Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (14. Kammer) - 14 E 9923/17

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig, längstens bis zum 4. Juli 2018, Stillzeit täglich zwischen 11:30 und 13:00 Uhr während der Arbeitszeit zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Stillzeiten.

2

Die Antragstellerin ist seit dem 4. Februar 2015 als Studienrätin im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit bei der Antragsgegnerin tätig. Am 16. September 2016 gebar sie die Tochter XXX und beantragte am 28. September 2016 Elternzeit für den Zeitraum vom 17. November 2016 bis zum 17. Oktober 2017, die auf ihren Antrag hin nachträglich bis zum 16. September 2017 verkürzt wurde. Am 13. September 2017 beantragte sie per Mail an den Stellvertretenden Schulleiter der Stadtteilschule XXX, an der sie als Lehrerin tätig ist, ihr täglich von 11:30 Uhr bis 13:00 Uhr Stillzeit zu gewähren. Diese Zeit fällt in die Arbeitszeit der in Vollzeit beschäftigten Antragstellerin. Betroffen sind jeweils die fünfte und die sechste Unterrichtsstunde eines Tages, in der fünften Stunde ist eine Mittagspause vorgesehen. Am 26. September 2016 gewährte die Antragsgegnerin daraufhin eine Stillzeit bis zu den am 16. Oktober 2017 beginnenden Herbstferien.

3

Mit als „Remonstration gegen das Stillverbot“ überschriebenem Schreiben vom 9. Oktober 2017 wandte sich die Antragstellerin mit dem Antrag, ihr auch nach den Herbstferien Stillzeit zu gewähren, erneut an die Antragsgegnerin. Zur Begründung führte sie aus, dass weder § 7 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG), noch § 8 der Hamburgischen Mutterschutzverordnung (HmbMuSchVO) eine zeitliche Grenze des Anspruchs auf Gewährung von Stillzeiten vorsähen. Eine zeitliche Begrenzung müsste aber durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber festgelegt werden. Die Stillzeit sei daher trotz Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Tochter zu verlängern. Dem Schreiben fügte die Antragstellerin ein Attest ihres Hausarztes vom 28. September 2017 bei, in dem dieser bestätigte, dass die Antragstellerin ihre Tochter stillt.

4

Mit Email vom 26. Oktober 2017 der Schulleiterin XXX gewährte die Antragsgegnerin eine tägliche Stillzeit im beantragten Umfang bis zum 31. Dezember 2017.

5

Die Antragstellerin hat am 13. Dezember 2017 den vorliegenden Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gestellt. Zur Begründung bezieht sie sich auf obergerichtliche Rechtsprechung, wonach die zu gewährende Stillzeit nicht durch das Lebensalter des Kindes beschränkt sei. Zudem sei die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu dem Mutterschutzgesetz nicht auf die im Beamtenverhältnis stehende Antragstellerin zu übertragen. Dem stünden der besondere Schutz des Art. 6 des Grundgesetzes und die besondere Fürsorgepflicht des Dienstherrn entgegen. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2017 reichte die Antragstellerin ein weiteres hausärztliches Attest ein, wonach sie derzeit ihre Tochter stillt. Zudem stellte sie klar, Stillzeit bis auf weiteres, zumindest aber bis zu den Sommerferien zu begehren.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Stillzeit gemäß der Stillzeitverordnung über den 31.12.2017 hinaus zu gewähren.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Zur Begründung führt sie aus, dass sich aus den Durchführungshinweisen des Personalamtes vom 22. August 2011 zum Mutterschutzgesetz ergebe, dass die Regelung des § 7 MuSchG zu Stillzeiten unter Berufung auf die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen so auszulegen sei, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freistellung der stillenden Mutter spätestens dann nicht mehr gegeben sei, wenn das Kind das erste Lebensjahr vollendet habe. Gleiches ergebe sich auch aus den Durchführungshinweisen der Antragsgegnerin zu § 8 HmbMuSchVO. Zudem sei der Begründung zu der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Neufassung des § 7 MuSchG, der nunmehr ausdrücklich vorsehe, dass ein Anspruch auf Stillzeiten nur noch in den ersten zwölf Monaten nach der Niederkunft geltend gemacht werden kann, zu entnehmen, dass es der notwendige Interessenausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebers und den Interessen der stillenden Mutter erfordere, den Arbeitgeber nach Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes nicht mehr mit den finanziellen und organisatorischen Erschwernissen der Stillzeit zu belasten. Eine Gewährung von Stillzeiten über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus stelle daher keinen gerechten Interessenausgleich mehr dar und widerspreche zudem der in den Durchführungshinweisen bestätigten ständigen Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin.

