Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 619/15 HGW

Tenor

1. Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird der Bescheid des Beklagten vom 8. September 2011 aufgehoben. Ebenfalls unter Abweisung der Klage im Übrigen wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin den Betrag von 358.700,00 EUR zzgl. 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juli 2015 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten zu 16 v. H. und im Übrigen der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks G2 in einer Größe von 324.618 m². Das als Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei genutzte Grundstück befindet sich außerhalb der Ortslage von N. und ist mit etwa 20 massiv errichteten, mehrgeschossigen Funktions- und Unterkunftsgebäuden bebaut. Es ist an die von der Stadt N. betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbehandlungsanlage angeschlossen.

3

Mit Bescheiden vom 9. September 2011 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutz- und Niederschlagswasser i.H.v. 1.874.160,96 EUR bzw. 358.735,10 EUR heran. Dabei stufte er das Grundstück als im unbeplanten Innenbereich i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB gelegen ein und brachte die satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung zum Ansatz. Die Klägerin zahlte die festgesetzten Beiträge. Ihre gegen die Beitragsbescheide eingelegten Widersprüche vom 16. September 2011 sind vom Beklagen bisher nicht beschieden worden.

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Am 14. Juli 2015 hat die Klägerin zu den Az. 3 A 619/15 und 3 A 620/15 Anfechtungsklagen in Form von Untätigkeitsklagen erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 28. März 2018 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des erstgenannten Verfahrens verbunden hat.

5

Die Klägerin ist der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die Abwasserbeitragssatzung sei unwirksam. Die Maßstabsregelung zur Flächenermittlung bei Grundstücken im unbeplanten Innenbereich (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AwBS) sei unwirksam. Die Normierung einer „schlichten“ Tiefenbegrenzung sei unzulässig. Zudem sei die Tiefenbegrenzungslinie von 50 m nicht auf Grundlage einer ordnungsgemäßen Datenermittlung festgelegt worden. Der Beklagte habe die ortsübliche Bebauungstiefe einheitlich ermittelt, obwohl sich die Entsorgungsgebiete Schmutz- und Niederschlagswasser unterschieden. Daher hätte es der Bildung unterschiedlicher „Grundstückspools“ bedurft.

6

Auch der für Außenbereichsflächen geltende Umgriffsflächenmaßstab (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 AwBS) sei unwirksam, weil die danach vorgesehene Multiplikation der Gebäudefläche mit dem Faktor 5 zu einer gewichteten Fläche führe, die größer sei als die tatsächliche Grundstücksfläche. Zudem fehle eine Regelung über die Zuordnung der Umgriffsfläche bei Grundstücken mit sich überschneidenden Umgriffsflächen.

7

Die nur für die Niederschlagswasserbeseitigung geltende Abschlagsregelung für die Flächenermittlung bei Grundstücken ohne bzw. mit nur untergeordneter Bebauung in § 5 Abs. 2 Nr. 1 führe zu vorteilswidrigen Ergebnissen.

8

Die Regelung über den Nutzungsfaktor für den Schmutzwasserbeitrag in § 6 AwBS sei nicht hinreichend bestimmt, weil sie teilweise den in der Satzung definierten Vollgeschossbegriff verwende, bei Grundstücken in unbeplanten Gebieten und bei bebauten Außenbereichsgrundstücken dagegen lediglich auf den Begriff „Geschoss“ abstelle. Gleiches gelte für die Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 4 AwBS, die für im Außenbereich gelegene unbebaute Grundstücke, Stellplatzgrundstücke und Grundstücke mit untergeordneter Bebauung einschließlich Wochenendhäusern einen Nutzungsfaktor von 0,5 vorsehe. Ein unbebautes Grundstück im Außenbereich könne auch als der Regelung des § 6 Abs. 4 Nr. 2 AwBS (unbeplantes Gebiet) unterfallend angesehen werden.

9

Gleichfalls nicht hinreichend bestimmt bzw. trennscharf voneinander abgegrenzt seien die Regelungen über die Grundflächenzahl bei der Niederschlagswasserbeseitigung. Festplätze und Campingplätze im Außenbereich könnten sowohl der für sie geltenden Spezialregelung in § 7 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bzw. Nr. 3 AwBS als auch der Außenbereichsregelung in § 7 Abs. 1 Nr. 4 AwBS zugeordnet werden, was zu unterschiedlichen Grundflächenzahlen führe. Auch die Bestimmung der Grundflächenzahl für Sondergebiete nach § 11 BauNVO sei unzulässig. § 11 BauNVO definiere keine typisierte Nutzungsart. Die einheitliche Anwendung des Nutzungsfaktors 0,8 beispielsweise auf Sondergebiete für Einzelhandel und für Gartenhäuser sei vorteilswidrig.

10

Die Kalkulation des Niederschlagswasserbeitrags sei fehlerhaft, weil der Beklagte die nicht unerhebliche Fläche des klägerischen Grundstücks auf der Flächenseite der Beitragskalkulation nicht berücksichtigt habe. Dadurch hätte sich der Beitragssatz erhöht.

