Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 11 K 4268/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Tatbestand:
2Der am °°. °°°° 1990 in S. geborene ledige Kläger, der über keine Identitätspapiere verfügt und dessen Eltern nach eigenen Angaben aus dem Libanon stammen, erhielt erstmals am 26. August 1991 eine Aufenthaltsbefugnis, die letztlich bis August 1999 verlängert wurde. Am 9. November 2000 erteilte die Beklagte dem Kläger erneut eine bis 8. Mai 2001 gültige Aufenthaltsbefugnis und schließlich am 17. Mai 2001 eine solche, die letztlich bis 28. November 2002 verlängert wurde. Am 4. Juli 2005 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis 4. Juli 2006 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Auch in den Folgejahren erhielt der Kläger, der SGB II-Leistungen bezog und abgesehen von einem von ihm nach kurzer Zeit abgebrochenen sog. Werkstattjahr und einer vom Arbeitsamt vermittelten, vom Kläger nach 6 Monaten abgebrochenen 1€-Maßnahme nicht erwerbstätig gewesen ist, eine Aufenthaltserlaubnis. Letztmalig erhielt er am 16. Mai 2011 eine bis 16. Mai 2012 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG.
3Am 23. Januar 2012 wurde der Kläger festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Am 27. Juni 2012 verurteilte das Landgericht C. (Az.: II-3 KLs-47 Js 9/12-8/12) den Kläger wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, des besonders schweren Raubes in 6 Fällen, des schweren Raubes, der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung sowie des versuchten besonders schweren Raubes zu 6 Jahren und 11 Monaten Freiheitsstrafe. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der spielsüchtige Kläger – der zur Finanzierung seiner Spielsucht Schulden machte - zusammen mit seinem Bruder und seinem Neffen von Dezember 2011 an zahlreiche Spielhallen überfallen hatten, bei denen die jeweilige Aufsicht wiederholt mit einem Messer bedroht worden ist. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
4Am 22. August 2012 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Die Beklagte erteilte dem Kläger in der Folgezeit mit Blick auf die Verspätung der Antragstellung laufend Duldungen.
5Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 5.Juli 2013 zur Ausweisung und zur Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis an. Der Kläger bat die Beklagte mit Blick auf seine Geburt in Deutschland, welches er als sein Heimatland ansehe, und auf Fortschritte im Strafvollzug um die Abstandnahme von der Ausweisung.
6Auf Ersuchen der Beklagten gab der Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) C. am 22. Januar 2014 eine Legalprognose bezüglich des Klägers ab. Hiernach geht aus dem Vollzugsplan hervor, dass der Kläger seine Spielsucht bislang nicht reflektiert habe. Im Vorfeld von Lockerungen sollten reflektierende Gespräche stattfinden, um dem Kläger das Ausmaß der Spielsucht und die Rückfallgefahr zu verdeutlichen. Im Übrigen bestehe beim Kläger eine Affinität zu Cannabis und Kokain. Der psychologische Dienst führte aus, dass es erforderlich erscheine, dass der Kläger sich im Haftverlauf mit seinen tatrelevanten Einstellungen und Persönlichkeitsanteilen auseinandersetze. Der Kläger erscheine indes wenig behandlungsmotiviert. Zu einer Teilnahme am sozialen Training habe er sich nach anfänglichen Widerständen überzeugen lassen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Legalprognose Bezug genommen. Der wegen der Spielsucht des Klägers eingeschaltete Suchtberater Herr L. vom Caritas-Suchthilfezentrum C. teilte am 8. Juli 2014 ergänzend mit, dass dem Kläger, der seit Januar 2014 an Einzelgesprächen teilnähme, sich den Hintergründen seines spielsüchtigen Verhaltens mehr annähere. Ihm sei bewusst geworden, dass die Abstinenz von Spielen die Voraussetzung für die Erreichung seiner weiteren Lebensziele sei und er professionelle Hilfe nach seiner Haftentlassung in Anspruch nehmen sollte.
