Beschluss vom Verwaltungsgericht Köln - 8 L 1467/20.A
Tenor
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligt.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers – 8 K 1679/20.A – gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. März 2020 verfügte Abschiebungsanordnung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe
2Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil er glaubhaft gemacht hat, die wirtschaftlichen Voraussetzungen hierfür zu erfüllen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO). Die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten beruht auf § 121 ZPO.
3Der Antrag des Antragstellers,
4die aufschiebende Wirkung seiner Klage in dem Verfahren 8 K 1679/20.A gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. März 2020 anzuordnen,
5hat Erfolg.
6Er ist zulässig und begründet, wobei sich seine Statthaftigkeit ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 VwGO ergibt. Denn nach dem Widerruf der Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO durch die Antragsgegnerin war der in der Hauptsache angefochtene Verwaltungsakt wieder vollziehbar und damit tauglicher Gegenstand eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dem steht auch § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO binnen Wochenfrist nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung zu stellen. Diese Frist ist zwischenzeitlich abgelaufen. Sie ist auch nicht durch den Antrag im Verfahren 8 L 653/20.A gewahrt. Denn diesen hat der Antragsteller zurückgenommen, mit der Folge, dass er entsprechend § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO als nicht anhängig geworden anzusehen ist. Dem Antragsteller ist jedoch gemäß § 60 Abs. 4 VwGO Wiedereinsetzung in die Antragsfrist zu gewähren. Der Antragsteller war ohne Verschulden gehindert, die gesetzliche Antragsfrist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO). Er hatte den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Verfahren 8 L 653/20.A fristgerecht gestellt. Diesen hat er, allein dem Umstand Rechnung tragend, dass die Aussetzung der Vollziehung durch die Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 4 VwGO angeordnet worden und der Antrag dadurch unzulässig geworden war, prozessual ordnungsgemäß zurückgenommen. Von ihm war in dieser Situation nicht etwa zu verlangen, unter Verletzung des Grundsatzes der Prozessökonomie die Ablehnung seines Antrags zu erzwingen, um sich die Möglichkeit zu erhalten, später ggf. die Abänderung dieser Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO zu erreichen. Innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) hat der Antragsteller sodann wenige Tage nachdem die Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung widerrufen hatte, erneut um Anordnung der aufschiebenden Wirkung nachgesucht, weshalb ihm Wiedereinsetzung auch ohne ausdrücklichen Antrag gewährt werden kann (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO). Ein Fall von § 60 Abs. 3 VwGO liegt schon dem Zeitablauf nach nicht vor.
7Nach § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage an, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung ausweislich § 75 AsylG vom Gesetzgeber grundsätzlich als durchgreifend angesehene öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Bei der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung sind vor allem die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Stellt sich bei summarischer Betrachtung heraus, dass die Klage aller Voraussicht nach Erfolg haben wird, hat das öffentliche Vollzugsinteresse hinter dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zurückzustehen.
8Diese Interessenabwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides begegnet im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) bei summarischer Prüfung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat nach dieser gesetzlichen Maßgabe neben zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten und -hindernissen auch zu prüfen, ob der Abschiebung inlandsbezogene Vollzugshindernisse entgegenstehen.
10Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 –, juris, Rn. 9 m. w. N.
11Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es bestehen Anhaltspunkte für einen Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin III-VO. Diese ergeben sich Blick auf die jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für das Gericht nachvollziehbare Feststellung des VG Minden,
12vgl. Urteil vom 13.11.2019 – 10 K 2221/18.A –, juris,
13dass solchen Dublin-Rückkehrern, die – wie der Antragsteller ausweislich eines Treffers der Kategorie 1 bei der Eurodac-Abfrage des Bundesamtes – in Italien bereits einen Asylantrag gestellt haben, deren Asylverfahren noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist (wovon der Bescheid des Bundesamtes hier ausgeht) und die vollständig auf staatliche Unterstützung angewiesen sind (wofür nach Aktenlage vorliegend Überwiegendes spricht), im Falle ihre Überstellung nach Italien aufgrund systemischer Schwachstellen der dortigen Aufnahmebedingungen eine erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh droht. Sie werden bestätigt durch die vom VG Gelsenkirchen zusammengestellten Erkenntnisse,
14vgl. Gerichtsbescheid vom 25.05.2020 – 1a K 9184/17.A –, juris, Rn. 39 ff.,
15zur Situation nichtvulnerabler, gesunder, arbeitsfähiger anerkannt Schutzberechtigter.
16Bei dieser Sachlage setzt sich das Interesse des Antragstellers, bis zur Klärung der aufgeworfenen Fragen keine Überstellung nach Italien fürchten zu müssen, gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin, den Antragsteller möglichst bald überstellen zu können, durch. Dies gilt zumal deshalb, weil aus heutiger Sicht sowohl in Bezug auf die verfahrensrechtliche Situation des Antragstellers in Italien, als auch betreffend seine aktuelle gesundheitliche Lage noch Klärungsbedarf besteht.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83b AsylG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG, § 60 Abs. 5 VwGO).
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