11

Die Rechtsanwendung durch den Beklagten sei ebenfalls fehlerhaft. Das klägerische Grundstück sei nicht als Innenbereichsfläche, sondern als Außenbereichsfläche einzustufen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Bescheide des Beklagten vom 9. September 2011 aufzuheben und

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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die Beträge von 1.874.160,96 EUR und 358.735,10 zzgl. Zinsen auf die Beträge von 1.874.150,00 EUR bzw. 358.700,00 i.H.v. 0,5 Prozent für jeden vollen Monat ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verteidigt die angefochtenen Bescheide und weist darauf hin, dass in dem Verfahren 3 A 2209/16 hinsichtlich des Beitragssatzes für die Niederschlagswasserbeseitigung eine Fehlerheilung gemäß § 2 Abs. 3 KAG M-V erfolgt sei (VG Greifswald, Urt. v. 13.11.2017 – 3 A 2209/16 –, juris Rn. 22).

18

Mit Beschluss vom 28. März 2018 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die als sog. Untätigkeitsklage i.S.d. § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Niederschlagswasserbeitragsbescheid vom 9. September 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (1.). Daher ist auch der insoweit geltend gemachte Erstattungsanspruch begründet. Zinsen auf den Erstattungsanspruch kann die Klägerin dagegen nur in der im Tenor ersichtlichen Höhe verlangen (2.). Der Schmutzwasserbeitragsbescheid gleichen Datums ist dagegen nicht zu beanstanden sodass insoweit auch kein Erstattungsanspruch besteht. (3.).

21

1. Der Niederschlagswasserbeitragsbescheid kann nicht auf die Satzung über die Erhebung von Abwasserbeiträgen und Kostenersatz für weitere Grundstücksanschlüsse der Stadt N. (Abwasserbeitragssatzung - AwBS) vom 9. November 2009 gestützt werden, denn die Satzung weist für die Niederschlagswasserbeseitigung eine unvollständige Maßstabsregelung auf (a.). Zudem enthält die Maßstabsregel eine unzulässige Privilegierung bestimmter Nutzungen (b.).

22

a. Nach § 4 Abs. 2 AwBS gilt für den Niederschlagswasserbeitrag der sog. Versiegelungsflächenmaßstab, wonach die ansatzfähige Grundstücksfläche mit der der Grundflächenzahl multipliziert wird. Dies ist unter Vorteilsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Denn der zulässige Versiegelungsgrad eines Grundstücks ist ein zutreffender Indikator für die Niederschlagsmenge, die von dem Grundstück der zentralen Niederschlagswasserbeseitigung zugeführt wird. Auch die Bemessung des zulässigen Versiegelungsgrades nach der Grundflächenzahl ist unter Vorteilsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, denn sie gibt an, wieviel Quadratmeter von baulichen Anlagen überdeckter Grundfläche je Quadratmeter Grundstücksfläche zulässig sind (vgl. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Baunutzungsverordnung – BauNVO). Damit bildet die Grundflächenzahl den zulässigen Versiegelungsgrad eines Grundstücks hinreichend deutlich ab.

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Dies erfordert aber, dass die Maßstabsregelung Kriterien zur Ermittlung der Grundflächenzahl für alle im Gebiet der beitragsberechtigten Körperschaft vorkommenden Anwendungsfälle enthält. Hieran fehlt es vorliegend. Die Maßstabsregelung ist unvollständig. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AwBS gilt als Grundflächenzahl die in einem Bebauungsplan festgesetzte Grundflächenzahl. Für bestimmte in der Baunutzungsverordnung normierte Gebietstypen werden in der Satzung in Anlehnung an § 17 Abs. 1 Spalte 2 BauNVO Grundflächen ausgewiesen (Buchst. b). Des Weiteren normiert § 7 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 bis 5 AwBS Grundflächenzahlen für bestimmte Nutzungen und Außenbereichsgrundstücke. § 7 Abs. 2 Nr. 2 AwBS bestimmt weiter, dass sich die Gebietseinordnung gemäß Abs. 1 für Grundstücke, die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§ 34 BauGB), nach der vorhandenen Bebauung in der näheren Umgebung richtet.

24

Von diesen Regelungen werden Grundstücke innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.d. § 34 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) nicht erfasst. Die Verweisung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 AwBS auf § 7 Abs. 1 AwBS ist sinnvoll und zulässig, soweit sie Grundstücke betrifft, deren bodenrechtliche Einordnung sich nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. einem der in §§ 2 ff. BauNVO geregelten Gebietstypen richtet. Zusätzlich ist aber eine Regelung für Grundstücke im unbeplanten Innenbereich erforderlich, bei denen eine Gebietseinordnung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB wegen einer uneinheitlichen Nutzungsstruktur unanwendbar ist. Denkbar ist, dass sich in diesen Fällen die Grundflächenzahl nach dem Verhältnis von Grundfläche und Grundstücksfläche in der näheren Umgebung richtet. Eine solche Regelung fehlt jedoch. § 7 Abs. 2 Nr. 2 AwBS bestimmt lediglich, dass sich die Gebietseinordnung nach der vorhandenen Bebauung in der näheren Umgebung richtet.