II.

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Der gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.

12

Nach § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder wenn andere Gründe vorliegen. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, dass ihm der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Führt die einstweilige Anordnung zu einer Vorwegnahme der Hauptsache, kann sie ergehen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.04.2013, 10 C 9/12, juris Rn. 22; Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 123 Rn. 66a). So liegt es hier, die Gewährung von Stillzeiten kann faktisch nachträglich durch eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden, so dass eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt.

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Nach diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor. Denn es kann mit dem für die einstweilige Anordnung erforderlichen hohen Maß an Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Bewilligung von Stillzeiten hat (dazu 1.) und dass zur Durchsetzung dieses Anspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist (dazu 2.).

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1. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es besteht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass ihr der begehrte Anspruch zusteht.

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Der Anspruch der Antragstellerin auf Bewilligung weiterer Stillzeiten über den 31. Dezember 2017 hinaus ergibt sich vorliegend mit hoher Wahrscheinlichkeit aus § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO. Diese Vorschrift ist gem. § 81 Abs. 1 Nr. 1 des Hamburgischen Beamtengesetzes (HmbBG) auf im Dienst der Antragsgegnerin tätige Beamtinnen, wie vorliegend die Antragstellerin, anwendbar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt, ein Ermessen der Antragsgegnerin besteht nicht.

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Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO sind vorliegend erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist einer Beamtin auf ihr Verlangen die zum Stillen erforderliche Zeit, mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde, freizugeben. Die Antragstellerin ist als mit Wirkung ab dem 4. Februar 2015 im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit tätige Studienrätin Beamtin i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO. Mit Email vom 13. September 2017 hat sie zudem den für die Bewilligung von Stillzeit erforderlichen Antrag gestellt. Die Stillzeit fällt in die tägliche durch den Dienstherrn festgelegte Arbeitszeit soweit sie die sechste Schulstunde (45 Minuten) eines Schultages betrifft. Stillzeit nach dem Mutterschutzgesetz und der insoweit gleichlautenden Hamburgischen Mutterschutzverordnung ist danach in der Zeit zu bewilligen, in der die Antragstellerin durch den Dienstherrn zur Arbeitsleistung verpflichtet ist (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 30.06.1988, 2 C 60/86, juris Rn. 11). Dies betrifft vorliegend die Unterrichtsstunden der Antragstellerin, mithin die sechste Stunde der durch sie jeweils zu erbringenden täglichen Unterrichtsverpflichtung. Die Antragstellerin hat zudem durch Vorlage des ärztlichen Attests vom 2. Januar 2018 glaubhaft gemacht, ihre Tochter derzeit zu stillen.

17

Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass die Tochter der Antragstellerin das erste Lebensjahr bereits vollendet hat. Eine Beschränkung der Reichweite des § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO auf das erste Lebensjahr des zu stillenden Kindes ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte, des systematischen Zusammenhanges und des Zwecks des § 8 HmbMuSchVO nicht.

