Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (5. Kammer) - 5 K 52/20.KO

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Ausübungsberechtigung für das Maurer- und Betonbauerhandwerk nach § 7b Handwerksordnung - HwO -.

2

Er legte am 8. Juli 1998 erfolgreich die Gesellenprüfung im Maurerhandwerk ab. In der Folge war er bei verschiedenen Bauunternehmen vornehmlich als Maurergeselle beschäftigt. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. August 2007 war der Kläger für die „A... GmbH“ in B... als Maurer im Bereich Hochbau tätig. Hierfür wurde ihm unter dem 31. August 2007 ein Arbeitszeugnis ausgestellt, in dem es auszugsweise heißt:

3

„Im Rahmen seiner Tätigkeit als Maurer führte Herr C... eine Sanierungsmaßnahme der D...mühle, E...straße in F... eigenverantwortlich mit drei ihm unterstellten Mitarbeitern und großem Engagement durch.“

4

Vom 1. September 2010 bis zum 15. Oktober 2016 und nochmals im Zeitraum vom 1. Februar 2017 bis zum 31. Oktober 2018 war der Kläger bei dem Bauunternehmen „G...“ in J... beschäftigt. Gemäß Arbeitsvertrag vom 2. Februar 2017 wurde er für den zweiten Zeitraum als „Baufacharbeiter Polier“ eingestellt. Unter dem 14. Februar 2019 erteilte der Betriebsinhaber, Herr H... I..., dem Kläger ein Arbeitszeugnis mit u. a. folgendem Inhalt:

5

„Nach dem Ausscheiden meines Vaters und mehrerer Poliere aus dem Betrieb im Jahr 2013 wuchs Herr C... mit seinen Aufgaben und übernahm zunehmend verantwortungsvolle Tätigkeiten und eigene Baustellen in leitender Position als Polier im Hoch- und Schlüsselfertigbau (...). Herr C... hatte bereits zu diesem Zeitpunkt in leitender Position meine zwischen 4 und 15 Mitarbeiter in seiner Kolonne unter sich, die er betreute und den Aufgaben entsprechend anleitete, so dass auch ohne meine Anwesenheit die Baustellen zu meiner vollsten Zufriedenheit sicher begleitet und abgeschlossen wurden. Als sich meine Firma mit Beginn des Jahres 2014 deutlich vergrößerte übernahm Herr C... fortan auch planerischer Großaufträge, unterstützte, beriet, betreute und belieferte teils mehrere Kolonnen gleichzeitig, sodass ich mich mehr um firmeninterne und kaufmännische Dinge kümmern konnte. Unter anderem sprach er Pläne und Arbeitserfahren auf unterschiedlichen Baustellen mit den Kollegen ab und sorgte für einen reibungslosen Ablauf der Baustellen. Quasi als meine rechte Hand im Betrieb begleitete er seit dieser Zeit bis zuletzt vertrauensvoll Kunden, Architekten und Mitarbeiter durch die jeweiligen Bauprojekte.“

6

Mit Schreiben vom 19. Februar 2019, der Beklagten zugegangen am 8. März 2019, beantragte der Kläger die Erteilung einer Ausübungsberechtigung nach § 7b HwO. Zum Nachweis seiner bisherigen beruflichen Erfahrungen legte er u. a. einen Lebenslauf sowie die beiden erwähnten Arbeitszeugnisse der „A... GmbH“ und der „G...“ vor.

7

Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 22. März 2019 darauf hin, Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Ausübungsberechtigung sei der Nachweis der Ausübung des Handwerks über einen Zeitraum von sechs Gesellenjahren, vier davon in leitender Stellung. Eine leitende Stellung in diesem Sinne setze voraus, dass die Leitung eines Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils vorliege. Gemeint sei damit eine handwerklich-technisch eigenverantwortliche Leitungsfunktion, die sich aus der Gruppe der idealtypischen Gesellen heraushebe. Die reine Leitung von Baustellen sei keine leitende Funktion nach § 7b HwO. Die Anforderungen müssten durch entsprechende Nachweise belegt werden, aus welchen sich für Außenstehende deutlich die leitende Funktion ergebe. Die bislang vom Kläger eingereichten Unterlagen genügten diesen Anforderungen nicht. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, warum bei nur sechs beschäftigten Mitarbeitern neben dem Inhaber der Firma ein weiterer leitender Angestellter benötigt worden sei.