7Bereits am 26. März 2014 hatte der Kläger einen weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt.
8Mit Bescheid vom 11. September 2014 wies die Beklagte den Kläger mit Blick auf seine Straftaten und die angenommene Wiederholungsgefahr unter Würdigung persönlicher Belange auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK nach § 53 AufenthG, jedoch mit Blick auf den Schutzbereich des Art. 8 EMRK nach Ermessen aus, befristete die Wirkungen der Sperrfrist der Ausweisung auf fünf Jahre und lehnte zugleich die Anträge vom 16. August 2012 und vom 26. März 2014 auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
9Am 19. September 2014 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt ergänzend vor, dass schutzwürdige Bindungen zu seiner Herkunftsfamilie beständen. Er setze sich auch mit seiner Spielsucht auseinander. Die Verurteilung habe er sich zur Warnung dienen lassen. Er habe das Ziel der Absolvierung einer Ausbildung. Die fehlenden wirtschaftlichen Aktivitäten könnten ihm nicht vorgeworfen werden, da er kurz nach der Volljährigkeit straffällig geworden und inhaftiert worden sei. Die fehlende Identitätsklärung könne ihm nicht vorgehalten werden, da er sich heute nicht mehr registrieren lassen könne und ihm nicht vorzuwerfen sei, dass seine Eltern, als er noch ein Kleinkind gewesen sei, ihn nicht im Libanon registriert hätten. Die vorliegenden Umstände ließen auch keine große Gefahr der Begehung von Straftaten erkennen.
10Der Kläger beantragt,
11die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 11. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung bezüglich der Befristung der Sperrwirkung zu verpflichten sowie die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,
12hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine humanitäre Duldung zu erteilen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Die Beklagte trägt ergänzend vor, der Kläger sei weder wirtschaftlich noch sozial umfänglich integriert. Es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungsgefahr für weitere Straftaten. Es bestehe die Spielsucht des Klägers fort, gegen die der Kläger noch keine Therapie begonnen und abgeschlossen habe. Mit Blick auf die Novellierung des § 11 AufenthG hat die Beklagte ausgeführt, dass die Wirkung der Ausweisung unter Ausübung des Ermessens auf fünf Jahre befristet werde. Dem liege zugrunde, dass der Kläger wegen schwerer Straftaten ausgewiesen worden sei und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungsgefahr bestehe. Der Kläger sei weder wirtschaftlich noch sozial integriert.
16Mit Beschluss vom 9. Februar 2015 hat das Gericht das Verfahren auf den Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat eine an das Landgericht C. gerichtete Stellungnahme des Leiters der JVA C. vom 15. Juni 2015 gemäß § 57 Abs. 2 StGB beigezogen. Der dortige psychologische Dienst hat ausgeführt, dass eine therapeutische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Gewaltstraftat noch nicht stattgefunden habe. Er präsentiere sich als nachreifungsbedürftig. Eine vorzeitige Entlassung sei aus psychologischer Sicht nicht zu befürworten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom 15. Juni 2015 Bezug genommen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage ist bezüglich des Hauptantrages, soweit dieser sich gegen Ziffern 1. und 3. der Verfügung der Beklagten vom 11. September 2014, richtet, zulässig, aber unbegründet. Der gegen Ziffer 2. der Verfügung der Beklagten gerichtete Antrag betreffend die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung kann sachgerecht nur als Hilfsantrag zum gegen die Ausweisung gerichteten Hauptantrag gestellt werden und nicht als daneben stehender Hauptantrag. Denn im Falle der erfolgreichen Klage gegen die Ausweisung wäre für den Antrag auf Befristung der Sperrwirkungen der Ausweisung kein Raum. Mit Blick darauf, dass der Antrag auf eine Neubescheidung der Befristung der Sperrwirkungen der Ausweisung konkludent als Hilfsantrag im gegen die Ausweisung gerichteten Antrag enthalten ist, legt die Kammer den Antrag auf Aufhebung der Befristung und eine entsprechende Neubescheidung als Hilfsantrag aus. Dieser Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
20Der weitere Hilfsantrag, mit dem eine Duldung des Klägers erstrebt wird, ist bereits unzulässig.
