Beschluss vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 10 K 554/22

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antragsteller begehrt die Fortsetzung einer Treuhänderbestellung für die Steuerberaterpraxis seiner verstorbenen Mutter.
I.
Die Mutter des Antragstellers führte bis zu ihrem Ableben am 16.04.2018 eine Steuerberaterpraxis. Am 27.09.2018 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin, übergangsweise einen Praxistreuhänder zu bestellen mit der Begründung, er beabsichtige nun selbst das Steuerberaterexamen abzulegen, nachdem er bereits das erste juristische Staatsexamen absolviert habe und lange Jahre in der Praxis mitgearbeitet habe. In der Folge kam es zwischen den Beteiligten zu Schriftwechsel betreffend die vorzulegenden Nachweise und die Person des zu bestellenden Treuhänders. Am 02.06.2021 bestellte die Antragsgegnerin eine Treuhänderin für die Praxis bis zum 15.04.2022.
Ausdrücklich lediglich gegen die Dauer der Bestellung nur bis zum 15.04.2022 erhob der Antragsteller am 06.07.2021 Widerspruch mit der Begründung, die Dauer der Bestellung sei nicht ab dem Todestag zu errechnen, sondern ab dem Zeitpunkt der Bestellung. Hilfsweise beantragte er die Bestellung der Treuhänderin bis zum 05.06.2024.
Mit Bescheid vom 28.07.2021, der dem Antragsteller am 29.07.2021 zuging, lehnte die Antragsgegnerin eine längere Bestellung ab. In der Rechtsbehelfsbelehrung heißt es, statthafter Rechtsbehelf sei der Widerspruch. Mit Schreiben vom 18.08.2021 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid vom 28.07.2021 Widerspruch. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 29.10.2021 zurückgewiesen, welcher dem Antragsteller am 03.11.2021 zuging.
Am 01.12.2021 hat der Antragsteller unter dem Aktenzeichen 10 K 4320/21 Klage zum Verwaltungsgericht erhoben, mit der er beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, unter Aufhebung ihres Bescheids vom 28.07.2021 und des Widerspruchsbescheids vom 29.10.2021 die Treuhänderin bis zum 02.06.2024 zu bestellen.
Am 21.02.2022 hat der Antragsteller Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er trägt vor, er habe sich zunächst für die Steuerberaterprüfung im September 2021 angemeldet gehabt. Aufgrund einer schweren Erkrankung, die ihn im Herbst 2021 getroffen habe, habe er die Prüfungsteilnahme jedoch absagen müssen. Nun habe er sich für den Prüfungstermin 2022 angemeldet. Die angegriffenen Bescheide seien rechtswidrig, da die Frist für die Bestellung des Praxistreuhänders nicht mit dem Todestag des verstorbenen Praxisinhabers beginne, sondern vielmehr mit dem Tag der Bestellung bzw. der Antragstellung.
Der Antragsteller beantragt,
die Bestellung der Treuhänderin für die Praxis der am 16.04.2018 verstorbenen Steuerberaterin ... bleibt über den 15.04.2022 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens aufrechterhalten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
10 
den Antrag abzuweisen.
II.
11 
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung hinsichtlich des Streitgegenstands treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO sind der Grund für die begehrte Eilmaßnahme (Anordnungsgrund) und das Recht, dessen Verwirklichung der Antragsteller gefährdet sieht (Anordnungsanspruch), vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
12 
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung liegt kein Anordnungsanspruch vor, der durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zu sichern wäre. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Bestellung eines Treuhänders über den 15.04.2022 hinaus.
13 
1. Eine Auslegung des die Treuhänderbestellung regelnden § 71 Abs. 1 Satz 1 StBerG ergibt, dass die Bestelldauer von zunächst höchstens drei Jahren ab dem Todeszeitpunkt des verstorbenen Praxisinhabers zu berechnen ist.