8

Daraufhin übersandte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung seines früheren Arbeitgebers, Herrn H... I..., vom 27. Juni 2019, worin dieser auszugsweise Folgendes ausführt:

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„Die Tatsache, dass ich mich in den Zeiten von Herrn C...s Beschäftigung in meinem Betrieb um viele leitende Aufgaben nicht selbst kümmern konnte, ist leicht nachvollziehbar zu erklären. (...)

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Aufgrund dieser privaten Verpflichtungen war meine Zeit, in der ich mich um die Firma kümmern konnte, äußerst knapp bemessen, so dass, auch wegen des Ausscheidens bis dahin wichtiger Mitarbeiter, Herr K... C... stellvertretend die Aufgaben des Betriebsleiters für mich übernommen hat. (...)

11

Da mein Zeitfenster dies gar nicht anders zu ließ, hatte Herr C... weitgehende Entscheidungsbefugnis über alle Mitarbeiter meiner Firma und hielt auf meinen Wunsch hin, nur bei den sehr relevanten Dingen Rücksprache mit mir.

12

Sowohl fachlich als auch kalkulatorisch stand Herr C... mir immer zur Seite. (...)

13

Seine Fach- und Führungskompetenz hat Herr C... mehrfach unter Beweis gestellt, (...)“

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Die Beklagte nahm die eidesstattliche Versicherung zum Anlass, bei Herrn I... um Konkretisierung des genauen Zeitraums der Wahrnehmung der gehobenen Funktion des Klägers zu bitten. Dem kam Herr I... mit E-Mail vom 20. September 2019 nach und datierte den Beginn der gehobenen Funktion des Klägers auf den 1. Juli 2013. Der Kläger sei in der zweiten Oktoberwoche des Jahres 2016 auf eigenen Wunsch aus seinem Unternehmen ausgeschieden, im Februar 2017 aber - bis zum endgültigen Ausscheiden aus dem Betrieb im Oktober 2018 - zurückgekehrt. Im Zeitraum von Februar 2017 bis Oktober 2018 habe er neben dem Kläger nur noch zwei weitere Vollzeitkräfte beschäftigt. In dieser Zeit habe er verständlicherweise keine „rechte Hand“ benötigt.

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Den Antrag auf Erteilung einer Ausübungsberechtigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Oktober 2019 ab, da es an einem ausreichenden Nachweis über eine vierjährige Tätigkeit des Klägers in leitender Stellung fehle. Bei der Stellung des Klägers im Betrieb von Herrn I... habe es sich nach dessen eidesstattlicher Versicherung lediglich um eine stellvertretende Leitungsposition gehandelt. Zudem habe Herr I... die Dauer der Wahrnehmung dieser Funktion in seiner E-Mail vom 20. September 2019 auf den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 15. Oktober 2016 beschränkt. Demzufolge erreiche der Kläger weder den geforderten Beschäftigungszeitraum von vier Jahren, noch habe er das Innehaben einer leitenden Position hinreichend nachgewiesen.

