Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (2. Kammer) - 2 K 1004/20.KO
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juni 2020 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2020 verpflichtet, festzustellen, dass der Kläger Familienpflegetätigkeit i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG leistet.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er Familienpflegetätigkeit i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen – BEDBPStruktG – leistet.
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Mit Bescheid vom 25. Februar 2020 wurde der Kläger auf seinen Antrag hin gemäß § 4 Abs. 1 BEDBPStruktG mit Ablauf des 31. März 2020 in den Ruhestand versetzt. Die Beklagte führte im Zuge dessen aus, nach Prüfung der von dem Kläger vorgelegten Unterlagen seien die Voraussetzungen für eine familienbedingte Beurlaubung nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bundesbeamtengesetz – BBG – mindestens am ersten Tag des Ruhestandes nicht erfüllt. Der Kläger habe daher die Pflicht, innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nach der Versetzung in den Ruhestand nachzuweisen, dass er mindestens zwölf Monate im Bundesfreiwilligendienst oder 1.000 Einsatzstunden in einer vergleichbaren ehrenamtlichen Tätigkeit geleistet habe.
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Unter dem 28. Februar 2020 gab der Kläger eine Erklärung zur Familienpflegetätigkeit im Rahmen des engagierten Ruhestandes ab. Er teilte mit, ab dem ersten Tag seines engagierten Ruhestandes die Betreuung seines Enkels Finn Laquillon (geboren im Jahr 2012) wahrzunehmen. Insoweit versicherte er, die Betreuung in seinem Haushalt zu erbringen, persönlich auszuüben sowie, dass die Betreuung ihn nach Art und Umfang derart stark beansprucht, dass ihm die Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit in Vollzeit daneben nicht möglich wäre.
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Nach erfolgter Prüfung erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 19. Juni 2020, die eingereichten Unterlagen seien als Nachweis nicht ausreichend. Es bestehe jedoch noch die Möglichkeit, den Nachweis durch Vorlage weiterer Unterlagen zu erbringen.
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Dagegen erhob der Kläger unter dem 12. August 2020 Widerspruch. Er betreue seinen Enkel seit dem ersten Tag seines Ruhestandes. Dies könne er versichern. Seine Tochter sei alleinerziehend und das Betreuungsangebot der Grundschule nicht ausreichend. Ferner habe sich die Betreuungssituation durch die Corona-Pandemie und der damit verbundenen Schulschließung verschärft. Bei seiner Tochter sei in dieser Zeit zudem mehr Arbeit angefallen, sodass sie des Öfteren mehr als zehn Stunden pro Tag gearbeitet habe.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2020 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die von dem Kläger vorgelegten Nachweise genügten nicht, um die Voraussetzungen der familienbedingten Betreuung i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG zu erfüllen. Gemäß Ziffer 1. 2. 4 der Anlage 2 zu den Hinweisen der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost, der Deutschen Post AG, der DB Privat- und Firmenkundenbank AG und der Deutschen Telekom AG für Beamtinnen und Beamte zum gesellschaftlichen Engagement im Rahmen des „Engagierten Ruhestandes“ (im Folgenden: Hinweise zum engagierten Ruhestand) seien geeignete Unterlagen vorzulegen, aus denen eine Haushaltsaufnahme des Enkelkindes bei dem Ruhestandsbeamten hervorgehe. Der Begriff der Haushaltsaufnahme impliziere, dass das Enkelkind den Lebensmittelpunkt, wenn auch nur temporär, bei dem Ruhestandsbeamten haben müsse. Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil für das zu betreuende Kind lediglich ein Nebenwohnsitz bei dem Kläger angemeldet worden sei. Der Kläger sei nunmehr verpflichtet, innerhalb von drei Jahren nach der Zurruhesetzung 1.000 Einsatzstunden ehrenamtliche Tätigkeit oder zwölf Monate Bundesfreiwilligendienst zu verrichten.