18

Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 HmbMuSchVO, der insoweit der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in der bis zum 31. Dezember 2017 sowie in der ab dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung entspricht, ist die „zum Stillen erforderliche“ Zeit freizugeben. Dies bedeutet nach dem Wortlaut, dass die für den jeweiligen Vorgang des Stillens erforderliche, d.h. notwendige Zeit freizugeben ist, die sich danach bemisst, wie lange in der Regel die jeweilige Beamtin aufgrund von eventuellen Wegstrecken und Vorbereitungszeiten für den einzelnen Stillvorgang benötigt. Die Erforderlichkeit des Stillens betrifft ausschließlich die Zeit, in der das Stillen mit der täglichen Arbeitszeitverpflichtung kollidiert und löst diesen Konflikt zugunsten des Stillens (vgl. hierzu auch BVerwG, Urt. v. 30.06.1988, a.a.O., Rn. 12; VGH Mannheim, Beschl. v. 19.12.2016, 4 S 1957/16, juris Rn. 8). Die zum Stillen erforderliche Zeit setzt hingegen nicht voraus, dass sich das Stillen des Kindes an sich aus ernährungsphysiologischer, immunologischer oder entwicklungspsychologischer Sicht als erforderlich für das Kind darstellt (so aber Smarzlik, DB 1983, S. 1044 (1046)). Nach Wortlaut und Semantik bezieht sich die Voraussetzung des Erforderlichen in § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO ausschließlich auf die erforderliche Zeit, nicht auf das erforderliche Stillen (vgl. Pepping, in: Rancke, Mutterschutz, Betreuungsgeld, Elterngeld, Elternzeit, 3. Auflage 2014, § 7 MuSchG, Rn. 12; OVG Berlin, Beschl. v. 23.03.2016, OVG 4 S 49.15, juris Rn. 10). Zudem spricht die Systematik der Norm eindeutig dafür, dass sich die erforderliche Zeit lediglich auf die tägliche Dauer bezieht, denn die erforderliche Zeit umfasst nach § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz HmbMuSchVO „mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde“.

19

Der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO lässt sich zudem keine immanente Begrenzung der Gewährung von Stillzeiten nur bis zum Abschluss des ersten Lebensjahres des zu stillenden Kindes entnehmen. Eine solche Grenze ergibt sich nicht aus der Entstehungsgeschichte des § 7 MuSchG. Zum einen gilt für Beamtinnen der Antragsgegnerin ausschließlich die Hamburgische Mutterschutzverordnung, da das Mutterschutzgesetz gem. § 1 MuSchG ausschließlich auf Beschäftigte im Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Allerdings ist in § 81 Abs. 1 Nr. 1 HmbBG normiert, dass durch Rechtsverordnung die der Eigenart des öffentlichen Dienstes entsprechende Anwendung des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen zu regeln ist, so dass zur Auslegung der Hamburgischen Mutterschutzverordnung zumindest ergänzend auf die Regelungen des Mutterschutzgesetzes und deren Entstehungsgeschichte abgestellt werden kann. Auch hieraus ergeben sich aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Stillzeiten lediglich bis zu einer Höchstgrenze von einem Jahr gewährt werden sollten. Vielmehr wurde die ursprüngliche Fassung des § 3 des Gesetzes über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927, die ausdrücklich vorsah, dass stillenden Frauen auf ihr Verlangen während sechs Monaten nach ihrer Niederkunft die zum Stillen erforderliche Zeit freizugeben ist (vgl. RGBl. Jahrgang 1927, Teil I, S. 184) mit dem Mutterschutzgesetz vom 17. Mai 1942 (vgl. RGBl. Jahrgang 1942, Teil I, S. 321) dahingehend geändert, dass die zeitliche Begrenzung von sechs Monaten aufgehoben worden ist. Dass sich den Gesetzgebungsmaterialien zu der Gesetzesänderung von 1942 keine ausdrücklichen Hinweise darauf entnehmen lassen, dass der Gesetzgeber nunmehr die Gewährung von Stillzeiten überhaupt nicht mehr zeitlich begrenzen wollte, steht der Annahme des Wegfalls der zuvor normierten zeitlichen Begrenzung nicht entgegen (a. A. Zmarzlik, DB 1983, S. 1044 (1045); LAG Hannover, Urt. v. 29.10.1987, 10 Sa 379/87, NZA 1988, S. 312). Denn durch das Streichen der zuvor vorgesehenen Höchstfrist hat der Gesetzgeber eine eindeutige Regelung getroffen, vor diesem Hintergrund hätte es vielmehr eines besonderen Anhaltspunktes in den Gesetzgebungsmaterialien bedurft, wenn dennoch eine nun nicht mehr ausdrücklich geregelte Höchstfrist hätte gelten sollen.