14 
§ 71 Abs. 1 StBerG lautet:
15 
Soll die Praxis eines verstorbenen Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten auf eine bestimmte Person übertragen werden, die im Zeitpunkt des Todes des verstorbenen Berufsangehörigen noch nicht zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist, so kann auf Antrag der Erben die zuständige Steuerberaterkammer für einen Zeitraum bis zu drei Jahren einen Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten zum Treuhänder bestellen. In Ausnahmefällen kann der Zeitraum um ein weiteres Jahr verlängert werden.
16 
Der Wortlaut ist uneindeutig und eröffnet drei mögliche Deutungen, an welches Ereignis für den Beginn der Bestelldauer anzuknüpfen ist: an den Todeszeitpunkt, an die Antragstellung oder an den Bestellungsakt. Der Sinn und Zweck der Regelung des § 71 StBerG besteht darin, den Wert und Bestand einer verwaisten Steuerberaterpraxis durch vorübergehende Fortführung für einen designierten Nachfolger zu sichern (Ueberfeldt, in: Maxl u.a., Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 2). Die Regelung über die Treuhänderbestellung kam in im Wesentlichen gleichlautender Fassung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes 1975 in das Steuerberatungsgesetz und beruht auf Vorgängerregelungen im früheren Standesrecht der Steuerberater (Ueberfeldt, in: Maxl u.a., Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 1). Soweit ersichtlich, wurde die hier interessierende Fragestellung bislang noch nicht in Literatur oder Rechtsprechung thematisiert.
17 
Entgegen der Ansicht des Antragstellers ergeben sich aus einem systematischen Vergleich mit dem Wettbewerbsverbot des § 71 Abs. 5 StBerG, § 69 Abs. 6 StBerG keine Anhaltspunkte für die Auslegung. Die Treuhänderbestellung nach § 71 StBerG steht im systematischen Zusammenhang mit der Bestellung eines Praxisabwicklers nach § 70 Abs. 1, Abs. 2 StBerG. § 70 Abs. 2 StBerG regelt die Bestellung eines Praxisabwicklers unter anderem für den Todesfall, wobei der Abwickler in der Regel nicht länger als für die Dauer eines Jahres zu bestellen ist. Auch der Wortlaut dieser Vorschrift ist uneindeutig und erlaubt eine Anknüpfung an alle drei denkbaren Ereignisse. Wiewohl Rechtsprechung und Literaturäußerungen zum Beginn der Frist auch bezüglich § 70 Abs. 2 StBerG nicht feststellbar sind, ist zu der vergleichbaren Regelung zur Bestellung eines Abwicklers für die Kanzlei eines Rechtsanwalts in § 55 Abs. 1 Satz 3 BRAO anerkannt, dass die in § 55 Abs. 1 Satz 3 BRAO und § 55 Abs. 2 Satz 2 BRAO genannten Fristen ab der Bestellung zur Anwendung kommen (BGH, Beschl. v. 16.01.1991 - XII ZB 154/90 -, juris). Dort wird sogar eine wiederholte Bestellung gemäß § 55 Abs. 1 BRAO für zulässig erachtet. § 48 PAO für Patentanwaltskanzleien und § 55c WPO für Wirtschaftsprüferpraxen entsprechen § 55 Abs. 1 BRAO und haben – soweit ersichtlich – ebenfalls keine einschlägigen Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur produziert. Weder die Bundesrechtsanwaltsordnung, noch die Patenanwaltsordnung, noch die Wirtschaftsprüferordnung enthalten eine dem § 71 StBerG vergleichbare Bestimmung über die Bestellung eines Praxistreuhänders im Todesfall. Die Regelung des Steuerberatungsgesetzes nimmt vielmehr eine Sonderstellung ein, die dadurch begründet sein soll, dass Steuerberaterpraxen im Gegensatz zu Rechtsanwaltskanzleien von Dauermandaten geprägt seien (Ueberfeldt, in: Maxl u.a., Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 1).
