Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 23 L 2657/16
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 9950/16 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 23. August 2016 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 9950/16 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 23. August 2016 anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Der Antrag gemäß § 80a Abs. 3 S. 2, § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
6Hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags, insbesondere hinsichtlich der Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO, bestehen entgegen der Auffassung der Beigeladenen keine Bedenken. Die Antragstellerin hat eine mögliche Verletzung eigener Rechte geltend gemacht, nämlich eine Verletzung ihres Abstimmungsanspruchs gemäß
7§ 2 Abs. 2 BauGB im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Grundlage für das streitige Bauvorhaben.
8Der Antrag ist auch begründet. Die erforderliche Interessenabwägung fällt wegen der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zugunsten der Antragstellerin aus. Denn vorliegend spricht alles dafür, dass die angefochtene Baugenehmigung vom 23. August 2016 die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 2 Abs. 2 BauGB verletzt und jedenfalls insoweit rechtswidrig ist.
9Maßstab für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des von der Beigeladenen geplanten Vorhabens ist nicht § 30 BauGB i.V.m. dem Bebauungsplan Nr. 109 "Q. " der Antragsgegnerin in den Fassungen der Bekanntmachungen vom 10. Juli 2014 und vom 8. Dezember 2015, denn nach der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ist von der Unwirksamkeit dieses Bebauungsplans auszugehen. Insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen des OVG NRW in seinem bislang noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 28. September 2016 im Verfahren – 7 D 89/14.NE – vollumfänglich an.
10Maßstab für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ist vielmehr § 30 BauGB i.V.m. dem Bebauungsplan Nr. 69 " T. " der Antragsgegnerin, der mit seiner Festsetzung eines Gewerbegebietes auch für das Vorhabengrundstück wieder aufleben dürfte.
11Auf dieser planungsrechtlichen Grundlage ist von der objektiven Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung auszugehen. Dies ergibt sich aus § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO. Nach dieser Vorschrift sind großflächige Einzelhandelsbetriebe wie der hier streitige,
12vgl. im Einzelnen zur Begrifflichkeit des großflächigen Einzelhandelsbetriebs BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 – 4 C 10.04 –; BayVGH, Urteil vom 5. Februar 2007 – 2 BV 05.1571 –, beide juris,
13außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten – und gerade nicht in Gewerbegebieten – zulässig.
14Das Vorhaben ist allerdings nicht nur objektiv rechtswidrig; es beeinträchtigt insbesondere einen die Antragstellerin als Nachbargemeinde schützenden öffentlichen Belang, nämlich das Erfordernis einer förmlichen Planung. Dieser Belang ist in § 2 Abs. 2 BauGB verankert. Nach dieser Vorschrift sind die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen. Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen. Dieses Abstimmungsgebot darf nicht dadurch umgegangen werden, dass eine erforderliche förmliche Planung unterbleibt.
15Das Planungserfordernis für großflächige Einzelhandelsbetriebe wie den hier streitigen lässt sich § 11 Abs. 3 BauNVO entnehmen. § 11 Abs. 3 BauNVO ist im System des Planungsrechts insofern einzigartig, als er es nicht damit bewenden lässt, die Zulassungsfähigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben allgemein an eine Planung zu binden. Es reicht nicht aus, dass die Standortgemeinde überhaupt planerisch tätig wird. Selbst wenn im Gemeindegebiet Misch-, Gewerbe- oder Industriegebiete zur Verfügung stehen, in denen Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, muss die Gemeinde von ihrer Planungsbefugnis gezielt in einer bestimmten Richtung Gebrauch machen, um den Weg für eine Zulassung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes frei zu machen. Erforderlich ist eine auf die Anlagenspezifika zugeschnittene Planung.
16Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 – 4 C 5.01 –, juris.
17Aus § 11 Abs. 3 BauNVO folgt die unwiderlegbare Vermutung, dass für einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb wie den hier in Rede stehenden ein qualifizierter interkommunaler Abstimmungsbedarf im Sinne von § 2 Abs. 2 BauGB besteht. Der Normgeber geht davon aus, dass sich die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO näher bezeichneten Auswirkungen bei solchen Betrieben generell nicht ausschließen lassen.
18Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 4 B 25.09 – und Urteil vom 1. August 2002 – 4 C 5.01 –, beide juris.
19Zur Überzeugung der Kammer steht das Abstimmungsbedürfnis aus § 2 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 11 Abs. 3 BauNVO der hier streitigen Baugenehmigung vom 23. August 2016 entgegen.