20

Auch aus der Gesetzessystematik des Mutterschutzgesetzes sowie anderer Vergünstigungen für Mütter lässt sich nicht schließen, dass Stillzeiten lediglich bis zum Ende des ersten Lebensjahres des zu stillenden Kindes gewährt werden sollten. Denn anders als nach der der Entscheidung des niedersächsischen Landesarbeitsgerichts (LAG Hannover, Urt. v. 29.10.1987, 10 Sa 379/87, NZA 1988, 312) zugrunde liegenden Rechtslage, gelten nunmehr Vergünstigungen für Mütter und Eltern teilweise bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes (vgl. für den Anspruch auf Elterngeld § 15 Abs. 2 Satz 1 Bundeselterngeldgesetz) oder, wie auch in § 7 MuSchG, für „stillende Frauen“ ohne eine ausdrückliche zeitliche Beschränkung. Dies betrifft beispielhaft das Verbot der Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit nach § 8 MuSchG in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung. Entsprechend sieht auch § 9 HmbMuSchVO vor, dass während der Schwangerschaft und der Stillzeit ein Mehrarbeitsverbot besteht, ohne dass diese Norm eine zeitliche Begrenzung der Stillzeit vorsieht. Aus der Gesetzessystematik ist vielmehr zu erkennen, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber Schutzvorschriften jeweils unterschiedliche Geltungszeiträume beigemessen hat und etwaige Beschränkungen auch ausdrücklich normiert hat, wie zum Beispiel das Beschäftigungsverbot in §§ 1, 3 HmbMuSchVO und § 3 MuSchG in der Fassung ab dem 1. Januar 2018. Dass dies in § 8 HmbMuSchVO, in Umsetzung des § 7 MuSchG in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung, nicht der Fall ist, legt vielmehr nahe, dass eine über die natürliche Grenze der Stillfähigkeit hinausgehende zeitliche Begrenzung nicht vorgesehen worden ist.

21

Eine Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO dahingehend, dass nach dem Sinn und Zweck der Regelung eine Gewährung von Stillzeiten nach Vollendung des ersten Lebensjahres ausgeschlossen sein sollte, ist gleichfalls nicht angezeigt. Ziel der das Mutterschutzgesetz den Bedürfnissen des öffentlichen Dienstes entsprechend umsetzenden Hamburgischen Mutterschutzverordnung ist das Schaffen eines „sachgerechten Ausgleichs zwischen dem hergebrachten, in Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der vollen Dienstleistungspflicht des Beamten, dem die Alimentationspflicht des Dienstherrn als Korrelat gegenübersteht einerseits und der gleichfalls hergebrachten Fürsorgepflicht des Dienstherrn sowie dem allgemeinen Schutzanspruch jeder Mutter (Art. 6 Abs. 4 GG) andererseits“ (vgl. zu der baden-württembergischen Mutterschutzverordnung BVerwG, Urt. v. 30.06.1988, 2 C 60/86, juris Rn. 12). Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Zweck mit einer an dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 HmbMuSchVO ausgerichteten Auslegung nicht erreicht werden könnte. Denn zum einen erscheint eine übermäßige Belastung des Dienstherrn auch bei einer zeitlich unbeschränkten Stillzeit dadurch ausgeschlossen, dass die Stillfähigkeit der betroffenen Mütter in natürlicher Weise begrenzt ist und es zudem nicht dem Regelfall entsprechen dürfte, dass Mütter älterer Kinder diese noch während der Arbeitszeit stillen wollen. Zum anderen ergibt sich eine Begrenzung der Stillzeiten dann, wenn sich die Inanspruchnahme als rechtsmissbräuchlich erweist und daher verwehrt werden kann. Weiterhin lassen sich weder dem Mutterschutzgesetz noch der Hamburgischen Mutterschutzverordnung Anhaltspunkte dafür entnehmen, welche Höchstgrenze für die Bewilligung der Stillzeit anzunehmen wäre. Dies spiegelt sich auch in der hierzu ergangenen Rechtsprechung und Literatur wieder, die eine Höchstgrenze von einem, drei oder sechs Jahren befürworten (vgl. hierzu Schmiegel in: Tillmanns/Mutschler, Mutterschutzgesetz, Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 1. Auflage 2015, § 7 MuSchG Rn.9; Pepping in: Rancke, a.a.O., § 7 MuSchG Rn. 7). Eine konkrete Begrenzung, wie in anderen Vorschriften der Mutterschutzverordnung auch, und damit das Ergebnis des vorstehend benannten Interessenausgleichs festzusetzen, ist daher Aufgabe des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers.

