Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (4. Kammer) - 4 K 920/19.KO
Tenor
Der Beitragsbescheid vom 8. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2019 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen die Erhebung wiederkehrender Ausbaubeiträge.
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Sie sind Eigentümer des sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „A.“ befindlichen Grundstücks Flur 26, Flurstück Nr. 66/38 in der Gemarkung der Beklagten.
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In seiner Sitzung am 7. Juli 2016 beschloss der Gemeinderat der Beklagten den Ausbau der Straßen B., C. und D.-Straße, in seiner Sitzung am 15. Dezember 2016 zudem den Ausbau folgender Straßen: E.-Straße, F.-Straße, G.-Straße, H.-Gasse und I.-Gasse.
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Mit Bescheid vom 8. August 2018 erhob die Beklagte für das Jahr 2017 wiederkehrende Beiträge von den Klägern für den Ausbau der vorgenannten Straßen in Höhe von 38,08 €.
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Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Kreisrechtsausschuss bei der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2019 zurück.
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Die Kläger haben am 23. August 2019 Klage erhoben, mit der sie unter anderem die Unwirksamkeit der Beitragssatzung wegen einer fehlerhaften Bildung der Abrechnungseinheiten geltend gemacht haben.
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Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 24. Januar 2020 im Hinblick auf das als Musterverfahren ausgewählte Verfahren 4 K 899/19.KO zum Ruhen gebracht. In diesem Verfahren hat die Kammer mit Urteil vom 4. März 2020 die angegriffenen Bescheide mit der Begründung aufgehoben, dass die ihnen zugrundeliegende Beitragssatzung wegen der fehlerhaften Bildung nur einer Abrechnungseinheit nichtig sei. Die Berufung gegen dieses Urteil ist durch rechtskräftiges Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. März 2021 (6 A 11403/20.OVG) zurückgewiesen worden.
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Am 23. Juli 2021 beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine neue Satzung zur Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für den Ausbau von Verkehrsanlagen (ABS). Danach wird das Gemeindegebiet der Beklagten in die Abrechnungseinheit 1 „Ortslage J.“ und die Abrechnungseinheit 2 „Gebiet K.“ unterteilt. § 3 Abs. 1 Satz 1 ABS verweist diesbezüglich auf den in Anlage 1 beigefügten Plan. Nach § 15 ABS tritt die Satzung rückwirkend zum 1. Januar 2017 in Kraft.
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Nach Wiederaufrufen des Verfahrens verfolgen die Kläger ihr Anfechtungsbegehren weiter. Sie tragen vor, eine Satzung, die wiederkehrende Beiträge in neuen Abrechnungseinheiten festlege, könne nicht mit Rückwirkung in Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus sei auch die neue Satzung der Beklagten unwirksam, da sie im Hinblick auf die Bezeichnung der Abrechnungsgebiete nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz genüge.
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Die Kläger beantragen,
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den Beitragsbescheid vom 8. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, durch den Erlass der neuen Beitragssatzung sei der angefochtene Beitragsbescheid geheilt worden. Diese sei im Hinblick auf die Festlegung und Bezeichnung der Abrechnungseinheiten hinreichend bestimmt. Durch die Aufteilung des Gemeindegebietes in dieser neuen Satzung ändere sich die beitragspflichtige Fläche in dem Abrechnungsgebiet, in dem die baulichen Maßnahmen durchgeführt worden seien und in dem auch das Grundstück der Kläger liege. Diese betrage nun 1.180.000 m2. Für das klägerische Grundstück ergebe sich nunmehr ein Beitrag von überschlägig 87,19 € bei einem Beitragssatz von ca. 0,14417 € je m2 gewichteter Fläche statt bisher 38,08 € bei einem Beitragssatz von 0,062967 €.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten, die Gerichtsakten in den Verfahren 4 K 899/19.KO und 4 K 824/19.KO sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten (ein Ordner, neun Hefte und eine Bebauungsplanurkunde) Bezug genommen; sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Beitragsbescheid vom 8. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Beklagten fehlt es für die Beitragserhebung an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Dabei kann die Kammer offenlassen, ob der streitgegenständliche Beitragsbescheid rückwirkend auf die neue, am 23. Juli 2021 beschlossene Ausbaubeitragssatzung gestützt werden kann. Denn eine nachträgliche Heilung scheitert hier jedenfalls daran, dass die neue Ausbaubeitragssatzung der Beklagten mangels Bestimmtheit nichtig ist.
