Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 346/08
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um Gebühren für Trinkwasser und Schmutzwasser.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Hausgrundstücks P.. Das Grundstück ist an die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung angeschlossen, die der Beklagte als öffentliche Einrichtung betreibt.
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Die Klägerin teilte Ende 2006 den im Wege der Selbstablesung ermittelten Zählerstand mit „77799,X“ mit. Mit Bescheid vom 15.01.2007 setzte der Beklagte daraufhin für den Zeitraum vom 28.10.2005 bis zum 31.12.2006 Wassergebühren in Höhe von 141,37 Euro fest und ging dabei von einem Zählerstand von sieben Kubikmetern und einem Frischwasserverbrauch von zwei Kubikmetern aus. Am 02.01.2008 ermittelte die Klägerin einen Zählerstand von 77 Kubikmetern, der bei einer umgehend erfolgten Kontrollablesung durch den Beklagten bestätigt wurde. Mit Bescheid vom 15.01.2008 (Belegnummer VR) setzte der Beklagte für den Zeitraum 2007 Trinkwassergebühren in Höhe von 156,50 Euro und Schmutzwassergebühren in Höhe von 237,88 Euro fest. Der Festsetzung lag ein angenommener Frischwasserverbrauch von 70 Kubikmetern zugrunde. Den Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2008 zurück.
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Am 11.03.2008 hat die Klägerin insoweit Klage erhoben (Az.: 3 A 346/08).
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Mit Bescheid vom 13.01.2009 (Belegnummer VR) setzte der Beklagte für den Zeitraum 2008 Trinkwassergebühren in Höhe von 71,79 Euro und Abwassergebühren in Höhe von 48,95 Euro bei einem festgestellten Verbrauch von einem Kubikmeter fest. Den Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.009 zurück.
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Am 26.03.2009 hat die Klägerin auch insoweit Klage erhoben (Az.: 3 A 305/09). Das Gericht hat die Verfahren 3 A 346/08 und 3 A 305/09 mit Beschluss vom 07.04.2011 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
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Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, die Wohnung P. stehe seit Januar 2004 leer und werde nicht mehr benutzt. Ein Wasserverbrauch finde nicht statt. Offenbar handele es sich um einen Ablesefehler aus dem Vorjahr, in dem statt des Zählerstandes von 77 Kubikmetern nur sieben Kubikmetern berücksichtigt worden seien. Der Bescheid vom 13.01.2009 enthalte eine erneute Festsetzung der Gebühren aus dem Vorjahr.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 15.01.2008 (Belegnummer VR) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2008 und den Bescheid des Beklagten vom 13.01.2009 (Belegnummer VR) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtenen Bescheide. Es sei rechtlich unerheblich, falls die Verbrauchsmenge von 70 Kubikmetern dem Vorjahr zuzurechnen gewesen sein sollte. Soweit sich die Klägerin gegen die Mitteilung einer Restforderung im Bescheid vom 13.01.2009 wende, betreffe das den Klagegegenstand aus dem Bescheid vom 15.01.2008.
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Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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2. Die Klage bleibt ohne Erfolg. Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Soweit sich die Klage mit einem Anfechtungsantrag gegen die Mitteilung einer Restforderung in Höhe von 290,38 Euro im Bescheid vom 13.01.2009 wendet, ist sie unzulässig. Es fehlt insoweit mangels Regelungswirkung an einem Verwaltungsakt als Klagegegenstand. Die Festsetzung des Zahlbetrages und die Zahlungsaufforderung sind bereits mit Bescheid vom 15.01.2008 bzw. hinsichtlich der darin aufgeführten Restforderung von 13 Euro in einem früheren Bescheid erfolgt. Es handelt sich um eine bloße Mitteilung einer Restforderung nach Art eines Kontoauszuges, die keine erneute Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 15.04.2003 - 3 A 122/01, zit. n. juris; zur Auslegung der Regelungsgegenstände eines Gebührenbescheides auch OVG Weimar, Beschl. v. 26.07.2005 - 4 EO 131/02, zit. n. juris).
