse für mehrere Tage durchbrochen werde. Nach einem Forschungsbericht des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahr 2011 könnten mit Schwimmfolie und Schwimmkörpern eine Geruchsminderung von 85 %, mit Zeltdach oder Betondecke eine solche von 90 % erreicht werden. Die Investitionskosten für den Anlagenbetreiber seien verhältnismäßig. Dies werde in dem Forschungsbericht "Wirtschaftliche Bewertung von Maßnahmen zur Verminderung der Emissionen aus der Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen" der Fachhochschule Südwestfalen bestätigt.
19Soweit der Kläger Ermessensfehler rüge, sei auf die Einzelfallabwägung im Bescheid zu verweisen. Jeder Einzelfall in seinem Zuständigkeitsbereich sei geprüft worden. Wegen der Größe der Güllelagerbehälter, die mit einem Anteil von 9,5 % zu den Geruchsemissionen der Gesamtanlage beitragen, halte er eine Abdeckung für erforderlich. Im Radius von 300 Metern befänden sich zahlreiche Wohnhäuser, vereinzelt sei es auch zur Nachbarbeschwerden gekommen. Er halte die Anordnungen somit auch zum Schutze der Nachbarschaft für erforderlich.
20Der Kläger erwidert, der Beklagte habe auch in Würdigung der ergänzenden Unterlagen nicht dargelegt, dass die bislang geforderte Geruchsminderungsrate von 80 % nicht mehr dem Stand der Technik entspreche. Es sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass nach der im ergänzenden Erlass vom 14. April 2014 wiedergegebenen Tabelle des UBA der Minderungsgrad zwischen einer Abdeckung mit Schwimmfolie oder -körpern lediglich 5 % höher sei im Vergleich zu einer Abdeckung mit Strohhäckseln. Es sei fraglich, ob ein solcher Unterschied überhaupt wahrnehmbar sei.Soweit der Beklagte davon ausgehe, dass bei der Ausbringung der Gülle die Behälterabdeckung für mehrere Tage zerstört werde, sei dies falsch. Der Kläger fahre nur an rund acht Tagen jährlich Gülle aus. Die Schwimmdecke sei jeweils bereits nach einem halben Tag wieder so verfestigt, dass am Behälter selbst kein Geruch wahrnehmbar sei. Eine Belästigung der Nachbarschaft sei auszuschließen. In Hauptwindrichtung (Südwest) sei keine Wohnnutzung vorhanden, im Übrigen nehme der Kläger so weit wie möglich Rücksicht auf die Belange der Nachbarschaft.
21Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakte, Heft 1) Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:Die zulässige Klage ist begründet.
23Der Bescheid des Beklagten vom 18. Februar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).Die Anordnung einer veränderten Behälterabdeckung mit den zu Ziffer 1.a. des Bescheides vorgegebenen Varianten erweist sich in materieller Hinsicht als nicht rechtmäßig. In der Folge ist nicht nur diese sondern sind auch die darauf aufbauenden weiteren streitgegenständlichen Regelungen zu Ziffer 1.b. und Ziffer 2. bis 4. des Bescheides aufzuheben.
24Der Beklagte stützt die Anordnung zu Ziffer 1.a. seines Bescheides auf § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Danach können zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichte nach Erteilung der Genehmigung sowie einer nach § 15 Abs. 1 angezeigten Änderung Anordnungen getroffen werden.
25Der unter Ziffer 1.a. des Bescheides angeordneten Maßnahme liegt keine immissionsrechtliche Verpflichtung des Klägers zu Grunde. Der Beklagte darf vom Kläger keine Abdeckung fordern, die eine mehr als achtzigprozentige Geruchsminderung sicherstellt (dazu zu 1.). Darüber hinaus – und die vorliegende Entscheidung selbständig tragend – ist die Anordnung zu Ziffer 1.a. des Bescheides aufzuheben, weil der Beklagte sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (dazu zu 2.)
261. Der Kläger ist nicht verpflichtet, seine Güllelagerbehälter mit einer Abdeckung nachzurüsten, die eine mehr als achtzigprozentige Geruchsminderung sicherstellt.
27Aufgrund des BImSchG besteht eine solche Verpflichtung nicht. Soweit nach Ziffer 2 des Filtererlasses – einer landesrechtlichen Verwaltungsvorschrift – weitergehende Anforderungen gestellt werden, kommt diesen keine verbindliche Wirkung zu.
28Die Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen sind in § 5 BImSchG konkretisiert.