25

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich im Regelfall oder auch nur überwiegend nach § 34 Abs. 2 BauGB richtet, mit der Folge, dass es für die Fälle des § 34 Abs. 1 BauGB keiner Regelung bedarf. Denn die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB darf nicht dazu führen, dass eine vorhandene Bebauung in Zielrichtung auf eine scharfe Trennung von Gebietscharakter und zulässiger Bebauung geradezu gewaltsam in eine der Alternativen des Gebietskatalogs in § 1 Abs. 2 BauNVO gepresst wird, um dann in einer zweiten Stufe mehr oder weniger schematisch die Zulässigkeitsregeln der §§ 2 ff. BauNVO anzuwenden (BVerwG, Urt. v. 23.04.1969 – VI C 12.67 –, BVerwGE 32, 31 <37>). Weist die nähere Umgebung z.B. die Merkmale zweier Baugebiete i.S. der Baunutzungsverordnung auf, findet § 34 Abs. 2 BauGB keine Anwendung. Die Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich in diesem Fall ausschließlich nach § 34 Abs. 1 BauGB (Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Auflage 2014, § 34 Rn. 60).

26

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das Fehlen einer auf die Fälle des § 34 Abs. 1 BauGB zugeschnittenen Regelung auch nicht nach dem Grundsatz der Typengerechtigkeit zulässig. Zwar gestattet es der Grundsatz der Typengerechtigkeit dem Ortsgesetzgeber zu verallgemeinern und zu pauschalieren. Anknüpfungspunkt muss dabei aber immer der Regelfall sein. Ein Anknüpfen an die Ausnahme ist unzulässig. Genau dies ist vorliegend aber der Fall: Die Verweisung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 AwBS auf § 7 Abs. 1 AwBS führt dazu, dass das die bodenrechtliche Ausnahme – die Existenz faktischer Baugebiete i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 ff. BauNVO – zum Regelfall bestimmt wird. Als Folge davon war der Beklagte gezwungen, entgegen der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts alle Grundstücke im unbeplanten Innenbereich der Stadt N. schematisch einem der Gebietstypen der Baunutzungsverordnung zuzuordnen, um einen Faktor zur Ermittlung des zulässigen Versiegelungsgrades anwenden zu können.

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Soweit der Beklagte weiter einwendet, eine mit § 7 AwBS weitgehend identische Maßstabsregelung sei in der Entscheidung des OVG Schleswig vom 24.11.1999 (– 2 K 19/97 –, juris Rn. 7 ff.) nicht beanstandet worden, trifft dies zwar zu. Es hilft ihm jedoch nicht weiter, denn der Antragsteller jenes Verfahrens hatte lediglich gerügt, durch die Maßstabsregel in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Vollständigkeit der Maßstabsregel ist daher nicht geprüft worden. Gleiches gilt für den vom Beklagten ebenfalls zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.1989 (– 8 B 117.88 –, juris).

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b. Ebenfalls fehlerhaft ist die Maßstabsregel in § 5 Abs. 2 AwBS. Nach Nr. 1 der Vorschrift gilt bei der Niederschlagswasserbeseitigung als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die durch Bebauungsplan eine Nutzung als Fläche für die Landwirtschaft festgesetzt ist und bei Grundstücken, für die durch Bebauungsplan sonstige Nutzung ohne oder mit nur untergeordneter Bebauung festgesetzt ist oder die tatsächlich so genutzt werden (z.B. Schwimmbäder, Camping-, Sport- und Festplätze sowie Friedhöfe) 75% der Grundstücksfläche. Für alle anderen Grundstücke gilt nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 AwBS die für den Schmutzwasserbeitrag maßgebliche Flächenermittlung.

29

Ein Flächenabschlag für bestimmte bauliche Nutzungen ist im Bereich der Niederschlagswasserbeseitigung mit dem Vorteilsprinzip nicht zu vereinbaren. Richtig ist zwar, dass der Flächenabschlag im Bereich der Schmutzwasserbeseitigung seine Berechtigung hat, weil die in § 5 Abs. 2 Nr. 1 genannten Nutzungen (Schwimmbäder, Camping-, Sport- und Festplätze sowie Friedhöfe) in der Regel auf großflächigen Grundstücken mit einer nur untergeordneten Bebauung erfolgen (vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 25.06.2001 – 3 B 2393/00 –, juris Rn. 4 m.w.N.; auch die vom Beklagten angegebenen Zitate betreffen ausschließlich den Schmutzwasserbeitrag)), so dass eine „strenge“ Anwendung des Vollgeschossmaßstabes in diesen Fällen zu vorteilswidrigen Ergebnissen führen würde. Die sonach notwendige Korrektur kann unter Geltung des Vollgeschossmaßstabes nur durch einen Flächenabschlag vorgenommen werden. Diese Erwägungen können jedoch auf die Niederschlagswasserbeseitigung nicht übertragen werden. Denn vor dem Hintergrund des hier geltenden Versiegelungsflächenmaßstabs kann es für die Vorteilsbemessung nicht auf die Art oder das Maß der baulichen Nutzung ankommen. Maßgeblich kann nur der tatsächliche oder zulässige Versiegelungsgrad der baulich nutzbaren Grundstücksfläche sein. Für einen gleichsam „vor die Klammer gezogenen“ Flächenabschlag ist dabei kein Raum.