16

Hiergegen erhob der Kläger am 9. Oktober 2019 Widerspruch. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe er eine vierjährige leitende Stellung nachgewiesen. Eine leitende Stellung setze nicht voraus, dass auch kaufmännische Aufgaben übernommen würden. Vielmehr sei eine leitende Stellung in der Regel bereits dann anzunehmen, wenn der Geselle Weisungsbefugnisse gegenüber anderen Mitarbeitern habe oder besser bezahlt werde als andere Gesellen. Dies treffe auf ihn zu. Auf den Baustellen der „G...“ sei er als Polier tätig gewesen und habe den anderen Mitarbeitern Instruktionen erteilt. Die Interessen des Bauunternehmers seien auf der Baustelle von ihm wahrgenommen worden. Zudem habe er die Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Terminplänen getragen. Auch in zeitlicher Hinsicht könne kein Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzung einer vierjährigen leitenden Stellung bestehen. Eine solche habe er für einen Zeitraum von acht Monaten bei der „A... GmbH“ und im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 15. Oktober 2016 bei der „G...“ bekleidet. Auch nach seinem Wiedereintritt in das Unternehmen von Herrn I... zum 1. Februar 2017 bis zu seinem endgültigen Ausscheiden Ende Oktober 2018 habe er eine leitende Position innegehabt. Die bloße Reduzierung des Mitarbeiterstammes spreche nicht gegen eine leitende Position; auf die Betriebsgröße komme es insoweit nicht entscheidend an. Der Einsatz eines Poliers sei auch im Zeitraum von Februar 2017 bis Oktober 2018 wegen anspruchsvoller Projekte erforderlich gewesen. Dabei sei er „meist alleine, teils abwechselnd mit Herrn I... als verantwortlicher Polier und Projektleiter tätig“ gewesen.

17

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2019 zurück. Dabei wiederholte und vertiefte sie ihre Ausführungen aus dem Ausgangsbescheid und führte ergänzend insbesondere aus, der Kläger sei jedenfalls im Zeitraum von Februar 2017 bis Oktober 2018 nicht mehr in leitender Position bei der „G...“ beschäftigt gewesen. Insoweit habe der Betriebsinhaber angegeben, die zu diesem Zeitpunkt noch verbliebenen zwei Mitarbeiter selbst überwacht zu haben.

18

Mit seiner Klage vom 17. Januar 2020 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und führt ergänzend im Wesentlichen aus, das Arbeitszeugnis und die eidesstattliche Versicherung von Herrn I... seien stärker zu gewichten als der Inhalt der E-Mail vom 20. September 2019. Letztere datiere zu einem Zeitpunkt, in dem er bereits finanziellen Streit mit Herrn I... gehabt habe. Im Übrigen habe die Beklagte die von ihm vorgelegten Nachweise, die ganz klar seine Zulassung zum Maurer- und Betonbauerhandwerk bedingten, nicht fundiert infrage stellen können. Die eindeutig mehr als vier Jahre andauernde Beschäftigung als Polier bei der Firma „G...“ sei als leitende Stellung anzuerkennen. Das Gesetz fordere für eine leitende Stellung weder die Leitung eines Betriebs noch eine bestimmte Betriebsmindestgröße.

19

Der Kläger beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2. Oktober 2019 und des Widerspruchsbescheids vom 18. Dezember 2019 zu verpflichten, ihm eine Ausübungsberechtigung nach § 7b HwO für das Maurer- und Betonbauerhandwerk zu erteilen.

21

Die Beklagte beantragt,

22

die Klage abzuweisen.

23

Der Kläger habe eine vierjährige leitende Stellung nicht nachgewiesen. Voraussetzung hierfür sei, dass dem Gesellen eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse zukämen. Die vom Kläger belegte stellvertretende leitende Tätigkeit reiche hierfür nicht aus. Auch fehle es an Nachweisen dafür, dass der Kläger Arbeitsabläufe gesteuert, betreut und überwacht habe. Jedenfalls nach seiner Rückkehr in den Betrieb von H... I... im Februar 2017 habe er keine leitende Position mehr innegehabt. Der Kläger habe insoweit nicht plausibel machen können, warum in dem von Herrn I... betriebenen Kleinstbetrieb neben dem Betriebsinhaber ein weiterer Betriebsleiter nötig gewesen sei. Schließlich hätten die vom Kläger vorgelegten Nachweise und die Befragung des ehemaligen Vorgesetzten Herrn I... klar ergeben, dass eine leitende Tätigkeit des Klägers nicht vorgelegen habe.