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Unter dem 2. November 2020 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und wies darauf hin, zur Erfüllung der Voraussetzungen sei die Verlegung des Hauptwohnsitzes des zu betreuenden Kindes nicht erforderlich. Maßgeblich sei vielmehr die tatsächliche Betreuung. Diese habe er für seinen Enkel bereits seit Februar 2020 übernommen und seiner Tochter damit ermöglicht, wieder Vollzeit arbeiten zu gehen.
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Mit seiner am 4. November 2020 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG lägen vor. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten komme es nicht auf den Wohnsitz seines Enkelkindes, sondern die tatsächliche Betreuung an. Diese werde durch ihn sichergestellt. Die vorgenannte Auslegung der hier maßgeblichen Regelung entspreche dem Sinn und Zweck der Norm, die das Wohlergehen des Kindes vor Augen habe. Denn maßgeblich für das Wohlergehen sei die tatsächlich aufgewandte Betreuung und nicht eine formale Ummeldung des Hauptwohnsitzes. Zwar sei nach dem Antragsformular zum engagierten Ruhestand ein Nachweis der Haushaltsaufnahme erforderlich. Diesen habe er jedoch mit der Vorlage der Meldebescheinigung betreffend den Nebenwohnsitz seines Enkels erbracht. Mit dem Vorliegen der Familienpflegetätigkeit sei gleichsam die Voraussetzung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStrukG erfüllt.
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Auf Nachfrage des Gerichts führte der Kläger ergänzend aus, er hole seinen Enkel montags, mittwochs und donnerstags zwischen 15:00 und 16:00 Uhr aus der Grundschule ab. Seine Tochter übernehme an diesen Tagen ca. ab 17:30 Uhr die Betreuung. Dienstags hole er seinen Enkel bereits um 12:00 Uhr ab und betreue ihn bis zum Schulbeginn am folgenden Tag. Während der pandemiebedingten Schulschließung habe er montags bis freitags von 8:00 bis 17:30 Uhr auf seinen Enkel aufgepasst. Gelegentlich habe sein Enkel auch bei ihm übernachtet. Seine Tochter gehe seit April 2020 einer Vollzeitbeschäftigung nach. Sie habe seinen Enkel zwei Wochen in den Sommerferien und eine Woche in den Herbstferien sowie über die Weihnachtsfeiertage betreut.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juni 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2020 zu verpflichten, die von ihm erbrachte Familienpflegetätigkeit nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG anzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Vorliegend bestünden bereits Zweifel darüber, ob dem Kläger ein Rechtsschutzinteresse zusteht. Sie habe lediglich entschieden, dass die Voraussetzungen für den Wegfall des Versorgungsabschlages am ersten Tag des Ruhestandes noch nicht erfüllt gewesen seien. Der Kläger habe jedoch noch die Möglichkeit, sein gesellschaftliches Engagement nachzuweisen. Ein Versorgungsabschlag werde derzeit nicht festgesetzt, sodass dem Kläger bislang kein Nachteil entstanden sei. Jedenfalls sei die Klage unbegründet. In Absprache mit dem Bundesministerium für Finanzen seien Regelungen zur Anerkennung des gesellschaftlichen Engagements im Rahmen der Vorruhestandsregelung entwickelt worden. Der Kläger versuche, diese Abgrenzungskriterien für seinen Fall außer Kraft zu setzen. Die Vorruhestandsregelung stelle jedoch bereits ein großes Entgegenkommen an die bei den Postnachfolgeunternehmen beschäftigten Beamten dar. Ein Abweichen von den getroffenen Regelungen sei im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeschlossen. In Bezug auf die Haushaltszugehörigkeit werde auf die §§ 8 und 9 der Abgabenordnung – AO – sowie auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Juni 2001 – VI R 224/98 – verwiesen.
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Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat die Kammer den Rechtstreit auf die Einzelrichterin übertragen.
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Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die sonstigen zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsvorgänge der Beklagten (ein Heft) Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die die Einzelrichterin im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden durfte (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –), ist zulässig und begründet.
