Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (4. Kammer) - 4 A 5115/21

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt 7/8 der Kosten des Verfahrens, die Beklagte trägt 1/8 der Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Straßenausbaubeiträgen für den Ausbau der Anlage G.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin dreier Miteigentumsanteile an dem Grundstück mit der H. Das Grundstück mit einer Größe von 912 m² liegt im unbeplanten Innenbereich und ist mit einem vierstöckigen Mehrfamilienhaus bewohnt, das zu Wohnzwecken genutzt wird.

3

Die D. besteht aus einer nördlichen und einer südlichen Fahrspur mit jeweils Nebeneinrichtungen. Dazwischen befindet sich eine knapp 14 m breite Grünfläche, die durch einen Gehweg eingefasst wird, den die Beklagte als Teil der Grünfläche ansieht (und der nicht ausgebaut wurde).

4

Die Beklagte baute die Anlage in den Jahren 2001, 2015, 2016 und 2017 aus. Aufwendungen entstanden im Wesentlichen durch die Befestigung von Fahrbahn und Parkflächen sowie die Erneuerung der Gossen. Gehwege und Randsteine wurden im Jahr 2015 erneuert. Aufwendungen entstanden für die Gehwege nicht, weil die Kosten aufgrund eines Zusammenhangs mit dem Leitungsausbau von der e AG erstattet wurden. Die Beleuchtungseinrichtung wurde ebenfalls erneuert. Kosten dafür wurden nicht angesetzt, da die Stadtwerke A-Stadt AG die Rechnungen vorzeitig vernichtet habe. Die Beitragspflicht sei mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung am 17.10.2017 entstanden.

5

Die Beklagte baute auch den südlichen Teil der D. aus, dort aber nicht die Parkflächen. Eine Abrechnung dieses Bereiches kommt nach Auffassung der Beklagten nach Aufhebung der ABS nicht mehr in Betracht, weil ein Kostenspaltungsbeschluss bis zum Stichtag nicht getroffen wurde.

6

Mit drei Bescheiden vom 03.08.2021 zog die Beklagte die Klägerin zu Straßenausbaubeiträgen in Höhe von 1.040,12 €, in Höhe von 614,62 € und in Höhe von 614,96 € heran. Dabei stufte sie die Straße als Durchgangsstraße gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 ihrer Straßenausbaubeitragssatzung (ABS) ein.

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Am 30.08.2021 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit Bescheiden vom 21.07.2022 hat die Beklagte die streitbefangenen Bescheide um jeweils 12,43% auf 910,84 €, 538,23 € und 538,52 € ermäßigt, weil sie in einer Neuberechnung eine fiktive Beteiligung von e an den Kosten eines Leitungsgrabens für Fernwärme berücksichtigt hat. Insofern haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

8

Die Klägerin macht geltend, der Bescheid sei rechtswidrig, weil nicht alle zur Einrichtung gehörenden Teileinrichtungen ausgebaut worden seien und die Beklagte einen Aufwandsspaltungsbeschluss nicht gefasst habe (und nach Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung auch nachträglich nicht mehr treffen könne). Bei dem Grünstreifen handele es sich um eine selbständige Teileinrichtung der Anlage. Eine öffentliche Grünanlage sei nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg dann eine eigene Teileinrichtung, wenn sie vom äußeren Erscheinungsbild her abgrenzbar sei und als eigener Teil eine bestimmte Funktion innerhalb der Anlage erfülle, zum Beispiel eine bepflanzte Grünfläche. Die Beklagte habe daher die Anlage falsch bestimmt. Bei der D. handele es sich um eine einheitliche Anlage, bestehend aus einer nördlichen und einer südlichen Fahrspur, die in der Mitte durch eine breite, unselbständige Grünfläche getrennt werde.

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Die Klägerin beantragt,

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die streitbefangenen Bescheide aufzuheben, soweit der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache für erledigt erklärt wurde.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen, soweit der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt erklärt wurde.

13

Die Bescheide seien rechtmäßig. Die Beklagte habe die Anlage richtig bestimmt. Es handele sich bei der Brahmsstraße nicht um eine aus zwei Fahrspuren bestehende Anlage, sondern um zwei öffentliche Einrichtungen.

