Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 1910/17 HGW

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt den Erlass eines Anschlussbeitrags (Schmutzwasser).

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Er ist seit dem Jahr 2012 Eigentümer des Wohngrundstücks G1 in einer Größe von 565 m², das seine Eltern auf Grundlage des mit der Firma A.-GmbH (im Folgenden: Erschließungsträger) geschlossenen notariellen Grundstückskaufvertrages vom 2. Mai 2007 erworben hatten. Der Erschließungsträger hatte diesen das Grundstück als „voll erschlossen“ verkauft.

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Die abwasser- und trinkwasserseitige Erschließung des Wohngebietes, in dem das klägerische Grundstück liegt, war durch den Erschließungsträger auf Grundlage eines mit dem Zweckverband Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Insel Usedom (Zweckverband) geschlossenen Erschließungsvertrages vom März/April 2006 vorgenommen worden. In diesem verpflichtete sich der Erschließungsträger u.a. zur Herstellung der inneren abwasser- und trinkwasserseitigen Erschließungsanlagen auf seine Kosten (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1.1. Erschließungsvertrag). Der Beklagte verpflichtete sich zur Sicherung der äußeren Erschließung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1.2. Erschließungsvertrag). Mit der Übernahme der Gesamterschließungskosten sollten auch die nach den Satzungen des Zweckverbandes bestimmten Beiträge für die erstmalige Herstellung abgegolten seien (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Erschließungsvertrag). Zur Ablösung der entstehenden Schmutzwasserbeiträge für alle Anlagen außerhalb des Erschließungsgebietes vereinbarten die Vertragsparteien eine pauschale Ablösesumme in Höhe von 5.932,00 Euro (§ 5 Abs. 5 Erschließungsvertrag). Das entsprach 25 v.H. des angenommenen Gesamtbeitragsaufkommens im Baugebiet nach der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung vom 16. März 2005. Nach Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Erschließungsvertrag durch den Erschließungsträger wurde das Gesamtgrundstück geteilt und an Kaufinteressenten – u.a. den Kläger – veräußert.

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Mit bestandskräftigem Bescheid vom 4. März 2015 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger einen Anschlussbeitrag zur öffentlichen Anlage zur Abwasserbeseitigung in Höhe von 1.579,74 EUR fest und verband diese Festsetzung unter Anrechnung eines für das Grundstück gezahlten anteiligen Ablösebetrages i.H.v. 394,95 EUR mit einem Leistungsgebot i.H.v. 1.184,79 EUR. Unter dem 9. April 2017 beantragte der Kläger den Erlass des Beitragsanspruchs. Mit Bescheid vom 3. Juli 2017 lehnte der Beklagte den Erlassantrag ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2017 zurück.

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Am 15. September 2017 hat der Kläger Verpflichtungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf den begehrten Beitragserlass zu. Zwar sei es richtig, dass die in dem Erschließungsvertrag vereinbarte Ablösungsvereinbarung nichtig sei. Allerdings beruhe dies auf Gründen im alleinigen Verantwortungsbereich des Beklagten, da dieser es nicht vollbracht habe, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erschließungsvertrages eine wirksame Anschlussbeitragssatzung mit wirksamen Ablösungsbestimmungen vorzuhalten. Die Nichtigkeit der Ablösungsvereinbarung habe sich erst zu einem Zeitpunkt offenbart, als Gewährleistungsansprüche gegen den Erschließungsträger bereits verjährt gewesen seien. Vor diesem Hintergrund lasse sich ein interessengerechter Ausgleich nur dadurch herstellen, dass die Leistungen des Erschließungsträgers im Erlasswege anzurechnen. Dies sehe offenbar auch der Beklagte so, denn er habe den vom Erschließungsträger gezahlten Ablösebetrag bei der Bestimmung des Leistungsgebotes in dem Bescheid vom 4. März 2015 anteilig berücksichtigt. Vorliegend gehe es damit lediglich um die noch nicht berücksichtigte Sachleistung des Erschließungsträgers.