24

In der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2020 hat der Kläger weitere Angaben zur konkreten Ausgestaltung seiner Tätigkeiten bei der „A... GmbH“ und der „G...“ gemacht. Insoweit wird auf das Protokoll über die öffentliche Sitzung Bezug genommen.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakte der Beklagten (ein Heft) verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

27

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausübungsberechtigung für das Maurer- und Betonbauerhandwerk nach § 7b Abs. 1 Handwerksordnung - HwO Der dieses Begehren ablehnende Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Dezember 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

28

Nach § 7b Abs. 1 HwO erhält eine Ausübungsberechtigung für zulassungspflichtige Handwerke, ausgenommen in den Fällen der Nummern 12 und 33 bis 37 der Anlage A, wer - erstens - eine Gesellenprüfung in dem zu betreibenden zulassungspflichtigen Handwerk oder in einem mit diesem verwandten zulassungspflichtigen Handwerk oder eine Abschlussprüfung in einem dem zu betreibenden zulassungspflichtigen Handwerk entsprechenden anerkannten Ausbildungsberuf bestanden hat und - zweitens - in dem zu betreibenden zulassungspflichtigen Handwerk oder in einem mit diesem verwandten zulassungspflichtigen Handwerk oder in einem dem zu betreibenden zulassungspflichtigen Handwerk entsprechenden Beruf eine Tätigkeit von insgesamt sechs Jahren ausgeübt hat, davon insgesamt vier Jahre in leitender Stellung. Dabei muss die ausgeübte Tätigkeit - drittens - zumindest eine wesentliche Tätigkeit des zulassungspflichtigen Handwerks umfasst haben, für das die Ausübungsberechtigung beantragt wurde. Darüber hinaus müssen für die Erlangung einer Ausübungsberechtigung in der Person des Antragstellers diejenigen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse vorliegen, die für die selbständige Handwerksausübung erforderlich sind. Insoweit stellt § 7b Abs. 1a Satz 1 HwO eine Regelvermutung dahingehend auf, dass diese Kenntnisse durch die Berufserfahrung nach Abs. 1 Nr. 2 als nachgewiesen gelten. Soweit dies - ausnahmsweise - nicht der Fall ist, sind die erforderlichen Kenntnisse durch Teilnahme an Lehrgängen oder auf sonstige Weise nachzuweisen, vgl. § 7b Abs. 1a Satz 2 HwO.

29

Die vorgenannten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Das ist hier nicht der Fall. Zwar hat der Kläger am 8. Juli 1998 die Gesellenprüfung im Maurerhandwerk - das nach § 1 Abs. 2 Satz 1 HwO i. V. m. Nr. 1 der Anlage A zur HwO ein zulassungspflichtiges Handwerk darstellt - bestanden und in der Folge eine Tätigkeit von deutlich mehr als sechs Jahren im Maurerhandwerk ausgeübt. Es ist ihm aber nicht gelungen, eine insgesamt vierjährige Tätigkeit in leitender Stellung im Sinne von § 7b Abs. 1 Nr. 2 HwO nachzuweisen (1.). Zudem fehlt es in der Person des Klägers an den für die selbständige Handwerksausübung erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnissen (2.).

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1. Eine leitende Stellung nach § 7b Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 HwO hat der Kläger jedenfalls nicht für den gesetzlich geforderten Zeitraum von vier Jahren nachgewiesen.

31

Eine leitende Stellung im vorgenannten Sinne ist anzunehmen, wenn dem Gesellen eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse in einem Betrieb oder in einem wesentlichen Betriebsteil übertragen worden sind, § 7b Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 HwO. Der Nachweis hierüber kann nach § 7b Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 HwO durch Arbeitszeugnisse, Stellenbeschreibungen oder in anderer Weise erbracht werden.