30

c. Auf die weiteren Einwände der Klägerin gegen die Maßstabsregeln für die Niederschlagswasserbeseitigung kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an. Es sei aber vorsorglich darauf hingewiesen, dass sie unbegründet sein dürften. Insbesondere ist die Bestimmung der für Sondergebiete i.S.d. § 11 BauNVO geltende Grundflächenzahl von 0,8 (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 AwBS) dann nicht zu beanstanden, wenn die im Gebiet der Stadt N. existierenden Sondergebiete einen Versiegelungsgrad aufweisen, der diesen Faktor rechtfertigt. Entsprechendes gilt für die Bestimmung in § 7 Abs. 1 Nr. 5 AwBS.

31

2. Der im Hinblick auf den Niederschlagswasserbeitrag geltend gemachte Erstattungsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt der Vollzugsfolgenbeseitigung (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO) gegeben. Allerdings kann die Klägerin nur Prozesszinsen auf den Erstattungsanspruch analog § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verlangen (W.-R. Schenke in: Kopp, VwGO, 23. Auflage 2017, § 90 Rn. 22 m.w.N.). Der von der Klägerin geltend gemachte (höhere) Zinsanspruch nach § 236 Abgabenordnung (AO) besteht nicht, weil ein solcher Anspruch den Erlass eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO voraussetzt (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 29.06.2017 – 3 A 61/15 –, juris Rn. 15 m.w.N.).

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3. Zweifel an der Wirksamkeit der die Erhebung des Schmutzwasserbeitrags betreffenden Bestimmungen der Abwasserbeitragssatzung vom 9. November 2009 bestehen nicht (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 02.10.2014 – 3 A 115/13 –, juris). Die Fehlerhaftigkeit der Maßstabsregeln für den Niederschlagswasserbeitrag führt nicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Vielmehr ist nach dem Rechtsgedanken aus § 139 BGB von einer bloßen Teilnichtigkeit auszugehen. Da die Stadt N. die Erhebung von Schmutz- und Niederschlagswasserbeiträgen auch in unterschiedlichen Satzungen regeln könnte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie bei Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Maßstabsregeln für den Niederschlagswasserbeitrag von einer Normierung der Rechtsgrundlagen für die Erhebung des Schmutzwasserbeitrags abgesehen hätte.

33

a. Die gegen die Wirksamkeit der den Schmutzwasserbeitrag betreffenden Bestimmungen erhobenen Einwände der Klägerin verfangen ebenfalls nicht.

34

aa. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Regelung zur Flächenermittlung bei Grundstücken im unbeplanten Innenbereich unbedenklich. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AwBS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein Bebauungsplan besteht und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§ 34 BauGB), die Gesamtfläche des Grundstücks, höchsten jedoch die Fläche zwischen der jeweiligen Grundstücksgrenze und einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallele; reicht die bauliche und gewerbliche Nutzung über diese Begrenzung hinaus oder sind Flächen tatsächlich angeschlossen, so ist die Grundstückstiefe maßgebend, die durch die hintere Grenze bestimmt wird (…).

35

Die Bestimmung normiert eine so genannte „schlichte“ Tiefenbegrenzung, die von der „qualifizierten“ Tiefenbegrenzung zu unterscheiden ist. Die „schlichte“ Tiefenbegrenzung gilt – vorbehaltlich des Falles einer grenzübergreifenden Bebauung – „immer", d.h. die rückwärtige, jenseits der Begrenzung gelegene Fläche eines Baugrundstücks bleibt ungeachtet ihrer bauplanungsrechtlichen Einstufung bei der Ermittlung des Beitrags regelmäßig unberücksichtigt. Sie ist damit sowohl auf „übertiefe“ Grundstücke anwendbar, die mit ihrer Gesamtfläche im unbeplanten Innenbereich liegen („zentrale Grundstücke“), als auch auf solche, die vom unbeplanten Innenbereich in den Außenbereich übergehen („Randlagengrundstücke“). Demgegenüber ist der Anwendungsbereich der „qualifizierten“ Tiefenbegrenzung beschränkt: Sie greift nur in Fällen, in denen es sich bei der rückwärtigen Teilfläche eines Grundstücks um eine Außenbereichsfläche i.S.d. § 35 BauGB handelt bzw. es zweifelhaft ist, ob die rückwärtige Teilfläche dem Außenbereich zuzuordnen ist. Ihr Anwendungsbereich ist damit auf „Randlagengrundstücke“ zugeschnitten.

