Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 17 K 2200/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist u.a. Mitglied des Vorstandes des Landesverbandes der „Alternative für Deutschland – AfD –“. Als solcher begehrt er die Eintragung bzw. Verlängerung einer Auskunftssperre im Melderegister der Beklagten.
3Am 7. März 2016 beantragte der Kläger erstmals für sich bei der Beklagten die Eintragung einer Auskunftssperre und bezog sich dabei auf eine von ihm gestellte Strafanzeige wegen Beleidigung auf der Internetplattform „facebook“. Konkret lag dem ein „Posting“ eines „facebook“-Nutzer auf der „facebook“-Seite des AfD-Kreisverbandes V. mit insbesondere nachfolgendem Inhalt zu Grunde:
4[…] „Ich werde mich mit ein paar sympathischen Freunden ins Auto setzen, und dann werden wir uns mal unter 4 Augen (wobei GARANTIERT 2 Blau danach sind) untrrhalten. Wenn Ihr das als,,, Witz,,, auffasst. No Problem. Namen u Adressen sind absolut kein Problem, und wir macher sehr gern auf mal Nachts HAUSBESUCHE“.[…]
5Noch mit Bescheid vom selben Tag gab die Beklagte dem Begehren des Klägers statt. Die Auskunftssperre war befristet bis zum 6. März 2018.
6Mit Schreiben an die Beklagte vom 8. Januar 2018 beantragte der Kläger sodann die Verlängerung seiner Auskunftssperre und verwies erneut auf seine Stellung als Kreissprecher der AfD V. , wodurch er eine öffentlichkeitswirksame Funktion wahrnehme. Er sei zudem bei direkten Kontakten mit der „Antifa“ diverse Male bedroht worden. Auch im Internet (bei „facebook“) gäbe es Drohungen gegen ihn, die er aufgrund der Vielzahl aber nicht mehr angezeigt habe.
7Daraufhin wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 15. Januar 2018 an den Kläger und bat ihn, seinen Gefährdungstatbestand anhand entsprechender Unterlagen nachzuweisen, worauf der Kläger am 18. Januar 2018 telefonisch mitteilte, dass er über keine Nachweise verfüge.
8Mit streitbefangenem Bescheid vom 20. März 2018 lehnte die Beklagte schließlich den Antrag des Klägers ab und verwies darauf, dass ein Gefährdungstatbestand für den Kläger nicht mehr erkennbar sei.
9Der Kläger hat am 18. April 2018 Klage gegen den vorgenannten Bescheid erhoben.
10Zur Begründung verweist er zunächst nochmals auf seine Stellung in der AfD, in der er mehrfach öffentlich in Erscheinung getreten sei. Namentlich habe er damals zusammen mit Herrn H. S. an einer Demonstration anlässlich der Vorstellung des Kanzlerkandidaten der SPD Martin Schulz teilgenommen, wobei dieser Auftritt sogar in der amerikanischen „New York Times“ Erwähnung gefunden habe. Des Weiteren sei er als Kandidat der AfD im Landtagswahlkampf 2017 diverse Male bei Podiumsdiskussionen aufgetreten. Mit seiner wachsenden Präsenz in der Lokalpresse und den Sozialen Medien hätten sich auch die Bedrohungen und Beleidigungen gegen seine Person gehäuft. Zudem bekleide er mittlerweile auch weitere zum Teil überregionale Ämter in der AfD.
11Er habe daher einen Anspruch auf Erteilung einer Auskunftssperre, weil bereits seine Mitgliedschaft in der AfD, auch wenn er in jüngster Zeit kein Opfer von Bedrohungen oder gar Gewaltdelikten geworden sei, ein gruppenspezifisches Risiko mit sich bringe, dass eine abstrakte Gefahr für ihn begründe. In dem Zusammenhang verweist er u.a. auf eine Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage eines AfD-Abgeordneten im Landtag, wonach es im Zusammenhang mit dem Landtagswahlkampf 2017 219 Fälle sogenannter politisch motivierter Kriminalität gegeben habe, wobei davon rund 180 Fälle zulasten von Mitgliedern oder Gegenständen der AfD gegangen seien.