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1. Gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 und 2 des Kommunalabgabengesetzes in der hier noch durch das Gesetz vom 26. November 2019 anzuwendenden Fassung (GVBl. S. 338) können die Gemeinden durch Satzung bestimmen, dass die jährlichen Investitionsaufwendungen für Verkehrsanlagen nach Abzug des Gemeindeanteils als wiederkehrender Beitrag auf die Grundstücke verteilt werden, welche die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit einer Zufahrt oder eines Zugangs zu einer Straße haben, die zu der aus sämtlichen zum Anbau bestimmten Verkehrsanlagen des gesamten Gebiets oder einzelner, voneinander abgrenzbarer Gebietsteile der Gemeinde bestehenden einheitlichen öffentlichen Einrichtung (oder auch Abrechnungseinheit) gehört.
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2. Zur Festlegung der Abrechnungseinheiten genügt jede Form, anhand derer zweifelsfrei zu erkennen ist, welche Elemente umfasst sein sollen. Sie kann etwa durch textliche Aufzählung aller der Abrechnungseinheit zugehörigen Flurstücke oder durch einen als Anlage beizufügenden Plan erfolgen (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 29. Juni 2009 – 4 EO 217/09 –, juris, Rn. 11). Entscheidet sich die Gemeinde – wie hier der Fall – für die Beifügung eines Planes, muss dieser die Abrechnungseinheit so präzise umgrenzen, dass eine zweifelsfreie Zuordnung der Straßenflurstücke möglich ist (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 29. Juni 2009 – 4 EO 217/09 –, juris, Rn. 11). Bei der zeichnerischen Festlegung der zur einheitlichen Einrichtung gehörenden Anbaustraßen dürfen einerseits nur erstmals hergestellte und gewidmete Straßen berücksichtigt werden, andererseits müssen diese auch vollständig erfasst werden, sofern ihnen nicht die Verbindung zum übrigen örtlichen bzw. überörtlichen Verkehrsnetz fehlt (vgl. OVG RP, Urteil vom 14. Januar 2013 – 6 A 10836/12.OVG –, juris, Rn. 16.). Wird die einheitliche öffentliche Einrichtung im Sinne des § 10a Abs. 1 Satz 2 KAG in der Satzung nach dem gesamten Gemeindegebiet oder nach einzelnen, voneinander abgrenzbaren Gebietsteilen gebildet und bezeichnet, muss die Bezeichnung des Gebietes in der Satzung in Verbindung mit dem beigefügten Plan zweifelsfrei ergeben, welche Verkehrsanlagen in welcher räumlichen Ausdehnung zu der einheitlichen öffentlichen Einrichtung der Anbaustraßen in dem betreffenden Gebiet gehören (vgl. OVG RP, Urteil vom 9. März 2015 – 6 A 10054/15.OVG –, juris, Rn. 19).
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Welche konkreten Anforderungen an die Satzungsbestimmungen zu stellen sind, ist eine Frage des Einzelfalles. In den Blick zu nehmen ist dabei die Perspektive des Abgabenschuldners. Dieser muss ohne weiteres erkennen können, welche Straßenflurstücke dem jeweiligen Abrechnungsgebiet zuzuordnen sind und wo im Übergangsbereich zwischen diesem Gebiet und einem anderen oder dem Außenbereich Teilflächen von Straßenflurstücken der Länge oder Breite nach begrenzt werden (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 29. Juni 2009 – 4 EO 217/09 –, juris, Rn 14). Diese Anforderungen an die Bestimmtheit sind insbesondere dann gerechtfertigt, wenn das Abrechnungsgebiet mit Rückwirkung neu festgelegt wird und so – wie hier der Fall – ein vormals mangels wirksamer Rechtsgrundlage rechtswidriger Beitragsbescheid geheilt werden soll. Denn gerade in diesen Fällen gilt es, aufgrund des vergangenen Verfahrens entstandene Unsicherheiten zu beseitigen.