21Die unter Ziffer 1. der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 11. September 2014 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
22Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG.
23Nach § 53 Nr. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden oder bei der der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.
24Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regelung liegen vor. Denn der Kläger ist wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren verurteilt worden. Er ist durch Urteil des Landgerichts C. vom 27. Juni 2012 (Az.: II-3 KLs-47 Js 9/12-8/12) wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, des besonders schweren Raubes in 6 Fällen, des schweren Raubes, der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung sowie des versuchten besonders schweren Raubes zu 6 Jahren und 11 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
25Dem Kläger steht kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu, insbesondere liegen die hier allein in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor.
26Besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG genießt, wer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Hier fehlt es an der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger hatte nämlich zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 11. September 2014 keine Aufenthaltserlaubnis mehr gehabt. Die letzte ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis – vom 16. Mai 2011 – galt nur bis zum 16. Mai 2012. Seither hat er bis heute keine Aufenthaltserlaubnis mehr gehabt. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sein von ihm am 22. August 2012 gestellter Antrag auf Gewährung eines Aufenthaltstitels eine Fortgeltungswirkung seines bisherigen Aufenthaltstitels gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG bewirkt hat. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob eine Fiktionswirkung insoweit dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gleichgestellt werden kann. Denn der erst mehr als drei Monate nach Ablauf des vorherigen Aufenthaltstitels gestellte Aufenthaltserlaubnisantrag hat keine Fortgeltungswirkung ausgelöst. Eine Fortgeltungswirkung tritt nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nur dann ein, wenn der Ausländer vor dem Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt hat, was hier wegen der Beantragung nach dem Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis nicht der Fall ist.
27Vorliegend fehlt auch jeglicher Anhaltspunkt für die Anordnung der Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG. Diese Regelung bestimmt, dass bei einer verspäteten Stellung des Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen kann. Die Beklagte hat hier keine Fortgeltungswirkung angeordnet. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für diese Anordnung nicht vor. Eine unbillige Härte kann anzunehmen sein, wenn die Verlängerung aus Gründen mangelnden Verschuldens oder aufgrund leichter Fahrlässigkeit verspätet beantragt worden war und die Betroffenen auf die Fortgeltung angewiesen sind,
28vgl. Fritz/Vormeier (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz(GK)/Funke-Kaiser, Stand: Oktober 2015, § 81 AufenthG Rn 106.
29Für eine unbillige Härte ist hier nichts ersichtlich, denn es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger unverschuldet oder jedenfalls nur leicht fahrlässig den Aufenthaltserlaubnisantrag verspätet eingereicht hat. Hiergegen spricht vielmehr, dass es sich vorliegend um eine gravierende Verspätung nicht von wenigen Tagen, sondern von über drei Monaten handelt, für die ein tragfähiger Grund weder vorgetragen noch erkennbar ist.
30Der „Ist“-Ausweisung auf der Rechtsgrundlage des § 53 Nr. 1 AufenthG steht nicht entgegen, dass im Fall des Klägers der Schutzbereich des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK eröffnet sein dürfte.
31Dabei ist das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln,
32vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – Große Kammer -, Urteil vom 13. Februar 2003 – 42326/98 –, NJW 2003, 2145 ff.,
33und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen.
34Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft u.a. für die öffentliche Ruhe und Ordnung notwendig ist. Ein Eingriff ist notwendig für die öffentliche Ordnung, wenn er einem dringenden sozialen Bedürfnis entspringt,
35vgl. EGMR, Urteil vom 21. Juni 1988 – 3/1987/126/177 – (Berrehab), Informationsbrief Ausländerrecht (InfAuslR) 1994, 84 (86).