12Auch für das erste Quartal im Jahr 2019 gelte, dass ausweislich einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage eines AfD-Bundestagsabgeordneten Einrichtungen der AfD (41 von insgesamt 103 Fällen) fast genauso häufig Ziel von Attacken gewesen seien, wie die Gebäude aller übrigen Parteien zusammen. Zudem seien im ersten Quartal 2019 im Bereich politisch motivierter Kriminalität bundesweit 217 Straftaten gegen Personen mit Parteibezug erfasst worden, wobei davon 114 Angriffe auf Mitglieder der AfD erfolgt seien.
13Des Weiteren stellt er auf eine Reihe an Übergriffen von mutmaßlich, Linksextremisten auf teils bekannte AfD-Vertreter ab. Schließlich verweist er darauf, dass auf dem Online-Portal „indymedia“ die Adressen von rund 2.000 Delegierten des AfD-Bundesparteitages in Stuttgart 2016 veröffentlich worden seien, wobei dazu aufgerufen worden sei, die Adressen für „Hausbesuche“ bei den betroffenen AfD-Mitgliedern zu nutzen. Ebenso gebe es für den Raum Berlin / Potsdam eine Broschüre („Weg mit der Berliner AfD“) in der Funktionäre, Mitglieder und Veranstaltungsorte der Berliner AfD detailliert aufgeführt seien.
14Der Kläger beantragt,
15den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Fröndenberg vom 20. März 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für ihn für die Dauer von zwei Jahren eine Auskunftssperre in ihr Melderegister einzutragen.
16Die Beklage beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Zur Begründung verweist sie im Kern darauf, dass im Falle des Klägers keine Vorfälle aktenkundig seien, die eine nachhaltige Gefährdungslage für ihn belegen würden. Melderechtliche Auskunftsersuchen habe es zudem in der Vergangenheit bzgl. seiner Person nicht gegeben.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Eintragung einer Auskunftssperre in ihr Melderegister mit Bescheid vom 20. März 2018 zurecht abgelehnt und ihn hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
21Der Kläger hat keinen Anspruch auf Eintragung einer Auskunftssperre gem. § 51 Abs. 1 des Bundesmeldegesetzes – BMG -. Hiernach hat die Meldebehörde auf Antrag (oder von Amts wegen) eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der betroffenen oder einer anderen Person durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann.
22I.
23§ 51 Abs. 1 BMG setzt damit für die Eintragung einer Auskunftssperre tatbestandlich eine sog. Gefahrenverdachtslage voraus. Die Vorschrift verlangt also keine hinreichende Gewissheit bzgl. einer bestimmten konkreten Gefahrenlage, sondern vielmehr nur einen Verdacht, der allerdings durch räumliche, zeitliche, personelle oder andere Wahrscheinlichkeitsindikatoren näher spezifiziert sein muss. Im melderechtlichen Kontext dient die Auskunftssperre der Vorbeugung von Gefahren, da diese schädigende Übergriffe, zu denen Dritte, die noch nicht einmal als Person bekannt sein müssen, aufgrund einer Melderegisterauskunft in der Lage sein könnten, unterbinden soll.
24Indes reichen allein Vermutungen oder allgemeine Erfahrungssätze nicht aus, um die Eintragung einer Auskunftssperre zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr bestimmte Tatsachen festgestellt sein, die eine Gefahrenprognose tragen. Insoweit gelten für die Eintragung einer Auskunftssperre strenge Anforderungen, da eine Auskunftssperre die gesetzgeberisch bezweckte Möglichkeit für Private, Informationen über eine Person im Rahmen einer einfachen Melderegisterauskunft zu erhalten, ganz erheblich einschränkt.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2016- 16 A 1302/13 -, n.v., S. 6ff. d. Beschl.- Abdr.
26Knüpft die von einer Person, die die Eintragung einer Auskunftssperre verlangt, geltend gemachte Gefährdungslage dabei nicht an ein individuelles auf bestimmten Vorfällen bzw. auf einen bestimmten Vorfall bezogenes Geschehen an, sondern vielmehr an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, bedarf es gleichwohl regelmäßig der Feststellung von gefahrenbegründenden Tatsachen im konkreten und individuellen Fall.
27OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 16 A 1302/13 -, n.v., S. 9 d. Beschl.- Abdr. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. November 2015 – OVG 5 N 21.15 –, juris Rn. 8;VGH Bayern, Urteil vom 2. Dezember 2015 – 5 B 15.1423 –, juris Rn. 23, jeweils für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe.
28Die Annahme einer Gefährdungslage i.S.d. § 51 Abs. 1 BMG alleine im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und die damit verbundenen Tätigkeit kann nach der Rechtsprechung des BVerwG hingegen nur in seltenen Ausnahmefällen begründet sein. Die maßgebliche Gefahrenschwelle ist insoweit erst dann überschritten, wenn hinreichend dichte Tatsachenfeststellungen vorliegen, aus denen sich abstrakt betrachtet eine Gefahr für alle Angehörigen der entsprechenden Gruppe ergibt.
29BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 2017 - 6 B 49.16 -,juris Rn. 6 im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe (hier: Bewährungshelfer); hierauf bezugnehmend: VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14. März 2018 – 9 B 9/18 –, juris, im Hinblick auf AfD-Kandidaten im Wahlkampf.
30Die Feststellung einzelner Vorfälle reicht hierzu nicht aus. Vielmehr müssen solche in einer Anzahl und Häufigkeit auftreten, dass der Schluss gerechtfertigt ist, jeder Angehörige der Gruppe sei einer gruppenspezifischen Gefährdung ausgesetzt. Dies wiederum kann in aller Regel nur durch statistische Angaben oder Ergebnisse repräsentativer Umfragen belegt werden.
31Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 6 B 49.16 -, juris Rn. 9 für Zugehörige einer Berufsgruppe.
32II.
33Gemessen an diesen Vorgaben vermag die Kammer nicht festzustellen, dass dem Kläger alleine aufgrund seiner Funktionärsstellung in der AfD eine entsprechende Gefährdung droht, die die Eintragung einer Auskunftssperre rechtfertigt. Ihn individuell betreffende Vorfälle, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, hat der Kläger im Übrigen nicht geltend gemacht.
34Dabei verkennt die Kammer allerdings im Hinblick auf das nachvollziehbare Interesse des Klägers, möglichen Gefährdungen für sich vorzubeugen, nicht, dass in der jüngeren Vergangenheit eine Zunahme von Übergriffen auf Politiker bis hin zur lokalen Ebene zu beobachten ist und entsprechende Vorfälle derzeit in erheblichen Maße Gegenstand der medialen Berichterstattung sind. Neben insbesondere Schmähungen und Bedrohungen gerade in den Sozialen Medien kam bzw. kommt es auch immer wieder zu Sachbeschädigungen an Parteieinrichtungen bis hin zu körperlichen Übergriffen mit im Fall Lübcke sogar tödlichem Ausgang. Auch die seitens des Klägers angeführten Übergriffe auf einzelne z.T. auch überregional bekannte Funktionäre der AfD reihen sich hierin ein. Daneben berücksichtigt die Kammer auch, dass der Arbeit politischer Parteien nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG wesentliche Bedeutung in der durch das Grundgesetz vorgegebenen verfassungsmäßigen Ordnung zukommt, wobei die Parteiarbeit als Ausdruck der kollektiven politischen Willensbildung maßgeblich durch den Einsatz ihrer einzelnen Mitglieder geprägt wird. Hieraus folgt zugleich, dass einer von illegalen Übergriffen geschützten Betätigung der einzelnen Parteimitglieder verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt.
