Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 3 K 5193/19
Tenor
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der beiden Bescheide des M. G. C. V. W. O. vom 18. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des M. G1. C. V1. W. O. vom 28. Oktober 2019 verpflichtet, den Klägern für die Monate Mai, Juni und Juli 2018 weitere Unfallfürsorgeleistungen in Höhe von 1.313,15 € zu den Aufwendungen für die stationäre Pflege der ehemaligen Klägerin Frau J. M1. zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger 33% und der Beklagte 67%.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
1
Tatbestand:
2Die ehemalige Klägerin wurde am 00.00.00 1946 geboren und stand bis zu ihrer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen dienstunfallbedingter Dienstunfähigkeit im Dienst des Beklagten.
3Am 1. Oktober 2004 erlitt die ehemalige Klägerin einen Dienstunfall, den der Beklagte mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 anerkannte. Aufgrund der Unfallfolgen war die ehemalige Klägerin pflegebedürftig und befand sich zunächst in häuslicher Pflege. Ab dem 28. Mai 2018 befand sich die ehemalige Klägerin in stationärer Pflege. Der Ehemann der Klägerin bewohnte weiterhin die gemeinsame Wohnung.
4Mit Schreiben vom 11. Juni 2018 beantragte die ehemalige Klägerin zu den Rechnungen für stationäre Pflege des Pflegeheimes I. B. L. in L1. vom 28. Mai 2018 für Mai 2018 und vom 1. Juni 2018 für Juni 2018 Leistungen der Unfallfürsorge. Für den Monat Mai 2018 wurden für den Pflegeaufwand Pflegegrad 5 und die Ausbildungsumlage für die Zeit vom 28. bis 31. Mai 2018 398,56 € und für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten für die Zeit vom 28. bis 31. Mai 2018 221,36 € in Rechnung gestellt. Für den Monat Juni 2018 wurden für den Pflegeaufwand Pflegegrad 5 und die Ausbildungsumlage für die Zeit vom 1. bis 30. Juni 2018 2.880,95 € und für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten für die Zeit vom 1. bis 30. Juni 2018 1.683,45 € in Rechnung gestellt. Des Weiteren wurden Leistungsansprüche nach § 43 b SGB XI in Höhe von 150,93 € abgerechnet. Insgesamt wurden 4.713,33 € berechnet.
5Mit Schreiben vom 25. Juni 2018 beantragte die Klägerin Unfallfürsorgeleistungen für die mit Rechnung der Pflegeeinrichtung vom 25. Juni 2018 in Rechnung gestellten Kosten der stationären Pflege in Höhe von 4.713,33 €. Es wurde wie im Monat Juli 2018 abgerechnet.
6Mit dem ersten Bescheid vom 18. Juli 2018 gewährte der Beklagte der ehemaligen Klägerin für vier stationäre Tage im Monat Mai 2018 zu den Pflegeaufwendungen und den Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten 448,04 €. Für den Monat Juni 2018 bewilligte er zu den vorstehenden Aufwendungen 3.558,31 €.
7Mit dem zweiten Bescheid vom 18. Juli 2018 gewährte der Beklagte der ehemaligen Klägerin zu den Pflegeaufwendungen und den Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten im Monat Juli wiederum 3.558,31 €.
8Gegen die Bescheide vom 18. Juli 2018 erhob die ehemalige Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 17. August 2018 jeweils Widerspruch.
9Der Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 28. Oktober 2019 teilweise ab. Der gewährte Unfallausgleich in Höhe von 780,00 € monatlich wurde bei der Berechnung des Eigenanteils zu den Kosten der Unterkunft, der Verpflegung und den Investitionskosten nicht als Einkommen berücksichtigt. Es wurden insgesamt 498,77 € (30,77 € für Mai 2018 sowie jeweils 234,00 € für Juni und Juli 2018) nachbewilligt. Der Beklagte berechnete den Eigenanteil entsprechend § 5d Abs. 2 BVO O. wie folgt.
10Unfallruhegehalt: 3.520,07 €
11Minderungsbetragfür einen Angehör-igen - 460,00 €
12= 3.070,07 €
13Eigenanteil30% von 3.070,00 € = 921,02 €
14Summe U/V/I: 1.683,45 €
15Abzgl. Eigenanteil 921,02 €
16Bewilligung U/V/I 762,43 €
17Der ehemaligen Klägerin verblieben im Monat 2.599,05 € Unfallruhegehalt und 780,00 € Unfallausgleich, mithin insgesamt 3.379,05 € brutto.