20Bereits 2002 hatte das Bundesverwaltungsgericht aus § 11 Abs. 3 BauNVO hergeleitet, dass ein Bedürfnis nach Abstimmung und planerischer Koordinierung zwischen zwei Kommunen im Sinne von § 2 Abs. 2 BauGB einer Baugenehmigung entgegensteht, wenn eine Planung insoweit überhaupt nicht stattfindet,
21vgl. BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 – 4 C 5.01 –, juris,
22und zwar – so auch das Verständnis der obergerichtlichen Rechtsprechung – ohne Rücksicht darauf, wie stark die klagende Nachbargemeinde wirklich durch das Vorhaben betroffen wird.
23Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. November 2002 – 1 ME 151/02 –, juris; OVG Koblenz, Urteil vom 3. November 2011 – 1 A 10270/11 –.
242009 hat das Bundesverwaltungsgericht im Anschluss an die Entscheidung aus dem Jahr 2002 ausgeführt, es liege auf der Hand, dass ein sich aus § 2 Abs. 2 BauGB ergebendes Bedürfnis nach Abstimmung und planerischer Koordinierung zwischen zwei Kommunen auch dann einer Baugenehmigung entgegenstehe, wenn etwas anderes als das abstimmungsbedürftige Vorhaben geplant worden sei und deshalb dessen Auswirkungen weder mit den benachbarten Gemeinden abgestimmt noch abgewogen worden seien.
25Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 4 B 25.09 –, juris.
26Ausgehend hiervon ist mit dem im Bebauungsplan Nr. 69 " T. " festgesetzten Gewerbegebiet etwas anderes als das gesondert abstimmungsbedürftige Vorhaben geplant worden. Es liegt auf der Hand, dass die fehlende Abstimmung der Baugenehmigung entgegensteht.
27Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 4 B 25.09 –, juris.
28Nichts anderes würde im Übrigen gelten, wenn der Bebauungsplan Nr. 69 " T. " wirksam aufgehoben wäre. In diesem Fall wäre Maßstab für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit § 35 BauGB. Das sich aus § 2 Abs. 2 BauGB ergebende Bedürfnis nach Abstimmung und planerischer Koordinierung stünde der Baugenehmigung entgegen, weil eine Planung insoweit überhaupt nicht stattgefunden hätte.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 – 4 C 5.01 –, juris.
30Auch die dem Bebauungsplan Nr. 109 "Q. " zugrundeliegende interkommunale Abstimmung genügt den Anforderungen des § 2 Abs. 2 BauGB nicht und trägt damit das Vorhaben der Beigeladenen nicht. Zwar fand eine Abstimmung zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin statt. Im Zuge des Aufstellungsvorgangs hatte die Antragstellerin Gelegenheit, ihre Belange geltend zu machen, und die Antragsgegnerin bezog sie in ihre Abwägungen mit ein. Diese Abstimmung ist jedoch nicht Gegenstand eines wirksamen Bebauungsplanes geworden.
31Dabei ist von besonderem Gewicht, dass gerade (auch) die erfolgte Abstimmung zu beanstanden und damit einer der Gründe für die Unwirksamkeit des Bebauungsplans war. Nach dem Urteil des OVG NRW liegt ein Verstoß gegen das Gebot zur Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials vor (§ 2 Abs. 3 BauGB). Die von Stadt und Handel erstellten Verträglichkeitsanalysen und Stellungnahmen vom 10.2.2014, 11.2.2014 und 30.4.2014 vermochten – auch bei Berücksichtigung der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme von Stadt und Handel vom 23.8.2016 – die Auswirkungen des von der Beigeladenen geplanten Vorhabens nicht hinreichend in Rechnung zu stellen.
32Siehe dazu näher die Entscheidungsgründe des OVG NRW in seinem Urteil vom 28. September 2016 – 7 D 89/14.NE –.
33Zu Recht weist die Beigeladene darauf hin, dass für die Beurteilung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans die Auswirkungen des ursprünglich von der Beigeladenen geplanten Vorhabens mit einer Verkaufsfläche von ca. 43.000 m² in den Blick genommen wurden und auch zu nehmen waren. Entgegen ihrer Ansicht schlägt der Mangel dennoch auf das hier in Rede stehende Vorhaben mit einer im Bauantrag angegebenen Verkaufsfläche von knapp 30.000 m² durch. Der Fehler in der Abwägung liegt in erster Linie darin begründet, dass bei der vorzunehmenden realitätsnahen "worst-case Betrachtung" unberücksichtigt blieb, dass die für die Beurteilung von Kaufkraftverlusten relevanten Wettbewerbsumfelder nicht statisch sind, sondern Veränderungen unterliegen, und in Rechnung zu stellen ist, dass die Ansiedlung eines neuen großen Einzelhandelsbetriebes zu einer nicht unwesentlichen Lichtung der Wettbewerbsdichte führen kann.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. September 2016 – 7 D 89/14.NE – m.w.N.