14

Bei der Grünfläche handele es sich nicht um eine Teileinrichtung der Anlage, die die Funktion habe, zwei Fahrspuren voneinander abzugrenzen, sondern um eine selbständige Anlage. Die Grünanlage sei 14 m breit und damit eine selbständige Erschließungsanlage gemäß § 127 Abs. 2 Nr. 4 BauGB. Abzustellen sei auf die Verhältnisse bei natürlicher Betrachtungsweise. Die Fläche sei kein Seiten- oder Randstreifen und auch kein Sicherheitsstreifen. Schon ihre Ausgestaltung vermittele der Grünfläche eher den Charakter eines kleinen Parks mit Aufenthaltscharakter. Jedenfalls handele es sich nicht um einen Straßenbestandteil im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG.

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Das Gericht hat das Grundstück und die streitbefangene Anlage in Augenschein genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

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Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet.

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Die angefochtenen Bescheide in der Form der Änderungsbescheide vom 21.07.2022 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Gemäß § 6 Abs. 1 NKAG können die Gemeinden zur Deckung ihres Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen besondere wirtschaftliche Vorteile bietet.

20

Danach durfte die Beklagte von der Klägerin für den Ausbau der Anlage I. Straßenausbaubeiträge in der geltend gemachten Höhe für die Miteigentumsanteile der Klägerin an dem streitbefangenen Grundstück verlangen.

21

Der Heranziehung steht nicht entgegen, dass die Beklagte die Grünfläche zwischen der nördlichen Fahrspur und der südlichen Fahrspur nicht ausgebaut hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei dieser Grünfläche nebst umlaufendem Gehweg nicht um eine selbständige Teileinrichtung der abgerechneten Anlage. Die Beitragspflicht ist somit entstanden, ohne dass die Beklagte diese Grünfläche ausbauen oder einen Kostenspaltungsbeschluss hätte treffen müssen.

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Was Anlage im Sinne des Straßenausbaubeitragsrechts ist und wie weit die Fläche einer Straße reicht, bestimmt sich nach allgemeiner Auffassung (wie im Erschließungsbeitragsrecht) nach einer natürlichen Betrachtungsweise, bei der auf das durch die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht geprägte Erscheinungsbild abzustellen ist (vgl. Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl., § 12 Rn. 13, m.w.N.).

23

Die Kammer teilt nach dem Ergebnis der Inaugenscheinnahme die Einschätzung der Beklagten, dass es sich um zwei selbständige Anlagen handelt, nämlich die „D. Nord“ und die „D. Süd“. Dazwischen liegt die von einem Gehweg umfasste Grünfläche, die keiner dieser beiden Anlagen zuzurechnen ist, wobei offenbleiben kann, ob es sich bei dieser Grünfläche um eine selbständige Erschließungsanlage gemäß § 127 Abs. 2 Nr. 4 BauGB handelt oder nicht.

24

Die Klägerin vertritt hingegen die Auffassung, Fahrspuren nebst Nebenanlagen bilden zusammen mit der Grünfläche eine einzige Anlage, wobei es sich bei der Grünfläche (mit oder ohne umlaufenden Gehweg) um eine Teileinrichtung dieser Anlage handelt, nämlich um einen Trennstreifen (im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG).