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b) Die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung bilden die Satzungen über die Erhebung von Benutzungsgebühren für die öffentliche Wasserversorgung des Wasserzweckverbandes Malchin-Stavenhagen vom 09.09.2006 und vom 10.12.2007 sowie die Satzungen des Wasserzweckverbandes Malchin-Stavenhagen über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserbeseitigung vom 14.12.2005 und vom 10.12.2007. Diese Satzungen sind nach jetzigem Erkenntnisstand des Gerichts wirksam, auch die Klage bringt insoweit nichts Gegenteiliges vor.
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c) Auch die Rechtsanwendung im Einzelfall geschah rechtmäßig. Der Beklagte durfte für den Erhebungszeitraum 2007 bei der Ermittlung der Mengengebühr von einem Frischwasserverbrauch von 70 Kubikmetern ausgehen.
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aa) Ist die Wassergebühr nach dem von einem Wasserzähler angezeigten Wasserverbrauch zu bemessen und ermächtigt die Satzung zur Schätzung des Wasserverbrauchs nur dann, wenn eine satzungsrechtlich vorgesehene Zählerprüfung eine die Verkehrsfehlergrenzen überschreitende Messungenauigkeit ergeben hat, so ist der Wasserabgabesatzung die unwiderlegbare Vermutung zu entnehmen, dass der Wasserzähler in dem zurückliegenden Ablesezeitraum den Wasserverbrauch richtig angezeigt hat. Eine solche nicht widerlegbare Vermutung rechtfertigt sich aus Gründen einer praktikablen Handhabung der Gebührenerhebung (VGH Mannheim, Urt. v. 08.10.1987 - 2 S 1997/85; zustimmend Siemers, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Juni 2010, § 6, Anm. 12).
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So liegt es hier. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Satzung über die Versorgung der Grundstücke mit Wasser und den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgungsanlage des Wasserzweckverbandes Malchin-Stavenhagen vom 14.12.2005 (Wasserversorgungssatzung 2005) stellt der Wasserzweckverband die verbrauchte Trinkwassermenge durch Messeinrichtungen fest, die den eichrechtlichen Vorschriften entsprechen müssen. Der Anschlussberechtigte kann jederzeit die Nachprüfung der Messeinrichtungen verlangen (§ 21 Abs. 1 Wasserversorgungssatzung). Wenn die verbrauchte Trinkwassermenge (deshalb) nicht ermittelt werden kann, ist der Wasserzweckverband berechtigt, diese zu schätzen (§ 2 Abs. 3b Gebührensatzung Trinkwasser). Die für die Erhebung der Trinkwassergebühren zugrunde gelegte Menge ist auch für die Mengengebühr Schmutzwasser maßgeblich (§ 14 Abs. 2 Satz 5 Beitrags- und Gebührensatzung Abwasser). Geht man also davon aus, dass der Zählerstand bei Beginn des Abrechnungszeitraums 2007 bei sieben Kubikmetern lag – wofür sprechen könnte, dass die Klägerin gegen den Bescheid vom 15.01.2007 nichts geltend gemacht hat – war der Wasserverbrauch mit 70 Kubikmetern anzusetzen. Ohne dass es darauf ankommt, wird darauf hingewiesen, dass ein solcher Verbrauch auch tatsächlich bei einer ungenutzten Wohnung auftreten kann, etwa durch unbemerkt gebliebene Leckagen oder einen tropfenden Wasserhahn bzw. eine defekte Toilettenspülung.