18 
Gegen eine Anknüpfung an den Todestag spricht, worauf der Antragsteller zurecht hinweist, dass nach einem Todesfall immer eine gewisse Zeit verstreicht, bis der Antrag mit allen Unterlagen gestellt und in der Folge bewilligt wird, sodass bei dieser Auslegung die Bestelldauer von drei Jahren niemals ausgeschöpft würde. Dies allein kann jedoch nicht ausschlaggebend sein.
19 
In systematischer Hinsicht spricht für eine Anknüpfung an den Bestellungsakt, dass bei der einen ähnlichen Sachverhalt regelnden Norm über den Praxis- bzw. Kanzleiabwickler die Dauer von einem Jahr ab der Bestellung gerechnet wird. Allerdings bestehen Unterschiede zwischen beiden Instituten, die einer unbesehenen Übertragung auf die Treuhänderbestellung entgegenstehen. Während für den treuhänderischen Betrieb der Praxis ein Zeitraum von bis zu drei Jahren mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung um ein Jahr vorgesehen ist (Ueberfeldt, in: Maxl u.a., Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 10; ohne Stellungnahme Koslowski, Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn.9 f.), wird ein Praxisabwickler in der Regel für höchstens ein Jahr bestellt, wobei der Wortlaut mehrere Verlängerungen um je ein weiteres Jahr erlaubt. Selbst eine mehrfache Bestellung hintereinander wird für möglich erachtet (vgl. BGH, Beschl. v. 16.01.1991 - XII ZB 154/90 -, juris). Die Praxisabwicklung unterliegt also einer engmaschigeren Überwachung seitens der Behörde, ist allerdings im Hinblick auf ihre zeitliche Höchstdauer flexibler. Schließlich unterscheidet sich bereits die Natur der Institute grundlegend: Während die Praxisabwicklung mit dem Ziel der Auflösung der Praxis geschieht und letztlich dem Interesse des Rechtsverkehrs und damit einem Allgemeininteresse dient, erfolgt die Bestellung eines Praxistreuhänders mit dem Ziel des Weiterbetriebs der Praxis und dient einem Partikularinteresse, nämlich dem des designierten Nachfolgers und den gegebenenfalls davon verschiedenen Erben.
20 
Gegen eine Anknüpfung an die Antragstellung oder den Bestellungsakt und für eine Anknüpfung an den Todestag spricht auf der anderen Seite, dass andernfalls durch Verzögerung der Antragstellung oder der Vorlage der erforderlichen Nachweise eine Treuhänderbestellung nahezu unbeschränkt nach hinten hinausgeschoben werden kann und Treuhänder dann noch weit mehr als vier Jahre nach dem Tod des eigentlichen Steuerberaters mit der Praxis im Rechtsverkehr auftreten könnten. Dies würde dem Charakter der Regelung als Übergangsregelung widersprechen. Zudem würden der Steuerberaterkammer schwierige Fragen der Sachverhaltsfeststellung und Ermessensausübung auferlegt werden. Denn, wie die Antragsgegnerin zu Recht ausgeführt hat, stellt sich mit zunehmender zeitlicher Entfernung vom Todestag die Frage, ob bei jahrelanger Inaktivität überhaupt noch von einer existierenden Praxis zu sprechen ist, für die nun die Bestellung eines Treuhänders beantragt wird. Für eine restriktive Auslegung durch Anknüpfung an den frühestmöglichen Zeitpunkt – den Todeszeitpunkt – spricht zudem, dass die Regelung aufgrund ihrer Sonderstellung insgesamt restriktiv angewandt wird (Koslowski, Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 1; Ueberfeldt, in: Maxl u.a., Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 4). So wird lediglich eine einmalige Verlängerung um ein Jahr aus Härtefallgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 2 StBerG für zulässig erachtet (Ueberfeldt, in: Maxl