25

Die Kammer teilt den rechtlichen Ansatz der Beklagten, dass zu einer öffentlichen Einrichtung das gehört, was tatsächlich durch den Ausbau unmittelbar für Straßenzwecke benutzt worden ist (vgl. auch Driehaus/Raden, a.a.O., Rn. 15). Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zum Erschließungsbeitragsrecht, die insofern auf das Straßenausbaubeitragsrecht übertragbar ist) die Frage der Erforderlichkeit (BVerwG, Urt. v. 29.10.1993 - 8 C 53/91 -, Rn. 12, juris). Die streitbefangene Grünfläche wird aber nicht für Straßenzwecke benötigt und benutzt und ist daher keine Teileinrichtung der Straße. Abgesehen von ihrer räumlichen Nähe zu zwei Fahrspuren kommt der Grünfläche keine Funktion in Bezug auf eine Straße zu. Die Klägerin sieht diesen Bezug darin, dass es sich um einen Trennstreifen handelt, der die beiden Richtungen einer Fahrbahn trennt. Trennstreifen aber dienen der Freihaltung eines zur Sicherheit des Verkehrs oder zur Straßengestaltung erforderlichen Zwischenraums zwischen mehreren Fahrbahnen, zwischen Fahrbahnen und Seitenwegen, manchmal auch der Aufnahme einer aus gestalterischen Gründen gewünschten oder zur Sicherheit des Verkehrs erforderlichen Bepflanzung, der Leiteinrichtungen und der Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen. Sie stehen in der Regel dem Gemeingebrauch nicht offen (vgl. Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl., 6. Kap., Rn. 50). Trennstreifen dienen also der Sicherheit des Verkehrs und stehen daher dem Gemeingebrauch in der Regel nicht offen. Der in Streit stehenden Fläche kommt diese Funktion ersichtlich nicht zu. Die Vorstellung, die Grünfläche sei angelegt worden, um die Sicherheit der an den Seiten verlaufenden Fahrbahnen zu verbessern, erscheint angesichts des Verhältnisses zwischen der Länge der Fahrspuren und der Breite der Grünfläche sowie der Verkehrsbedeutung der Brahmsstraße abwegig. Der Grünfläche kommt - auch historisch - eine gestalterische und möglicherweise eine Erholungsfunktion als kleine Parkanlage zu. Historisch wies sie - wie ein Fluchtlinienplan aus dem Jahr 1922 zeigt - in der Mitte einen Brunnen auf und lädt - wie auch der umlaufende Gehweg - zum Betreten ein. Nicht zu einer Straße aber gehören Grünflächen, wenn sie selbständige Bedeutung bzw. einen selbständigen Zweck haben, der keinen funktionellen Bezug zur Straße hat (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl., Rn. 89). Die Funktion eines Trennstreifens kommt der Grünfläche auch deswegen nicht zu, weil sie nicht zwei Fahrbahnen trennt. Würde es sich bei den Fahrspuren „D. Nord“ und „D. Süd“ um Fahrbahnen einer Straße handeln, bedürfte es nicht der von der Beklagten vorgenommenen Einbahnstraßenregelung. Dieser Regelung ist nach dem Ergebnis der Inaugenscheinnahme nach Auffassung des Gerichts aber nötig, weil sich bei natürlicher Betrachtungsweise einem die J. Straße aus südlicher Richtung befahrenden Verkehrsteilnehmer nicht erschließt, dass er von dort aus nicht in die D. Süd einbiegen darf. Würde es sich um die Fahrbahn einer Straße handeln, wäre dies offensichtlich und bedürfte keiner verkehrsrechtlichen Regelung.

26

Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu: Auf der Grundlage der klägerischen Betrachtung der Anlage würde die „D.“ über vier Gehwege verfügen. Warum diese erforderlich sein sollten, erschließt sich aus der Perspektive eines Anliegers, der an den Kosten für eine Erneuerung oder Verbesserung herangezogen werden könnte, ebenso wenig wie eine Beteiligung an Kosten für die Grünanlage. Der Umstand, dass die Beklagte ihre Straßenausbaubeitragssatzung mittlerweile aufgehoben hat und Straßenausbaubeiträge nur noch erheben kann für Aufwände, die bis zum Ablauf des 31.12.2018 entstanden sind, gebietet keine andere Betrachtung.

27

Anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (Urt. v. 19.02.2020 - 9 LB 132/17 -, Rn. 193 - 195, juris), auf die sich die Klägerseite zur Begründung ihrer Auffassung beruft. Danach kann eine Straßenbegleitfläche eine Teileinrichtung sein, wenn es sich bei ihr um einen vom äußeren Erscheinungsbild her abgrenzbaren, eine bestimmte Funktion erfüllenden Teil einer Anlage handelt, der äußerlich und funktionell eine Einheit darstellt (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.). Aus den oben genannten Gründen erfüllt die Grünfläche aber keine Funktion in Bezug auf die Straße.

28

Weitere Einwände gegen die Beitragserhebung macht die Klägerin nicht geltend; sie sind auch nicht ersichtlich.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Quote entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

 


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