36

Im Anschlussbeitragsrecht dient die Tiefenbegrenzung in beiden Spielarten der Abgrenzung von bevorteilten und nicht bevorteilten Grundstücksflächen. Diese Abgrenzung ist erforderlich, weil nur Baugrundstücken – hierzu gehören neben Grundstücken im Geltungsbereich rechtsverbindlicher Bebauungspläne Grundstücke im unbeplanten Innenbereich – durch die beitragsfähige Einrichtung ein Vorteil geboten wird, Grundstücken bzw. Teilflächen von Grundstücken, die kein Bauland darstellen, dagegen nicht.

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Die gegen § 5 Abs. 1 Nr. 3 AwBS erhobenen Einwände der Klägerin verfangen nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt die Normierung einer „schlichten“ Tiefenbegrenzung nicht zu einer vorteils- oder gleichheitswidrigen Privilegierung „übertiefer“ zentraler Innenbereichsgrundstücke. Richtig ist zwar, dass „übertiefe“ zentrale Innenbereichsgrundstücke durch die Normierung einer „schlichten“ Tiefenbegrenzung insoweit begünstigt werden, als nicht die Gesamtfläche des Buchgrundstücks, sondern nur die Fläche bis zur Tiefenbegrenzungslinie in den Vorteilsausgleich einbezogen wird, obwohl auch deren „Restfläche“ – anders als bei Randlagengrundstücken – im unbeplanten Innenbereich liegt. Richtig ist auch, dass diese Begünstigung nach der früheren Rechtsprechung des OVG Greifswald nur hinzunehmen war, solange sie atypisch blieb und deshalb noch in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen der Typisierung stand (OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, juris Rn. 45; Beschl. v. 03.05.2005 – 1 L 268/03 –, n.v.). Nach der neueren Rechtsprechung des OVG Greifswald bedarf es jedoch keiner Rechtfertigung der „schlichten“ Tiefenbegrenzung mehr, denn nunmehr geht das Gericht davon aus, dass (auch) die rückwärtigen Teilflächen „übertiefer“ zentraler Innenbereichsgrundstücke nicht bevorteilt sind (OVG Greifswald, Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 289/11 –, juris Rn. 42). Denn die Tiefenbegrenzung hat nicht – jedenfalls nicht vornehmlich – die Funktion einer pauschalen Abgrenzung von Innen- und Außenbereichsflächen, sondern dient der Abgrenzung von baulich nutzbaren von baulich nicht nutzbaren Flächen (OVG Greifswald, a.a.O., Rn. 39, 42). Da auch die rückwärtigen Teilflächen „übertiefer“ zentraler Innenbereichsgrundstücke in der Regel einer baulichen Nutzung entzogen sind, weil sich eine Bebauung in diesem Bereich nicht in die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Kriterien einfügt, dürfen sie ebenso wenig in den Vorteilsausgleich einbezogen werden, wie die im Außenbereich gelegenen Restflächen übertiefer Randlagengrundstücke, bei denen sich die Unzulässigkeit der Bebauung aus ihrer Außenbereichslage ergibt.

38

Auch die konkrete Festlegung der Tiefenbegrenzung auf 50 m ist nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die bisherige Rechtsprechung (VG Greifswald, Urt. v. 02.10.2014 – 3 A 115/13 –, juris Rn. 29 ff.) verwiesen. An dieser Auffassung hält die Kammer auch mit Blick auf die neuere Rechtsprechung des OVG Greifswald fest, wonach Daten, die zur Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe für den Entsorgungsbereich „Schmutzwasser“ zutreffend ermittelt und gewichtet worden sind, nicht auf den Entsorgungsbereich „Niederschlagswasser“ übertragen werden dürfen, wenn beide Entsorgungsbereiche nicht deckungsgleich sind (OVG Greifswald, Urt. v. 05.12.2016 – 1 K 9/13 –, juris Rn. 37). Hierauf zielen die Darlegungen der Klägerin zum Erfordernis der Bildung unterschiedlicher „Grundstückspools“ ab.

39

Die genannte Rechtsprechung des OVG Greifswald ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Auch ist die abwasserbeseitigungspflichtige Körperschaft bei einer fehlenden Deckungsgleichheit der Entsorgungsgebiete nicht zwingend zur Bildung unterschiedlicher Grundstückspools verpflichtet. Zwar sind die Entsorgungsbereiche der zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung auch hier nicht deckungsgleich. Anders als in dem vom OVG Greifswald entschiedenen Fall hat der Beklagte hier jedoch nicht die Daten für einen Entsorgungsbereich ermittelt und diese dann der Festlegung der Tiefenbegrenzung auch des anderen Entsorgungsbereichs zu Grunde gelegt. Vielmehr ergibt sich aus den Kalkulationsunterlagen (Anlage 3 zur Beschlussvorlage S 09/03-15), dass bei der Auswahl der repräsentativen Straßen berücksichtigt wurde, dass zumindest der überwiegende Teil der Grundstücke sowohl für die Schmutz- als auch für die Niederschlagswasserbeseitigung infrage kommt. Anders als bei den 448 erfassten Grundstücken in Straßen der Tabelle 2, die sowohl zum Entsorgungsbereich der zentralen Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung gehören, wurden nur bei den insgesamt nur 148 Randlagengrundstücken der Tabelle 1 auch Grundstücke berücksichtigt, bei denen teilweise lediglich ein Anschluss an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung möglich ist. Diese Verfahrensweise ist jedenfalls bei den konkreten örtlichen Verhältnissen der Stadt N. zulässig, denn es wird gewährleistet, dass die ortsübliche Bebauungstiefe für beide Entsorgungsbereiche hinreichend deutlich abgebildet wird.