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Bei gebotener Auslegung des Klagebegehrens (§ 88 VwGO) ist die Klage als Verpflichtungsklage zulässig. Die von dem Kläger begehrte Anerkennung ist – wie das streitgegenständliche Schreiben vom 19. Juni 2020 – als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren. Feststellende Verwaltungsakte sind solche, durch welche Ansprüche oder Eigenschaften, insbesondere der Status von Personen und Sachen, in Bezug auf einen Einzelfall verbindlich festgestellt werden oder durch welche eine insoweit beantragte Feststellung abgelehnt wird. Die Regelung im Sinne des § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist darin zu sehen, dass in einer rechtlich ungewissen Situation die Sach- und Rechtslage in diesem Einzelfall durch eine verbindliche Feststellung mit Bindungswirkung als bestehend oder nicht bestehend festgestellt, konkretisiert oder individualisiert wird (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2016 – 14 B 1056/16 –, juris, Rn. 8 m. w. N.). Ausgehend hiervon handelt es sich bei der begehrten Feststellung um einen Verwaltungsakt. Der Kläger möchte in einer rechtlich ungewissen Situation die Sach- und Rechtslage für den Einzelfall durch eine verbindliche Feststellung der Beklagten im Hinblick auf das Vorliegen der in § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG genannten Voraussetzung geklärt wissen.
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Insoweit ist ihm auch ein schutzwürdiges Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits zuzusprechen. Das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses als allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung bringt zum Ausdruck, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutz ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat. Fehlt ein solches Interesse, ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (vgl. OVG RP, Urteil vom 23. Juni 2020 – 2 A 10264/20.OVG –, juris, Rn. 47 m. w. N.). Ein solches rechtsschutzwürdiges Interesse liegt hier vor. Für den Kläger ist es von entscheidender Bedeutung, ob er die Ausübung von Familienpflegetätigkeit nachweisen konnte. Denn ansonsten müsste er noch in den ersten drei Jahren nach seiner Zurruhesetzung, von denen bereits mehr als ein Jahr vergangen ist, anderweitig gesellschaftliches Engagement erbringen.
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Dem Rechtsschutzinteresse des Klägers steht auch nicht entgegen, dass bereits in dem nach Aktenlage bestandskräftigen Bescheid vom 25. Februar 2020 seitens der Beklagten erklärt wurde, nach Prüfung der von dem Kläger vorgelegten Unterlagen seien die Voraussetzungen für eine familienbedingte Beurlaubung nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG mindestens am ersten Tag des Ruhestandes nicht erfüllt. Unter Berücksichtigung der nach dem Bescheid erfolgten weiteren Prüfung, des daraufhin von der Beklagten erlassenen Bescheides vom 19. Juni 2020 sowie des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2020 kann der ursprüngliche Bescheid nur so verstanden werden, dass diesem lediglich eine vorläufige Beurteilung der Sachlage zugrunde gelegen hat. Hierfür spricht bereits die Formulierung „Nach Prüfung der von Ihnen vorgelegten Unterlagen“. Der Kläger konnte davon ausgehen, dass die Beklagte – wie geschehen – nach der Einreichung weiterer Unterlagen eine erneute Prüfung durchführen wird. Dies entspricht schließlich Ziffer 6 der Allgemeinen Hinweise zum engagierten Ruhestand, wonach empfohlen wird, den Nachweis betreffend die Familienpflegetätigkeit jedenfalls nach Ablauf des ersten Tages des Ruhestandes sehr zeitnah einzureichen. Anhand des Nachweises werde sodann das Vorliegen der Voraussetzzungen für den dauerhaften Ausgleich des Versorgungsabschlags geprüft.