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Doch selbst wenn man annehmen wollte, dass hier ein Ablesefehler vorlag und die Messeinrichtung bereits zum Anfang des Verbrauchszeitraums 2009 einen Stand von 77 Kubikmetern aufwies, wäre der Bescheid vom 15.01.2008 nicht zu beanstanden. Dies zugrunde gelegt, würde es sich bei der streitigen Gebührenfestsetzung zwar teilweise um eine (verkappte) Nacherhebung für eine oder mehrere Abrechnungsperioden handeln. Dies ist jedoch unschädlich, da eine Nacherhebung von Benutzungsgebühren zulässig ist (VG Greifswald, Urt. v. 01.04.2009 – 3 A 658/06, n.v.).
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Insbesondere steht die Bestandskraft der Gebührenbescheide für die abgelaufenen Abrechnungsperioden einer der Nacherhebung für diesen Zeitraum nicht entgegen. Zwar sind über die Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V die §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO) über die nachträgliche Aufhebung und Änderung von bestandskräftigen Steuerbescheiden entsprechend anwendbar. Nach Auffassung der Kammer stehen diese Vorschriften aber einer Nachveranlagung nicht entgegen, weil durch den Nacherhebungsbescheid die früheren Gebührenbescheide nicht im Sinne der genannten Vorschriften aufgehoben oder abgeändert, sondern lediglich der Gebührenanspruch ausgeschöpft wird (vgl. die Nachweise bei Aussprung in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Mai 2008, § 12 Anm. 50.2.2).
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Die Gegenauffassung, wonach auch ein Nacherhebungsbescheid in den Geltungsbereich der §§ 172 ff. AO falle, weil das Gebührenschuldverhältnis durch diesen Bescheid neu geregelt werde, so dass aus Sicht des Betroffenen eine Änderung der ursprünglichen Heranziehung eintrete (siehe Aussprung a.a.O., Anm. 50.2.1), überzeugt nicht. Sie berücksichtigt nicht genügend das den Entgeltabgaben zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Die §§ 172 ff. AO basieren auf einem vorrangigen Vertrauensschutz gegenüber bestandskräftigen Steuerbescheiden, wobei Steuern grundsätzlich ohne Gegenleistung geschuldet werden. Für kommunale Entgeltabgaben, jedenfalls Gebühren und Beiträge, trifft der Sinngehalt des § 172 AO nicht in annäherndem Maße zu wie für Steuern. Bei Entgeltabgaben steht die Zahlungspflicht in unmittelbarer Beziehung zu einer von der Allgemeinheit erbrachten Leistung. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, dass eine fehlerhafte Abgabenfestsetzung nicht innerhalb der Festsetzungsfrist auch zu Lasten des Abgabenschuldners behoben werden sollte. Dabei ist zu beachten, dass Entgeltabgaben vorzugsweise bei kostenrechnenden Einrichtungen erhoben werden und dass die Unabänderbarkeit fehlerhafter Bescheide, die Gebühren oder Beiträge zu niedrig festgesetzt haben, zu einem Defizit führen würden, dass entweder durch Abgabenerhöhung von den übrigen Benutzern der Einrichtung, oder vom Steuerzahler getragen werden müsste (vgl. zur Nacherhebung im Anschlussbeitragsrecht OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 - 1 L 323/06, zit. n. juris; VG Greifswald, Beschl. v. 27.02.2006 - 3 B 3023/05, n.v.).
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bb) Andere Einwendungen zur Rechtsanwendung insbesondere zum Bescheid vom 13.01.2009 macht die Klage nicht geltend, sie drängen sich dem Gericht auch nicht auf, so dass von weiteren Darlegungen abgesehen wird.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Es bestehen keine Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß §§ 124, 124a VwGO.
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Referenzen
- VwGO § 124 1x
- § 172 AO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 4 EO 131/02 1x (nicht zugeordnet)
- 3 A 305/09 2x (nicht zugeordnet)
- § 12 Abs. 1 KAG 1x (nicht zugeordnet)
- 3 A 122/01 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 346/08 2x
- 3 A 658/06 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124a 1x
- §§ 172 ff. AO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 L 323/06 1x
- 3 B 3023/05 1x (nicht zugeordnet)
- 2 S 1997/85 1x (nicht zugeordnet)