Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 15765/17
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der 1961 in U. /Kasachstan geborene Kläger begehrt die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach dem Bundesvertriebenengesetz - BVFG -.
31995 beantragte der Kläger die Erteilung eines Aufnahmebescheids. Die deutsche Volkszugehörigkeit leitete er von seinen Eltern X. und N. S. ab, die 1941 von der Ukraine aus nach Kasachstan deportiert worden seien. Sie sind in seiner Geburtsurkunde mit deutscher Nationalität eingetragen. Der Kläger ist in seinem 1978 ausgestellten Inlandspass ebenfalls mit deutscher Nationalität erfasst. Im Aufnahmeantrag ist angegeben, der Kläger habe ab dem 7. Lebensjahr von den Eltern und in der Schule Deutsch gelernt. Er verstehe wenig Deutsch und spreche nur einzelne deutsche Wörter. Im Januar 1997 unterzog sich der Kläger in der Botschaft der Beklagten in Almaty einem Sprachtest. Hier erklärte er, als Kind Russisch gelernt zu haben. Deutsch habe er bis zum 3. Lebensjahr von der Mutter erlernt. Er spreche nie Deutsch und nur Russisch. Im Sprachtest verstand der Kläger keine Frage und antwortete nach Übersetzung jeweils auf Russisch. Auf die Frage, warum er mit seinen Eltern kein Deutsch gesprochen habe, erklärte er, so sei es passiert. Im April 1998 erteilte das Bundesverwaltungsamt den Eltern des Klägers einen Aufnahmebescheid und bezog den Kläger als Abkömmling in diesen Aufnahmebescheid ein. Im November 1998 siedelte der Kläger mit seinen Eltern in das Bundesgebiet über. Auf Antrag der Eltern des Klägers erhielten diese 1999 eine Spätaussiedlerbescheinigung, in der der Kläger als Abkömmling eines Spätaussiedlers eingetragen ist.
4Im Dezember 2015 beantragte der Kläger, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung auszustellen. Er verwies darauf, dass sei Aufnahmeantrag nie beschieden worden sei. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG stehe daher der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nicht entgegen.
5Den Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 20.09.2017 ab. Die 2013 in Kraft getretene Fassung des BVFG, die die Anforderungen an die Spätaussiedlereigenschaft herabgesenkt habe, sei auf den zuvor übergesiedelten Kläger nicht anwendbar. Die Gründe, die dazu geführt hätten, dass er lediglich als Abkömmling eines Spätaussiedlers anerkannt worden sei, besäßen nach wie vor Gültigkeit.
6Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Bundeverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2017 zurück. Der Bescheid wurde am 17.11.2017 zugestellt.
7Der Kläger hat am 14.12.2017 Klage erhoben.
8Zur Klagebegründung trägt er vor, das Ergebnis des Sprachtests könne ihm nicht entgegengehalten werden. In der Folgezeit habe er an seinen Deutschkenntnissen gearbeitet und sei bei Erteilung des Aufnahmebescheids bzw. bei der Übersiedlung in der Lage gewesen, nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 BVFG auf Deutsch zu kommunizieren.
9Der Kläger beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.11.2017 zu verpflichten, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung auszustellen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie meint, der Kläger erfülle die Voraussetzungen als Spätaussiedler nicht, weil ihm in der Familie keine bestätigenden Merkmale im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BVFG in der bei seiner Übersiedlung geltenden Fassung vermittelt worden seien.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Die zulässige Klage ist nicht begründet.
17Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 20.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 13.11.2917 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Absatz 5 VwGO). Er hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung.
18Die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG liegen nicht vor. Der Kläger hat die Spätaussiedlereigenschaft nach § 4 BVFG nicht erworben, weil er das dort genannte Tatbestandsmerkmal der deutschen Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 BVFG nicht erfüllt.
19Die Frage, ob eine Person die Voraussetzungen der §§ 4 und 6 BVFG erfüllt, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise zum dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet. Das ergibt sich aus dem materiellen Recht. § 4 BVFG bestimmt sowohl die Voraussetzungen für den Erwerb des Spätaussiedlerstatus als auch den Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsvoraussetzungen vorliegen müssen, nämlich den Zeitpunkt der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland,
20vgl. BVerwG, Urteile vom 16.07.2015 - 1 C 29.14 - und vom 10.10.2018 - 1 C 26.17 -.