29Die Anordnung zu Ziffer 1.a. des Bescheides kann nicht auf die sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ergebende Schutzpflicht gestützt werden. Die Zumutbarkeitsbewertung im Sinne dieser Norm ist eine abwägende Entscheidung und setzt die Zuordnung von Emissionen zu bestimmten Immissionsorten voraus. Hierfür ist dem Bescheid nichts zu entnehmen und hierauf war das Vorgehen des Beklagten auch nicht gerichtet. Ihm ging es um die Durchsetzung der im Filtererlass vorgesehenen Maßnahme aufgrund eines vom Erlassgeber angenommenen weiterentwickelten Standes der Technik und damit um die Durchsetzung einer Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Danach sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik (vgl. § 3 Abs. 6 BImSchG) entsprechenden Maßnahmen. Diese Pflicht steht selbständig neben der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und umfasst die Vorsorge gegen das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen, und zwar vor allem durch Maßnahmen an der Quelle, also durch Emissionsbegrenzungen.
30Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17. Februar 1984– 7 C 8/82 –, Juris.
31Die Vorsorgepflichten sind durch Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG oder durch Verwaltungsvorschriften zu konkretisieren.
32BVerwG a.a.O. und Urteil vom 23. Juli 2015 – 7 C 10.13 –, Juris,Feldhaus, BImSchG, Loseblattsammlung Stand Juli 2015, § 5 Rn. 7,Jarass, BImSchG, 8. Auflage, München 2010, § 5 Rn. 66 ff.
33Einer solchen bedarf es nur dann nicht, wenn über Vorsorgemaßnahmen mit Blick auf die Immissionssituation im Einzelfall in unmittelbarer Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG entschieden werden soll.
34BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2015 – 7 C 10.13 –, Juris.
35Zur Konkretisierung der Vorsorgepflichten enthält die TA Luft in Ziffer 5.4.7.1 Vorgaben für die Anlagengestaltung bei Nutztieren, insbesondere – zu lit. h) – auch Vorgaben für die Lagerung von Flüssigmist. Danach soll die Lagerung von Flüssigmist (außerhalb des Stalles) in geschlossenen Behältern erfolgen oder es sind gleichwertige Maßnahmen zur Emissionsminderung anzuwenden, die einen Emissionsminderungsgrad bezogen auf den offenen Behälter ohne Abdeckung von mindestens 80 vom Hundert der Emissionen an geruchsintensiven Stoffen und an Ammoniak erreichen. Die Regelung gibt als Alternativen eine Lagerung in geschlossenen Behältern oder gleichwertige Maßnahmen mit einer gewissen Effizienz vor, ohne diese weiter zu bezeichnen. Die Auswahl der konkreten Behälterabdeckung ist damit in das unternehmerische Ermessen des Anlagenbetreibers gestellt. Erforderlich ist allein, dass sie den vorgegebenen Emissionsminderungsgrad erreicht. Genehmigungsrechtlich wurde diese Vorgabe im Betrieb des Klägers in Ziffer 2.5. des Genehmigungsbescheides vom 15. Jul 2010 umgesetzt.
36Der Beklagte und auch das Gericht sind grundsätzlich an die Vorgaben der TA Luft gebunden. Der TA Luft kommt als sog. normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift (häufig auch als antizipiertes Sachverständigengutachten bezeichnet) Außenwirkung zu. Die Immissionsschutzbehörden sind regelmäßig nicht befugt, entgegenstehende oder weitergehende Regelungen zu treffen.
37BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 – 7 C 21/00 –, Juris.
38Zwar lässt § 48 BImSchG das Recht der Länder, Verwaltungsvorschriften zu erlassen, grundsätzlich unberührt. Nur soweit wirksame bundesrechtliche Verwaltungsvorschriften bestehen und abschließenden Charakter haben, sind landesrechtliche Regelungen ausgeschlossen bzw. unwirksam.
39Jarass, BImSchG, 8. Auflage, München 2010, § 48 Rn. 3; Feldhaus, BImSchG, Loseblattsammlung, Stand März 2015, § 48 Ziffer 8.
40Die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von den Vorgaben der TA Luft, d.h. für die Überwindung ihrer Bindungswirkung sind hier aber nicht gegeben. Das BVerwG führt in seinem Urteil vom 21. Juni 2001 – 7 C 21/00 –, Juris,
41hierzu aus:
42"Wegen der oben dargestellten normkonkretisierenden Funktion der TA Luft, die auf dem in ihr zum Ausdruck kommenden wissenschaftlich-technischen Sachverstand beruht und zugleich der auf der Grundlage der Anhörung von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Wirtschaft und der für den Immissionsschutz zuständigen obersten Landesbehörden (vgl. § 51 BImSchG) vorgenommenen Einschätzung des Vorschriftengebers Rechnung trägt, stellt das Abrücken von den in ihr niedergelegten Standards hohe Anforderungen an die dafür erforderliche Tatsachengrundlage. Nur g e s i c h e r t e Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik können die Regelungen der TA Luft obsolet werden lassen, wenn sie den ihnen zu Grunde liegenden Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen den Boden entziehen. Das heißt, der Erkenntnisstand bei Erlass der TA Luft und dessen seinerzeitige technische Umsetzung müssen mit dem jetzigen Stand der Technik verglichen werden, um beurteilen zu können, ob sich in diesem Sinne wesentliche Änderungen ergeben haben.