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Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Erlass eines Bescheides mit der Feststellung, dass er Familienpflegetätigkeit i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG leistet. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid vom 19. Juni 2020 und der Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2020 sind daher rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte war folglich unter Aufhebung dieser Bescheide zu verpflichten, die begehrte Feststellung auszusprechen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus § 4 Abs. 2 Satz 5 BEDBPStruktG. Zwar enthält die Vorschrift keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen feststellenden Verwaltungsakt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss die Befugnis der Verwaltung, sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben des Mittels des feststellenden Verwaltungsakts zu bedienen, allerdings nicht ausdrücklich in der gesetzlichen Grundlage erwähnt sein, die zu einem Eingriff ermächtigt. Die Befugnis muss sich nur dem Gesetz im Wege der Auslegung entnehmen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. August 2014 – 6 C 15.13 –, juris, Rn. 23 sowie Beschluss vom 19. Januar 2016 – 3 B 76.15 –, juris, Rn. 8, jeweils m. w. N.), wobei es als zulässig angesehen wird, auf eine „VA-Befugnis“ im Wege der Gesamtanalogie zu den Vorschriften zu schließen, die ausdrücklich oder implizit die zur Durchsetzung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht zuständige Behörde zum Erlass von Verwaltungsakten gegenüber Privatpersonen ermächtigen (vgl. VGH BW, Urteil vom 9. November 2015 – 11 S 714/15 –, juris, Rn. 33 m. w. N. sowie Urteil vom 16. Januar 2020 – 6 S 1006/19 –, juris, Rn. 28). So liegt der Fall hier. Die Befugnis der Verwaltung, sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben des Mittels des feststellenden Verwaltungsaktes zu bedienen, ist für § 4 Abs. 2 Satz 5 BEDBPStruktG nach Sinn und Zweck der Vorschrift zu bejahen. Denn die Feststellung, ob bereits ein gesellschaftliches Engagement i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 4 BEDBPStruktG erbracht wurde, verschafft dem in den Ruhestand versetzten Beamten Rechtssicherheit darüber, ob die Beklagte nach derzeitiger Sachlage einen Versorgungsabschlag festsetzen wird. Dass die Behörde auf Antrag zum Erlass eines solchen Verwaltungsaktes verpflichtet ist, ergibt sich hier nicht zuletzt aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes. Denn es ist für den Kläger von entscheidender Bedeutung zeitnah zu wissen, ob ein weiteres Handeln seinerseits erforderlich ist.
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Der Kläger leistet Familienpflegetätigkeit i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG.
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§ 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG verlangt, dass der Beamte die Voraussetzungen für eine familienbedingte Beurlaubung nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG erfüllt. Danach muss der Beamte mindestens ein Kind, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, tatsächlich betreuen oder pflegen. Dies ist hier der Fall.
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Der Enkel des Klägers, Finn Lanquillon, ist im Jahr 2012 geboren und hat somit das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet. Er ist auch ein Kind im Sinne der vorgenannten Vorschrift. Das Gesetz spricht mit der Bezeichnung „Kind“ offenbar nicht das bereits erwähnte Alter unter 18 Jahren an, sondern eine persönliche und rechtlich bedeutsame Verbindung, sodass das betreute Kind als Angehöriger des Beamten erscheint. Darauf verweist zudem die Nennung der zu pflegenden Person in § 92 Abs. 1 Nr. 2 BBG als „sonstiger“ Angehöriger (vgl. Polg/Wiedow, BBG, Kommentar, Stand Mai 2017, § 92 Rn. 14). Kinder im Sinne von § 92 Abs. 1 BBG können demnach sein: eheliche, für ehelich erklärte, an Kindes Statt angenommene oder nichteheliche Kinder sowie Stiefkinder, Pflegekinder, Enkel oder Geschwister des Beamten (vgl. Battis, in: Bundesbeamtengesetz, BBG § 92 Rn. 4, beck-online). Der zu betreuende Finn Lanquillon ist als Enkel des Klägers somit ein Kind im Sinne der Vorschrift.