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Von der Erhebung einer Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid habe er abgesehen, nachdem das erkennende Gericht mit Beschluss vom (– 3 B 2290/16 HGW –) einen Antrag des Erschließungsträgers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen ihm gegenüber ergangenen Beitragsbescheid für ein in demselben Baugebiet gelegenes Grundstück abgelehnt und sich das OVG Greifswald mit Beschluss vom 29. Mai 2017 (– 1 M 183/17 –) dieser Auffassung angeschlossen habe.

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Der Kläger beantragt,

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1. den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheides vom 3. Juli 2017 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 24. August 2017 zu verpflichten, dem Kläger den mit Bescheid vom 4. März 2015 – Nr. XXX – in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2017 festgesetzten Anschlussbeitrag für das Grundstück G1 i.H.v. 1.579,74 EUR vollständig zu erlassen;

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2. den Beklagten zu verurteilen, an den bereits gezahlten Anschlussbeitrag i.H.v. 1.184,79 EUR nebst Zinsen i.H.v. 0,5 v.H. pro Monat sei dem 15. September 2017 zu zahlen.

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Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Ablehnungsbescheid und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

12

Mit Beschluss vom 27. Juli 2020 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

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Der Rechtsstreit kann ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu mit Schriftsätzen vom 30. April 2019 bzw. 11. Mai 2020 ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

II.

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf einen Beitragserlass gegen den Beklagten zu (§ 113 Abs. 5 VwGO). Damit kann auch der geltend gemachte Erstattungsbetrag nicht bestehen.

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Ein Erlassanspruch kann sich vorliegend nur aus § 227 erste Var. Abgabenordnung (AO) ergeben, wonach die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen können, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Vorschrift findet aufgrund der Verweisung in § 12 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) auf Anschlussbeiträge Anwendung. Ihre Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben, denn in der Beitragserhebung liegt keine unbillige Härte. Bei diesem Merkmal ist zwischen persönlichen und sachlichen Billigkeitsgründen zu unterscheiden, die beide allerdings nicht gegeben sind. Anhaltspunkte für die Annahme einer persönlichen Unbilligkeit hat der Kläger nicht vorgetragen.

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1. Eine sachliche Unbilligkeit liegt nach der von Literatur und Rechtsprechung entwickelten Kasuistik zunächst vor, wenn die Erhebung der Abgabe in dieser Höhe mit dem Sinn und Zweck des Abgabengesetzes nicht vereinbar ist. Dies ist der Fall bei einem Überhang des gesetzlichen Tatbestands über die Wertungen des Gesetzgebers, d. h. wenn der gegebene Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Abgabenerhebung jedoch den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (OVG Münster, Beschl. v. 28.02.2017 – 15 A 1109/16 –, juris Rn. 13). Maßgeblich ist, ob nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (VG Aachen, Urt. v. 25.10.2007 – 4 K 2613/05 –, juris Rn. 42 m.w.N.). Härten, die der Gesetzgeber bei der Regelung des gesetzlichen Tatbestandes dagegen bedacht und in Kauf genommen hat, können demgegenüber grundsätzlich keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen (BVerfG, Beschl. v. 05.04.1978 – 1 BvR 117/73 –, NJW 1978, 2089 f. m.w.N.; zum Ganzen: Fritsch in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, § 227 Rn. 13 m.w.N.; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 161. Lieferung 06.2020, § 227 AO Rn. 40 m.w.N.).

18

Aus diesen Erwägungen folgt, dass eine Billigkeitskorrektur wegen sachlicher Unbilligkeit nur in sehr seltenen Ausnahmefällen denkbar ist und anhand des mutmaßlichen Willens des Gesetzgebers zu erfolgen hat. Keinesfalls darf die abgabenerhebende Stelle (oder das Verwaltungsgericht) die Billigkeitsentscheidung nach eigenen Vorstellungen oder Wertungen treffen. Der Billigkeitserlass ist insbesondere kein „Reparaturbetrieb“ für unwirksame öffentlich-rechtliche Vereinbarungen. Nach diesen Kriterien scheidet ein Beitragserlass wegen sachlicher Unbilligkeit aus.