43...
44Selbst das Vorhandensein zahlreicher Anhaltspunkte für eine Weiterentwicklung der Emissionstechnik, soweit es die Abscheidung von Staub betrifft, entbindet nicht davon, eine Gegenüberstellung der seinerzeitigen mit der heutigen Situation vorzunehmen, die nicht nur die technische Machbarkeit emissionsbegrenzender Maßnahmen, sondern vor allem den dafür notwendigen wirtschaftlichen Aufwand erfasst."
45Danach sind die Anordnungen zur Gestaltung der Abdeckungen von Güllelagerbe-
46hältern im Filtererlass unbeachtlich, denn sie gehen über die Anforderungen der TA Luft hinaus ohne hinreichend darzulegen, dass diese als Überholt anzusehen sind.
47Nach Ziffer 2 des Filtererlasses ist bei bestehenden Anlagen, die noch keinen geschlossenen Behälter zur Güllelagerung haben oder über keine Abdeckung mit einem Zeltdach, einer Schwimmfolie oder mit Schwimmkörpern verfügen, eine Nachrüstung mit einer der vorgenannten Maßnahmen nachträglich innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Erlasses anzuordnen. Damit löst sich der Erlassgeber von der Konzeption der TA Luft, die dem Betreiber lediglich das Regelungsziel – den Effizienzgrad der Abdeckung von 80 % – vorgibt. Er fasst die Anforderungen inhaltlich enger und gibt dem Anlagenbetreiber konkrete Abdeckungsarten vor. Der Hintergrund dieser Regelung wird aus dem ergänzenden Erlass vom 14. April 2014 deutlich, indem dort ausgeführt wird, dass die geforderten Abdeckungsarten den Geruchsausstritt effizienter mindern – geschlossener Behälter (Betondecke): Minderungsgrad 90 %; Zeltdach: Minderungsgrad 90 %; Schwimmfolie bzw. Schwimmkörper: Minderungsgrad 85 % – als die Abdeckung durch eine natürliche Schwimmdecke oder durch Strohhäcksel, weil der Effizienzgrad von 80 % nicht durchgängig erreicht werde.
48Der Beklagte hat damit aber nicht ausreichend dargelegt, dass die Vorgaben der TA Luft als überholt anzusehen sind. Soweit der Tabelle im ergänzenden Erlass vom 14. April 2014 Effizienzwerte für die unterschiedlichen Behälterabdeckungen zu entnehmen sind - für die Schwimmfolie bzw. die Schwimmkörper von 85% -, fehlt es jedenfalls an einem Vergleich zwischen dem Erkenntnisstand bei Erlass der TA Luft im Jahr 2002 und dem jetzigen Erkenntnisstand. Ein solcher ist nicht etwa entbehrlich, weil die Erkenntnisse zu den Effizienzgraden der unterschiedlichen Abdeckarten neu wären. Den Verfassern der TA Luft waren diese dem Grunde nach durchaus bekannt. Das zeigt schon Ziffer 5.5.7.1 lit. h mit seiner Forderung nach einer Abdeckung, die eine Geruchsminderung von mindestens 80 % sicherstellt und ergibt sich zudem aus der in Fußnote 38 wiedergegebenen Begründung dieser Regelung, der eine gewisse Präferenz für die geschlossene Abdeckung zu entnehmen ist, denn diese wird dort als die wirksamste Methode zur Emissionsminderung bezeichnet. Letztere Erwägung zeigt zudem, dass die Verfasser der TA Luft sich bewusst nicht für die beste technisch machbare Lösung entschieden haben, denn neben dieser "wirksamsten Methode" haben sie es als Alternative bei der Forderung nach Abdeckarten mit dem genannten Emissionsminderungsgrad belassen.
49Die nachträgliche Anordnung in Ziffer 1.a. des Bescheides ist auch nicht aufgrund der Immissionssituation im Einzelfall gerechtfertigt.
