Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (6. Kammer) - 6 A 373/17

Tatbestand

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Der Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Burkina Fasos und reiste am 19. Juni 2016 über Italien und die Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland, wo er am 14. Juli 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag stellte.

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Das Bundesamt leitete daraufhin ein sog. Dublin-Verfahren ein und lehnte den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 16. August 2016 unter Anordnung seiner Abschiebung nach Italien als unzulässig ab. Nachdem eine Überstellung nicht erfolgen konnte, hob das Bundesamt den vorgenannten Bescheid durch weiteren Bescheid vom 23. Februar 2017 auf, da die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens nunmehr auf Deutschland übergegangen sei.

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Am 3. März 2017 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen über dem Bundesamt unter Angabe des Aktenzeichens für dessen Verfahren und eines unzutreffenden Namens das Mandat nieder.

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Mit Schreiben vom 7. März 2017 lud das Bundesamt den Kläger unter der Anschrift der Erstaufnahmeeinrichtung Halberstadt zur persönlichen Anhörung am 23. März 2017. Diese teilte daraufhin mit, dass der Kläger zwischenzeitlich verteilt worden sei und seine Anschrift nunmehr Unterkunft für Asylbewerber Ernst-Kamieth-Straße 3 in A-Stadt laute. Mit weiterem Schreiben vom 17. März 2017 lud das Bundesamt den Kläger daraufhin erneut zu einer auf den 5. April 2017 anberaumten Anhörung. Das Ladungsschreiben, das ausweislich der bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Postzustellungsurkunde nicht zugestellt werden konnte, weil der Kläger unter der letztgenannten Anschrift nicht zu ermitteln sei, enthielt u.a. folgenden, durch eine Umrandung optisch hervorgehobenen Zusatz:

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"Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit, müssen Sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn Sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet sind, müssen Sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen.

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Können sie dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorlegen, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen."

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Nachdem der Kläger zum Anhörungstermin nicht erschienen war, stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 22. April 2017 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte, das Asylverfahren eingestellt sei und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Ferner forderte es den Kläger auf, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung nach Burkina Faso bzw. einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Bescheid war an die aktuelle Anschrift des Klägers in der A-Straße in A-Stadt gerichtet.

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Der Kläger hat sodann am 3. Mai 2017 Klage erhoben, die er nicht begründet hat.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. April 2017 aufzuheben.

 

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Die Beklagte beantragt nach Aktenlage unter Verweis auf die Begründung des angegriffenen Bescheides,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer kann durch die Einzelrichterin entscheiden, weil der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG durch Beschluss der Kammer auf die bestellte Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen wurde.

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Die Kammer kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn das Bundesamt hat darin zu Unrecht festgestellt, dass der Asylantrag des Klägers wegen Nichtbetreibens als zurückgenommen gilt und sein Asylverfahren gemäß § 32 AsylG eingestellt ist.

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§ 33 Abs. 5 AsylG sieht u.a. vor, dass das Bundesamt das Asylverfahren einstellt, wenn der Asylantrag nach § 33 Abs. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, weil der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt. AsylG vermutet, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 Nr. 1 genannten Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die dieser keinen Einfluss hatte.