36Es entspricht einem dringenden sozialen Bedürfnis der Bundesrepublik Deutschland, dass sich die Einreise und der Aufenthalt von Ausländern in geordneten, vom Aufenthaltsgesetz vorgegebenen Bahnen vollziehen und dass Ausländer, die keinen Anspruch auf die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis haben, die Bundesrepublik Deutschland alsbald wieder verlassen.Die Konvention verbietet es den Vertragsstaaten nicht, die Einreise und die Dauer des Aufenthalts von Ausländern zu regeln.
37Im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zu ermitteln, ob dem Ausländer wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit nicht zugemutet werden kann. In diesem Zusammenhang ist seine Rechtsposition gegenüber dem Recht der Bundesrepublik auf Einwanderungskontrolle in einer Weise abzuwägen, dass ein ausgewogenes Gleichgewicht der beiderseitigen Interessen gewahrt ist,
38vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 8. Dezember 2006 – 18 A 2644/06 –.
39Insoweit ist zum einen in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Dabei sind als Gesichtspunkte seine wirtschaftliche und soziale Integration, sein rechtlicher Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland, seine Kenntnisse der deutschen Sprache und seine persönliche Befähigung von Bedeutung. Zum anderen ist zu fragen, inwieweit der Ausländer – unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung – von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist,
40vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Dezember 2006 – 18 A 2644/06 –.
41Hierbei gilt, dass Art. 8 EMRK auch im Land des jetzigen Aufenthalts geborenen und aufgewachsenen Ausländern der sog. zweiten Generation kein absolutes Bleiberecht gewährt. Auch bei Ausländern der zweiten Generation sind eine einzelfallbezogene Würdigung der öffentlichen Interessen und der gegenläufigen Interessen des Ausländers und deren Abwägung geboten. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung sind auch als Kriterien einzustellen: Die Art und Schwere der von dem Ausländer begangenen Straftaten, die seit der Tatbegehung verstrichene Zeit und das Verhalten des Ausländers während dieser Zeit,
42vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2012 – 18 A 951/09 -.
43Der Bedeutung durch die Vorschriften der EMRK geschützter Belange kann bei einer zwingenden Ausweisung ‑ anders als bei den durch ein Regel-Ausnahme-Verhältnis geprägten Ausweisungen nach § 54 AufenthG ‑ durch eine Einzelfallprüfung hinreichend Rechnung getragen werden,
44vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. Juli 2012 ‑ 18 A 1450/09 ‑; Beschluss vom 28. November 2014 – 18 E 1269/13 -, und Verwaltungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2011 ‑ 11 S 1929/11 ‑, InfAuslR 2012, 1.
45Zur weiteren Begründung nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen des OVG NRW in seinem Beschluss vom 28. November 2014 – 18 E 1269/13 -:
46„Denn die Anwendung des Stufensystems der §§ 53 ff. AufenthG entbindet die Ausländerbehörden nicht davon, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften die Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen. Nur diese Prüfung kann sicherstellen, dass die Verhältnismäßigkeit als allgemeiner verfassungsrechtlicher Maßstab, nach dem das auch auf Ausländer zur Anwendung kommende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt werden darf, gewahrt bleibt. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gelten, sind auch hier heranzuziehen.
47Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. August 2007 ‑ 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300, Rn. 19; Senatsbeschluss vom 26. Mai 2009 - 18 E 1230/08 -, AuAS 2009, 184; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. Mai 2012 ‑ 7 A 11425/11 ‑, juris, Rn. 7; Discher, in GK-AufenthG, Stand Juni 2009, Vor. §§ 53 ff., Rn. 413 ff., Armbruster, HTK-AuslR / § 53 AufenthG / Allgemein 11/2011 Nr. 3.
48Nichts anderes ergibt sich, soweit die Verpflichtung zur Einzelfallprüfung im Falle einer zwingenden Ausweisung rechtsdogmatisch aus § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK hergeleitet wird.
49Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2011 - 11 S 1929/11 -, InfAuslR 2012, 1; VG Oldenburg, Urteil vom 18. April 2012 - 11 A 1369/11 -, juris, Rn. 25; vgl. auch Naumann, Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen gebundener Entscheidungen, DÖV 2011, 96.“
50Die Ausweisung des Klägers ist gemessen an Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig. Der Eingriff in das Recht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ist als statthaft anzusehen.
51Die Beklagte hat in der angefochtenen Verfügung auf S. 6, letzter Absatz bis S. 8, 1. Absatz die wesentlichen Belange angeführt, die hier zu Ungunsten des Klägers zu würdigen sind. Es ist dort dargelegt, dass zugunsten des in Deutschland geborenen Klägers seine hier stattgefundene Sozialisation und sein 10-jähriger – mit dem Hauptschulabschluss abgeschlossener - Schulbesuch sprechen, daneben sind zu seinen Gunsten die langjährige Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts und die familiären Belange zu nennen. Wie die Beklagte in der Klageerwiderung zutreffend ausgeführt hat, ist jedoch den Bindungen des volljährigen, ledigen Klägers zu seiner Familie im Vergleich zu denen eines minderjährigen Kindes ein geringeres Gewicht zuzumessen. Mit Erlangung der Volljährigkeit tritt die vollständige rechtliche Selbständigkeit in allen Lebensbereichen ein und die bis dahin bestehende elterliche Sorge entfällt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger als inzwischen 25-jähriger Mann auf die Kontakte zu den Eltern und Geschwistern in einem das normale Maß einer Begegnungsgemeinschaft übersteigenden Umfang angewiesen ist, die nicht auch vom Ausland her weiter aufrecht erhalten werden können; das Gleiche gilt umgekehrt.
52Zu Lasten des Klägers spricht, dass er wirtschaftlich nicht integriert war und ist. Wie in der Ordnungsverfügung zutreffend angegeben, war der Kläger in der Vergangenheit seit der Schulentlassung im Jahre 2009 nicht daran interessiert, sich zu qualifizieren, eine Berufsausbildung zu absolvieren oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vielmehr hat er zwei begonnene Maßnahmen nach kurzer Zeit wegen Interessen- bzw. Lustlosigkeit abgebrochen. Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist bei den fehlenden wirtschaftlichen Bindungen nicht zu seinen Gunsten zu würdigen, dass er kurz nach Eintritt der Volljährigkeit straffällig geworden und dann inhaftiert worden sei. Denn zum Einen ist der Kläger nicht kurz nach Eintritt der Volljährigkeit inhaftiert worden, sondern mehr als drei Jahre später. Zum Anderen sind die von ihm begangenen Straftaten und die hierdurch verbundene Inhaftierung mit der Konsequenz der fehlenden wirtschaftlichen Integration ihm vorzuwerfen und zu seinen Lasten zu würdigen.
53Einer Integration des Klägers steht in erheblichem Maße entgegen, dass dieser sich in gravierender Weise strafbar gemacht und sich nicht in das Rechtssystem der Bundesrepublik integriert hat.
54Der Kläger wurde vom Landgericht C. mit Urteil vom 27. Juni 2012 wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, des besonders schweren Raubes in 6 Fällen, des schweren Raubes, der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung sowie des versuchten besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 11 Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der spielsüchtige Kläger sich mit seinem Bruder und seinem Neffen zu bewaffneten Überfällen auf Spielhallen verabredete, um seine finanziellen Verhältnisse aufzubessern. Statt sich um eine Ausbildung oder um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen und hierdurch zu gesicherten Einkünften zu kommen und seine Spielsucht zu bekämpfen, hat er zusammen mit seinem Bruder und seinem Neffen zur Verbesserung seiner finanziellen Verhältnisse in kurzer Zeit eine „Raubserie“ von insgesamt 13 Taten begangen. Alle Raubüberfälle wurden erst begangen, nachdem festgestellt worden war, dass die weiblichen Spielhallenaufsichtspersonen allein – und damit besonders schutzlos - in den Räumlichkeiten waren. Der Kläger beging diese Straftaten, obwohl es nahe lag, dass die weiblichen Spielhallenaufsichtspersonen aufgrund der Raubüberfälle psychisch erheblich belastet werden. Tatsächlich litten noch mehrere der Überfallenen über sehr lange Zeit unter der psychischen Belastungssituation, mussten sich in psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung begeben und zum Teil sogar ihre bisherige Erwerbstätigkeit aufgeben.