22

Dieser Aufgabe ist der Bundesgesetzgeber auch mit der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Neufassung des § 7 Abs. 2 Satz 1 MuSchG nachgekommen. Für Arbeitsverhältnisse, auf die das Mutterschutzgesetz anwendbar ist, gilt daher nunmehr eine Befristung der Stillzeit auf höchstens zwölf Monate nach der Niederkunft. Diese Regelung soll ausweislich der hierzu ergangenen Gesetzesbegründung (BT Drs. 18/8963, S. 62 ff) dem zuvor benannten Interessenausgleich dienen und eine nach Ansicht des Gesetzgebers übermäßige Belastung des Arbeitgebers verhindern. Die Neuregelung entfaltet aber für den hier streitgegenständlichen Fall keine Wirkung, da auf die Antragstellerin die Hamburgische Mutterschutzverordnung anwendbar ist und diese, anders als etwa das baden-württembergische Landesrecht (vgl. § 36 Verordnung der Landesregierung über die Arbeitszeit, den Urlaub, den Mutterschutz, die Elternzeit, die Pflegezeiten und den Arbeitsschutz der Beamtinnen, Beamten, Richterinnen und Richter vom 29. November 2005, (Arbeitszeit- und Urlaubsverordnung – AzUVO, GBl. S.761), nicht lediglich eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes vorsieht, sondern eine eigenständige Regelung trifft. Für die Beschränkung des Anspruchs nach § 8 Abs. 1 HmbMuSchVO bedürfte es daher gleichfalls einer Regelung auf Landesebene. Dass der Bundesgesetzgeber eine ausdrückliche Begrenzung des Anspruchs auf Stillzeiten nach § 7 Abs. 2 MuSchG in das Gesetz aufgenommen hat und dabei einen Klarstellungsbedarf erkannt hat (vgl. BT-Drs. 18/8963, S. 62), spricht schließlich auch eher dafür, dass eine solche Klarstellung im Sinne einer zeitlichen Begrenzung in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung des Mutterschutzgesetzes und der hiermit wortlautgleichen Vorschrift des § 8 Abs. 1 HmbMuSchVO nicht zu entnehmen ist.

23

Die Antragsgegnerin kann dem sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbMuSchVO ergebenden Anspruch der Antragstellerin schließlich nicht die Durchführungsbestimmungen und die ständige Verwaltungspraxis entgegenhalten. Diese haben lediglich verwaltungsinterne Bindungswirkung und vermögen den durch den Verordnungsgeber gewährten Anspruch nicht einzuschränken.

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2. Die Antragstellerin hat zudem einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie ist auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Wahrung ihrer Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG sowie Art. 6 Abs. 4 GG dringend angewiesen. Es ist ihr insbesondere ein Abwarten der Hauptsache nicht zuzumuten, da eine vorübergehende Verweigerung der Stillzeiten aufgrund des zwischenzeitlichen Zeitablaufs nicht wieder rückgängig zu machen wäre. Die vorläufige Anordnung war im Eilverfahren bis zum 4. Juli 2018, dem letzten Tag des laufenden Schuljahres, zu begrenzen.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG. Aufgrund der streitgegenständlichen Vorwegnahme der Hauptsache war der Streitwert vorliegend nicht gem. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der ab dem 18. Juli 2013 geltenden Fassung auf die Hälfte des Wertes der Hauptsache zu reduzieren.

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