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a) Dies folgt allerdings nicht aus dem Umstand, dass der Kläger den Beitragsbescheid vom 4. März 2015 hat bestandskräftig werden lassen. Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass der Kläger mit dem Erlassantrag lediglich die Folgen schuldhafter Versäumnis eines Rechtsbehelfs auszugleichen versucht (vgl. Fritsch a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Denn die Erhebung von Anschlussbeiträgen für in dem hier in Rede stehenden Erschließungsgebiet liegende Grundstücke unter (anteiliger) Anrechnung der auf den Erschließungsvertrag gezahlten Ablösung ist rechtmäßig (VG Greifswald, Urt. v. 21.11.2018 – 3 A 2289/16 HGW –, juris; OVG Greifswald, Beschl. v. 18.12.2017 – 1 LZ 25/17 –, S. 8 des Entscheidungsumdrucks). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers etwas Anderes gelten könnte, bestehen nicht. Damit entspricht die Beitragserhebung dem gesetzlichen Tatbestand in dem dargestellten Sinne, so dass es entscheidungserheblich auf die Frage der Wertungswidrigkeit ankommt.

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b) Die Beitragserhebung ist jedoch nicht wertungswidrig. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die Frage – wäre sie ihm bekannt gewesen – im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme geregelt hätte. Maßgeblich ist im vorliegenden Fall der mutmaßliche Wille des Landesgesetzgebers, weil die Regelung der Fehlerfolgen unwirksamer Ablösungsvereinbarungen nicht in die Entscheidungskompetenz des Ortsgesetzgebers fällt (zu einem solchen Fall vgl. VG Greifswald, Urt. v. – 3 A 432/19 HGW –, juris Rn. 38 ff.).

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Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Landesgesetzgeber die Folgen unwirksamer Ablösungsvereinbarungen im Sinne des vom Kläger beanspruchten Billigkeitserlasses geregelt hätte. Dies bereits deshalb nicht, weil das Kommunalabgabengesetz in § 7 Abs. 5 zwar den Abschluss von Ablösungsvereinbarungen zulässt, aber keinerlei Regelungen für den Fall ihrer Unwirksamkeit vorhält. Dies macht deutlich, dass die Rückabwicklung gescheiterter Ablösungsvereinbarungen nach dem Willen des Landesgesetzgebers nach allgemeinen Regeln – also insbesondere dem Bereicherungsausgleich bzw. dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch – zu erfolgen hat. Bereits die Anrechnung des auf einen unwirksamen Ablösungsvertrag gezahlten Betrages auf den Beitragsanspruch, in deren Genuss auch der Kläger kommt, war vom Landesgesetzgeber nicht vorgesehen. Die Anwendbarkeit des nach seinem Wortlaut nur für Vorausleistungen geltenden § 7 Abs. 4 Satz 3 KAG M-V auf unwirksame Ablösungsvereinbarungen beruht auf richterlicher Rechtsfortbildung (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 21.11.2018 – 3 A 2289/16 HGW –, juris).

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Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die sich aus der Unwirksamkeit einer Ablösungsvereinbarung bei nachfolgender Beitragserhebung ergebende Härte gesehen und damit in Kauf genommen hat. Der Abschluss von Ablösungsvereinbarungen ist nur möglich, solange die sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden ist (vgl. § 7 Abs. 5 KAG M-V). Da nur wirksame Ablösungsvereinbarungen der Entstehung sachlicher Beitragspflichten entgegenstehen, schließt die Unwirksamkeit einer Ablösungsvereinbarung die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten nicht aus. Die sachliche Beitragspflicht und damit die Pflicht zur Erhebung von Anschlussbeiträgen auch in den Fällen unwirksamer Ablösungsvereinbarungen entsteht aber oftmals erst Jahre nach dem Abschluss der Ablösungsvereinbarung. Denn nach § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Da es sonach für den Entstehenszeitpunkt der sachlichen Beitragspflicht nicht nur auf die Schaffung der Anschlussmöglichkeit, sondern auch auf die Wirksamkeit der Satzung ankommt und die wirksame Satzung der Schaffung der Anschlussmöglichkeit ohne zeitliche Begrenzung nachfolgen kann („frühestens“), liegt es auf der Hand, dass der Landesgesetzgeber die Gefahr einer Störung der klassischen Rückabwicklung im Verhältnis Grundstückskäufer/Erschließungsträger/Einrichtungsträger durch die Einrede der Verjährung gesehen haben muss. Denn dass sachliche Beitragspflichten häufig erst Jahre bzw. sogar Jahrzehnte nach der Schaffung der Anschlussmöglichkeit entstehen, ist allgemein bekannt und hat vor dem Hintergrund der sog. Verflüchtigungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 05.05.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris) zur Normierung der Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V geführt. Damit ist davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die mit dem dargestellten Regelungssystem verbundenen Härten in Kauf genommen hat.