35Insoweit darf auch nicht unbeachtet bleiben, dass sich eine potentielle Gefährdung von Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe regelmäßig aus deren Umgang mit Personen innerhalb ihrer beruflichen Sphäre ergibt, in der sie für jene nachteilige Entscheidungen treffen; der Kreis von potentiellen Gefährdern ist damit aber zumindest im Regelfall begrenzt und überschaubar. Parteipolitisch aktive Personen unterliegen hingegen oft bereits wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei und jedenfalls wegen ihres öffentlichen Eintretens für deren Ziele Anfeindungen. Der Kreis möglicher Gefährder ist daher grundsätzlich weiter zu ziehen, zumal verbale und mitunter auch physische Anfeindungen und Übergriffe gegen Politiker häufig unter dem Deckmantel der Anonymität erfolgen, ohne dass der Betroffene auch nur eine ungefähre Vorstellung über die mögliche Identität seines Angreifers bzw. seiner Angreifer hat.
36Gleichwohl kann nach derzeitiger Rechtslage auf das Erfordernis einer individuellen zahlenbasierten Gefährdungsprognose bezogen auf den jeweiligen Anspruchsteller nicht verzichtet werden.
37Welche Anforderungen ggf. im Hinblick auf eine seitens der Bundesministerin der Justiz Lambrecht im „Bericht aus Berlin“ am 29. September 2019 erstmals angekündigte Reform des Melderechts (https://www.tagesschau.de/inland/lambrecht-bab-101.html) in Zukunft für die Eintragung einer Auskunftssperre zu stellen sind, kann derzeit noch nicht abgesehen werden.
38Vgl. hierzu auch Artikel der WAZ vom 15. Januar 2020: „Reform des Melderechts: Auskunftssperre soll Bürger schützen,abrufbar unter: https://www.waz.de/politik/reform-des-melderechts-auskunftssperre-soll-buerger-schuetzen-id228143023.html.Zum aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens zudem: Antwort der Bundesregierung vom 2. Januar 2020: „Problematik der einfachen Meldeauskunft und Auskunftssperren“ auf eine Kleine Anfrage u.a. der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, BT.Drs.: 19/16284.
39Insoweit muss nämlich berücksichtigt werden, dass die Entscheidung über die Eintragung einer Auskunftssperre einerseits das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerade auch für die Verfolgung privatrechtlicher Ansprüche und andererseits das individuelle Schutzinteresse des von einer Melderegisterauskunft Betroffenen in den Blick nehmen muss.
40Der Gesetzgeber hat dafür in § 44 Abs. 1 S. 1 BMG einen grundsätzlich voraussetzungslosen Auskunftsanspruch – der nicht von der Geltendmachung eines berechtigten Interesses abhängt – geschaffen, dem die Annahme zugrunde liegt, dass es sich bei den zu erteilenden Daten ohnehin um offenkundige Daten handelt, die jedermann zugänglich gemacht werden können.
41Vgl. Gassner in: HTK-MPA, Stand 03.01.2020, § 44 BMG Rn. 2.
42Darin kommt auch die gesetzliche Wertung zum Ausdruck, dass sich der Einzelne nicht ohne triftigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen kann, sondern erreichbar bleiben und es hinnehmen muss, dass andere - auch mit staatlicher Hilfe - mit ihm Kontakt aufnehmen.
43BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 – 6 C 5.05 –, BVerwGE 126, 140-149, zitiert nach juris Rn. 25.
44Eine einseitige Auflösung dieses Zielkonfliktes zwischen Informations- und Sicherheitsinteresse dahingehend, dass für die Eintragung einer Auskunftssperre in Fällen der vorliegenden Art letztlich auf eine einzelfallbegründete und zahlengetragene Gefährdungsprognose verzichtet wird, widerspräche insoweit der aktuellen gesetzgeberischen Grundentscheidung.
45Ausgehend hiervon sind aber die seitens des Klägers vorgelegten sowie die ergänzend durch die Kammer eingeholten Daten nicht dazu geeignet, eine tragfähige Prognose dahingehend zu treffen, dass dem Kläger allein wegen seiner Eigenschaft als Funktionär der AfD in erhöhtem Maße die Gefahr von Übergriffen auf Leib, Leben oder andere bedeutsame Rechtsgüter droht.