32

Zwar müssen für eine leitende Tätigkeit im Sinne von § 7b Abs. 1 Nr. 2 HwO grundsätzlich nicht die hohen Anforderungen erfüllt sein, die an einen technischen Betriebsleiter zu stellen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 2015 - 8 C 12.14 juris, Rn. 31; OVG RP, Beschluss vom 19. März 2018 - 6 D 11607/17.OVG -, unveröffentlicht, Beschlussumdruck S. 4; OVG Nds, Beschluss vom 4. Juli 2011 - 8 LA 288/10 -, juris, Rn. 12; Detterbeck, in: ders., HwO, 3. Auflage 2016, § 7b Rn. 12). Die Tätigkeit in leitender Stellung erfordert nach ständiger Rechtsprechung aber, dass der Betreffende in einer qualifizierten Form tätig geworden ist, die sich aus einer eigenen Weisungsungebundenheit, aus einer eigenverantwortlichen Entscheidungsbefugnis für bestimmte Arbeitsbereiche oder aus Weisungsbefugnissen gegenüber anderen Mitarbeitern ergeben kann und sich darin von der üblichen Tätigkeit eines Gesellen in diesem Handwerk abhebt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 19. April 2012 - 6 A 11422/11 .OVG -, juris, Rn. 5, m it Verweis auf VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 3. November 2011 - 4 K 880/11.NW -, juris, Rn. 23; OVG Nds, Beschluss vom 4. Juli 2011 - 8 LA 288/10 -, juris, Rn. 12; vgl. auch: BayVGH, Urteil vom 19. März 2014 - 22 B 13.2021 -, juris, Rn. 19 m. w. N.).

33

Die Amtliche Gesetzesbegründung nennt als Beispiele für eine leitende Stellung die Funktion eines Poliers oder das Innehaben von Ausbildungsfunktionen (BT-Drs. 15/1206, S. 28). Allerdings ist der bloßen Bezeichnung eines Gesellen als „Vorarbeiter" oder „Polier" zunächst allenfalls eine Indizwirkung für die Annahme einer „leitenden Stellung" im Sinne des § 7b HwO zu entnehmen. Hinzukommen muss, dass die konkret geleistete Tätigkeit auch tatsächlich mit der Übernahme von nicht unerheblichen Verantwortlichkeiten in der Organisation des Betriebs nach innen wie nach außen verbunden ist (vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 2. Dezember 2010 - 9 K 3240/09 -, juris, Rn. 35).

34

Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Kläger eine leitende Stellung über einen Zeitraum von vier Jahren nicht nachgewiesen. Dabei kann offenbleiben, ob er bei der „A... GmbH“ (Beschäftigungszeit: acht Monate) und im Rahmen seiner erstmaligen Tätigkeit für die „G...“ vom 1. Juli 2013 bis zum 15. Oktober 2016 (Beschäftigungszeit: drei Jahre und 3,5 Monate) in leitender Stellung beschäftigt war bzw. dies hinreichend nachgewiesen hat. Denn selbst wenn man dies annähme, decken die beiden Tätigkeiten in Summe lediglich einen Zeitraum von drei Jahren und 11,5 Monaten ab. Dies reicht nicht aus, da der Kläger keine hinreichenden Nachweise für eine weitere Beschäftigung in leitender Stellung erbracht hat.

35

Insbesondere hat er nicht zu belegen vermocht, auch während seiner zweiten Tätigkeit für die „G...“ in leitender Stellung beschäftigt gewesen zu sein. Dass er nach dem Arbeitsvertrag vom 2. Februar 2017 als „Baufacharbeiter Polier“ eingestellt wurde, entfaltet zwar eine gewisse Indizwirkung. Dem stehen aber die Ausführungen des Betriebsinhabers H... I... entgegen. Dessen E-Mail vom 20. September 2019 ist zu entnehmen, dass er die maßgeblichen Entscheidungsbefugnisse ab Februar 2017 nicht mehr auf den Kläger delegiert hat. Darüber hinaus ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Kläger im zweiten Beschäftigungszeitraum bei der „G...“ weiterhin maßgebliche Weisungsbefugnisse gegenüber den weiteren Mitarbeitern zukamen. Herr I... hat insoweit ausgeführt, neben dem Kläger lediglich zwei weitere Vollzeitkräfte beschäftigt zu haben. Daher habe er in dieser Zeit verständlicherweise keine „rechte Hand“ mehr benötigt. Anhaltspunkte dafür, dass Herr I... insoweit falsche Angaben gemacht haben könnte, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Seine Ausführungen sind vielmehr plausibel. Das weggefallene Erfordernis eines weiteren Betriebsleiters neben dem Betriebsinhaber selbst ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass der Betrieb zwischenzeitlich nur noch zwei Mitarbeiter beschäftigte und mithin zu einem Kleinstbetrieb geschrumpft war. Eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse müssen in der Regel aber nur bei einer gewissen Betriebsgröße erteilt werden (vgl. Leisner, in: ders., HwO, 2016, § 7b, Rn. 15). Der Kläger hätte jedenfalls darlegen müssen, ob, wann und in welchem Umfang er neben dem Betriebsinhaber H... I... gerade auch im Verhältnis zu den beiden anderen Mitarbeitern einen eigenen Aufgabenbereich zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung innegehabt hat (vgl. hierzu: BayVGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 - 22 ZB 11.973 -, juris, Rn. 16). Das ist ihm aber nicht gelungen. Stattdessen hat er schon schriftsätzlich selbst angegeben, ab Februar 2017 abwechselnd mit Herrn I... tätig gewesen zu sein. In der mündlichen Verhandlung hat er dies dahingehend präzisiert, der Betriebsinhaber Herr I... habe ab Februar 2017 wieder selbst auf den Baustellen mitgearbeitet. Ausgehend hiervon lässt sich eine leitende Stellung des Klägers nicht mehr herleiten.