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Etwas Anderes ergibt sich im Übrigen auch dann nicht, wenn man nicht auf den mutmaßlichen Willen des Landesgesetzgebers, sondern den des Ortsgesetzgebers abstellt. Wie der vorliegende Fall zeigt, gibt es keinen Anlass für die Annahme, dass der Ortsgesetzgeber die vom Kläger begehrte Erlasslösung gewählt hätte.

24

2. Auch aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes (vgl. Fritsch a.a.O., Rn. 22; Loose a.a.O. Rn. 42) folgt kein Anspruch des Klägers auf den begehrten Billigkeitserlass. Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger auf die Wirksamkeit der vom Erschließungsträger geschlossenen Ablösungsvereinbarung vertraut hat. Allerdings ist dieses Vertrauen nicht schutzwürdig. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer begründen rechtswidrige Vereinbarungen, bei denen sich der öffentliche Aufgabenträger außerhalb seines gesetzlich definierten Entscheidungsspielraums bewegt, keinen der Abgabenerhebung entgegenstehenden Vertrauensschutz. Denn die Annahme einer Schutzwürdigkeit würde dazu führen, dass sich der Beklagte entgegen § 59 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG M-V) i.V.m. § 134 BGB bzw. entgegen § 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V an einer unwirksamen Vertragsbestimmung festhalten lassen müsste – ein Ergebnis, das mit der strengen Gesetzesbindung der Verwaltung nicht zu vereinbaren wäre (VG Greifswald, Urt. v. 24.08.2017 – 3 A 847/14 –, n.v., S. 9 des Entscheidungsumdrucks; Urt. v. 02.11.2017 – 3 A 800/17 –, juris Rn. 49; VG Greifswald, Urt. v. 21.11.2018 – 3 A 2289/16 HGW –, juris Rn. 35). Dieser Gedanke greift auch für den Billigkeitserlass. Wollte man dies anders sehen, hätte der Billigkeitserlass bereits im Rahmen des Festsetzungsverfahrens zu erfolgen (vgl. § 163 Satz 1 AO). Damit würde das Ergebnis eintreten, das nach der vorzitierten Rechtsprechung gerade vermieden werden soll.

25

3. Schließlich begründen weder der Umstand, dass der Zweckverband zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ablösevereinbarung nicht über wirksame Ablösungsbestimmungen verfügt hat (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 18.12.2017 – 1 LZ 25/17 –, S. 6 des Entscheidungsumdrucks), noch der Umstand, dass der Zweckverband am Abschluss der rechtswidrigen Ablösevereinbarung mitgewirkt hat, einen Anspruch des Klägers auf den begehrten Billigkeitserlass. Zwar widerspricht es dem Grundsatz von Treu und Glauben und ist damit unbillig, wenn der Abgabengläubiger einen Anspruch aus einem Abgabenschuldverhältnis durchsetzt, der letztlich aus seinem Fehlverhalten herrührt (vgl. die Beispiele bei Fritsch a.a.O., Rn. 21). In diesen Fallgruppen beruht der Anspruch auf Gewährung eines Billigkeitserlasses auf einem vorwerfbaren Verhalten allein des Abgabengläubigers (fehlerhafte Auskunft usw.). Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

