Beschluss vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 12 L 1860/19
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 1.149,89 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Der wörtliche Antrag,
4es wird festgestellt, dass der Widerspruch zum Aktenzeichen: E6095624 vom 28. September 2019 (gemeint wohl: 19. September 2019) aufschiebende Wirkung hat,
5hat keinen Erfolg.
6Dieser Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines bereits eingelegten Widerspruches gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog ist unzulässig. Der Widerspruch der Antragstellerin hat zwar aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO, es besteht aber kein Rechtsschutzbedürfnis an der begehrten Feststellung. Der Antragsgegner hat keine Vollziehungsmaßnahmen getroffen, so dass die Antragstellerin keinem sog. „faktischen Vollzug“ ausgesetzt ist.
7Von einer solchen „faktischen Vollziehung" ist auszugehen, wenn die Behörde eine bestehende aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage nicht beachtet. Eine solche Nichtbeachtung der aufschiebenden Wirkung liegt hier nicht darin, dass der Antragsgegner gegenüber dem Anspruch der Antragstellerin auf Zahlung von Dienstbezügen mit seinem Anspruch auf Rückzahlung von überzahlten Dienstbezügen in Höhe von insgesamt 2.299,78 Euro (ratenweise) aufrechnet und monatlich 35 Euro der laufenden Dienstbezüge einbehält.
81.
9Bei der von dem Antragsgegner vorgenommenen monatlichen Einbehaltung von Dienstbezügen in Höhe von 35 Euro handelt es sich – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – um eine Aufrechnung. Dieses auch einer Behörde zustehende schuldrechtliche Gestaltungsrecht kann nach zivilrechtlichen Grundätzen (§§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) auch im öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis Anwendung finden. Hierbei ist der Aufrechnende – die Behörde – nicht gezwungen, seine Gegenforderung – den Rückforderungsanspruch – im vollen Umfang mit der Hauptforderung – dem Anspruch auf Zahlung der Dienstbezüge – aufzurechnen, sondern es steht ihm innerhalb der rechtlichen Grenzen frei, in welchem Umfang er eine Aufrechnung erklärt. Allein aus dem Umstand, dass sich Gegenforderung und Hauptforderung aufrechenbar gegenüber stehen, folgt noch kein Erlöschen der Forderungen durch Erfüllung, sondern es liegt in der Natur der Aufrechnung als Gestaltungsrecht, dass die Erfüllungswirkung erst mit Erklärung der Aufrechnung (§ 388 BGB) eintritt. Diese Aufrechnungserklärung wurde von dem Antragsgegner jedenfalls konkludent mit der Einbehaltung der monatlichen Raten in Höhe von 35 Euro von den laufenden Dienstbezügen der Antragstellerin erklärt.
102.
11Der Antragsgegner ist durch die – hinsichtlich der Rückforderung eingreifende – aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht gehindert, eine Aufrechnung vorzunehmen. Die Befriedigung eines Anspruchs der Behörde im Wege der Aufrechnung ist keine Vollziehung des erlassenen Rückforderungsbescheides, so dass die Einlegung des Widerspruchs gegen den Rückforderungsbescheid der Rechtmäßigkeit der Aufrechnung nicht entgegensteht.
12Vollziehung einerseits und Aufrechnung andererseits sind zwei Rechtsinstitute mit verschiedener Zielrichtung und Wirkung. Die Vollziehung eines Verwaltungsaktes durch die Behörde ist eine selbständige und grundsätzlich hoheitliche Maßnahme zur Durchsetzung einer getroffenen Anordnung im Wege des Zugriffs auf Rechtsgüter des Adressaten dieses Verwaltungsaktes. Die Aufrechnung ist hingegen ein im Ausgangspunkt von der Privatrechtsordnung gewährleistetes Mittel der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen Anspruch und dient zugleich der Befriedigung des eigenen Anspruchs, wobei es rechtlich unerheblich ist, ob die Forderungen, die sich im Aufrechnungsverhältnis gegenüberstehen, dem öffentlich-rechtlichen oder dem privatrechtlichen Bereich entstammen.
13Durch die Aufrechnung wird auch nicht die aufschiebende Wirkung des Widerspruches unterlaufen. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung hat nur zur Folge, dass der angefochtene Verwaltungsakt vorläufig nicht vollzogen werden darf. Dagegen beseitigt die aufschiebende Wirkung nicht die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Das bedeutet, dass der Eintritt der aufschiebenden Wirkung keine rechtsgestaltende Wirkung dahin hat, dass der Verwaltungsakt als vorläufig nicht existent zu behandeln wäre. Infolgedessen bleiben die Rechtswirkungen des Verwaltungsakts, die vor seiner Anfechtung bereits eingetreten waren, auflösend bedingt wirksam. Die Behörde darf nur aus ihrem Verwaltungsakt keine Maßnahmen treffen, die rechtlich als Vollziehung des nach wie vor wirksamen Verwaltungsakts zu qualifizieren sind. Um eine solche Maßnahme handelt es sich aber gerade nicht bei der Aufrechnung.
14Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 27. Oktober 1982 – 3 C 6/82 –, juris Rn. 19 ff. sowie Urteil vom 13. Juni 1985 – 2 C 43/82 –, juris Rn. 25 ff.; ebenso Oberverwal-tungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 24. Februar 1989 – 1 W 36/89 –, juris Rn. 6 ff.; Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 11. August 2010 – AN 11 S 10.00335 –, juris Rn. 19 ff.
15Eine andere Beurteilung ist hier auch nicht mit Blick darauf geboten, dass der Antragsgegner im Bescheid vom 19. September 2019 auf die ratenweise Einbehaltung des Rückforderungsbetrages hingewiesen hat. Denn damit sollte erkennbar nicht die Aufrechnung selbst zum Regelungsgegenstand des Bescheides gemacht werden, mit der Folge, dass sie erst nach Bestandskraft des Rückforderungsbescheides durchgeführt werden könnte. Es handelt sich vielmehr um eine bloße Information über die Abwicklung der Rückforderung, was sich schon daraus schließen lässt, dass in dem Bescheid klargestellt wird, dass die Aufrechnungserklärung kein Bestandteil des Bescheides sei, sondern eine selbstständige öffentlich-rechtliche Willenserklärung darstelle.
16Vgl. Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom30. Juli 2007 – 12 L 481/07 –, juris Rn. 9 m.w.N.
17Dies steht im Einklang mit der Rechtslage. Die Aufrechnungserklärung ist kein Verwaltungsakt.
18Vgl. Möller, in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht, Loseblatt Stand Juli 2019, § 11 BBesG Rn. 147 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-gerichts.
19II.
20Auch eine Umdeutung in einen Antrag gemäß § 123 VwGO, im Wege einer einstweiligen Anordnung dem Antragsgegner zu untersagen, aufgrund seines Rückforderungsbescheides vom 19. September 2019 Aufrechnungen mit und Einbehaltungen von Besoldungsansprüchen der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner vorzunehmen, hat keinen Erfolg.
21Gemäß § 123 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf einen Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Verände-rung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des jeweiligen Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1), oder wenn eine vorläufige Regelung, vor allem bei Dauerrechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Satz 2). Voraus-setzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher, dass der Antragstel-ler sowohl einen Anspruch auf ein bestimmtes Verwaltungshandeln oder -unterlassen (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit der Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf diesen Anspruch zur Abwehr wesentlicher Nachteile (Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 und § 294 Zivilprozessordnung (ZPO).
22Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Es ist weder substantiiert vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass sie als Beamtin in einem Statusamt der Besoldungsgruppe A 13 LBesG NRW durch die monatliche Einbehaltung ihrer Dienstbezüge in Höhe von 35 Euro in eine wirtschaftliche Notlage geraten würde, die geeignet wäre, die erforderliche Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung glaubhaft zu machen.
23III.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
25Die Streitwertfestsetzung erfolgt auf der Grundlage der §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Vorliegend erachtet das Gericht es wegen der Vorläufigkeit der hier begehrten Regelung für angemessen, den sich daraus ergebenden Streitwert nur zur Hälfte anzusetzen.
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 123 3x
- BGB § 388 Erklärung der Aufrechnung 1x
- 12 L 481/07 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 1x
- 3 C 6/82 1x (nicht zugeordnet)
- 2 C 43/82 1x (nicht zugeordnet)
- BBesG § 11 Abtretung von Bezügen, Verpfändung, Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrecht 1x
- 1 W 36/89 1x (nicht zugeordnet)