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Dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine familienbedingte Beurlaubung steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen, dass Finn Lanquillon nicht mit seinem Hauptwohnsitz bei dem Kläger gemeldet ist. Die von den Beteiligten genannte und diskutierte Voraussetzung der Haushaltsaufnahme des zu betreuenden Kindes lässt sich weder dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG noch dem des § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG entnehmen. Nach dem eindeutigen Wortlaut kommt es vielmehr ausschließlich auf das tatsächliche Betreuen an. Ferner spricht eine Auslegung nach Sinn und Zweck gegen das Erfordernis einer Haushaltsaufnahme des zu betreuenden Kindes. Denn eine über mehrere Stunden erfolgende, umfassende Betreuung kann ein tatsächliches Betreuen i. S. d. § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG darstellen, ohne zwangsläufig mit einer Haushaltsaufnahme einherzugehen. Die durch eine Meldebescheinigung formal nachgewiesene Aufnahme in den eigenen Haushalt enthält hingegen für sich genommen keine Aussage über die Wahrnehmung der tatsächlichen Betreuung. Überdies kann besonders unter Berücksichtigung der weiteren Möglichkeiten zur Erfüllung des gesellschaftlichen Engagements (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 a) und b) BEDBPStruktG) eine Haushaltsaufnahme nicht verlangt werden. Bei diesen weiteren Möglichkeiten beschränkt sich das gesellschaftliche Engagement auf die gewöhnlichen Arbeitsstunden. Warum demgegenüber im Rahmen der Familienpflegetätigkeit neben einer tatsächlichen Betreuung während der üblichen Arbeitsstunden eine darüber hinausgehende Aufnahme in den eigenen Haushalt erforderlich sein soll, ist nicht ersichtlich.
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Dass zur Auslegung der Bezeichnung „Kind“ ergänzend auch auf die weiteren Bestimmungen der Kinderleistungsvorschriften (§ 32 Abs.1 Einkommensteuergesetz – EStG –, § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG sowie § 2 Abs. 1 Bundeskindergeldgesetz) zurückgegriffen werden kann (vgl. Polg/Wiedow, BBG, Kommentar, Stand Mai 2017, § 92 Rn. 14), in denen teilweise eine Haushaltsaufnahme gefordert wird, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn aufgrund der unterschiedlichen Regelungen der Gesetze folgt daraus nicht ohne Weiteres eine Übernahme der Voraussetzung der Haushaltsaufnahme. Dieses zusätzliche Erfordernis bei dem hier maßgeblichen Angehörigenverhältnis zwischen Enkel und Großvater/Großmutter ist in den vorgenannten Vorschriften u. a. darin begründet, dass andernfalls (ohne Haushaltsaufnahme) eine Auszahlung des Kindergeldes an den Großvater/die Großmutter grundsätzlich nicht in Betracht kommen würde. Denn für jedes Kind wird nach § 64 Abs. 1 EStG nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt und nach Absatz 2 der genannten Norm wird bei mehreren Berechtigten demjenigen Kindergeld gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Einer solchen weitere Einschränkung bedarf es hier jedoch nicht. Die besondere Voraussetzung der tatsächlichen Betreuung stellt bereits sicher, dass die Leistung nur einem Berechtigten zugutekommt.
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Die von der Beklagten vorgelegten Hinweise zum engagierten Ruhestand führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Zwar ist dort in Ziffer 1. 2. 4 der Anlage 2 geregelt, dass bei in den eigenen Haushalt aufgenommenen Enkelkindern Kopie(n) amtlicher Unterlagen zum Nachweis der Aufnahme in den Haushalt (z. B. Meldebescheinigung) vorzulegen sind. Die von der Beklagten zur Akte gereichten Hinweise der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost, der Deutschen Post AG, der DB Privat- und Firmenkundenbank AG und der Deutschen Telekom AG können jedoch die Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG, nach der es entsprechend der vorherigen Ausführungen keiner Haushaltsaufnahme bedarf, nicht derart einschränken. Überdies unterscheiden die Allgemeinen Hinweise zum engagierten Ruhestand selbst zwischen zum Bezug von Kindergeld Berechtigten und nicht zum Bezug berechtigten Personen. Unter Ziffer 1. 1 der Anlage 2 ist geregelt, dass eine aktuelle (formlose) Bescheinigung der Familienkasse über den Bezug von Kindergeld bezogen auf das zu betreuende Kind vorzulegen ist, wenn der Beamte Berechtigter ist. Aus Ziffer 1. 2 ergibt sich sodann, wie der Nachweis erbracht werden kann, wenn der Beamte nicht zum Bezug des Kindergeldes berechtigt ist. Der Beamte muss demnach nicht zwangsläufig Berechtigter im vorgenannten Sinne sein. Da die in den eigenen Haushalt aufgenommenen Enkelkinder durch den für diese nach §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Nr. 3 EStG bestehenden Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich bereits unter Ziffer 1. 1 fallen, ist nicht ersichtlich, warum die Haushaltsaufnahme daneben in Ziffer 1. 2. 4. gefordert ist. Dieses Erfordernis erscheint hier auch nicht zielführend. Denn solche formalen Gesichtspunkte wie eine Meldebescheinigung enthalten keine Aussage darüber, wer die tatsächliche Betreuung des Kindes ausübt.