50Daran ist zu denken, weil aus dem ergänzenden Erlass vom 14. April 2014 hervorgeht, dass die bislang von Anlagenbetreibern und auch vom Kläger praktizierte Abdeckung durch eine natürliche Schwimmdecke den geforderten Effizienzgrad von 80 % möglicherweise nicht erreicht. Eine Einzelfallentscheidung mit Blick auf die konkrete Immissionssituation der Anlage des Klägers in unmittelbarer Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG hat der Beklagte aber nicht getroffen. Er wollte mit den geforderten Maßnahmen nicht die Verpflichtung einer Abdeckung mit einem Effizienzgrad von 80 % – wie sie im Genehmigungsbescheid des Klägers festgeschrieben ist – durchsetzen, sondern auf der Grundlage des Filtererlasses eine weitergehende Geruchsminderungsrate erreichen. Im Übrigen ist die nachträgliche Anordnung kein Instrument zur Durchsetzung der Festsetzungen im Genehmigungsbescheid. Hierzu ist auf die allgemeinen Mitteln des Verwaltungszwanges, letztlich auch auf § 20 Abs. 1 BImSchG zurückzugreifen.
512. Die Regelung in Ziffer 1.a. des Bescheides vom 18. Februar 2014 ist aber auch deshalb rechtswidrig und folglich aufzuheben, weil der Beklagte das ihm nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eröffnete Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt hat.Die Ermessensentscheidung ist vom Gericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen, insbesondere also darauf, ob der Beklagte ausgehend von einem hinreichend und richtig ermittelten Sachverhalt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und sein Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise ausgeübt hat, vgl. § 114 Satz 1 VwGO.
52Der Beklagte hat sein Ermessen nicht zutreffend ausgeübt, indem er drei Abdeckungsarten für die Güllebehälter abschließend vorgegeben hat ohne ein Erfordernis für diese Begrenzung zu benennen und zu begründen.Welche Maßnahmen zur Erfüllung der Vorsorgepflicht in Frage kommen, schreibt das Gesetz nicht im einzelnen vor. Statt nur das Ziel vorzugeben, dürfen den Anlagenbetreibern auch konkrete Maßnahmen aufgegeben werde. Ihnen darf aber nicht das Recht genommen werden, die angeordnete Maßnahmen durch ein Austauschmittel zu ersetzen, das zur Erreichung des angestrebten Zwecks wenigstens gleich geeignet ist.
53BVerwG, Beschluss vom 30. August 1996 – 7 VR 2/96 –, Juris.
54Daran ändert auch nichts, dass der Filtererlass auch das Ermessen der Behörde im Sinne eines gleichheitskonformen Ermessensgebrauchs steuert. An diese Vorgaben ist der Beklagte als nachgeordnete Behörde zwar gebunden, allerdings nur soweit nicht die Einzelfallumstände eine ergänzende Abwägung erfordern. Der Filtererlass gibt dem Raum, indem dort vorgesehen ist, dass aus Verhältnismäßigkeitsgründen von einer nachträglichen Anordnung ganz abgesehen werden kann. Erst recht sind davon auch Modifizierungen hinsichtlich der Gestaltung der Abdeckarten umfasst.
55Die Begrenzung auf drei genannten Varianten im streitgegenständlichen Bescheid, ohne die Möglichkeit, Austauschmittel anzubieten, ist danach vorliegend nicht verhältnismäßig. Denn neben den drei genannten Abdeckmöglichkeiten gibt es weitere. So wird in der im ergänzenden Erlass vom 14. April 2014 wiedergegebenen Tabelle die Abdeckung durch Leichtschüttungen mit einer Effizienz von 80 % erwähnt. Es gibt auch die im Filtererlass erwähnte Möglichkeit einer geschlossenen Abdeckung mittels Betondecke, soweit der Betreiber sich für eine gänzlich neue Gestaltung der Behälter entscheidet. Zudem erwähnte der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass in der landwirtschaftlichen Literatur Konstruktionen der Betreiber "im Eigenbau" diskutiert werden. Welche dieser Möglichkeiten der Kläger verwirklichen will, ist Teil seines unternehmerischen Gestaltungspielraums, solange die gewählte Abdeckart im Vergleich mit den vom Beklagten benannten Varianten gleich geeignet ist. Die streitgegenständliche Regelung engt seinen Gestaltungsspielraum in einem nicht erforderlichen Maß ein, indem ihm keine Möglichkeit eröffnet wird, Austauschmittel anzubieten.
56Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
57Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung.Das Gericht hat von der ihm gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Möglichkeit, die Berufung zuzulassen, keinen Gebrauch gemacht, weil die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen. Das Gericht weicht weder von einer Entscheidung der in Nr. 4 genannten Gerichte ab noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Zwar dürfte die rechtliche Problematik in Bezug auf den Filtererlass eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben, den dieEntscheidung gleichfalls tragenden Erwägungen zum fehlerhaften Ermessensgebrauch kommt ein solches Gewicht jedoch nicht zu.
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