21Für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft des Klägers kommt es daher auf die bei seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1998 geltende Rechtslage an. Zu diesem Zeitpunkt galt das BVFG in der Fassung vom 02.06.1993 - BVFG 1993 -.
22Der Kläger ist nicht deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG 1993. Nach dieser Bestimmung ist deutscher Volkszugehöriger,
23- wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nr. 1),
24- dem die Eltern oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nr. 2) und
25- der sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zum deutschen Volkstum bekannt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nr. 3).
26Der Kläger erfüllt nicht die Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993. Dabei kommt der Sprache besondere Bedeutung zu, da Vermittlung von Erziehung und Kultur regelmäßig über die Sprache erfolgen. Die Vorschrift verlangt in Bezug auf das Spracherfordernis, dass die deutsche Sprache durch diesen Personenkreis vom Säuglingsalter bis zur Selbständigkeit vermittelt wurde. Die Sprache muss „zumindest Gewicht“ haben. Das bedeutet, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte ihre vorhandenen deutschen Sprachfertigkeiten möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Dabei reicht es aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache neben der Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt werden. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen, wie sie sie selbst beherrschen. Deutsche Sprachfertigkeiten im Zeitpunkt der Einreise sind kein Tatbestandsmerkmal, aber gewichtiges Indiz für eine frühere Sprachvermittlung,
27vgl. BVerwG,, Urteil vom 19.10.2000 - 5 C 44.99 -; OVG NRW, Urteil vom 23.06.2017 - 11 A 3043/15 -.
28Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, kann nach Überzeugung des Gerichts von einer ausreichenden Vermittlung der deutschen Sprache an den Kläger nicht ausgegangen werden. Er hat bei seiner Anhörung im Jahr 1997 persönlich klargestellt, dass er nur bis zum dritten Lebensjahr von der Mutter Deutsch gelernt und die Sprache danach in der Familie nicht mehr verwendet hat. Das Protokoll, das diese Angaben wiedergibt, hat er unterschrieben; ein Sprachmittler stand dabei zur Verfügung. Danach ist ihm die deutsche Sprache nicht bis zur Selbständigkeit so vermittelt worden, wie die Eltern sie beherrschten. Vielmehr ist während des weit überwiegenden Teils der Kindheit und Jugend auf eine Weitergabe der deutschen Sprache verzichtet worden. Daher kann keine Rede davon sein, dass die deutsche Sprache für den Kläger bis zum Erreichen der Selbständigkeit „Gewicht“ gehabt hat. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung nach mehr als zwanzig Jahren erklärt hat, seine Eltern hätten zu Hause Deutsch gesprochen, man habe in der Familie „gemischt“ Deutsch und Russisch gesprochen, zieht seine ursprünglichen Angaben zur Sprachvermittlung nicht durchgreifend in Zweifel. Anhand dieser vagen Einlassung ist schon nicht deutlich geworden, inwiefern ein Sprachgebrauch unter den Eltern zu einer Weitergabe der deutschen Sprache an den Kläger über das dritte Lebensjahr hinaus in der Weise geführt haben könnte, dass er selbst nennenswert Deutsch gesprochen hat. Der Kläger hat sich auch nicht dazu geäußert, dass und weshalb seine präzisen Angaben anlässlich des Sprachtests unzutreffend gewesen sein sollen. Darüber hinaus sind die zunächst gemachten Angaben im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit eines Vortrags von besonderer Bedeutung, weil spätere Einlassungen den sachlichen und rechtlichen Vorhalten der Beklagten angepasst werden können. Deutsche Sprachkenntnisse, die der Kläger nach seinen Angaben als Erwachsener im Anschluss an den Sprachtest erworben hat, sind nicht geeignet, die Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 zu erfüllen.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
30Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
31Rechtsmittelbelehrung
32Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
40Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
41Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
42Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
43Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
44Beschluss
45Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
465.000,00 €
47festgesetzt.
48Gründe
49Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
50Rechtsmittelbelehrung
51Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
52Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
53Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
54Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
55Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- VwGO § 113 1x
- BVFG § 6 Volkszugehörigkeit 7x
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- BVFG § 15 Bescheinigungen 2x
- BVFG § 4 Spätaussiedler 3x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- 11 A 3043/15 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 55a 1x