Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 15872/17
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der im 00. 1958 in E. /Russland geborene Kläger begehrt die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach dem Bundesvertriebenengesetz - BVFG -.
31991 beantragte der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau die Erteilung eines Aufnahmebescheids. Im Antrag ist angegeben, der Kläger sei russischer Volkszugehöriger mit deutscher Muttersprache und deutsch-russischer Umgangssprache in der Familie. Der Kläger ist in der 1979 ausgestellten Geburtsurkunde seines Sohnes T. mit russischer Nationalität erfasst. In seiner eigenen Geburtsurkunde ist der Vater mit russischer, die Mutter, B. ., mit deutscher Nationalität eingetragen. Nachdem das Land NRW der Erteilung eines Aufnahmebescheids an die Ehefrau des Klägers zugestimmt hatte, siedelten die Eheleute im Januar 1995 im Wege des Aufnahmeverfahrens in das Bundesgebiet über. Auf ihren Antrag erhielt die Ehefrau des Klägers im August 1995 eine Spätaussiedlerbescheinigung, in die der Kläger als Ehegatte eines Spätaussiedlers eingetragen ist.
4Im Mai 2014 beantragte der Kläger, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung auszustellen. Den Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 24.11.2016 ab. Die 2013 in Kraft getretene Fassung des BVFG, die die Anforderungen an die Spätaussiedlereigenschaft herabgesenkt habe, sei auf den zuvor übergesiedelten Kläger nicht anwendbar. Die Gründe, die dazu geführt hätten, dass er lediglich als Ehegatte eines Spätaussiedlers anerkannt worden sei, besäßen nach wie vor Gültigkeit.
5Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Bundeverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2017 zurück. Der Bescheid wurde am 17.11.2017 zugestellt.
6Der Kläger hat am 18.12.2017, einem Montag, Klage erhoben.
7Zur Klagebegründung macht er geltend, er sei als Ehegatte in den Aufnahmebescheid seiner Ehefrau einbezogen worden. Über seinen eigenen Aufnahmeantrag habe das Bundesverwaltungsamt nicht entschieden. Er erfülle jedoch die Voraussetzungen als Spätaussiedler nach dem BVFG in der Fassung von 2001. Seine 1921 im Gebiet Saratow geborene Mutter B1. N. , geborene T1. , sei Deutsche. In der Familie sei nach dem Tod des Vaters und einem Umzug von Russland nach Kasachstan nur noch deutsch gesprochen worden. In der Schule habe er Deutsch als Fremdsprache gewählt. In seinem Elternhaus und in seiner eigenen Familie habe man das deutsche Volkstum intensiv gepflegt und Kontakte zu Deutschen gehabt. Die Angabe seiner Nationalität in der Geburtsurkunde und im Aufnahmeantrag folge lediglich den Eintragungen in seinem Pass. Laut einer vorgelegten Rehabilitierungsbescheinigung wurde B1. B2. 1941 als Person deutscher Nationalität nach Nowosibirsk umgesiedelt und unter Kommandantur gestellt. Ferner reichte der Kläger eine 1921 in der Republik der Wolgadeutschen ausgestellte Geburtsurkunde für B1. T1. sowie einen Personalausweis und eine 2017 in Erbach/Odenwald ausgestellte Sterbeurkunde der B1. N. , geborene T1. , ein.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.11.2017 zu verpflichten, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung auszustellen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie teilt mit, der Kläger sei als Ehegatte in den seiner Ehefrau am 24.11.1994 erteilten Aufnahmebescheid einbezogen worden, ohne dass über seinen eigenen Aufnahmeantrag entschieden worden sei. Er erfülle die Voraussetzungen als Spätaussiedler nicht, weil er kein deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG in der bei seiner Übersiedlung geltenden Fassung sei. Weder habe er nachgewiesen, dass sich seine Mutter sich bis zum maßgeblichen Zeitpunkt zum deutschen Volkstum bekannt habe, noch seien ihm bestätigende Merkmale vermittelt worden. Zudem habe der Kläger sich in der Geburtsurkunde seines Sohnes und im Aufnahmeantrag zum russischen Volkstum erklärt und dieses Bekenntnis bis zu seiner Übersiedlung nicht revidiert.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die zulässige Klage ist nicht begründet.
16Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 24.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.11.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Absatz 5 VwGO). Er hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung.
17Die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG liegen nicht vor. Der Kläger hat die Spätaussiedlereigenschaft nach § 4 BVFG nicht erworben, weil er das dort genannte Tatbestandsmerkmal der deutschen Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 BVFG nicht erfüllt.
18Die Frage, ob eine Person die Voraussetzungen der §§ 4 und 6 BVFG erfüllt, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise zum dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet. Das ergibt sich aus dem materiellen Recht. § 4 BVFG bestimmt sowohl die Voraussetzungen für den Erwerb des Spätaussiedlerstatus als auch den Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsvoraussetzungen vorliegen müssen, nämlich den Zeitpunkt der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland,
19vgl. BVerwG, Urteile vom 16.07.2015 - 1 C 29.14 - und vom 10.10.2018 - 1 C 26.17 -.