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Sonstige Beweisangebote oder anderweitige Nachweise für eine leitende Tätigkeit bei der „G...“ oder einem sonstigen Unternehmen hat der Kläger nicht angeboten.

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2. Darüber hinaus fehlt es dem Kläger am Qualifikationsnachweis hinsichtlich der für die selbständige Handwerksausübung erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse i. S. v. § 7b Abs. 1a HwO.

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Zwar sind betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Kenntnisse keine zwingende Voraussetzung für eine „leitende Stellung“ i. S. v. § 7b Abs. 1 Nr. 2 HwO. Gleichwohl sind die vorgenannten Kenntnisse für die Erteilung einer Ausübungsberechtigung des sogenannten Altgesellen unerlässlich, da die Ausübungsberechtigung lediglich ein Surrogat für die Meisterprüfung darstellt und Kenntnisse im betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Bereich sonst im Rahmen der Vorbereitung zur Meisterprüfung vermittelt werden (vgl. Walter, in: PdK Bund, Stand: September 2016, § 7b HwO, 4.3.4). Das entsprechende Erfordernis wurde auf Veranlassung des Bundesrats und nach entsprechender Einschaltung des Vermittlungsausschusses in das Gesetz aufgenommen. In der Stellungnahme des Bundesrats zur Altgesellenregelung des § 7b HwO heißt es hierzu auszugsweise (BR- Drs. 382/03 vom 11. Juli 2003, S. 3-4):

39

„Bei der von der Bundesregierung vorgesehenen Regelung wird kaum noch jemand bereit sein, den Meisterbrief zu erwerben, wenn er sich durch bloßes Zuwarten ein paar Jahre später auch ohne Meisterbrief selbständig machen kann. Die Führung eines Handwerksunternehmens setzt Fähigkeiten voraus, die bei einem Gesellen, auch wenn er in leitender Funktion gearbeitet hat, nicht automatisch vorhanden sind. (...) Die Unternehmerqualifikation der Existenzgründer wäre bei dieser Regelung nicht gewährleistet. Bei Betrieben, die nicht von einem Meister geführt werden, besteht daher ein erhöhtes Insolvenzrisiko wegen mangelnder betriebswirtschaftlicher Kenntnisse. Ein gänzlicher Verzicht auf den Nachweis der für die selbständige Führung eines Betriebes notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten für so genannte Altgesellen, die einen eigenen Betrieb gründen wollen, ist daher nicht vertretbar.“

40

Abs. 1a ist ausgehend hiervon in die „Altgesellen-Regelung“ des § 7b HwO aufgenommen worden, um das Vorhandensein betriebswirtschaftlicher, kaufmännischer und rechtlicher Kenntnisse zu gewährleisten. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass § 7b Abs. 1a Satz 1 HwO als Regelvermutung ausgestaltet ist (vgl. hierzu: Knörr, in: Honig/Knörr/Thiel, HwO, 5. Auflage 2017, § 7b, Rn. 13).