18Im Übrigen wies der Beklagte die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2019 zurück. Er begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass gemäß § 12 Absatz 6 Heilverfahrensverordnung ein angemessener Betrag für Einsparungen im Haushalt auf die Kosten der Unterbringung anzurechnen sei. Bezüglich der Definition des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessener Betrag“ werde in Ermangelung weitergehender Regelungen in der Heilverfahrensverordnung aufgrund des Erlasses des Ministeriums der Finanzen vom 16.02.1998- B3010 -34.1 - IV B 4 auf die Beihilfeverordnung, hier § 5d Absatz 2, zurückgegriffen. Ausweisich des Erlasses werde in der amtlichen Begründung zur Heilverfahrensverordnung ausgeführt, dass als angemessen jedenfalls in diesem Zusammenhang ein Betrag angesehen werden könne, der für die gleichen Zwecke nach beihilferechtlichen Vorschriften in Ansatz gebracht werde.
19Die ehemalige Klägerin hat am 28. November 2019 Klage erhoben. Die ehemalige Klägerin ist am 21. Dezember 2020 verstorben. Die Kläger sind ihre Erben und führen das Verfahren fort.
20Die Kläger sind der Ansicht, dass der ehemaligen Klägerin ein Anspruch auf weitere Erstattung der Pflegekosten für die stationäre Pflege in den Monaten Mai, Juni und Juli 2018 zugestanden habe. Denn der Beklagte habe zur Ermittlung der auf die Unterbringungskosten anzurechnenden Einsparungen im Haushalt zu Unrecht auf § 5d Abs. 2 BVO O. abgehoben. Danach würden Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich der Investitionskosten als Beihilfe gezahlt, soweit sie die dort näher aufgeführten Eigenanteile übersteigen würden. Es sei allerdings grundsätzlich unzulässig, im Recht der Unfallfürsorge auf das Recht der Beihilfe zurückzugreifen. Denn die Unfallfürsorge einerseits und die Beihilfe andererseits verfolgten völlig andere Zweck- und Zielbestimmungen. So stelle das Beihilferecht lediglich eine ergänzende Fürsorgeleistung dar, wobei aufgrund des ergänzenden Charakters der Beihilfe Härten und Nachteile grundsätzlich hinzunehmen seien. Demgegenüber sei die Unfallfürsorge unmittelbar Ausfluss des Alimentationsprinzips. Ihr Zweck sei es, den dienstunfallgeschädigten Beamten rechtlich und wirtschaftlich abzusichern. Deshalb sei der Anspruch auf Unfallfürsorgeleistungen als beamtenrechtlicher Versorgungsanspruch ausgestaltet. Dementsprechend verbiete sich grundsätzlich ein Rückgriff auf beihilferechtliche Regelungen. Vor diesem Hintergrund dürften beihilferechtliche Grundsätze, wie sich aus dem Urteil des OVG O. vom 24.05.2002 - 1 A 5564/90 – ergebe, allenfalls dann herangezogen werden, wenn Zweifel an der Notwendigkeit und Angemessenheit von Kosten bestünden. Derartige Zweifel habe der Beklagte nicht geltend gemacht. Darüber hinaus seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, weil die nicht durch die Unfallfürsorge gedeckten Kosten für die stationäre Pflege von der ehemaligen Klägerin und ihrem Ehemann nicht dauerhaft hätten getragen werden können. Diesbezüglich werde auf die Berechnung des Ehemanns der ehemaligen Klägerin, verwiesen. Aus dieser Berechnung ergebe sich im Wesentlichen, dass den monatlichen Ausgaben von insgesamt 7.859,57 € monatliche Einnahmen von insgesamt 7.690,94 € gegenüber gestanden hätten. Daraus habe sich ein monatliches Defizit von etwa 268,63 € ergeben. Insofern sei es auch aus Gründen der Fürsorge geboten, die noch offenstehenden Kosten im Wege der Unfallfürsorge zu übernehmen.
21Die Kläger beantragen,
22den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der beiden Bescheide des M. G2. C. V2. W. O. vom 18.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des M. G3. C. V3. W. O. vom 28.10.2019 zu verpflichten, ihnen für die Monate Mai, Juni und Juli 2018 weitere Unfallfürsorgeleistungen in Höhe von 1.963,15 Euro zu den Aufwendungen für die stationäre Pflege der verstorbenen Frau J. M1. zu gewähren.