55Eine Relativierung dieser Straftaten ist nicht im Hinblick auf das Alter des Klägers angezeigt. Zum Einen handelt es sich um gravierende Delikte und nicht um typische Jugendverfehlungen. Zum Anderen hat der Kläger die Straftaten als 21 Jahre alter Volljähriger begangen, für welches Erwachsenenstrafrecht einschränkungslos gilt. Das Jugendstrafrecht kann gemäß § 1 Abs. 2 JGG nur bis vor der Vollendung des 21. Lebensjahres Anwendung finden. Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinaus eine altersbedingte erhebliche Relativierung sogar nur bei Straftaten von Minderjährigen angezeigt. Bei von jungen Volljährigen im Alter ab 18 Jahre begangenen Straftaten handelt es sich hiernach nicht um in der Jugendzeit begangene Delikte, auch wenn auf die jeweiligen Täter Jugendstrafrecht angewandt worden ist,
56vgl. EGMR, Urteil vom 25. März 2010 – 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325 (326).
57Nach Auffassung der Kammer besteht auch gegenwärtig die begründete Besorgnis, dass weiterhin mit einem nicht-normkonformen Verhalten des Klägers zu rechnen ist und dieser erneut straffällig wird.
58Dem liegt zugrunde, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG),
59vgl. Urteil vom 4. Oktober 2012 – 1 C 13.11 – Entscheidungen des BVerwG (BVerwGE) 144, 230 ff.,
60ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gilt. Bei der Beurteilung, ob das persönliche Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts der Rang des bedrohten Rechtsgutes nicht außer Betracht bleiben, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind demnach umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
61Wie die Beklagte in der angefochtenen Verfügung zutreffend ausgeführt hat, geht vom Kläger weiterhin die Gefahr der Begehung von weiteren Straftaten aus. Auf die dortigen Ausführungen (S. 7, letzter Absatz bis S. 8, 1. Absatz) wird insoweit Bezug genommen. In Anbetracht der aufgrund der schweren Raubdelikte hier berührten besonders schutzwürdigen Rechtsgüter genügt insoweit selbst eine geringere Wiederholungsgefahr.
62Jedenfalls eine solche Wiederholungsgefahr besteht hier nach Auffassung der Kammer.
63Die Wiederholungsgefahr ist auch nicht mit Blick auf das Verhalten des Klägers während seiner Haftzeit entfallen. Vielmehr spricht unter Würdigung der vorliegenden Stellungnahmen des Leiters der JVA C. insbesondere die nicht therapierte Spielsucht und die unzureichende Auseinandersetzung des Klägers mit seinen Gewaltstraftaten für eine Wiederholungsgefahr. Obwohl ausweislich der Bescheinigung des Suchtberaters Herrn L. vom 8. Juli 2014 dem Kläger bewusst geworden sei, dass die Abstinenz von Spielen die Voraussetzung für das Erreichen seiner weiteren Lebensziele ist und der psychologische Dienst sich ausweislich der Legalprognose vom 22. Januar 2014 dahingehend geäußert hat, dass es erforderlich erscheine, dass der Kläger sich im Haftverlauf mit seinen tatrelevanten Einstellungen und Persönlichkeitsanteilen auseinandersetzt, hat beim Kläger nach dem in der Legalprognose dargelegten Vollzugsplan vom 3. September 2013 eine Reflektion bezüglich der Spielsucht ein Jahr und 8 Monate nach dem Beginn der Inhaftierung noch nicht stattgefunden. Dabei sollten im Vorfeld von Lockerungen reflektierende Gespräche stattfinden, um dem Kläger das Ausmaß der Spielsucht und die Rückfallgefahr zu verdeutlichen. Im Weiteren hat der psychologische Dienst ausgeführt, dass der Kläger wenig behandlungsmotiviert erscheint und er sich zu einer Teilnahme am Sozialen Training erst nach anfänglichen Widerständen habe überzeugen lassen. Zudem besteht hiernach beim Kläger eine Affinität zu Cannabis und Kokain.