41

Allerdings besteht - eingedenk der Gesetzeshistorie - kein gesetzlicher Automatismus dergestalt, dass aus einer leitenden Stellung zwingend auf das Vorhandensein betriebswirtschaftlicher, kaufmännischer und rechtlicher Kenntnisse zu schließen ist. Anders als die fachlich-technischen Fertigkeiten in dem betreffenden Handwerk, von deren Vorhandensein bei Erfüllen der Voraussetzungen des § 7b Abs. 1 HwO ohne Weiteres auszugehen ist, „gelten" die für die selbständige Handwerksausübung erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse in der Regel durch die Berufserfahrung nach Absatz 1 Nr. 2 als nachgewiesen. Es handelt sich demnach um eine in Ausnahmefällen widerlegliche Vermutung; es ist zu prüfen, ob die ausgeübte Tätigkeit tatsächlich das ihr unterstellte allgemein-theoretische Wissen voraussetzte oder vermitteln konnte (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10. November 2009 - 9 K 2449/09 -, juris, Rn. 32 m. w. N.; Detterbeck, in: ders., a. a. O., § 7b, Rn. 20).

42

Hier liegt eine vom Regelfall abweichende Ausnahmekonstellation vor, in der die Vermutungsregel des § 7b Abs. 1a Satz 1 HwO nicht greift. Der Kläger selbst hat im Laufe des Verfahrens stets allein auf seine Tätigkeit auf der jeweiligen Baustelle, also bei der - auswärtigen - Ausführung von Aufträgen des Betriebs abgehoben. Schon deshalb mussten sich der Kammer Zweifel am Qualifikationsnachweis gemäß § 7b Abs. 1a HwO geradezu aufdrängen. Auch in den zum Nachweis der leitenden Stellung vorgelegten Arbeitszeugnissen und der eidesstattlichen Versicherung des ehemaligen Arbeitgebers H... I... ist stets nur von fachlich-handwerklichen Tätigkeiten des Klägers die Rede. Ferner heißt es im Zeugnis der „G...“ vom 14. Februar 2019, der Kläger habe den Betriebsinhaber derart entlastet, dass Letzterer sich „mehr um firmeninterne und kaufmännische Dinge kümmern konnte“. Auch im Zeugnis der „A... GmbH“ finden sich keine Hinweise darauf, dass der Kläger neben der Betreuung der Baustelle auch mit betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Abläufen des Unternehmens befasst war. Schon aus diesen Unterlagen ist zu schließen, dass der Kläger mit denjenigen Tätigkeiten, bei denen sich betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Kenntnisse aneignen lassen, also etwa der Angebotserstellung, der Abrechnung gegenüber den Kunden und der betrieblichen Organisation insgesamt einschließlich buchhalterischer, steuerlicher, lohnabrechnungstechnischer und arbeitsrechtlicher Fragen, praktisch nicht befasst war.

43

Dieses Bild hat der Kläger mit seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung bestätigt. So stellte er bereits nach Erstattung des Sachberichts durch die Berichterstatterin klar, nur auf der Baustelle tätig gewesen zu sein. Mit Bürotätigkeiten, die nur zirka 10 % der Arbeiten im Bauunternehmen ausmachten, habe er nichts zu tun gehabt. Auf Nachfrage des Gerichts gab er weiterhin an, etwa an der Erstellung von Kostenvoranschlägen sowie bei Vorgängen mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen wie der Einstellung und Entlohnung von Mitarbeitern nicht beteiligt gewesen zu sein. Um den kaufmännischen und schriftlichen Teil habe sich stets der Betriebsinhaber gekümmert.

44

Gelten die erforderlichen Kenntnisse daher ausnahmsweise nicht durch die Berufserfahrung i. S. d. § 7b Abs. 1 Nr. 2 HwO als nachgewiesen, so müssen sie durch die Teilnahme an Lehrgängen oder auf sonstige Weise nachgewiesen werden, vgl. § 7b Abs. 1a Satz 2 HwO. Einen solchen Nachweis hat der Kläger indes bislang nicht erbracht.

45

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

46

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

47

Gründe, die Berufung zuzulassen (§§ 124, 124a VwGO), liegen nicht vor.

48

Beschluss

49

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz und in Anlehnung an Nr. 54.3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169) auf 15.000,00 € festgesetzt.

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