23Der Beklage beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Zur Begründung bezieht er sich auf den Inhalt seiner angefochtenen Entscheidungen.
26Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe:
28Die zulässige Verpflichtungsklage hat teilweise Erfolg.
29Die beiden Bescheide des M. G4. C. V4. W. O. vom 18. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des M. G5. C. V5. W. O. vom 28. Oktober 2019 sind teilweise rechtswidrig und Verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf Bewilligung weiterer Leistungen der Unfallfürsorge zu den Aufwendungen der stationären Pflege der ehemaligen Klägerin in den Monaten Mai, Juni und Juli 2018 in Höhe von 1.313,15 €. Soweit die Kläger die Bewilligung von weiteren 650,00 € begehren, ist die Klage unbegründet, da sich die ehemalige Klägerin in dieser Höhe eine häusliche Ersparnis anrechnen lassen musste.
30Die Kläger können als Erben Ansprüche der ehemaligen Klägerin auf Kostenerstattung aus der Unfallfürsorge weiter verfolgen. Ansprüche auf Kostenerstattung aus der Unfallfürsorge erlöschen nicht mit dem Tod des Verletzten, sondern gehen nach den erbrechtlichen Regeln der §§ 1922 ff. BGB auf die Erben über.
31Vgl. für das Beihilferecht BVerwG, Beschluss vom 23. August 2010 – 2 B 13/10 –, juris, Rn. 6.
32Die ehemalige Klägerin hatte aufgrund ihres erlittenen Dienstunfalls gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG O. Anspruch auf Leistungen der Unfallfürsorge. Die Unfallfürsorge umfasst nach § 35 Abs. 2 LBeamtVG O. das Heilverfahren nach den §§ 39 und 40 LBeamtVG. Nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 LBeamtVG umfasst das Heilverfahren die notwendige Pflege nach § 40 LBeamtVG O. . Gemäß § 39 Abs. 4 LBeamtVG regelt das Finanzministerium das Nähere zu Umfang und Durchführung des Heilverfahrens durch Rechtsverordnung. Nach § 12 Abs. 6 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Beamtenversorgungsgesetzes vom 16. Mai 2013 - Heilverfahrensverordnung - (HeilvfV NW) werden die Kosten, die für eine angemessene Unterbringung in öffentlichen oder, falls solche nicht vorhanden sind, in freien gemeinnützigen Einrichtungen am Ort der Unterbringung oder in seiner nächsten Umgebung aufzuwenden wären, erstattet, wenn der Verletzte, wenn geeignete Pflege sonst nicht gewährleistet ist, in einer zur Pflege geeigneten Einrichtung untergebracht wird.
33Die ehemalige Klägerin hatte grundsätzlich einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 12 Abs. 6 Satz 1 HeilvfV NW. Hiervon ist auch der Beklagte ausgegangen und hat mit den streitgegenständlichen Bescheiden Kostenerstattungen für stationäre Pflege und Unterkunft, Verpflegung sowie Investitionskosten bewilligt.
34Gemäß § 12 Abs. 6 Satz 2 HeilvfV NW ist auf die Kosten der Unterbringung ein angemessener Betrag für Einsparungen im Haushalt anzurechnen. Der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 12 Abs. 6 Satz 1 HeilvfV NW ist mithin der Höhe nach eingeschränkt durch den angemessener Betrag für Einsparungen im Haushalt. Der Begriff „angemessener Betrag“ für Einsparungen im Haushalt unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, da es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt.
35Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Mai 2002 – 1 A 5564/99 –, juris Rn. 9.
36In Betracht kommen nur Einsparungen in der täglichen Lebensführung, die sich durch die Abwesenheit des Verletzten ergeben. Nicht zugemutet werden kann der Familie, wegen der Unterbringung des Verletzten in einem Heim z. B. in eine kleinere und billigere Wohnung umzuziehen. Solche möglichen Einsparungen können daher auch nicht fiktiv angesetzt werden
37Vgl. Kazmaier in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Hauptband II, Losebl., Stand: Januar 2018, VO zu § 33, HeilvfV, Rn. 86.
38Die häuslichen Ersparnisse lassen sich der Natur der Sache nach nicht im Einzelnen feststellen. Sie müssen deshalb – nach Feststellung der die Schätzung begründenden Tatsachen – in Anwendung des § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 287 ZPO geschätzt werden.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. August 1972 – V C 49.72 –, juris Rn. 10 und 11.