46Soweit der Kläger zunächst selbst Zahlen der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu „Behinderungen im Wahlkampf durch Linksextreme“ anführt, ergeben sich hieraus 219 durch den „Kriminalpolizeilichen Meldedienst“ registrierte Fälle von politisch motivierter Kriminalität im Wahlkampf zur NRW-Landtagswahl 2017, von denen ca. 180 Fälle zulasten von Personen oder Gegenständen der AfD gingen.
47Vgl. Antwort der NRW-Landesregierung vom 8. September 2017 auf die Kleine Anfrage eines Landtagsabgeordneten der Fraktion AfD vom 31. Juli 2017, LT-Drs. 17/577.
48Wenngleich insoweit festzustellen ist, dass die Mehrheit der registrierten Fälle zum Nachteil der AfD gingen, ist einschränkend aber bereits anzumerken, dass zu diesen Zahlen Bezugsgrößen etwa im Hinblick auf die Gesamtzahl an politisch aktiven Personen für die AfD fehlen. Eine verlässliche Aussage über das Ausmaß der Bedrohung von AfD- Politikern in Nordrhein-Westfalen lässt sich aufgrund dieser Zahl nicht treffen. Hinzu kommt, dass als strafbare Handlungen ganz überwiegend Diebstähle (§ 242 StGB) und Sachbeschädigungen (§ 303 StGB) erfasst wurden. Insoweit liegt es aber nahe, dass diese Delikte in erheblichem Umfang Wahlplakate betrafen. Kennzeichnend für diese Art von Delikten ist es, dass sie auch durch Einzeltäter schnell und in größerem Umfang sowie in Anonymität getätigt werden können. Ein Rückschluss, dass Täter, die Wahlplakate entwenden oder beschädigen, auch bereit sind, (Gewalt-)Delikte zulasten von Personen zu begehen, kann hingegen nicht gezogen werden.
49Auch den vom Kläger angeführten Zahlen des Bundeskriminalamtes für das erste Quartal 2019 zur politisch motivierten Kriminalität,
50- 103 Fälle zulasten von Parteigebäuden/Parteieinrichtungen, davon 41 Fälle zulasten der AfD;
51- 217 Straftaten zulasten von Parteirepräsentanten/Parteimitgliedern etc., davon 114 zulasten der AfD;
52vgl. im Einzelnen: Antwort der Bundesregierung vom 22. Mai 2019 auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion AfD im Deutschen Bundestag, BT-Drs. 19/10403.
53fehlt es ebenso an der Angabe von Bezugsgrößen, die eine quantitative Bewertung dieser Zahlen und eine daraus ableitbare Gefahrenprognose ermöglichen. Jedenfalls aber deuten die Zahlen, die sich auf das gesamte Bundesgebiet beziehen, nicht auf eine flächendeckende Bedrohungslage für jedweden Politiker in Deutschland, geschweige denn jeden Politiker der AfD hin.
54Bei den im Übrigen vom Kläger angeführten Übergriffen auf z.T. überregional bekannte Politiker der AfD (vgl. Bl. 15f. der Gerichtsakte) handelt es sich letztlich um Einzelfälle, die – auch nicht in Verbindung mit den vorgenannten Zahlen – nicht den Schluss auf eine generelle Gefährdungslage aller AfD-Politiker zulassen.
55Die zudem durch das Landeskriminalamt NRW auf die gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 24. Mai 2019 übermittelten Zahlen für Nordrhein-Westfallen aus einer Antwort der Landesregierung vom 7. Mai 2019,
56- 2016: 7 Körperverletzungsdelikte und 16 Sachbeschädigungsdelikte (davon vier Sachbeschädigungen an Parteibüros) gegen Parteieinrichtungen-/Repräsentanten der AfD.
57- 2017: 14 Körperverletzungsdelikte und 31 Sachbeschädigungsdelikte (davon vier Sachbeschädigungen an Parteibüros) gegen Parteieinrichtungen-/Repräsentanten der AfD.
58- 2018: 4 Körperverletzungsdelikte und 8 Sachbeschädigungsdelikte (davon drei Sachbeschädigungen an Parteibüros) gegen Parteieinrichtungen-/Repräsentanten der AfD.