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Bedarf es demnach nicht der Aufnahme des zu betreuenden Kindes in den eigenen Haushalt (vgl. zu § 11 TVöD Nollert-Borasio, in: Burger, TVöD – TV-L, 4. Auflage 2020, § 11 Rn. 12, beck-online sowie zu § 64 des Hessischen Beamtengesetztes Hartmannshenn, in: BeckOK Beamtenrecht Hessen, Brintrine/Masuch, 15. Edition 2021, Rn. 13), so dringt die Beklagte auch nicht durch mit dem von ihr ins Feld geführten Urteil des Bundesfinanzhofes vom 20. Juni 2001 – VI R 224/98 – betreffend die Anspruchsvoraussetzung für Kindergeld bei noch nicht endgültig vollzogener Haushaltsaufnahme sowie mit den von ihr erwähnten §§ 8 und 9 AO.
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Wenn das Kind nicht mit dem Beschäftigten in einem Haushalt wohnt, ist jedoch genau zu prüfen, wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat und inwieweit eine tatsächliche Betreuung durch den Beschäftigten erfolgt (vgl. zu § 11 TVöD Boecken, in: Boecken/Joussen, Teilzeit- und Befristungsgesetz, TVöD § 11 Rn. 7 sowie Laux; in Laux/Schlachter, Teilzeit- und Befristungsgesetz, 2. Auflage 2011, Rn. 8, jeweils beck-online). Vorliegend hat der Kläger seinen Enkel in gewissem Umfang in seinen Haushalt aufgenommen und dementsprechend für diesen einen Nebenwohnsitz bei sich angemeldet. Dies stellt jedenfalls ein Indiz für eine häusliche Gemeinschaft dar. Erhöhte Anforderungen an die Darlegung der Betreuung mangels häuslicher Gemeinschaft bestehen somit nicht.
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Der Kläger betreut seinen Enkel auch tatsächlich. Weder § 4 Abs. 1 Nr. 4 c) BEDBPStruktG noch § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG geben einen zeitlichen Umfang vor, ab wann eine tatsächliche Betreuung ein gesellschaftliches Engagement im Sinne des engagierten Ruhestandes darstellt. Insoweit steht lediglich fest, dass der Beamte die Voraussetzungen für die Familienpflegetätigkeit jedenfalls am ersten Tag des Ruhestandes erfüllen muss. Zudem ist nach Ziffer 5 der Allgemeinen Hinweise zum engagierten Ruhestand zwar nicht erforderlich, dass die Betreuung eines Kindes zu einer bestimmten Tageszeit oder an speziellen Tagen (z. B. Werktagen) oder in einem bestimmten zeitlichen Umfang geleistet wird, die Betreuung muss jedoch den Beamten nach Art und Umfang derart stark beanspruchen, dass die Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit in Vollzeit daneben nicht möglich ist. Ein Anhaltspunkt dafür, wann dies der Fall ist, lässt sich den in § 4 Abs. 1 Nr. 4 a) und b) BEDBPStruktG geregelten alternativen Möglichkeiten zur Erfüllung des gesellschaftlichen Engagements entnehmen. Für diese ist in § 4 Abs. 2 Satz 5 BEDBPStruktG festgelegt, dass der in den Ruhestand versetzte Beamte zur Erhaltung des Ausgleichsbetrages innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nach der Versetzung in den Ruhestand nachweisen muss, dass er mindestens zwölf Monate im Bundesfreiwilligendienst oder 1.000 Einsatzstunden in einer vergleichbaren ehrenamtlichen Tätigkeit geleistet hat. Wenn man dies zugrunde legt und einen den 1.000 Einsatzstunden vergleichbaren Aufwand fordert, ist die Familienpflegetätigkeit des Klägers als geleistet anzusehen. Er hat dargelegt, seinen