40Die Schätzung hat Vorliegend zugrunde zu legen, dass sich die ehemalige Klägerin bis zum 27. Mai 2018 in häuslicher Pflege befand. Während der stationären Pflege ab dem 28. Mai 2018 wurde die gemeinsame Ehewohnung beibehalten und von ihrem Ehemann bewohnt. Die für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen sind anhand der tatsächlichen Ersparnis prognostisch zu schätzen. Es genügt für die Annahme ersparter Aufwendungen nicht, dass bei der gewährten Hilfe Aufwendungen für den häuslichen Lebensbereich normalerweise oder in einer Vielzahl von Fällen entfallen würden; vielmehr müssen die Ersparnisse tatsächlich, nicht nur fiktiv, prognostiziert werden können, also voraussichtlich bei dem Leistungsempfänger oder bei demjenigen entstehen, der als Ersatzpflichtiger in Anspruch genommen wird.
41Vgl. Kokemoor in: Juris-PK SGB XII 3. Auflage, § 92 Rn 46 mit Verweis auf BSG, Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 25/14 -, juris Rn. 25.
42Eine abstrakt generelle Regelung zur Bestimmung der Kostenhöhe können Behörden allenfalls für die Festlegung von Kriterien zur Bemessung der ersparten Aufwendungen treffen, die bei einer erforderlichen individuellen Schätzung anzuwenden sind.
43Vgl. Kokemoor in: Juris-PK SGB XII, 3. Auflage, § 92 Rn. 46 mit Verweis auf BSG, Urteil vom 14.12.2017 - B 8 SO 18/15 - Juris Rn. 17.
44Die vom Beklagen zur Bestimmung der häuslichen Ersparnis herangezogene Regelung des § 5 d Abs. 2 BVO O. spiegelt für den vorliegenden Fall, in dem die gemeinsame Ehewohnung beibehalten wird, keine individuelle Schätzung der häuslichen Ersparnis im vorgenannten Sinne wider. § 5d Abs. 2 BVO O. regelt keine häusliche Ersparnis. Geregelt wird im Rahmen der stationären Pflege eine Kostenbeteiligung an den Kosten der Unterkunft, der Verpflegung und den Investitionskosten, die ausnahmsweise aus Beihilfemitteln gewährt werden. Dem Beihilfeberechtigten soll aus Fürsorgegesichtspunkten ein gewisser Anteil seiner C1. oder W1. bleiben, damit er oder seine zu berücksichtigenden Angehörigen nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind. § 5d Abs. 2 BVO mag daher aus Fürsorgegesichtspunkten allenfalls eine Höchstgrenze für die Anrechnung häuslicher Ersparnisse in Fällen darstellen, in denen die Wohnung aufgegeben wird.
45Da es sich um tatsächliche und nicht um fiktive Einsparungen handeln muss, ist für die Schätzung ein Kriterium heranzuziehen, das die tatsächlichen Einsparungen sachgerecht widerspiegelt. Eine damit einhergehende Pauschalierung kann nicht beanstandet werden. Dadurch soll der Verfahrensablauf erleichtert und die Verwaltung in die Lage versetzt werden, statt einer Zeit raubenden und unsicheren Ermittlung der häuslichen Ausgabensituation auf generelle Erfahrungswerte zurückzugreifen.
46Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 31.08.2001 - Au 3 K 01.888 -, juris Rn. 13.
47Die Literatur half sich im BSHG bei der Berechnung der häuslichen Ersparnis damit, dass diese mit etwa 70-80 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes angenommen wurde.
48Giere in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, § 92 Rn 13 m.w.N..
49Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für den Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Sozialhilfe werden Aufwendungen in dem Umfang erspart, in dem in der Einrichtung der Lebensunterhalt gedeckt wird, der ansonsten zuhause bestritten werden müsste. Der Umfang der Ersparnis ergebe sich in stationären Einrichtungen in Anlehnung an die monatliche Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Haushaltsangehörigen (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 RBEG), könne jedoch auch darunter liegen.
50Vgl. Empfehlungen des Deutschen Vereins für den Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Sozialhilfe (SGB XII) vom 15. Dezember 2015 Deutscher Verein, Empfehlungen, Nr. 161, Seite 47.
51Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RBEG (Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz ) beläuft sich die Regelbedarfsstufe nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zum 1. Januar 2017 in der Regelbedarfsstufe 3 auf 327 Euro für eine erwachsene Person, deren notwendiger Lebensunterhalt sich nach § 27b des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bestimmt (Unterbringung in einer stationären Einrichtung). Ab dem 1. Januar 2018 ist ausweislich der Anlage zu § 28 SGB XII von 332,00 € auszugehen.
52Da sich die Verbrauchsausgaben, die zum Regelbedarf führen, an den Nettoeinkommen der untere 15 % bzw. 20 % der Haushalte orientieren (§§ 4 und 5 RBEG) kann das überdurchschnittliche Einkommen der Klägerin bei der Schätzung nicht unberücksichtigt bleiben. Ein größere Abschlag vom Regelbedarf, wie er in der Literatur und nach dem Empfehlungen des Deutschen Vereins für den Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Sozialhilfe vorgeschlagen wird, erscheint nicht angemessen, da bei einem höheren Einkommen tendenziell mehr für die persönliche Lebensführung ausgegeben wird.
53Davon ausgehend schätzt die Kammer die tägliche Ersparnis bezogen auf das Jahr 2018 auf 10,00 €.
54Dieser Betrag liegt auch im Rahmen dessen, was von den Zivilgerichten in Schadensersatzfällen, in denen bei einer Heimunterbringung der Vorteilsausgleich der ersparten Kosten der häuslichen Verpflegung anzurechnen ist, nach § 287 ZPO für angemessen erachtet wird.
55Vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 27. Juli 2010 – 4 U 585/09 - 166 –, juris Rn. 40 mit Verweis auf die Kasuistik mit eine Bandbreie von 4,00 € bis 10,00 € und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. März 2012 – 7 U 104/11 –, juris Rn. 27.
56Im Hinblick darauf, dass vorliegend eine lang andauernde Heimunterbringung zu erwarten stand, ist es sachgerecht, den Betrag der häuslichen Ersparnis mit der Obergrenze dieser Spanne anzusetzen.
57Nach allem haben die Kläger einen Anspruch auf Nachbewilligung in Höhe von 1.313,15 €. Der Beklagte hat auf die streitgegenständlichen Rechnungsbeträge im Monat Mai 2018 eine häusliche Ersparnis von 121,11 € angerechnet. Die ehemalige Klägerin musste sich aber nur eine häusliche Ersparnis von 40,00 € (4 Tage) anrechnen lassen, so dass für den Monat Mai 2018 ein Anspruch in Höhe von 81,11 € besteht. Der Beklagte hat auf die streitgegenständlichen Rechnungsbeträge in den Monaten Juni und Juli 2018 eine häusliche Ersparnis von jeweils 921,02 € angerechnet. Die ehemalige Klägerin musste sich aber im Juni nur 300,00 € (30 Tage) und im Juli 310,00 € (31 Tage) anrechnen lassen. Für den Monat Juni 2018 besteht somit eine Anspruch in Höhe von 621,02 €. Für den Monat Juli 2018 ergibt sich ein Anspruch in Höhe von 611,02 €.
58Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
59Rechtsmittelbelehrung:
60Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
611. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
622. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
633. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
644. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
655. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
66Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV), bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV, einzureichen.
67Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
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Referenzen
- §§ 1922 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 12 Abs. 6 Satz 2 HeilvfV 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 5564/90 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 155 1x
- 2 B 13/10 1x (nicht zugeordnet)
- § 28 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 d Abs. 2 BVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 35 Abs. 2 LBeamtVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 40 LBeamtVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 113 1x
- § 8 Abs. 1 Nr. 3 RBEG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 173 1x
- 1 A 5564/99 1x (nicht zugeordnet)
- 8 SO 25/14 1x (nicht zugeordnet)
- § 5d Abs. 2 BVO 2x (nicht zugeordnet)
- 4 U 585/09 1x (nicht zugeordnet)
- § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RBEG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- 8 SO 18/15 1x (nicht zugeordnet)
- § 39 Abs. 4 LBeamtVG 1x (nicht zugeordnet)
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- ZPO § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung 2x
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- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 12 Abs. 6 Satz 1 HeilvfV 2x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 7 U 104/11 1x
- § 39 Abs. 1 Nr. 3 LBeamtVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 43 b SGB XI 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 39 und 40 LBeamtVG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 55a 1x