40

Bestätigt wird diese Auslegung durch die vom Beklagten vorgenommene Vergleichsbetrachtung. Würde man alle Straßen der Tabelle 1 streichen, in denen nur ein Anschluss an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung möglich ist, so wiesen bei einer Zusammenschau beider Tabellen 57% aller Grundstücke eine Bebauungstiefe bis 50 m auf. Diese Zahl ist hinreichend groß und rechtfertigt die satzungsrechtliche Regelung.

41

Abschließend sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass wegen der Berücksichtigung von Grundstücken die nur an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen sind oder angeschlossen werden können, allenfalls das Bild für die zentrale Niederschlagswasserbeseitigung verfälscht sein könnte. Auf diese Frage kommt es wegen der Fehlerhaftigkeit der in diesem Bereich geltenden Maßstabsregeln (s.o.) jedoch nicht entscheidungserheblich an.

42

bb. Auch die für Außenbereichsflächen geltende Umgriffsflächenregelung in § 5 Abs. 1 Nr. 5 AwBS ist nicht zu beanstanden. Sie führt dazu, dass bei an die Schmutz- oder Niederschlagswasserbeseitigungsanlage tatsächlich angeschlossenen (vgl. § 3 Abs. 3 AwBS) Außenbereichsgrundstücken nur die baulich und bauakzessorisch genutzte Teilfläche der Beitragserhebung unterliegt. Die Befürchtung der Klägerin, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 AwBS vorgesehen Division der Grundfläche der an die Abwasserbeseitigungsanlage angeschlossenen Baulichkeiten durch den Divisor 0,2 (= Multiplikation der Grundfläche mit dem Faktor 5) könne zu einer gewichteten Fläche führen, die größer sei als die tatsächliche Grundstücksfläche, ist unbegründet. Zwar ist eine Flächenbegrenzung in § 5 Abs. 1 Nr. 5 AwBS – anders als in § 5 Abs. 1 Nr. 6 AwBS („höchstens die jedoch die tatsächliche Grundstücksgröße“) – nicht ausdrücklich normiert; die Kammer geht jedoch davon aus, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Begrenzungsregel auf einem unschädlichen Redaktionsversehen beruht, so dass die Regelungslücke im Wege der Analogie zu § 5 Abs. 1 Nr. 6 AwBS geschlossen werden kann (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 14.08.2007 – 3 A 2017/05 –, S. 14 des Entscheidungsumdrucks; zum ähnlichen Fall des Fehlens einer sog. Umgriffs- oder Abgeltungsflächenregelung: OVG Greifswald, Urt. v. 24.03.2004 – 1 L 58/02 –, S. 24 des Entscheidungsumdrucks).

43

Der weitere Einwand der Klägerin, es fehle eine Regelung über die Zuordnung der Umgriffsfläche bei Grundstücken mit sich überschneidenden Umgriffsflächen, greift ebenfalls nicht durch. Zum einen kann das Problem der sich überlappenden Umgriffsflächen durch eine analoge Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 5 zweiter Halbsatz AwBS (Grundstücke mit Randlagenbebauung). Zum anderen würde auch eine – hier nur unterstellte – Fehlerhaftigkeit der Zuordnungsregelung nicht zur Fehlerhaftigkeit der Maßstabsregelung führen. Die Zuordnung der auf Grundlage der Umgriffsflächenregelung ermittelten Beitragseinheiten dient nicht der Ermittlung der auf das betreffende Grundstück entfallenden Beitragseinheiten, sondern soll mit Blick auf den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung lediglich gewährleisten, dass die Teilfläche des Grundstücks, für die ein Anschlussbeitrag erhoben wird, bei einer Beitragserhebung für die Restfläche – z.B. nach einer Überplanung des gesamten Grundstücks – nicht nochmal berücksichtigt wird (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 27.04.2009 – 2 LB 64/08 –, juris Rn. 33 ff.). Die Zuordnung gehört damit nicht zur eigentlichen Maßstabsregel und wird folglich auch nicht von der Regelung über den Mindestinhalt in § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V erfasst. Eine Fehlerhaftigkeit der Zuordnungsregelung kann sich daher erst bei einer weiteren Beitragserhebung für das betreffende Grundstück auswirken.