59Vgl. Antwort vom 7. Mai 2019 auf eine Kleine Anfrage eines Abgeordneten der Fraktion AfD im nordrhein-westfälischen Landtag vom 11. April 2019, LT-Drs. 17/6112,
60lassen wiederum aus den zuvor bereits genannten Gründen keinen verlässlichen Rückschluss auf eine generelle Bedrohungslage des Klägers zu.
61Die letztlich durch das Landeskriminalamt NRW mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2019 (Bl. 110 der Gerichtsakte) konkret für den Zuständigkeitsbereich der Kreispolizeibehörde V. vorgelegten Zahlen,
62- kein Fall politisch motivierter Kriminalität im Jahr 2018 zulasten der AfD.
63- ein Delikt zulasten eines Wahlplakates der AfD 2019 im Stadtgebiet der Beklagten und ein weiterer Fall einer beschmierten Hausfassade ebenfalls im Stadtgebiet der Beklagten, wobei offen ist, ob diese Tat zulasten eines AfD-Mitgliedes ging,
64tragen eine Gefahrenprognose im Sinne des Klagebegehrens nicht.
65Schließlich führt auch der Hinweis des Klägers, dass es zu den Handlungsweisen in der linksextremen Szene gehören würde, durch die Veröffentlichung von Namen und Adressen von AfD-Mitgliedern Druck auf diese auszuüben, sie „an den Pranger zu stellen“ und deren gesellschaftliche Isolation herbei zu führen, zu keinem anderen Ergebnis. Zwar trifft es zu, dass derartige so genannte „Outing-Aktionen“ nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz fester Bestandteil der Aktivitäten des linksextremen Spektrums sind.
66Vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundes 2018, S. 111f., 128.
67Auch der Verweis auf eine für den Bereich Berlin/Brandenburg veröffentlichte Broschüre „Weg mit der Berliner AfD“ der antifaschistischen Szene und auf eine Veröffentlichung von Adressen von Teilnehmern des Bundesparteitages der AfD in Stuttgart im Jahr 2016 auf der Internetseite „indymedia.org.“ reiht sich insoweit in diese Erkenntnisse ein.
68Inwieweit die Ersteller dieser Veröffentlichungen indes hierzu auch auf Daten aus den öffentlichen Melderegistern zurückgegriffen haben, ist nicht erkennbar. Gerade die durch den Kläger vorgelegte Broschüre „Weg mit der Berliner AfD“ enthält insoweit keine Hinweise darauf, dass für deren Erstellung auf Daten aus den kommunalen Melderegistern zurückgegriffen wurde. Vielmehr dürften die meisten der dort enthaltenen Angaben auf frei (über das Internet) zu recherchierenden Quellen beruhen, mithin auch auf eigenen Veröffentlichungen der betroffenen Mitglieder der AfD.
69Soweit der Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundesministeriums des Innern (S. 111) zudem darauf verweist, dass es infolge von „Outing-Aktionen“ zu Sachbeschädigungen und „vereinzelt“ Brandstiftungen bzw. „selten“ auch zu Körperverletzungsdelikten gekommen sind, deuten diese Angaben nicht darauf hin, jedem einzelnen Mitglied bzw. Funktionär der AfD die Gefahr droht, von solchen Aktionen und möglichen hieraus folgenden Gefährdungen betroffen zu sein. Verlässliche Zahlen zur Häufigkeit und zum Umfang solcher „Outing-Aktionen“ liegen der Kammer zudem nicht vor.
70Vgl. insoweit auch in der Sache ähnlich: VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14. März 2018 – 9 B 9/18 –, juris Rn. 15f.
71Insoweit vermag die Kammer aber auch bezogen auf den Kläger keine für ihn für den vorliegenden Rechtstreit erfolgsbringende Prognose zu treffen.
72III.
73Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.
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Referenzen
- § 44 Abs. 1 S. 1 BMG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 B 9/18 1x
- StGB § 242 Diebstahl 1x
- VwGO § 167 1x
- StGB § 303 Sachbeschädigung 1x
- § 51 Abs. 1 BMG 2x (nicht zugeordnet)
- 9 B 9/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 44 BMG 1x (nicht zugeordnet)
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