Enkel von montags bis donnerstags aus der Schule abzuholen und im Anschluss für einige Zeit zu betreuen. Zwar beträgt die Betreuungszeit montags, mittwochs und donnerstags lediglich rund 1 ½ bis 2 ½ Stunden, allerdings übernimmt er dienstags die Betreuung von 12 Uhr mittags bis zum Schulbeginn am folgenden Tag. Hinzukommen die Ferien, in denen seine Tochter allenfalls sechs Wochen die Betreuung übernehmen kann. Des Weiteren ist vorliegend das durch die Corona-Pandemie ausgelöste besondere Betreuungsbedürfnis im vergangenen Jahr zu berücksichtigen. Während die Schule über mehrere Wochen geschlossen war, übernahm der Kläger von montags bis freitags für jeweils 9 ½ Stunden die Betreuung seines Enkels. Insgesamt handelt es sich um ein Engagement, das die Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit in Vollzeit ausschließt. Selbst wenn der Kläger nur in der Hälfte der Ferien die Betreuung übernommen hätte, so hätte er mit dieser Zeit und einer angenommenen Schließung der Schule seines Enkels von fünf Wochen plus der Betreuung in den üblichen Schulwochen bereits mehr als 1.000 Stunden die tatsächliche Betreuung ausgeübt. Hinsichtlich der Familienpflegetätigkeit ist ferner zu berücksichtigen, dass das Engagement in der Regel über einen viel längeren Zeitraum ausgeübt wird als im Falle der Ableistung des Bundesfreiwilligendienstes oder der Ausübung einer vergleichbaren ehrenamtlichen Tätigkeit. Davon ist auch hier auszugehen. Der Kläger wird die tatsächliche Betreuung vermutlich noch einige weitere Jahre ausüben. Die Betreuung findet zudem – wie gefordert (vgl. Badenhausen-Fähnle, in: BeckOK BeamtenR Bund, 22. Edition, 1. April 2020, BBG § 92 Rn. 10) – während der täglichen Arbeitszeit statt, von der er freigestellt worden ist.
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Dem Anspruch steht schließlich nicht entgegen, dass neben den Angaben des Klägers keine weiteren Nachweise für die erfolgte Betreuung vorliegen. Über die Angaben des Beamten hinausgehende Nachweise für eine tatsächliche Betreuung können weder gefordert noch erbracht werden (vgl. zu § 48b Bundesnotarordnung Bremkamp, in: Frenz/Miermeister, Bundesnotarordnung, § 48c Rn. 17, beck-online). Eine weitergehende Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals ist daher kaum möglich (vgl. Bracker, in: BeckOK BNotO, 4. Edition 1. Februar 2021, § 48b Rn. 4). Die neben den Angaben des Beamten als Nachweis geltende Erklärung zur Familienpflegetätigkeit im Rahmen des engagierten Ruhestandes (vgl. https://www.banst-pt.de/fileadmin/banst/content/Versorgung/Merkblaetter_und_Formulare_2020/BANST-PT-Engagierter-Ruhestand-2018-bf.pdf) hat der Kläger am 28. Februar 2020 abgegeben. Die Beklagte hat auch selbst nichts vorgetragen, was geeignet wäre, berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Klägers anzumelden.
- 35
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
- 36
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.
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Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§§ 124, 124a VwGO).
Beschluss
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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
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