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Ungeachtet dessen sei darauf hingewiesen, dass die Klägerin keinen Anwendungsfall dargelegt hat, in denen sich die angebliche Fehlerhaftigkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 5 AwBS tatsächlich auswirkt. Das klägerische Grundstück ist – wie noch zu zeigen sein wird – nicht dem Außenbereich (§ 35 BauGB), sondern dem unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB) zuzuordnen. Anhaltspunkte dafür, dass es im Gebiet der Stadt N. überhaupt Außenbereichsgrundstücke mit einer derart verdichteten Bebauung gibt, dass die von der Klägerin gerügten Fehler auftreten, sind nicht erkennbar.

45

cc. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Regelung über den Nutzungsfaktor für den Schmutzwasserbeitrag in § 6 AwBS hinreichend bestimmt, obwohl in der Vorschrift teilweise von „Vollgeschossen“ (Abs. 2 und 3) und teilweise lediglich von „Geschossen“ (Abs. 4, 5 und 6) die Rede ist. Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass die Begriffe „Vollgeschoss“ und „Geschoss“ in der Satzung synonym verwandt werden. Dies folgt aus § 6 Abs. 2 Satz 1 AwBS, wonach als zulässige Zahl der Geschosse die im Bebauungsplan festgesetzte Zahl der Vollgeschosse gilt. Der Begriff des Vollgeschosses ist in § 6 Abs. 8 AwBS in Anlehnung an die Bestimmung des § 2 Abs. 6 Landesbauordnung (LBauO M-V) definiert. Dagegen ist nichts zu erinnern. Auch die in § 6 Abs. 8 Satz 3 AwBS normierte Abweichung von der Mindesthöhe bei Geschossen von Altbauten begegnet keinen Bedenken (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris Rn. 62 ff.).

46

dd. Weiter ist auch § 6 Abs. 5 Satz 4 AwBS nicht zu beanstanden. Die Vorschrift, die ebenfalls nur für an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage tatsächlich angeschlossene Grundstücke gilt (vgl. § 3 Abs. 3 AwBS), sieht für unbebaute Grundstücke, Stellplatzgrundstücke und Grundstücken mit nur untergeordneter Bebauung einschließlich Wochenendhäusern den Nutzungsfaktor 0,5 vor. Dies ist nicht vorteilswidrig. Zwar ist ein Sondermaßstab für Wochenendhausgrundstücke nach der Rechtsprechung des VG Schwerin nicht geboten, wenn diese zu dauernden Wohnzwecken genutzt werden dürfen (Urt. vom 10.10.2011 – 8 A 560/10 –, juris Rn. 124). Damit ist zur Zulässigkeit des Sondermaßstabes für Wochenendhausgrundstücke, bei denen dies nicht der Fall ist, jedoch nichts gesagt. Wie in dem Verfahren 3 A 1413/16 gerichtsbekannt wurde, beruht die Bestimmung des gegenüber der Wohnnutzung abgesenkten Nutzungsfaktors 0,5 auf dem Umstand, dass Wochenendhäuser in der Regel nicht zu Dauerwohnzwecken genutzt werden dürfen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 19.02.2014 – 3 L 212/12 –, juris Rn. 38 f.). An diesen Umstand darf der Ortsgesetzgeber anknüpfen. Weil sich auf einem Wochenendhausgrundstück nur zeitweise Menschen aufhalten, fällt auch weniger Abwasser an als auf zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken. Es ist daher vom ortsgesetzgeberischen Ermessen gedeckt, wenn die Satzung von einem gegenüber der Wohnnutzung geringeren Vorteil ausgeht.

47

Abgrenzungsprobleme gegenüber der Regelung in § 6 Abs. 4 Nr. 2 AwBS bestehen nicht. Die Vorschrift erfasst nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut Baugrundstücke, also Grundstücke im unbeplanten Innenbereich und im Geltungsbereich von Bebauungsplänen. Der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 5 Satz 4 AwBS ist dagegen, wie sich insbesondere aus dem systematischen Zusammenhang (Einordnung der Vorschrift in den Absatz 5) ergibt, auf Außenbereichsgrundstücke beschränkt.

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ee. Substantiierte Einwände gegen die Ordnungsgemäßheit der Beitragskalkulation hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Daher kann von Ausführungen hierzu abgesehen werden.

49

b. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten begegnet ebenfalls keinen Bedenken.

50

aa. So ist die Ermittlung der auf das Grundstück entfallenden Beitragseinheiten entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu beanstanden. Die Flächenermittlung – die Ermittlung des Nutzungsfaktors nach § 6 AwBS wird von der Klägerin nicht angegriffen – richtet sich nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AwBS. Danach gilt als Grundstücksfläche bei der Schmutzwasserbeseitigung, bei Grundstücken, für die kein Bebauungsplan besteht und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§ 34 BauGB), die Gesamtfläche des Grundstücks, höchstens jedoch die Fläche zwischen der jeweiligen Grundstücksgrenze und eiern im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen.