64Ausweislich der in der – gemäß § 57 Abs. 2 StGB abgegebenen - Stellungnahme des Leiters der JVA C. vom 15. Juni 2015 enthaltenen Stellungnahme des dortigen psychologischen Dienstes hat sogar fast drei Jahre nach seiner Verurteilung keine – als erforderlich anzusehende – therapeutische Auseinandersetzung mit der Gewaltstraftat stattgefunden. Der Kläger sei zwar freundlich, aber immer noch eher ungeduldig und nachreifungsbedürftig. Eine vorzeitige Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt wurde vom psychologischen Dienst nicht befürwortet.
65Es ist ferner nicht erkennbar, dass dem Kläger ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit nicht zugemutet werden könnte. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass ihm – der noch nie im Libanon gelebt hat und dessen Eltern und Geschwister in Deutschland leben - dies nicht leicht fallen wird, ist nicht ersichtlich, dass ein Aufenthalt dort für ihn mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden ist. Der Unzumutbarkeit des Lebens im Land seiner Staatsangehörigkeit steht entgegen, dass davon auszugehen ist, dass der Kläger die im Libanon gesprochene Sprache „arabisch“ spricht, da er diese für die Kommunikation mit seinen Eltern benötigt, die ausweislich einer im Verwaltungsgericht Gelsenkirchen anberaumten mündlichen Verhandlung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 17 K 1346/97 am 13. Juni 2001 einen Dolmetscher für die arabische Sprache benötigt haben. Es ist auch davon auszugehen, dass ihm über seine Eltern zumindest die Grundzüge der heimatlichen Kultur vermittelt worden sind. Aufgrund seines Alters von erst 25 Jahren ist es ihm auch grundsätzlich zumutbar, eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen.
66In Anbetracht dieser eindeutig zu Lasten des Klägers sprechenden Umstände kann offen bleiben, ob auch die fehlenden Passbeschaffungsbemühungen dem Kläger vorzuhalten sind.
67Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung des OVG NRW,
68vgl. Beschluss vom 29. April 2015 – 18 A 1061/14 -,
69nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte vorsorglich das Ermessen ausgeübt hat. Auch wenn diese Ermessensausübung – wie oben dargelegt – hier nicht erforderlich gewesen ist, stellt diese keinen Grund dafür dar, die Ausweisung aufzuheben. Denn der Kläger – dessen Ausweisung nach § 53 AufenthG unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtmäßig ist - wird durch diese zusätzliche Ermessensausübung nicht in seinen Rechten beeinträchtigt.
70Soweit der Kläger die Aufhebung der von der Beklagten unter Ziffer 2. ihrer Verfügung vom 11. September 2014 geregelten Befristung der Wirkung der Ausweisung und eine Neubescheidung beantragt hat, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg.
71Die von der Beklagten unter Ziffer 2. ihrer Verfügung vom 11. September 2014 getroffene Befristungsentscheidung auf fünf Jahre (nach der Ausreise) ist gegenwärtig nicht zu beanstanden; sie ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, der Kläger hat keinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf weniger als fünf Jahre (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
72Die Wirkungen der Ausweisung sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu befristen.
73Ausländer haben einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Wirkungen befristet. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG soll diese Frist 10 Jahre nicht überschreiten.
74Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen.
75Bei der Bemessung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu den hier maßgeblichen spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich allerdings an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Kriterium bietet ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie der Titelerteilungssperre für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen,
76vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 17 A 1836/13 - , BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 – 1 C 2.13 -, InfAuslR 2014, 223.
77Nach diesen Beurteilungsmaßstäben ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte eine Frist von fünf Jahren ab Ausreise bestimmt hat. Vielmehr teilt die Kammer die Einschätzung der Beklagten, dass diese Frist angemessen ist. Dem liegt zugrunde, dass der Kläger zahlreiche schwere Straftaten begangen hat, nämliche eine besonders schwere räuberische Erpressung in zwei Fällen, einen besonders schweren Raub in sechs Fällen, einen schweren Raub, eine versuchte besonders schwere räuberische Erpressung und einen versuchten besonders schweren Raub, derentwegen der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 11 Monaten verurteilt worden ist - womit ein zwingender Ausweisungsgrund im Sinne des § 53 AufenthG gegeben ist. Wegen des erheblichen Gewichts der hierdurch betroffenen Rechtsgüter und der oben dargelegten Wiederholungsgefahr ist eine Frist von fünf Jahren auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers nach Art. 8 EMRK als erforderlich und ausreichend anzusehen, zumal die persönlichen Belange – wie oben dargelegt – nur in geringerem Maße als schutzwürdig anzusehen sind, da der ledige volljährige Kläger zwar hier geboren und aufgewachsen ist, aber keine über eine Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden Bindungen zu Familienmitgliedern hat und – wie von der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 6.11.2015 näher dargelegt ‑ auch wirtschaftlich nicht integriert gewesen ist.
78Soweit der Kläger – unter Aufhebung von Ziffer 3. Des Bescheides der Beklagten vom 11. September 2014 – die Verpflichtung der Beklagten begehrt, die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis zu verlängern bzw. neu zu erteilen, ist die Klage zulässig, aber gemäß § 113 Abs. 5 VwGO unbegründet. Für die Begründetheit der Klage ist es erforderlich, dass die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, was dann der Fall ist, wenn der Kläger einen Anspruch auf Erlass des abgelehnten bzw. unterlassenen Verwaltungsaktes hat. Einem Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis steht entgegen, dass nach § 11 Abs. 1 AufenthG ein ausgewiesener Ausländer selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf. Einer Verlängerung der dem Kläger ursprünglich erteilten Aufenthaltserlaubnis steht überdies entgegen, dass eine solche nur dann in Betracht kommt, wenn die Verlängerung vor Ablauf der Gültigkeitsdauer der zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis beantragt worden ist. Dies ist – wie oben dargelegt – hier nicht der Fall.
79Soweit die Klage hilfsweise auf Erteilung einer Duldung gerichtet ist, ist die Klage bereits unzulässig, da hierfür ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte es nach dem Ablauf der letzten Aufenthaltserlaubnis am 16. Mai 2012 abgelehnt hätte, dem Kläger auf einen entsprechenden Antrag eine solche zu erteilen. Vielmehr hat die Beklagte wiederholt auf entsprechende Begehren des Klägers ihm eine Duldung erteilt, am 16. August 2012 für die Zeit bis zum 11. Dezember 2012, am 21. Dezember 2012 bis zum 16. März 2013, am 20. März 2013 bis zum 16. Juni 2013, am 10. Juni 2013 bis zum 9. September 2013, am 10. September 2013 bis 9. Dezember 2013 und am 6. Dezember 2013 bis 5. Juni 2014. Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte in der Folgezeit auf entsprechende Anträge des Klägers – anders als in der Vergangenheit – die Erteilung weiterer Duldungen abgelehnt bzw. unterlassen hat. Vielmehr befinden sich in den Verwaltungsvorgängen keine weiteren Anträge des Klägers auf eine Duldung mehr.
80Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
81Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.v.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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