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3. Die Satzung der Beklagten genügt nicht den dargelegten Bestimmtheitsanforderungen.
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a) Die Bezeichnung der Abrechnungseinheit 1 „Ortslage“ im Satzungstext und die entsprechende zeichnerische Darstellung im der Satzung beigefügten Plan sind widersprüchlich. § 3 Abs. 1 Satz 1 ABS unterteilt das Gemeindegebiet der Beklagten in die Abrechnungseinheit 1 „Ortslage J.“ und die Abrechnungseinheit 2 „Gebiet K.“. Die zeichnerische Darstellung der Abrechnungseinheit 1 in der Anlage 1 geht jedoch von ihrer räumlichen Dimension deutlich über die „Ortslage“ hinaus. Es werden Straßenparzellen in das Abrechnungsgebiet mit einbezogen, die teilweise dem Außenbereich zuzuordnen sind und nicht als Teile von erstmals hergestellten und dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen im Innenbereich anzusehen sind.
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b) Mit der Bezeichnung „Ortslage“ ist – ungeachtet der auch Außenbereichsparzellen umfassenden zeichnerischen Darstellung – für einen Abgabenschuldner im vorliegenden Fall auch nicht ohne weiteres erkennbar, welche Straßenparzellen in welcher Länge und Breite zum Abrechnungsgebiet zählen sollen (vgl. hierzu OVG RP, Urteil vom 9. März 2015– 6 A 10054/15.OVG –, juris, Rn. 19).
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Zum einen wird mit der Bezeichnung „Ortslage“ kein im Gemeindegebiet der Beklagten gängiger Gebietsteil oder Ortsbezirk i.S.v. § 74 der Gemeindeordnung (GemO) beschrieben. Vielmehr hat die Beklagte mit der Bezeichnung „Ortsteil“ versucht, den Teil westlich der Bahnanlage von dem Abrechnungsgebiet 2 „Gebiet K.“ abzugrenzen. Fehlt es aber an einer entsprechenden gängigen Bezeichnung eines Gebietsteils einer Gemeinde, muss in der zeichnerischen Darstellung hinreichend deutlich werden, welche Straßengrundstücke des Gemeindegebietes diesem Gebietsteil zuzurechnen sind. Daran fehlt es hier, wie bereits dargelegt.
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Zum anderen wird mit der Bezeichnung „Ortslage“ in Verbindung mit dem der Satzung beigefügten Plan nicht ausreichend deutlich, in welcher Länge und Breite bestimmte Straßenflurstücke im Übergangsbereich vom Innen- in den Außenbereich noch der Abrechnungseinheit zugeordnet werden sollen. Dies wird beispielhaft bei der Straße L deutlich, die in den Außenbereich führt und u.a. das Freibad erschließt. Aufgrund der scheinbar willkürlichen, sich in den Außenbereich erstreckenden zeichnerischen Darstellung der Abrechnungseinheit 1 im der Satzung beigefügten Plan bleibt aus dem Blickwinkel des Abgabenschuldners unklar, welche Bereiche der betreffenden Straßenparzelle noch von der Abrechnungseinheit umfasst werden sollen.
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c) Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Rheinland-Pfalz vom 9. März 2015 (6 A 10054/15.OVG, juris). In dem dort zu entscheidenden Einzelfall hatte das Gericht die Bezeichnung „Ortslage“ in Verbindung mit dem als Anlage beigefügten Plan als ausreichend für eine hinreichend bestimmte Bezeichnung der Abrechnungseinheit angesehen. Im Gegensatz zum hier zu entscheidenden Fall hatte die beklagte Ortsgemeinde in dem ihrer Satzung als Anlage beigefügten Plan jedoch überhaupt keine zeichnerischen Darstellungen vorgenommen (s. Entscheidung der Vorinstanz, VG Koblenz, Urteil vom 30. September 2014 – 4 K 1246/13.KO –, n.v., S. 4 UA). Ein Widerspruch zwischen der Bezeichnung „Ortslage“ und den zeichnerischen Darstellungen in der der Satzung beigefügten Anlage, wie er hier festzustellen ist, konnte somit schon nicht entstehen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Entscheidung wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Beschluss
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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 38,08 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
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Referenzen
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- Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 A 10836/12 1x
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