35Diese Feststellung gilt allerdings gleichermaßen für das ursprünglich geplante wie auch für das hier in Rede stehende Vorhaben. Der Mangel sachgerechter Ermittlung des Abwägungsmaterials lässt die Abstimmung insgesamt hinfällig werden. Entgegen der Ansicht der Beigeladenen kann die Abwägungsentscheidung gerade nicht gleichsam im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion im Hinblick auf das hier streitige Vorhaben aufrechterhalten werden.
36An diesem Ergebnis ändert sich nichts dadurch, dass das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2009 ausdrücklich die Frage offen gelassen hat, ob eine Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebots nach § 2 Abs. 2 BauGB vorliegen kann, wenn eine Abstimmung zwischen den betroffenen Kommunen tatsächlich stattgefunden, diese sich aber nicht in einem wirksamen Bebauungsplan niedergeschlagen hat.
37Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2009 – 4 B 25.09 –, juris.
38Denn die Kammer geht davon aus, dass das Bundesverwaltungsgericht insoweit eine andere Konstellation als die vorliegende vor Augen hatte, nämlich diejenige, in der die interkommunale Abstimmung möglicherweise beanstandungsfrei stattgefunden hat, der Bebauungsplan aber aus anderen Gründen unwirksam ist. Eine solche Konstellation liegt hier gerade nicht vor.
39Aber selbst wenn der Bebauungsplan Nr. 109 "Q. ", der als einziger eine Abstimmung der Kommunen zum Gegenstand hatte, nur aus Gründen, die nicht in der fehlerhaften Abstimmung lägen, unwirksam wäre, würde die Kammer das qualifizierte Abstimmungsbedürfnis der Antragstellerin als verletzt ansehen. Denn die Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebotes folgt allein aus dem Umstand, dass die Abstimmung nicht in einem wirksamen Bebauungsplan fixiert wurde. Auch dies ergibt sich aus einer Zusammenschau von § 2 Abs. 2 BauGB und § 11 Abs. 3 BauNVO.
40Die Bedeutung des § 2 Abs. 2 BauGB im Rahmen des allgemeinen Abwägungsgebots liegt darin, dass eine Gemeinde, die ihre eigenen Vorstellungen selbst um den Preis von gewichtigen Auswirkungen für die Nachbargemeinde durchsetzen möchte, bei ihrer Planung einem erhöhten Rechtfertigungszwang unterliegt. Die Bestimmung verleiht dem Interesse der Nachbargemeinde, vor Nachteilen bewahrt zu werden, besonderes Gewicht. Sie verlangt einen Interessenausgleich zwischen den beteiligten Gemeinden und fordert dazu eine Koordination der gemeindlichen Interessen.
41Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. September 2016 – 7 D 89/14.NE –.
42Eine solche Koordination kann nachhaltig nur durch Schaffung von Rechtssicherheit in diesem Verhältnis gewährleistet werden. Wenn ein Planbedürfnis besteht, wird diesem nur entsprochen, wenn auch ein wirksamer Plan in der Welt ist; ansonsten wird eine möglicherweise tatsächlich erfolgte Abstimmung zweier Kommunen, die nicht fixiert ist, in der Zukunft kaum als verlässliche Grundlage für weitere Planungen dienen können. Aus § 11 Abs. 3 BauNVO ergibt sich insoweit nicht nur objektiv-rechtlich, sondern auch im Verhältnis zur Nachbargemeinde das Erfordernis einer spezifischen und auch wirksamen Planung.
43Die Antragstellerin hat ihr so verstandenes Recht auf interkommunale Abstimmung aus § 2 Abs. 2 BauGB nicht analog § 242 BGB verwirkt. Die von ihr im Aufstellungsverfahren erklärte Forderung, das geplante Vorhaben auf eine maximale Verkaufsfläche von 30.000 m² inklusive des zentrenrelevanten Einzelhandels mit einer Fläche von maximal 1.500 m² zu beschränken, stellt sich nicht als Verzicht auf eine für die Zukunft verlässliche bauplanerische Grundlage dar. Keinesfalls wollte sie damit zum Ausdruck bringen, dass bei Vorliegen der genannten Größen-Verhältnisse die nach
44§ 11 Abs. 3 BauNVO gebotene besondere Planung insgesamt entbehrlich werde.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.
46Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG).
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Referenzen
- BauNVO § 11 Sonstige Sondergebiete 10x
- § 30 BauGB 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 80 1x
- 1 A 10270/11 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- § 2 Abs. 2 BauGB 13x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 42 1x
- 1 ME 151/02 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 3 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 35 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- 23 K 9950/16 2x (nicht zugeordnet)
- 7 D 89/14 4x (nicht zugeordnet)