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Vorliegend kann offen bleiben, ob der Kläger, der den Anhörungstermin nicht wahrnehmen konnte, weil er das Ladungsschreiben tatsächlich nicht erhalten hat, sich auf einen solchen Umstand berufen könnte. Er selbst hat sich dazu auch nicht geäußert. Sollte er sich – wie die sich den Angaben des Zustellers in der Postzustellungsurkunde entnehmen lässt – tatsächlich nicht mehr unter der bekannten Adresse aufgehalten haben, müsste er einen (erfolglosen) Zustellungsversuch gemäß § 10 Abs. 2 AsylG zwar gegen sich gelten lassen. Das Eingreifen der Rücknahmefiktion setzt allerdings gemäß § 33 Abs. 4 AsylG wegen der damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen voraus, dass der Ausländer auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hingewiesen wurde. Der in dem Ladungsschreiben enthaltene Hinweis genügt den Anforderungen jedoch nicht. Ungeachtet des Umstandes, dass sich nach Aktenlage schon nicht feststellen lässt, dass eine Zustellung bzw. eine Aushändigung an den Kläger gegen Empfangsbestätigung durch das Bundesamt hinsichtlich des an die Anschrift Ernst-Kamieth-Straße in A-Stadt adressierten Ladungsschreibens überhaupt vorgesehen war und versucht worden ist, hätte der Hinweis dem Kläger in einer ihm verständlichen Sprache übersetzt verfügbar gemacht werden müssen. Dies ergibt sich nicht bereits aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 4 AsylG, demzufolge allein die Schriftform und eine Empfangsbestätigung Voraussetzung sind, und auch nicht aus dessen Standort im Ladungsschreiben zur Anhörung. Denn dieses muss – isoliert betrachtet – nicht in eine dem Kläger verständliche Sprache übersetzt werden. Denn wenn aufgrund einer ihm zuvor erteilten Belehrung weiß, dass eine Ladung erfolgen wird und er den Termin persönlich wahrzunehmen habe, ist von ihm zu erwarten, dass er sich unverzüglich von dem Inhalt des ihm zugehenden Ladungsschreibens, das er aufgrund des Briefkopfes mit Bundesadler etc. ohne Weiteres als offizielles, sein Asylverfahren betreffendes Schreiben identifizieren kann, Kenntnis verschafft, indem er gegebenenfalls andere Personen um Hilfe bittet. Auch ohne vertiefte Sprachkenntnisse und ohne juristische Vorbildung kann einem Antragsteller der wesentliche Inhalt eines bloßen Ladungsschreibens – Datum, Uhrzeit, Ort – verständlich gemacht werden, nachdem er über die generellen Umstände einer folgenden Ladung belehrt wurde. Das gilt aber nicht in gleicher Weise für den Hinweis nach § 33 Abs. 4 AsylG, der bereits in deutscher Sprache eine gewisse Komplexität aufweist und für den es den Antragsteller selbst nicht ohne weiteres möglich sei dürfte, eine verlässliche Übersetzung einzuholen (s. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. November 2016 – 14a L 2519/16.A -, zit. nach juris Rdn. 30 ff.; Beschluss der Kammer vom 5. Januar 2017 - 6 A 374/16 HAL/Pkh -, VG München, Urteil vom 14. September 2017 – M 21 K 17.44186 –, Zit. nach juris Rdn. 30 ff.). Soll der Hinweis seine Aufgabe als Ausdruck des Gebots eines fairen Verfahrens erfüllen, muss er den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Es ist demnach erforderlich, dass ihm durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei deren Nichtbeachtung entstehen können. Insbesondere reicht eine bloße Wiedergabe des (deutschen) Gesetzeswortlautes vor dem Hintergrund des Verständnishorizonts des Asylbewerbers nicht aus. Vielmehr bedarf es einer verständlichen Umschreibung des Inhalts der Bestimmungen. Diesem Gebot wird in aller Regelung durch die in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle erforderliche Übersetzung der Vorschriften in einer dem Asylbewerber geläufige Sprache genügt werden (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 17. November 2016 – Au 3 S 16.32189 -, zit. nach juris Rdn. 28 mwN.). Zudem bestimmt Art. 12 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (VRL), dass Antragsteller in einer Sprache, die sie verstehen oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass sie sie verstehen, über den Verlauf des Verfahrens und über ihre Rechte und Pflicht während des Verfahrens sowie darüber informiert werden, welche Folgen es haben kann, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen und nicht mit den Behörden zusammenarbeiten (vgl. VG Gelsenkirchen, aaO., Rdn. 33 f. mwN.).

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Ein diesen Anforderungen genügender Hinweis wurde dem – seinerzeit nicht mehr und noch nicht wieder anwaltlich vertretenen - Kläger nach Aktenlage aber nicht erteilt; die ihm im Verlauf seines Asylverfahrens in französischer Sprache erteilten Hinweise und Belehrungen betreffen nicht die Rechtsfolgen des § 33 AsylG. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger der deutschen Sprache in einer Weise mächtig war, die eine Übersetzung des Hinweises entbehrlich machen würde.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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