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a) Zwar mag es vorwerfbar in dem genannten Sinne sein, dass der Zweckverband zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ablösungsvereinbarung nicht über wirksame Ablösebestimmungen verfügt hat. Dieser Fehler rührt allein aus seiner Sphäre her. Allerdings ist dieser Fehler nicht ursächlich für die Beitragserhebung, die über den vorliegend streitigen Billigkeitserlass korrigiert werden soll. Denn die Beitragserhebung ist nicht Folge des Fehlens einer wirksamen satzungsrechtlichen Ablösungsbestimmung, sondern Folge des Umstands, dass die Vertragspartner der Ablösungsvereinbarung den Ablösebetrag auf lediglich 25 v.H. des angenommenen Gesamtbeitragsaufkommens im Baugebiet festgelegt haben. Hätten sie sich an die gesetzlichen Vorgaben gehalten und den Ablösebetrag auf 100 v.H. des zu erwartenden Beitragsaufkommens bestimmt, wäre die Ablösungsvereinbarung wegen des Fehlens einer wirksamen satzungsrechtlichen Grundlage zwar immer noch unwirksam, so dass die sachliche Beitragspflicht auch im Fall des Klägers entstanden wäre. Eine Beitragserhebung wäre gleichwohl ausgeschlossen, denn der auf die unwirksame Ablösungsbestimmung gezahlte Ablösebetrag von 100 v.H. des zu erwartenden Beitragsaufkommens wäre bei der Festsetzung des Leistungsgebotes analog § 7 Abs. 4 Satz 3 KAG M-V zu berücksichtigen gewesen. Da der vom Beklagten im Rahmen der Beitragserhebung angerechnete Betrag von 394,95 EUR beinahe exakt 25 v.H. des festgesetzten Beitrags von 1.579,74 EUR ausmacht, ist davon auszugehen, dass die Anrechnung eines ordnungsgemäß ermittelten Ablösungsbetrages (100 v.H. des zu erwartenden Beitragsaufkommens) ein Leistungsgebot von „Null EUR“ ergeben hätte. Ursächlich für die Beitragserhebung ist damit nicht die Unwirksamkeit der Ablösungsbestimmung, sondern die Festlegung des Ablösungsbetrages.

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b) Die Mitwirkung des Zweckverbandes an der fehlerhaften Ablösungsvereinbarung bildet kein vorwerfbares Verhalten, das zum Entstehen eines Erlassanspruchs führt. Dieser Fehler beruht nämlich nicht auf einem einseitigen Verhalten des Beklagten, sondern ist unter Mitwirkung des Erschließungsträgers als mittelbarer Rechtsvorgänger des Klägers aufgetreten. Daher muss sich der Kläger dieses Verhalten zurechnen lassen. Wenn sachliche Billigkeitsgründe gegenüber Rechtsnachfolgern bestehen bleiben (Loose a.a.O., Rn. 51), muss dies auch für Umstände gelten, die das Vorliegen solcher Billigkeitsgründe ausschließen. Das sicherlich berechtigte Anliegen der Vertragsparteien der Ablösungsvereinbarung, eine Doppelbelastung der Eigentümer der im Erschließungsgebiet gelegenen Bauparzellen zu vermeiden, mündete nicht in eine wirksame vertragliche Vereinbarung, obwohl dies ohne weiteres möglich gewesen wäre (VG Greifswald, Urt. v. 25.07.2019 – 3 A 415/17 HGW –, juris Rn. 34). Als Beispiel sei nur die Vereinbarung eines für den Zweckverband aufwandsbegründenden „unechten“ Erschließungsvertrages hinsichtlich der leitungsgebundenen Teileinrichtungen, verbunden mit einer vollständigen Ablösung und Verrechnung des zu erwartenden Beitrags erwähnt (vgl. bereits OVG Greifswald, Beschl. v. 23.10.1998 – 1 M 22/98 –, juris Rn. 22). Diese Konstruktion haben die Vertragsparteien jedoch nicht gewählt. Der beiderseitige Fehler kann keinen Erlassanspruch begründen, denn der Billigkeitserlass nach § 227 AO dient nicht – wie eingangs erwähnt – der Reparatur fehlerhafter Vertragskonstruktionen.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht erkennbar.

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