51

Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn das klägerische Grundstück liegt innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB. Ein Bebauungszusammenhang i.S. des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist eine aufeinander folgende Bebauung, die trotz vorhandener Baulücken nach der Verkehrsanschauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (BVerwG, Urt. v. 06.11.1968 – 4 C 2.66 –, BVerwGE 31, 20 <21 f.>). Maßstabsbildend sind im Regelfall nur bauliche Anlagen, die nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als Ortsteil mit bestimmtem städtebaulichen Charakter zu prägen (BVerwG, Urt. v. 14.09.1992 – 4 C 15.90 –, NVwZ 1993, 985), und zwar unabhängig davon, ob sie genehmigt oder nur zweifelsfrei geduldet sind (BVerwG, Urt. v. 06.11.1968 – IV C 31.66 –, BVerwGE 31, 22) oder ob sie einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entsprechen (BVerwG, Urt. v. 22.03.1972 – IV C 121.68 –, BauR 1972, 222). Das sind grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (BVerwG, Beschl. v. 02.03.2000 – 4 B 15.00 –, BauR 2000, 1310 m.w.N.). Diese Voraussetzung wird bei typischen Kasernenanlagen – zu denen auch das als „Polizeikaserne“ errichtete Fort- und Ausbildungszentrum der Bundespolizei gerechnet werden kann – mit mehr als fünf Bauten (Unterkünften, Hallen, Garagen usw.) regelmäßig vorliegen. Vorliegend ist von 20 mehrgeschossigen massiven Bauten auszugehen. Alles sind Zweckbauten, die von ihrer Bausubstanz her ein Gewicht aufweisen. Dabei spielt es keine Rolle, dass es sich um atypische Bauten handelt und dass die Gemeinde an der Entwicklung dieses Bereichs nicht beteiligt gewesen ist (vgl. Bell, LKV 2006, 102 <104>; Uechtritz, BauR 1996, 485 <488>; VGH Kassel, Urt. v. 19.03.1971 – IV OE 58/70 –, BRS 24, Nr. 28).

52

Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB ist das Vorliegen einer organischen Siedlungsstruktur. Dem Bebauungszusammenhang muss eine „maßstabsbildende Kraft“ zukommen (BVerwG, Urt. v. 14.09.1992 – 4 C 15.90 –, juris Rn. 12). Denn nur dann ist gewährleistet, dass ein Bereich auch ohne eine örtliche Satzung anhand von gesicherten Maßstäben angemessen weiterentwickelt wird (BVerwG, Urt. v. 23.11.2016 – 4 CN 2/16 –, juris Rn. 17 m.w.N.; Bell, a.a.O.; Uechtritz a.a.O.). Auch dies ist bei einer im Betrieb befindlichen Kaserne oder – wie hier – Polizeieinrichtung regelmäßig der Fall, denn die Nutzung gibt den Rahmen für eine bauliche Weiterentwicklung des Ortsteils vor. Die prägende Kraft erlischt erst nach einer endgültigen Aufgabe der Nutzung (BVerwG, Urt. v. 23.11.2016, a.a.O.).

53

Auch die Anwendung der Tiefenbegrenzungsregelung ist nicht zu beanstanden. Maßgeblich ist nicht die 50-m-Grenze, sondern – wegen der grenzübergreifenden baulichen und gewerblichen Nutzung des Grundstücks – die hintere Grenze der baulichen bzw. gewerblichen Nutzung. Diese wird durch eine über die gesamte Grundstücksbreite verlaufende Parallele bestimmt, welche die von der der Straße zugewandten Grundstücksseite am weitesten entfernte Gebäudegrenze bzw. Grundstücksbefestigung tangiert (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 dritter Halbsatz AwBS). Gemessen an diesen Kriterien ist die vom Beklagten vorgenommene Flächenermittlung zutreffend. Es kommt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf die hintere Grenze des letzten aktuell vorhandenen Gebäudes, sondern auf die hintere Grenze der letzten zum Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht (dazu sogleich) vorhandenen Gebäudes an. Hier hat der Beklagte zutreffend auf das das zwischenzeitlich beseitigte Gebäude am Hubschrauberlandeplatz abgestellt.

54

bb. Wegen der Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung trotz der Altanschließersituation weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

55

cc. Schließlich ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen, obwohl das Grundstück bereits in den Jahren 1981 bis 1983 mit Gebäuden einer Volkpolizeischule der ehemaligen DDR bebaut und dabei an eine zentrale Abwasseranlage angeschlossen worden ist. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Entstehung der Beitragspflicht richtet sich nach § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Damit konnte die Beitragspflicht trotz des wesentlich früher erfolgen Anschlusses des Grundstücks an eine zentrale Abwasserbehandlungsanlage erst mit dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung vom 9. November 2009 entstehen. Diese Satzung ist die erste wirksame Satzung i.S.d. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Die zuvor Geltung beanspruchenden Abwasserbeitragssatzungen der Stadt N. sahen eine unzulässige Privilegierung altangeschlossener Grundstücke vor und waren damit wegen eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unwirksam (zuletzt VG Greifswald, Urt. v. 29.03.2006 – 3 A 1460/04 –, juris Rn. 19). Die Heranziehung der Klägerin im Jahre 2011 erfolgte damit innerhalb der Festsetzungsfrist.

56

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. 709 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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