20Für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft des Klägers kommt es daher auf die bei seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1995 geltende Rechtslage an. Zu diesem Zeitpunkt galt das BVFG in der Fassung vom 02.06.1993 - BVFG 1993 -. Die 2001 in Kraft getretene Fassung des BVFG, der über § 100 a Abs. 1 BVFG in Bescheinigungsverfahren Rückwirkung beigemessen wurde, kommt nicht zur Anwendung, denn § 100 a Abs. 1 BVFG ist mit Änderungsgesetz vom 07.11.2015 aufgehoben worden.
21Der Kläger ist nicht deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG 1993. Nach dieser Bestimmung ist deutscher Volkszugehöriger,
22- wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nr. 1),
23- dem die Eltern oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nr. 2) und
24- der sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zum deutschen Volkstum erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nr. 3).
25Der Kläger erfüllt jedenfalls nicht die Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG 1993. Er hat weder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört noch sich zum deutschen Volkstum bekannt. Als Bekenntnis im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 3 BVFG 1993 kommt im territorialen Bereich der ehemaligen Sowjetunion vornehmlich die Nationalitätenerklärung für die Eintragung in amtliche Dokumente, namentlich im ersten Inlandspass in Betracht. Anlässlich der Erstausstellung seines Inlandspasses hat der Kläger sich nicht zum deutschen Volkstum bekannt. In dem Inlandspass, der nach Vollendung des 16. Lebensjahres, also im Jahr 1974 ausgestellt wurde, war der Kläger mit russischer Nationalität eingetragen. Dies bestätigt er mit dem Hinweis, die Angabe seiner russischen Nationalität in der Geburtsurkunde seines Sohnes und im Aufnahmeantrag folge einem entsprechenden Eintrag in seinem Pass. Dieser Passeintrag beruht zur Überzeugung des Gerichts auf einer Erklärung des Klägers und damit auf einem Gegenbekenntnis.
26Maßgeblich für die Ausstellung des ersten Inlandspasses war die Passverordnung von 1953, nach der die Nationalität in den ersten Inlandspass eingetragen werden musste. Anders als nach der Passverordnung Nr. 677 vom 28.08.1974, die am 01.01.1976 in Kraft trat, enthielt die Passverordnung von 1953 zwar kein ausdrückliches Wahlrecht hinsichtlich der Eintragung der Nationalität. In der Praxis wurde jedoch ebenso verfahren wie später in der Passverordnung vom 28.08.1974 vorgesehen,
27vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1997 - 9 C 10.96 -.
28Danach richtete sich die Nationalität im Pass nach der Nationalität der Eltern. Gehörten die Eltern verschiedenen Nationalitäten an, wurde bei der Erstausstellung des Passes nach dem Wunsch des Passinhabers die Nationalität des Vaters oder der Mutter eingetragen. Vor Ausstellung musste der Passbewerber hierzu ein von ihm zu unterschreibendes Antragsformular ausfüllen, in dem er seine Nationalität anzugeben hatte. Die Eintragung im Pass lässt bei Kindern volkstumsverschiedener Eltern regelmäßig auf eine entsprechende Angabe des Antragstellers schließen,
29vgl. OVG NRW, Urteile vom 24.05.2000 - 2 A 1651/94 - und vom 13.09.2002 - 2 A 779/11 -.
30Der Kläger hat als Kind aus gemischtnationalem Elternhaus die Möglichkeit, die Nationalität der Mutter als die eigene zu erklären, nicht genutzt. Dass er den russischen Nationalitätseintrag, den er in seinem Inlandspass und in weiteren Dokumenten geführt hat, bis zu seiner Übersiedlung geändert hätte, ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.
31Schließlich lässt sich aus der vorgetragenen Lebensführung des Klägers kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise im Sinne der zweiten Alternative des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG 1993 herleiten. Wer sich einen Inlandspass mit einer nichtdeutschen Nationalität ausstellen lässt, gibt ein Gegenbekenntnis zu dem nichtdeutschen Volkstum ab; dieses Gegenbekenntnis schließt ein Bekenntnis auf andere Weise im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG 1993 aus,
32vgl. BVerwG, Urteil vom 29.08.1995 - 9 C 391.94 -.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
34Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
35Rechtsmittelbelehrung
36Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
- 39
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 40
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 41
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- 42
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
44Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
45Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
46Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
47Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
48Beschluss
49Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
505.000,00 €
51festgesetzt.
52Gründe
53Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
54Rechtsmittelbelehrung
55Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
56Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
57Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
58Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
59Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- BVFG § 6 Volkszugehörigkeit 8x
- 2 A 1651/94 1x (nicht zugeordnet)
- BVFG § 15 Bescheinigungen 1x
- BVFG § 4 Spätaussiedler 3x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- BVFG § 100a Übergangsregelung 2x
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 2 A 779/11 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 55a 1x