u.a., Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 10; ohne Stellungnahme Koslowski, Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn.9 f.). Überdies ist der Regelung klar das gesetzgeberische Leitbild zu entnehmen, dass der designierte Nachfolger mit der Ausbildung bereits so weit fortgeschritten sein soll, dass es ihm oder ihr nach dem gewöhnlichen Gang der Dinge möglich ist, in den nächsten drei Jahren die erforderliche Berufsqualifikation zu erlangen, um selbst die Praxis zu übernehmen. Für unvorhergesehene Härtefälle besteht die Möglichkeit, diesen Zeitraum einmalig um ein Jahr zu verlängern. Es ist davon auszugehen, dass diese Regelung bereits einen Kompromiss darstellt zwischen dem Interesse des Rechtsverkehrs an klaren Verhältnissen und den Interessen des Nachfolgers und gegebenenfalls der Erben an der übergangsweisen Fortführung der Praxis. Die Möglichkeit einer zeitlich unbeschränkten Verschiebung des Zeitraums des treuhänderischen Betriebs der Praxis nach hinten – hier bis zu einem Zeitpunkt sechs Jahre nach dem Tod der Praxisinhaberin – widerspräche jedoch diesem Leitbild. Es ist daher davon auszugehen, dass für den Beginn der Bestelldauer an den feststehenden Zeitpunkt des Versterbens des ehemaligen Praxisinhabers anzuknüpfen ist.
21 
2. Unter Anwendung der obenstehenden Maßstäbe ergibt sich kein Anspruch des Antragstellers auf Bestellung eines Treuhänders über den 15.04.2022 hinaus.
22 
Die ehemalige Praxisinhaberin verstarb am 16.04.2018. Nach § 31 Abs. 1 LVwVfG, § 187 Abs. 1 BGB beginnt die zunächst dreijährige Frist des § 71 Abs. 1 Satz 1 StBerG am 17.04.2018 und endete, weil das reguläre Fristende auf einen Samstag fiele, gemäß § 31 Abs. 3 LVwVfG am Montag, den 19.04.2021. Es kann offenbleiben, ob die einmalige Verlängerungsmöglichkeit (vgl. Ueberfeldt, in: Maxl u.a., Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 71 Rn. 10) für Ausnahmefälle des § 71 Abs. 1 Satz 2 StBerG eine Verlängerung der Bestelldauer auf insgesamt vier Jahre erlaubt, mit der Folge, dass eine Bestellung bis höchstens einschließlich Montag, den 18.04.2022 (eigentliches Fristende 17.04.2022 fiele auf einen Sonntag) möglich gewesen wäre, oder ob – was der Wortlaut nahelegt – die Verlängerung um ein weiteres Jahr an das konkrete Ende des Dreijahreszeitraums anschließt und somit im vorliegenden Fall gemäß § 187 Abs. 1 BGB bis höchstens zum 20.04.2022 möglich gewesen wäre. Denn in beiden Fällen ist die Erlangung der erforderlichen Berufsqualifikation durch den Antragsteller bis zum Ende der so errechneten Höchstdauer unmöglich. Die nächste Möglichkeit zur Ablegung des schriftlichen Teils des Steuerberaterexamens in Baden-Württemberg besteht erst im Oktober dieses Jahres. Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller, der in Baden-Württemberg wohnhaft ist und hier die Praxis betreiben möchte, diese Prüfung meint, wenn er angibt, er habe sich zu dem Steuerberaterexamen 2022 angemeldet. Es ist ferner weder vorgetragen noch ersichtlich, dass für den Antragsteller eine andere Möglichkeit besteht, bis zum Ablauf der vorstehend errechneten maximal denkbaren Bestelldauer die erforderliche Berufsqualifikation zum Betrieb der Steuerberaterpraxis zu erwerben.
23 
III. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
24 
IV. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG, wobei eine Reduktion in Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18.07.2013 wegen der Vorwegnahme der Hauptsache nicht angebracht war.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen